OGH 4Ob539/95

OGH4Ob539/9511.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 10.April 1994 verstorbenen Maria Z*****, infolge Revisionsrekurses der erblasserischen Tochter Monika K*****, vertreten durch Dr.Norbert Lehner und Dr.Alfred Steinbuch, Rechtsanwälte in Neunkirchen, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wr.Neustadt als Rekursgericht vom 27.April 1995, GZ 18 R 84/95-21, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Neunkirchen vom 24.Jänner 1995, GZ A 184/94a-18, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses anordnende Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Die am 27.6.1938 geborene Maria Z***** ist am 10.4.1994 unter Hinterlassung ihres Ehegatten Johann Z***** sowie der beiden ehelichen Kinder Monika K***** (geboren am 19.9.1957) und Günther Z***** (geboren am 14.10.1961) verstorben. Die Ehegatten haben einander in ihrem gemeinsamen Testament vom 18.7.1988 wechselseitig zu Universalerben eingesetzt, den Sohn Günther auf den gesetzlichen Pflichtteil beschränkt und die Tochter Monika ausdrücklich enterbt, "da diese beharrlich gegen "den Willen der Eltern" eine gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößige Lebensart führt"; außerdem wiesen die Testierenden darauf hin, daß die Tochter bereits zur Begleichung ihrer Schulden namhafte Beträge von den Eltern erhalten habe.

Die vom erblasserischen Witwer Johann Z***** aufgrund des Testamentes vom 18.7.1988 abgegebene unbedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlaß wurde vom Gericht angenommen; die Erklärung des Sohnes Günther, sein Pflichtteilsrecht in Anspruch zu nehmen, sich jedoch diesbezüglich mit dem erblasserischen Witwer außergerichtlich zu einigen, wurde zur Kenntnis genommen. Die Tochter Monika erklärte nach einer von ihr in Anspruch genommenen Überlegungsfrist, ihren Pflichtteil in Anspruch zu nehmen; sie beantragte die Inventur und Schätzung des Nachlasses.

Das Erstgericht ordnete daraufhin die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses an. Das Rekursgericht hob diesen Beschluß auf (ON 11). In zweiten Rechtsgang ordnete das Erstgericht abermals die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses an. Die Straftaten der Tochter lägen schon lange Zeit zurück; demgegenüber habe sich diese zuletzt etwa 10 Jahre hindurch "wohlverhalten", indem sie eine feste Bindung zu einem Justizwachebeamten als Lebensgefährten eingegangen sei, ihre Tochter betreue und erziehe, also ein "ganz normales Leben" führe. Daß sie nach der Haftentlassung von der Notstandshilfe gelebt habe, sei kein Enterbungsgrund.

Das Rekursgericht wies den Antrag der Tochter auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses ab und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es stellte ergänzend fest, daß zur Zeit der Testamentserrichtung folgende strafgerichtliche Verurteilungen der Tochter vorlagen:

Die über die Tochter (teilweise bedingt) verhängten Freiheitsstrafen wurden vollzogen; zuletzt wurde sie am 6.7.1987 aus der Haft entlassen.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Rekursgericht daraus, daß zum maßgeblichen Zeitpunkt der Errichtung des letzten Willens der Enterbungsgrund des § 768 Z 4 ABGB vorgelegen sei, fielen darunter doch auch strafbare Handlungen gegen das Eigentum, wie sie hier aber von der Tochter längere Zeit hindurch und in einer Vielzahl von Angriffen beharrlich begangen worden seien. Da somit dem erbserklärten Erben die ihm obliegende Bescheinigung des Vorliegens eines gesetzlichen Enterbungsgrundes gelungen sei, sei der Antrag der Tochter auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Tochter ist berechtigt.

