European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00111.15K.1021.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Am 22. 3. 2013 ereignete sich beim Zugang zum Einstiegsbereich der Dreiersesselbahn „M*****“ ein Unfall, bei dem die Klägerin zu Sturz kam und sich verletzte. Die Sesselbahn wird von der beklagten Partei betrieben. Die Klägerin hatte eine gültige Liftkarte.
Der Zugang zum Einstiegsbereich der Sesselbahn erfolgt über eine Schrankenanlage, die aus drei nebeneinander liegenden, sich automatisch öffnenden und schließenden „Intervallschranken“ besteht. Die Anlage ist so eingestellt, dass sich die Schranken in 0,7 sec öffnen und anschließend 2 sec offen stehen. Der Vorgang des Öffnens und Schließens ist von der Bahnsteuerung unabhängig. Er setzt sich auch fort, wenn die Bahn durch Betätigung der Not‑Aus‑Taste angehalten wird. Im Bereich der Schrankenanlage ist eine Hinweistafel mit der an die Fahrgäste gerichteten Aufforderung angebracht, nach Öffnen der Schranken bis zum Einstieg vorzugehen.
Die Klägerin, eine geübte Schifahrerin, hatte die Sesselbahn bereits mehrmals benützt, so auch am Unfalltag. Sie stellte sich beim rechten der drei Zugangsschranken an und blieb dort stehen. Vor der Klägerin hatten ein Bub und eine Erwachsene den Schranken passiert und auf einem Dreiersessel Platz genommen. Ihnen folgten zwei oder drei weitere Schifahrer, die im Einstiegsbereich auf den nächsten Dreiersessel warteten, als plötzlich der Bub seinen Schistock verlor und sich anschickte, von der Sesselbahn herabzuspringen.
Ein vor dem Lifthäuschen stehender Liftbediensteter hatte diesen Vorfall beobachtet. Er schrie in Richtung des Buben: „Halt, sitzen bleiben!“. Außerdem stellte er zunächst die Geschwindigkeit der Sesselbahn auf eine niedrigere Stufe, ehe er die Bahn durch Betätigung der Not‑Aus‑Taste überhaupt anhielt.
Zeitgleich mit diesen Vorgängen öffnete sich der Schranken vor der Klägerin, die sich in Richtung des Einstiegsbereichs abstoßen wollte und schon ca 0,5 m nach vor gefahren war. Als sie den Schrei des Liftbediensteten hörte ‑ wobei sie lediglich das Wort „Halt“ wahrnahm ‑ blieb die Klägerin im Bereich des geöffneten Zugangsschrankens stehen und registrierte im Umfeld des Dreiersessels mit dem Buben eine „gewisse Unruhe“. Danach schloss sich der Schranken. Die Klägerin wurde seitlich umgeworfen und stürzte auf die „Schneefahrbahn“ des Einstiegsbereichs. Dabei erlitt sie am linken Unterarm einen distalen Speichenbruch.
Die Klägerin begehrte von der beklagten Partei den Ersatz ihres Schadens, den sie zuletzt mit 5.859,04 EUR (5.500 EUR Schmerzengeld; 359,04 EUR Heil‑ und Fahrtkosten) bezifferte. Die beklagte Partei hafte aufgrund des Beförderungsvertrags sowie nach den Bestimmungen des EKHG.
