OGH 22Os5/15y

OGH22Os5/15y9.11.2015

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 9. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Waizer und Dr. Mascher sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Sailer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pottmann als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes, über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 4. Dezember 2014, AZ D 12‑35 (3 DV 12‑27), D 13‑51 (3 DV 14‑04), D 13‑50 (3 DV 14‑06), D 14‑09 (3 DV 14‑11), D 12‑37 (3 DV 14‑24), D 12‑36 (3 DV 14‑23), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Prof. Dr. Aicher, des Kammeranwalts Dr. Schmidinger und des Verteidigers Prof. Dr. Wennig zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt, weil er

1.) in seinem Schreiben vom 3. Dezember 2013 an Rechtsanwalt Dr. Peter W*****, I*****, Folgendes erklärte:

„Im Zuge des von der Stadtgemeinde H***** gegen meinen Mandanten geführten Verfahrens wegen rückständiger Schulgeldbetreffnisse ist im Bereich der Elternschaft die nicht ganz abwegige Vermutung aufgetaucht, dass Sie, sehr geehrter Herr Kollege, auftrags der Arbeiterkammer ***** das Verfahren 5 C 916/11t des Bezirksgerichts H***** derart geführt haben, dass ihre Partei notwendigerweise das Verfahren verlieren musste; dies trotz extrem guter Voraussetzungen.

... und weise ich darauf hin, dass, sollte deliktisches Zusammenspiel der Arbeiterkammer einerseits sowie der Stadtgemeinde H***** andererseits, an welchem Sie, sehr geehrter Herr Kollege, sich möglicherweise sogar beteiligt haben könnten, vorliegen, jedenfalls Schadenersatzansprüche meiner Partei bestünden.“

2.) in einem Fortführungsantrag an die Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 8. Mai 2012 auf S 4 unter Punkt 4. ausführte:

„anbetrachtlich der Ergebnisse des bisherigen Strafverfahrens verdichtet sich wohl der Verdacht gegen Herrn Rechtsanwalt Dr. Christian P***** insoferne, als wohl dieser die Testamentszeuginnen ganz offensichtlich in das Notariat Dr. S*****, dort zum Substituten Mag. G*****, geschickt und manövriert haben dürfte,“ und dadurch unterstellte, dass Rechtsanwalt Dr. Christian P***** an einer allfälligen Urkundenfälschung mitgewirkt habe, wodurch dieser ungerechtfertigt in den Streit gezogen worden sei.

Er wurde hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 1.500 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Schuldspruch richtet sich seine Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 3, 5 und 9 lit a StPO; vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]), Schuld und Strafe, der keine Berechtigung zukommt.

Soweit der Disziplinarbeschuldigte dem Schuldspruch 1.) entgegenhält, gemäß § 9 RAO berechtigt zu sein, unumwunden vorzubringen, was er bei der Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet (nominell Z 5, sachlich Z 9 lit a), gesteht er selbst zu, die Äußerung außerhalb jedweden Prozessverhältnisses mit Rechtsanwalt Dr. W***** getätigt zu haben. Selbst wenn das von jenem geführte Verfahren präjudiziell für andere sein sollte, ist eine „deliktische Haftung“ gegenüber unbeteiligten Dritten (in Ermangelung eines Verstoßes gegen absolut geschützte Rechte oder Schutzgesetze; F. Bydlinski , Schadenersatz wegen materiell rechtswidriger Verfahrenshandlungen, JBl 1986, 626 ff [637 f]) auszuschließen, sodass allein diese Ankündigung ein unzulässiges Druckmittel darstellt. Der Disziplinarbeschuldigte agierte mit seiner Kritik nicht im Rahmen der ihm als Rechtsvertreter zukommenden Aufgaben, vermochte doch das Schreiben an einen unbeteiligten Kollegen zur Rechtsdurchsetzung seiner Mandanten nichts sachlich Zielführendes beizutragen.

