OGH 10Ob35/14s

OGH10Ob35/14s17.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 26. August 2013 verstorbenen M*****, zuletzt wohnhaft gewesen in *****, über den Revisionsrekurs der erblasserischen Tochter S*****, vertreten durch Mag. Hannes Gabriel, Rechtsanwalt in Seeboden, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 19. März 2014, GZ 3 R 8/14g‑40, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 20. November 2013, GZ 1 A 574/13x‑33, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0100OB00035.14S.0617.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die am 26. 8. 2013 verstorbene Erblasserin hatte am 16. 2. 1990 mit ihrer Tochter S*****, nunmehr K*****, einen notariellen Schenkungsvertrag mit Pflichtteilsverzicht geschlossen, worin sie ihrer Tochter eine Liegenschaft mit einem darauf befindlichen Wohnhaus schenkte. Punkt 3. dieses Vertrags lautet: „Frau S***** nimmt diese Schenkung rechtsverbindlich an. Sie erklärt, hiedurch in allen ihren Pflichtteilsansprüchen gegenüber ihrer Mutter, Frau M*****, vollkommen entfertigt zu sein und daher auch auf das ihr gegen den künftigen Nachlass derselben zustehende Pflichtteilsrecht auch mit Wirkung für ihre Nachkommen ausdrücklich zu verzichten. Frau M***** nimmt diesen Pflichtteilsverzicht ihrer Tochter, Frau S*****, rechtsverbindlich an.“

Am 6. 10. 2008 errichtete die Erblasserin vor dem im gegenständlichen Verfahren als Gerichtskommissär tätigen Notar ein schriftliches Testament, in dem sie ihren Sachwalter G***** zum Alleinerben ihres Vermögens und zum Hofübernehmer des land‑ und forstwirtschaftlichen Betriebs vulgo „S*****“ mit den Liegenschaften EZ ***** und ***** GB ***** T***** einsetzte. Punkt 3.3 des Testaments lautet: „Meine Tochter S***** setze ich auf den gesetzlichen Pflichtteil.“

In diesem Verlassenschaftsverfahren gab G***** in der Verhandlung am 22. 10. 2013 aus dem Berufungsgrund des Testaments vom 6. 10. 2008 zum gesamten Nachlass eine unbedingte Erbantrittserkärung ab.

Mit Einantwortungsbeschluss des Erstgerichts vom 6. 11. 2013 wurde die Verlassenschaft dem Testamentserben eingeantwortet und die Verlassenschaft für beendet erklärt.

Über Ersuchen der dem Verfahren nicht beigezogenen Tochter der Erblasserin, S*****, ordnete das Erstgericht am 7. 11. 2013 die Zustellung einer Ausfertigung des Einantwortungsbeschlusses an deren Rechtsvertreter an, welche am 11. 11. 2013 erfolgte.

Mit Schriftsatz vom 7. 11. 2013 beantragte S***** die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses, insbesondere der Liegenschaften EZ ***** und ***** GB ***** T*****. Sie brachte dazu vor, dass sie ungeachtet ihres Pflichtteilsverzichts vom 16. 2. 1990 im Testament vom 6. 10. 2008 auf den Pflichtteil „beschränkt“ worden sei und sie aufgrund dieser letztwilligen Zuwendung als pflichtteilsberechtigte Noterbin dem Verfahren beizuziehen sei. Mit Eingabe vom 8. 11. 2013 brachte die Antragstellerin ergänzend vor, dass sie noch vor Zustellung des Einantwortungsbeschlusses und somit rechtzeitig die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses verlangt habe.

Das Erstgericht wies den Antrag der Antragstellerin im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Antragstellerin sei aufgrund des seinerzeit abgegebenen Pflichtteilsverzichts nicht mehr als Noterbin anzusehen und sei daher nicht berechtigt, die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses im Verlassenschaftsverfahren zu begehren.

Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluss mit der Maßgabe, dass der Antrag der erblasserischen Tochter zurückgewiesen wurde. Es verwies in seiner rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen darauf, dass gemäß § 804 ABGB auch Pflichtteilsberechtigte die Errichtung des Inventars verlangen können. Unter den pflichtteilsberechtigten Personen seien nur jene zu verstehen, die im konkreten Fall tatsächlich pflichtteilsberechtigt (Noterben) seien. Habe der Pflichtteilsberechtigte ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ wirksam auf seinen Pflichtteil verzichtet, stehe ihm auch kein Recht auf Inventarisierung gemäß § 804 ABGB zu. Der Antragstellerin komme daher aufgrund des von ihr im Schenkungsvertrag vom 16. 2. 1990 abgegebenen und von der Erblasserin angenommenen Pflichtteilsverzichts keine Parteistellung als Noterbin im gegenständlichen Verlassenschaftsverfahren zu.

Ein Erbverzicht hindere den Erblasser aber nicht, den Verzichtenden trotzdem zu bedenken. Der Widerruf des Erbverzichts sei auch formlos möglich. Der Erbverzicht berühre nur das Anwartschaftsrecht des Erben auf die Erbschaft, nicht aber seine Erbfähigkeit. Der Verzichtende könne daher aufgrund einer vor Widerruf des Erbverzichts errichteten letztwilligen Verfügung erwerben. Im Zweifel werde nicht davon auszugehen sein, dass eine Erbverzichtserklärung auch ein testamentarisch noch gar nicht eingeräumtes Erbrecht umfassen solle.

Im vorliegenden Fall habe der im Testament vom 6. 10. 2008 enthaltene Passus, wonach die Erblasserin ihre Tochter „auf den gesetzlichen Pflichtteil gesetzt habe“, offensichtlich nur der Verdeutlichung dienen sollen, dass diese jedenfalls als mögliche Erbin ausscheide. Ein Wiederaufleben des durch Verzicht bereits erloschenen gesetzlichen Pflichtteilsanspruchs der Antragstellerin sei dadurch nicht erfolgt. Es komme der Antragstellerin daher mangels eines tatsächlich noch bestehenden Pflichtteilsrechts keine Parteistellung zu und sie sei daher zur Stellung eines Antrags nach § 804 ABGB nicht legitimiert.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage fehle, ob eine letztwillige Anordnung, mit welcher ein zum Personenkreis der §§ 762 f ABGB zählender Angehöriger, der auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet habe, „auf den gesetzlichen Pflichtteil gesetzt werde“, zum Wiederaufleben seiner Eigenschaft als Noterbe führen könne.

Der dagegen von der erblasserischen Tochter erhobene ordentliche Revisionsrekurs ist entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

Die Revisionsrekurswerberin macht geltend, die Auslegung des Testaments der Erblasserin vom 6. 10. 2008 durch das Rekursgericht entspreche nicht den gesetzlichen Auslegungsregeln, die darauf abstellten, den wahren Willen des Erblassers gemäß dem Wortlaut seiner Verfügung zu erforschen. Die Erblasserin habe in ihrem Testament unter der Überschrift „Erbseinsetzung“ ausdrücklich verfügt, dass die Antragstellerin auf den gesetzlichen Pflichtteil gesetzt werde. Eine lebensnahe und auf die wirtschaftlichen Verhältnisse Bedacht nehmende Auslegung dieser Bestimmung könne nur dahin gehen, dass die Erblasserin der Antragstellerin ungeachtet der erfolgten Schenkung zusätzlich noch den „Pflichtteil“ aus ihrem noch vorhandenen Nachlass zuwenden wollte.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

Rechtliche Beurteilung

1. Pflichtteilsberechtigte Personen sind gemäß §§ 784, 804 ABGB berechtigt, im Verlassenschaftsverfahren die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses zu begehren, woraus sich ihre Parteistellung im Sinn des § 2 Abs 1 AußStrG ergibt. Dieses Recht steht ihnen nach herrschender Rechtsprechung bis zur Zustellung des Einantwortungsbeschlusses zu (RIS‑Justiz RS0008350, zuletzt 2 Ob 85/10d mwN).

1.1 Unter den pflichtteilsberechtigten Personen sind nur jene Personen zu verstehen, die im konkreten Fall tatsächlich pflichtteilsberechtigt sind, ohne Rücksicht darauf, ob sie an sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen als Noterben in Betracht kommen könnten. Das Verlassenschaftsgericht hat bei der Entscheidung über den Antrag eines Noterben auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses nur dessen Eigenschaft als Noterbe zu prüfen, nicht aber auch, ob und in welchem Ausmaß die Forderung des Noterben auf Auszahlung des Pflichtteils materiell zu Recht besteht (2 Ob 85/10d mwN; RIS‑Justiz RS0013007, RS0012855). Wer auf seinen Pflichtteil wirksam verzichtet hat, gehört nicht mehr zum Kreis der Noterben (RIS‑Justiz RS0012855 [T4], zuletzt 3 Ob 165/13f mwN).