Die beklagte Partei bestritt jegliche Haftung. Es liege ein unabwendbares Ereignis vor. Sie habe jede nach der Lage der Umstände und der Verkehrsauffassung zur Schadensabwehr erforderliche Vorkehrung getroffen. Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr liege nicht vor.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Die beklagte Partei habe den ihr obliegenden Beweis erbracht, dass den richtig und aufmerksam handelnden Liftbediensteten kein Verschulden treffe. Eine vertragliche Haftung komme daher nicht in Betracht. Die Stationsbediensteten hätten auch jede nach den Umständen des Falls gebotene Sorgfalt eingehalten, weshalb der Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG ebenfalls gelungen sei. Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr habe nicht vorgelegen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Der Meinung der Klägerin, der Unfall sei auf die durch das Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten ausgelöste außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen, vermochte sich das Berufungsgericht nicht anzuschließen. Die Funktion der Schrankenanlage sei weder durch den Ausruf des Liftbediensteten, noch durch das Herabsenken der Bahngeschwindigkeit oder das gänzliche Anhalten des Sessellifts beeinflusst worden. Anweisungen des Liftpersonals an bestimmte Fahrgäste gehörten zum ordentlichen Betrieb der Anlage, ohne dass dadurch eine Gefahrensituation für die übrigen Fahrgäste geschaffen würde. Die Klägerin sei in keiner Weise daran gehindert worden, den Schrankenbereich zu verlassen und zur Einstiegsstelle nach vor zu gehen. Die Klägerin habe ‑ ohne dass es eines Verhaltensvorwurfs bedürfte ‑ der Einstiegssituation zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und daher unrichtig auf einen gar nicht an sie gerichteten Ruf reagiert, indem sie entgegen der eindeutigen Anweisung, nach Passieren der Schrankenanlage unverzüglich zur Einstiegsstelle vorzugehen, im Gefahrenbereich des sich automatisch schließenden Intervallschrankens stehen geblieben sei. Im Übrigen würde es auch an der gesetzlich geforderten Unmittelbarkeit des Verhaltens des Dritten für den Eintritt einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr fehlen.
Nachträglich änderte das Berufungsgericht seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision dahin ab, dass diese doch zulässig sei. Es existiere noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob bei einer Konstellation, bei welcher ein nicht beim Betrieb tätiger Dritter „unmittelbar das (allenfalls) als gefahrenerhöhend zu betrachtende Verhalten eines beim Betrieb tätigen Liftbediensteten ausgelöst habe, darin (noch) von einem unmittelbaren Auslösen der außergewöhnlichen Betriebsgefahr“ die Rede sein könne.
Die beklagte Partei beantragte in ihrer hierauf erstatteten Revisionsbeantwortung, das gegnerische Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:
1. Vorauszuschicken ist, dass die in Deutschland wohnhafte Klägerin in ihrem Rechtsmittel nur noch die außervertragliche Haftung der beklagten Partei geltend macht. Dabei setzt sie wie die Vorinstanzen die Maßgeblichkeit österreichischen Schadenersatzrechts voraus. Dies entspricht der Regelung des Art 4 Abs I Rom II‑VO, wonach an das Recht des Schadenseintritts (des Erfolgsorts) anzuknüpfen ist (vgl Neumayr in KBB4 Art 4 Rom II‑VO Rz 3). Einziges Thema der Revision ist die Frage, ob sich eine nach § 9 Abs 2 EKHG zur Gefährdungshaftung der beklagten Partei führende außergewöhnliche Betriebsgefahr verwirklicht hat.
2. Sesselbahnen iSd § 2 Z 2 lit b sublit bc SeilbG 2003 fallen gemäß § 2 Abs 1 EKHG in dessen Anwendungsbereich. Da sich der Unfall unstrittig „beim Betrieb“ (§ 1 EKHG) der Sesselbahn ereignete, kann sich die beklagte Partei nur bei Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses iSd § 9 Abs 2 EKHG von der Gefährdungshaftung befreien. Die Unabwendbarkeit des Ereignisses scheidet nach dieser Bestimmung jedoch (ua) dann aus, wenn eine durch einen nicht beim Betrieb tätigen Dritten ausgelöste außergewöhnliche Betriebsgefahr unmittelbare Ursache des Unfalls ist. Ein solcher Dritter kann auch ein anderer Fahrgast (Liftbenützer) sein (vgl 2 Ob 2433/96z ZVR 1998/44; 2 Ob 114/06p).
3. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist eine außergewöhnliche Betriebsgefahr bei einer besonderen Gefahrensituation anzunehmen, die nicht bereits regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb verbunden ist, sondern durch das Hinzutreten besonderer, nicht schon im normalen Betrieb liegender Umstände vergrößert wurde (2 Ob 114/06p ZVR 1998/44; 2 Ob 215/07t ZVR 2009/54; 2 Ob 170/12g mwN; RIS‑Justiz RS0058467). Die Frage, ob eine außergewöhnliche Betriebsgefahr unmittelbare Unfallursache war, kann immer nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (2 Ob 114/06p ZVR 1998/44; 2 Ob 122/08t; RIS‑Justiz RS0058444).
