OGH 10Ob83/15a

OGH10Ob83/15a1.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

 Fellinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, Dr. Schramm, Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinnützige S***** reg.GenmbH, *****, vertreten durch Ehrlich-Rogner & Schlögl Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch den Sachwalter Mag. R*****, dieser vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 7. Juli 2015, GZ 40 R 82/15b‑20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Meidling vom 4. März 2015, GZ 9 C 375/14y‑16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00083.15A.1001.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die beklagte, an einer psychischen Erkrankung leidende Mieterin das friedliche Zusammenleben mit zumindest einer weiteren Mieterin in unzumutbarer Weise gestört und den Aufkündigungstatbestand nach § 30 Abs 2 Z 3, 2. Fall MRG verwirklicht habe, weil im Rahmen der Zukunftsprognose keine gesicherte Verbesserung des Verhaltens angenommen werden könne. Die vom Erstgericht ausgesprochene Rechtswirksamkeit der Aufkündigung vom 25. August 2014 wurde bestätigt.

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts leidet die Beklagte an einer psychischen Erkrankung im Sinne eines dementiellen Abbaugeschehens mit wahnhafter Realitätsverarbeitung und paranoid-psychotischer Symptomatik. Ende April 2014 begann die Beklagte tagsüber, aber auch nachts plötzlich mit lauten Schreianfällen und ordinären Schimpfereien sowie mit Poltern und Klopfen. Die unmittelbare Nachbarin wurde dadurch regelmäßig aus dem Schlaf gerissen. Diese Lärmerregung war bis August 2014 besonders schlimm. Als im Herbst 2014 Gerichtsstücke betreffend das Aufkündigungsverfahren zugestellt wurden, trat kurzfristig eine Besserung des Verhaltens der Beklagten ein. Ab Ende Februar 2015 verschlimmerte sich das Verhalten der Beklagten aber wieder. Sie weigert sich, von ihrem Sachwalter organisierte Hilfe anzunehmen und Medikamente einzunehmen.

In ihrer außerordentlichen Revision weist die Beklagte darauf hin, dass sie nach Erhalt der Aufkündigung die Nachbarin nicht mehr in ihrer Nachtruhe gestört habe und diese Nachbarin ausgesagt habe, sie wolle nicht, dass die Beklagte die Wohnung verliere. Im Hinblick auf eine günstige Zukunftsprognose müsse die Interessenabwägung zugunsten der Beklagten ausschlagen.

Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage dargestellt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Frage, ob es sich bei einem konkreten Verhalten um ein unleidliches Verhalten gemäß § 30 Abs 2 Z 3 MRG handelt, kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 502 ZPO zu (RIS‑Justiz RS0042984), sofern dem Berufungsgericht nicht eine auffallende und im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist (RIS‑Justiz RS0042984 [T6]). Ebenso kann die Frage, ob bei einer Verhaltensänderung nach Einbringung der Aufkündigung der Schluss zulässig ist, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten auszuschließen ist, nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RIS‑Justiz RS0042790; RS0070340 [T3]).

2. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3, 2. Fall MRG setzt erhebliche Störungen des friedlichen Zusammenlebens voraus (RIS‑Justiz RS0070437). Die Störungen müssen entweder durch längere Zeit fortgesetzt werden oder sich in häufigen Wiederholungen äußern und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigen. Einmalige Vorfälle bilden den Kündigungsgrund nur, wenn sie schwerwiegend sind, jedoch können mehrere, an sich geringfügige Vorfälle den Kündigungstatbestand bilden (RIS‑Justiz RS0070303; RS0067678). Der Vermieter ist also zur Aufkündigung berechtigt, wenn zwar nicht jeder einzelne Vorfall für sich betrachtet für eine Kündigung ausreicht, jedoch durch die Häufung das dem Vermieter zumutbare Ausmaß überschritten wird (RIS‑Justiz RS0070394).

3. Zur Verwirklichung des Kündigungsgrundes ist es nicht erforderlich, dass allen Mitbewohnern des Hauses durch das Verhalten des Mieters das Zusammenwohnen verleidet wird; es genügt, wenn ein Teil der Mitbewohner oder auch nur ein einzelner Mitbewohner von einem derart qualifizierten Verhalten betroffen ist (RIS‑Justiz RS0067641 [T1, T6]).

4. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG setzt nicht voraus, dass das Verhalten dem Störer subjektiv vorwerfbar ist (RIS‑Justiz RS0070243). Es kommt nicht darauf an, ob den Mieter ein Verschulden trifft, sondern darauf, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als ein grob ungehöriges, das Zusammenwohnen verleidendes angesehen werden muss, auch wenn es etwa auf eine geistige Erkrankung zurückgeführt werden kann (RIS‑Justiz RS0067733).

5. Grundsätzlich sind für die Beurteilung von Kündigungsgründen die Umstände im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung maßgeblich. Wenn allerdings der gekündigte Mieter nach Zustellung der Aufkündigung sein unleidliches Verhalten einstellt, ist die Verhaltensänderung bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens mitzuberücksichtigen (RIS‑Justiz RS0067519 [T3]; RS0067534 [T2]) und kann bei Vorliegen einer positiven Zukunftsprognose zur Klageabweisung führen, sofern die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten ausgeschlossen werden kann (RIS‑Justiz RS0070340; RS0070378 [T2]). Unter Umständen kann auch auf Entwicklungen Bedacht genommen werden, die zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung bereits in die Wege geleitet wurden (RIS‑Justiz RS0070340 [T4]).

6. Im Sinne der dargestellten Rechtsprechung, wonach eine Wiederholung des unleidlichen Verhaltens ausgeschlossen sein muss, kann in der Argumentation des Berufungsgerichts keine Fehlbeurteilung erblickt werden. Schon das eine Hilfe ablehnende Verhalten der Beklagten zeigt, dass eine Einsicht in ihr Krankheitsbild nicht vorhanden ist; damit wird eine positive Zukunftsprognose ausgeschlossen.

7. Die in der Revision zitierten Entscheidungen 3 Ob 29/06w und 7 Ob 628/91 sprechen nicht gegen diese Beurteilung. Der Entscheidung 3 Ob 29/06w lagen Streitigkeiten in einer Lebensgemeinschaft zugrunde; es war mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass die beklagte Mieterin die beendete Lebensgemeinschaft wieder aufnehmen werde. In der Entscheidung 7 Ob 628/91 konnte gerechtfertigt angenommen werden, dass es in Zukunft nicht mehr zu einer Wiederholung der vorgekommenen gravierenden Unzukömmlichkeiten kommen werde.

8. Da eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht nicht vorliegt, ist die außerordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

Stichworte