1.2 Ein Erbverzicht ist ein Vertrag zwischen dem künftigen Erblasser und einer Person, die als dessen künftiger Erbe oder sonst erbrechtlich Berechtigter angesehen wird und auf diese künftigen Ansprüche verzichtet. Ein Erbverzicht ist daher nicht einseitig widerruflich. Ein Erbverzichtsvertrag, in dem ein Noterbe auf sein gesetzliches Erbrecht und seinen Pflichtteilsanspruch verzichtet hat, hindert aber den Erblasser nicht, den Verzichtenden trotzdem zu bedenken. Der Erbverzicht berührt nur das Anwartschaftsrecht des Erben auf die Erbschaft, nicht aber seine Erbfähigkeit, weshalb er ‑ unabhängig von einem Widerruf des Erbverzichts ‑ aufgrund einer letztwilligen Verfügung erben kann (6 Ob 273/02v; RIS‑Justiz RS0012321). Hat der Betreffende auf das gesetzliche Erbrecht verzichtet, kann er somit dennoch testamentarischer oder vertraglicher Erbe werden, bei einem Pflichtteilsverzicht kann er bei Fehlen einer Verfügung des Erblassers dennoch gesetzlicher Erbe werden (vgl Werkusch‑Christ in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.02 § 551 Rz 3).

1.3 Der Erblasser kann den Pflichtteil in jeder beliebigen Gestalt hinterlassen (§ 774 ABGB): Als Erbteil, als Vermächtnis oder durch Schenkung auf den Todesfall. Der Erblasser kann den Noterben den Pflichtteil auch ausdrücklich als solchen zuwenden. Pflichtteilsberechtigt sind die in § 762 ABGB genannten Personen. Zudem muss eine konkrete Pflichtteilsberechtigung vorliegen; nur jene Personen haben ein Pflichtteilsrecht, die nach dem Erblasser tatsächlich aufgrund des Gesetzes berufen worden wären, wenn er nicht testiert hätte. Kein Pflichtteilsrecht haben daher Verwandte, die auf das Erbrecht (den Pflichtteil) verzichtet haben (6 Ob 273/02v).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen kann sich die Antragstellerin für den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses gemäß § 804 ABGB nicht mit Erfolg auf eine Stellung als Pflichtteilsberechtigte berufen, weil sie aufgrund des von ihr im Schenkungsvertrag vom 16. 2. 1990 erklärten Pflichtteilsverzichts tatsächlich auch dann nicht als Noterbin (Pflichtteilsberechtigte) zum Zug gekommen wäre, wenn keine gültige letztwillige Verfügung der Erblasserin vom 6. 10. 2008 vorläge. Aus diesem Grund leitet die Antragstellerin einen Anspruch auf Gewährung des Pflichtteils auch ausschließlich aus der letztwilligen Verfügung der Erblasserin vom 6. 10. 2008 ab. Eine solche letztwillige Zuwendung wäre im Sinne des Rechtsstandpunkts der Antragstellerin als Vermächtnis zu interpretieren, von dem der Verzichtende nicht ausgeschlossen ist (vgl Likar‑Peer in Ferrari/Likar‑Peer , Erbrecht [2007] 304 und 307). Damit kommt aber der Antragstellerin nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht die Stellung eines Noterben zu und sie ist daher auch nicht berechtigt, die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses gemäß § 804 ABGB zu verlangen.

3. Es erübrigt sich daher im gegenständlichen Verfahren ein Eingehen auf die von der Revisionsrekurswerberin in ihrem Rechtsmittel allein relevierte Frage der Auslegung der letztwilligen Verfügung der Erblasserin vom 6. 10. 2008, wonach die Antragstellerin „auf den gesetzlichen Pflichtteil gesetzt sei“ (vgl dazu 6 Ob 273/02v).

Der Revisionsrekurs war somit mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

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