Im Verlassenschaftsverfahren haben die Noterben die Rechte der §§ 784, 804 und 812 ABGB und sind deshalb Beteiligte im Sinne des § 9 AußStrG (Koziol/Welser9 II 387 und die dort unter FN 1 angeführte Rechtsprechung). Ein Noterbe ist daher nicht nur berechtigt, gemäß § 804 ABGB die Errichtung des Inventars zu fordern, sondern auch - unter den Voraussetzungen des § 812 ABGB - die Nachlaßabsonderung zu begehren. Das Rekursgericht hat jedoch übersehen, daß in der von ihm zitierten Rechtsprechung dem Erben nur im Falle der von einem enterbten Noterben verlangten Nachlaßseparation, die Möglichkeit eingeräumt wurde, den Enterbungsgrund gegenüber dem Verlassenschaftsgericht glaubhaft zu machen (SZ 23/321 = EFSlg 1542; NZ 1985, 148). Die Nachlaßseparation ist nämlich ein über das Verlassenschaftsverfahren hinaus wirkendes Sicherungsmittel, weil der separierte Nachlaß auch nach der Einantwortung dem Zugriff der Separationsgläubiger vorbehalten bleibt (Koziol/Welser aaO 401). Der zitierten Rechtsprechung liegt der Gedanke zugrunde, daß zwar die Separationsgläubiger im allgemeinen ihre Forderungen bescheinigen müssen (Welser in Rummel, ABGB2 Rz 13 zu § 812 und die dort angeführte Rechtsprechung), dies aber auf den Noterben nicht zutrifft, weil sich dessen Pflichtteilsrecht schon aus seiner Zugehörigkeit zum Personenkreis der §§ 762, 763 ABGB ergibt und eine wirksame Enterbung (das Vorliegen eines gesetzlichen Enterbungsgrundes) gemäß § 771 ABGB in jedem Falle, also auch bei ausdrücklicher Enterbung durch den Erblasser, vom Erben erwiesen werden muß. Da somit der Noterbe auch dann die Absonderung des Nachlasses beantragen kann, wenn er vom Erblasser enterbt wurde, soll dem Erben ausnahmsweise auch im Verlassenschaftsverfahren zur Hintanhaltung dieses Sicherungsmittels die Gegenbescheinigung des Enterbungsgrundes zustehen.

Die Rechtsprechung zur Nachlaßabsonderung und die ihr zugrundeliegenden Überlegungen lassen sich aber entgegen Welser (in Rummel, ABGB2 Rz 1 zu § 771) und Eccer (in Schwimann, ABGB Rz 5 zu § 771) nicht auf das dem Noterben gemäß § 804 (§ 784) ABGB zustehende Recht, die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses zu verlangen, übertragen: das Inventar ist nämlich - anders als die Separation - nur für das Verlassenschaftsverfahren von Bedeutung, nicht aber darüber hinaus. Seinen Pflichtteilsanspruch muß daher der Noterbe ausschließlich mit der Pflichtteilsklage im streitigen Verfahren durchsetzen (Welser aaO Rz 14 zu §§ 762 bis 764; SZ 47/12;

SZ 59/9 = EFSlg 51.417; GesRZ 1993, 38 = AnwBl 1993, 432 uva). Der

Oberste Gerichtshof hat demnach bereits ausgesprochen, daß bei der

Entscheidung über den Antrag eines Noterben auf Inventarisierung und

Schätzung des Nachlasses nur die gesetzlichen Voraussetzungen für das

Vorliegen seines Noterbrechtes nach § 762 ABGB zu prüfen sind, nicht

aber ob und in welchem Ausmaß die Forderung des Noterben auf

Auszahlung des Pflichtteils materiell zu Recht besteht; diese Frage

ist vielmehr im Prozeßweg zu klären (RZ 1986/67 = NZ 1987, 128 =

EFSlg 51.418). Das gilt aber aus den dargelegten Gründen nicht nur

für die dort in Rede stehende Frage, ob die Pflichtteilsforderung

verjährt ist, sondern auch im Falle einer vom Erblasser - wie hier -

ausgesprochenen Enterbung (vgl SZ 48/19 = JBl 1976, 157 = EvBl

1975/247 = NZ 1977, 74), betrifft doch deren Rechtswirksamkeit

gleichermaßen das - einer Prüfung im Prozeßweg vorbehaltene - materielle Pflichtteilsrecht.

Im Ergebnis hat daher das Erstgericht zutreffend erkannt, daß dem Antrag der Tochter Monika auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses stattzugeben war, weil sich deren Stellung als Noterbin schon aus der Aktenlage ergibt. Soweit in der Entscheidung EFSlg 36.089 überhaupt Gegenteiliges ausgesprochen wurde, könnte sie aus den dargelegten Gründen nicht aufrecht erhalten werden.

Diese Erwägungen führen aber bereits zur Stattgebung des Revisionsrekurses und zur Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichtes.

Stichworte