OGH 4Ob87/15w

OGH4Ob87/15w22.9.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Markenrechtssache der Antragstellerin L***** S.p.A., *****, vertreten durch Dr. Sascha Daniel Salomonowitz und Dr. Michael Horak, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Antragsgegner P***** H*****, vertreten durch Dr. Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Widerspruchs gegen die Marke AT 269561, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 18. Dezember 2014, GZ 34 R 147/14h‑4, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00087.15W.0922.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung

Die Antragstellerin erhebt Widerspruch gegen die Eintragung der Wortmarke SHOPPING‑LOTTO in Klasse 35 ‑ für Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung und Büroarbeiten ‑ aufgrund ihrer Wortmarke LOTTO LEGGENDA und ihrer Wortbildmarken lotto‑works und lotto, eingetragen ua in Klasse 35 im Wesentlichen für Einzelhandel, Großhandel und Versandhandel mit Sportbekleidung.

Die Vorinstanzen wiesen den Widerspruch mit der Begründung ab, dass die Dienstleistungen der Klasse 35 im Verzeichnis der angegriffenen Marke mit jenen der Antragstellerin weder ident noch ihnen ähnlich seien.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zur Auslegung von Waren- und Dienstleistungsbeschreibungen durch Verwendung bloß der Klassenüberschriften der Nizzaer Klassifikation zu. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts, an die der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (RIS‑Justiz RS0042392), liegt jedoch keine erhebliche Rechtsfrage vor:

Rechtliche Beurteilung

1. Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach einem gemeinschaftsweit einheitlichem Maßstab unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist auf die Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere dem Bekanntheitsgrad der Marke auf dem Markt und den Grad der Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem Zeichen und den Grad der Gleichartigkeit zwischen den damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen Bedacht zu nehmen. So kann ein geringer Grad der Gleichartigkeit der erfassten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (RIS‑Justiz RS0121482; RS0121500). Verwechslungsgefahr wird vor allem durch die Gleichheit oder Ähnlichkeit der vertriebenen Waren hervorgerufen. Hiebei genügt eine gewisse Warennähe und Branchennähe; die von den Parteien vertriebenen Waren oder Leistungen dürfen jedoch nicht so weit voneinander entfernt sein, dass die Gefahr von Verwechslungen nicht mehr besteht (RIS‑Justiz RS0079161).

2. Ob nach den im konkreten Fall gegebenen Umständen der Wechselbeziehung zwischen Markenähnlichkeit und Branchennähe Verwechslungsgefahr besteht, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und ist daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0111880); dies vom Fall grober Fehlbeurteilung abgesehen (RIS‑Justiz RS0112739).

3. In der Entscheidung C‑307/10, IP Translator, sprach der Europäischer Gerichtshof aus, dass die Verwendung der Oberbegriffe, die in den Klassenüberschriften der Nizzaer Klassifikation enthalten sind, zur Angabe der Waren und Dienstleistungen, für die Markenschutz beantragt wird, zulässig ist, sofern diese Angabe so klar und eindeutig ist, dass die zuständigen Behörden und die Wirtschaftsteilnehmer den Umfang des beantragten Schutzes bestimmen können. Vom Europäischer Gerichtshof wurde dabei auch allgemein klargestellt, es sei nach Maßgabe der entsprechenden Waren oder Dienstleistungen im Einzelfall zu beurteilen, ob diese Angaben den Erfordernissen der Klarheit und der Eindeutigkeit genügen (Rz 55). Die vom Rekursgericht hier als erheblich angesehene Rechtsfrage der Auslegung der Dienstleistungsbeschreibungen durch Verwendung bloß der Klassenüberschriften vermag daher keine erhebliche Rechtsfrage zu begründen, zumal eine grobe Fehlbeurteilung der Vorinstanzen jedenfalls zu verneinen ist.

4. Zum Umfang dessen, was die vom Antragsgegner für die angegriffene Wortmarke SHOPPING-LOTTO beanspruchten Dienstleistungsklassen (Klasse 35) Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung und Büroarbeiten umfassen, ist in den (englischsprachigen) Praxisrichtlinien des HABM (The Manual Concerning Opposition ‑ Identity and Likelihood of Confusion, Part 2, Chapter 2, Annex II. 6 ff) festgehalten, dass die Dienstleistungen der Klassenüberschrift der Klasse 35 auf die Unterstützung oder Hilfe für andere Unternehmen abzielen, ihre Geschäfte zu erbringen oder zu verbessern. Sie richten sich daher prinzipiell an eine Fachöffentlichkeit. Es ist somit entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht zutreffend, dass die Dienstleistungen Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung und Büroarbeiten vorrangig dazu dienen, den Verkauf von Waren zu fördern. Dies mag die Sekundärfunktion dieser Dienstleistungen sein, maßgeblich ist aber die Primärfunktion (vgl Schumacher in Kucsco/Schumacher, marken.schutz2, § 10 Rz 119 mwN).

5. Die von den Widerspruchsmarken der Antragstellerin (Wort‑ bzw Wortbildmarken: LOTTO LEGENDA, lotto WORKS und lotto) erfassten Dienstleistungen dienen hingegen vorrangig dem Verkauf von Waren. Die in Rede stehenden Dienstleistungen sind daher nicht ähnlich, weil sie nicht zu einem gemeinsamen Geschäftsbereich gehören. Es besteht keine ausreichend enge Verbindung zwischen den Handelsdienstleistungen der Widerspruchsmarken und den auf die Unterstützung oder Hilfe für andere Unternehmen abzielenden Dienstleistungen der angegriffenen Marke.

6. Allenfalls bestehende geringfügige Überschneidungen zwischen den jeweiligen Dienstleistungen machen die Beurteilung des Rekursgerichts aufgrund der Wechselwirkung zwischen Marken- und Waren‑ bzw Dienstleistungsähnlichkeit (siehe dazu oben Pkt 1.) nicht unvertretbar. Die Ähnlichkeit von Widerspruchsmarken und angegriffener Marke ist nämlich gering, zumal bei ersteren der Bestandteil LOTTO als Serienzeichen vorangestellt und bei der zweiten nachgestellt ist. Insgesamt ist daher die Verneinung der Verwechslungsgefahr vertretbar.

Stichworte