Den allgemeinen Ausführungen (erneut Z 9 lit a), es dürfe dem Rechtsanwalt nicht verwehrt bleiben, eine „unzulängliche Prozessführung“ eines Anwaltskollegen aufzuzeigen, ist grundsätzlich beizupflichten (vgl auch Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 , 874 ff), steht doch (unbestritten) Rechtsanwälten ein aus Art 10 MRK (auch Art 13 StGG) erfließendes Recht zu, sachliche Kritik in gebotener Form an Standesvertretern oder an Kollegen zu üben ( Berka , Die Grundrechte, Rz 570 mit Nachweisen zur Rsp des VfGH). Nach der früheren Rechtsprechung hat die Pflicht zur Kollegialität dann zurückzutreten, wenn der Verdacht einer sehr bedenklichen Handlung eines Standeskollegen vorliegt und dieser den Verdacht nicht entkräftet ( Feil/Wennig Anwaltsrecht 8 § 1 DSt, 871); herabsetzende und unbegründete Kritik über das berufliche Verhalten eines Standeskollegen ist freilich unzulässig. Werturteile sind nur dann durch das Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt, wenn sie auf ein im Kern wahres Tatsachensubstrat zurückgeführt werden können und die Äußerung nicht überschießend (im Sinn eines massiven Wertungsexzesses) ist (RIS‑Justiz RS0032201 [T25]), wobei Letzteres zu bejahen ist, wenn nicht die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (RIS‑Justiz RS0054817 [T43]; RS0056108 [T1, T4]).

Nach den Feststellungen vertrat Rechtsanwalt Dr. W***** im kritisierten Verfahren die Eltern eines Schülers und war ‑ unabhängig davon ‑ „langjähriger Vertrauensanwalt“ der Kammer für Arbeiter und Angestellte, sodass allein die Unterstellung, den Prozess „auftrags der Arbeiterkammer“ so geführt zu haben, dass seine Partei „notwendigerweise“ das Verfahren verliere, einen gewichtigen Vorwurf der Verletzung anwaltlicher Treuepflichten darstellt.

Angesichts des geäußerten Verdachts der Beteiligung an kollusivem „Zusammenspiel der Arbeiterkammer einerseits sowie der Stadtgemeinde H***** andererseits“, an dem auch die im Folgeabsatz geäußerte formale Distanzierung nichts ändert, betrifft der Sachausgang anderer um die Erhöhung des Schulgelds geführter Verfahren keine entscheidende Tatsache, sodass die (im Rahmen der Schuldberufung) beantragte (neuerliche) Vernehmung des Disziplinarbeschuldigten obsolet ist.

Angesichts des in Rede stehenden schwerwiegenden Verhaltens des Disziplinarbeschuldigten bedurfte es keiner näheren „konkreten Beweisaufnahmen“, ob dieses einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangte ( Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 § 1 DSt, 859). Im Übrigen hat der Disziplinarrat logisch und empirisch einwandfrei dargestellt, dass das in Rede stehende nicht zur persönlichen Eröffnung an Dr. W***** übermittelte Schriftstück dem bei diesem beschäftigten Kanzleipersonal zur Kenntnis gelangte (ES 9). Letztlich wollte und konnte der Disziplinarbeschuldigte doch nicht damit rechnen, dass der Adressat dieses einfach ablegen werde.