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass durch das Verhalten jenes Buben, der seinen Schistock verloren hatte und von der Sesselbahn wieder herabspringen wollte, eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausgelöst worden sei. Habe doch dieses Verhalten den Liftbediensteten zu dem Warnruf veranlasst, von dem die Klägerin nur das Wort „Halt“ wahrgenommen habe. Dieser Warnruf habe den normalen Ablauf der Dinge verändert und für die gerade im Zugangsbereich befindliche Klägerin die Betriebsgefahr erhöht.
4. Mit dieser Argumentation wird jedoch keine vom Obersten Gerichtshof iSd § 502 Abs 1 ZPO wahrzunehmende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufgezeigt:
4.1 Es ist zwar richtig, dass sich die Klägerin nach dem durch einen Dritten veranlassten Warnruf des Liftbediensteten länger im Bereich des geöffneten Schrankens (im Gefahrenbereich) aufhielt, als sie dies bei „normalem“ Ablauf getan hätte, sodass sich die vom Schließmechanismus des Schrankens ausgehende Gefahr verwirklichen konnte. Der entscheidende Grund für dieses längere Verweilen im Gefahrenbereich lag bei genauer Betrachtung aber nicht im Warnruf des Liftbediensteten („Halt, sitzen bleiben!“), sondern in dessen Missverstehen durch die Klägerin, die nur das Wort „Halt“ wahrnahm und diese Aufforderung fälschlich auf sich bezog. Dieser Umstand, in welchem die Klägerin das zum normalen Betrieb der Anlage hinzutretende besondere Gefahrenmoment erblickt, stammt jedoch weder aus der Sphäre des Dritten noch aus jener der beklagten Partei, sondern aus der Sphäre der Klägerin selbst.
4.2 Wird die außergewöhnliche Betriebsgefahr durch den Geschädigten selbst ausgelöst, so ist anerkannt, dass die Haftungsbefreiung nach § 9 Abs 2 EKHG bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen gegenüber dem Geschädigten möglich bleibt. Bei einem Verkehrsunfall bedarf es allerdings eines ‑ schuldhaft oder schuldlos ‑ verkehrswidrigen Verhaltens des Geschädigten, um den Zurechnungsgrund der außergewöhnlichen Betriebsgefahr in der Sphäre des Haftpflichtigen aufzuwiegen (vgl 2 Ob 210/09k mwN ZVR 2011/194; Schauer in Schwimann, ABGB³ VII § 9 EKHG Rz 46).
4.3 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang. Es ist naheliegend und daher zumindest vertretbar, dem „verkehrswidrigen Verhalten“ des Geschädigten hier die ‑ wenngleich schuldlose ‑ Missachtung der Anordnung des Betriebsunternehmers gleichzustellen, nach welcher bei Öffnen der Schranken bis zum Einstieg vorzugehen ist. Somit schließt aber das Vorliegen einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr, so eine solche zu bejahen wäre (was nicht abschließend geklärt werden muss), unter den gegebenen Umständen die Haftungsbefreiung der beklagten Partei nicht von vornherein aus. Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage ist unter diesen Prämissen für die Entscheidung nicht präjudiziell (vgl zuletzt 2 Ob 106/15z mwN; RIS‑Justiz RS0088931).
4.4 Die in der Revision zitierten Entscheidungen (2 Ob 2433/96z ZVR 1998/44; 2 Ob 114/06p; bei ZVR 1996/79 [= 1 Ob 49/95] handelt es sich offensichtlich um ein Fehlzitat) bieten keine tragfähige Grundlage für eine Korrektur der zweitinstanzlichen Rechtsansicht.
5. Gegen die Auffassung der Vorinstanzen, die beklagte Partei und ihre Betriebsgehilfen hätten jede nach den Umständen des Falls gebotene Sorgfalt obwalten lassen, der Entlastungsbeweis sei gelungen, führt die Klägerin nichts mehr ins Treffen. Die Beurteilung, für die beklagte Partei liege ein unabwendbares Ereignis iSd § 9 Abs 2 EKHG vor, wirft daher auch unter diesem Gesichtspunkt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
6. Da es aus den angeführten Gründen der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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