Soweit zum Schuldspruch 2.) eine „logische Begründung“ mit dem erkenntnisfremden Vorbringen vermisst wird, die angeführten „fehlenden Beweisergebnisse“ im Strafverfahren würden nur den Schluss zulassen, dass nicht alle „notwendigen“ Beweise erhoben und gewürdigt worden seien, ignoriert der Disziplinarbeschuldigte die Feststellungen gegenteiliger Beweisergebnisse in dem von ihm initiierten Strafverfahren, hatten doch sämtliche Testamentszeugen dort ausgesagt, Dr. P***** habe mit dem Anbringen des Zusatzes auf dem Testament nicht zu tun (ES 12). Da es einem Rechtsanwalt nach den standesrechtlichen Grundsätzen verwehrt ist, sachlich nicht gerechtfertigte Druckmittel anzukündigen oder anzuwenden (§ 2 RL‑BA; RIS‑Justiz RS0055886; RS0056346), ist auch eine Anzeigenerstattung gegen den gegnerischen Rechtsanwalt ohne zureichende Verdachtslage und ein ‑ im Übrigen inhaltlich prozessual verfehlter (vgl Nordmeyer , WK‑StPO § 196 Rz 14 ff) ‑ alle negativen Beweisergebnisse zur Gänze ignorierender Fortführungsantrag unstatthaft. Ein Prozessvorbringen durch einen Rechtsanwalt ist nur dann nach § 9 Abs 1 RAO gerechtfertigt, wenn die Ausübung des Rechts im Rahmen der Prozessführung nicht missbräuchlich erfolgt. Die Herabsetzung des Gegners darf nicht wider besseres Wissen erfolgen (RIS‑Justiz RS0114015; RS0022784), sodass auch der Hinweis auf eine ‑ aus den Akten jedoch in keiner Weise ableitbare ‑ „Verdachtslage“ eine prozesskonforme Darstellung vermissen lässt. Ein Vorbringen, das rechtlich unerheblich ist und auch nicht zur Illustration, Ausfüllung oder Untermauerung des rechtlich relevanten Tatsachenvortrags erstattet wird, sondern lediglich dazu dient, den gegnerischen Rechtsvertreter anzuschwärzen bzw herabzusetzen, ist nicht zu rechtfertigen (RIS‑Justiz RS0022784 [T13]).

Der letztlich ‑ erneut ‑ vermisste „Ausspruch“ der „konkreten Beeinträchtigung“ von Ehre und/oder Ansehen des Standes (nominell Z 3) betrifft ausschließlich die rechtliche Würdigung des festgestellten Verhaltens und lässt einerseits den jeweils konstatierten Gefahrenradius in der Rechtsanwaltskanzlei Dris. W***** (neuerlich ES 9) sowie andererseits die Involvierung von bei der Staatsanwaltschaft und bei Gericht mit der Anzeige und dem Fortführungsantrag befassten Personen außer Acht, denen insgesamt Öffentlichkeitswert beizumessen ist. Die genaue Anführung des Personenkreises, dem das Verhalten zur Kenntnis gelangt ist, ist entbehrlich. Im Übrigen liegt dem Disziplinarbeschuldigten auch zu 2.) des Schuldspruchs schwerwiegendes Fehlverhalten zur Last.

Somit bedurfte es auch nicht der Feststellung einer Gefahr der Minderung der Wertschätzung mit Blick auf das von § 18 RL‑BA pönalisierte (schlichte) In‑den‑Streit‑Ziehen (RIS‑Justiz RS0056108).

Die von § 1 Abs 1 Z 2 DSt alternativ formulierte Verletzung von Ehre oder Ansehen des Standes kann ‑ wie hier ‑ selbstredend auch kumulativ vorliegen.

Zu näheren Ausführungen über die Strafbarkeit nachträglicher Einfügungen in ein fremdhändiges Testament durch die dort aufscheinenden Zeugen war der Disziplinarrat nicht gehalten.

Bei der Strafbemessung wertete der Disziplinarrat als erschwerend das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen, während er keine Milderungsumstände in Anschlag brachte.

Dies ist dahin zu korrigieren, dass die unmittelbar davor konstatierte disziplinäre Unbescholtenheit natürlich als Milderungsumstand zu berücksichtigen ist.

Als erschwerend tritt weiters hinzu, dass die jeweils konkurrierenden Disziplinarvergehen nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt in zwei Fällen verwirklicht wurden.

Nach Lage des Falles ist die vom Disziplinarrat gefundene Sanktion dem Unrecht der Taten und der Schuld des Disziplinarbeschuldigten angemessen und auch im Hinblick auf die durchschnittlichen Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse eines Rechtsanwalts keiner Minderung zugänglich.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 Abs 5 DSt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte