European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00105.15W.0708.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.
Begründung:
Der Kläger ist nigerianischer Staatsbürger und kam im September 2001 als Asylwerber nach Österreich. Asyl wurde ihm nicht gewährt. Über seine gegen die daraufhin erfolgte Ausweisung erhobene Verwaltungsgerichtshofs-beschwerde, der aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, war zum Zeitpunkt seiner Antragstellung(en) nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) noch nicht entschieden. Letztlich wurde dem Kläger aufgrund eines durch seinen Anwalt am 14. 2. 2012 gestellten Zweckänderungsantrags auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach § 57 iVm § 54 Abs 1 NAG am 13. 4. 2012 eine Aufenthaltskarte (Angehörige von Österreichern) mit Gültigkeit bis 13. 4. 2017 ausgestellt. Dazu hatte er sich darauf berufen, dass seine zweite Ehefrau, eine Österreicherin, die er am 23. 10. 2010 geheiratet hatte, mit ihrer Familie längere Zeit in Deutschland gelebt, dort die Hauptschule abgeschlossen, ein Ferialpraktikum absolviert und im Zeitraum 2005 bis 2006 in Spanien gelebt und gearbeitet sowie auch den Stiefsohn des Klägers geboren hatte.
Mit seiner auf das Amtshaftungsgesetz (AHG) gestützten Klage begehrt der Kläger 27.418,32 EUR sA an Verdienstentgang für den Zeitraum Dezember 2010 bis Mai 2012 und die Feststellung der Haftung für künftige Schäden, die daraus resultieren, dass er im genannten Zeitraum keine Beitragsmonate erworben habe. Eine Mitarbeiterin der zuständigen Bezirkshauptmannschaft hätte ihm eine Antragstellung nach § 57 iVm § 54 Niederlassungs- und Aufenhaltsgesetz anraten müssen. Dann wäre ihm schon früher ein Aufenthaltsrecht zugekommen und er hätte im genannten Zeitraum einer Beschäftigung als Möbelpacker nachgehen können.
Das Erstgericht stellte fest, dass die zuständige Beamtin im Zuge der Vorsprachen auf Beratungsmöglichkeiten und darauf hinwies, dass es Aufgabe des Antragstellers sei, Anhaltspunkte für einen Freizügigkeitssachverhalt durch die österreichische Ankerperson vorzubringen, und der Kläger einen entsprechenden Antrag einbringen müsse, sowie dass die Ehefrau des Klägers nichts von Deutschlandaufenthalten erwähnte, aber im Zusammenhang mit der Absicht, die Familie werde nach Spanien auswandern, wenn ihr Mann nicht zeitnah einen Aufenthaltstitel erhalte, äußerte, dass sie vor Jahren in Spanien selbstständig tätig gewesen sei und dort auch ihren außerehelichen (und nicht vom Kläger stammenden) Sohn zur Welt gebracht habe.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab und hielten die damals vertretene Ansicht der zuständigen Beamtin, ein Freizügigkeitssachverhalt müsse in einem gewissen zeitlichen Konnex zur Antragstellung stehen, weshalb sie eine solche Antragstellung nicht empfohlen hatte, für vertretbar.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Zu der in § 23 Abs 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (BGBl I 2005/100 damals idF BGBl I 2009/122; NAG) normierten Pflicht, einen Fremden, wenn sich aufgrund des Antrags oder im Ermittlungsverfahren ergibt, dass er für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel oder eine andere Dokumentation des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalts-rechts benötigt, über diesen Umstand zu belehren, sprach der VwGH aus, dass diese Norm keine Verpflichtung der Behörde enthalte, „einen Fremden (auch) darüber belehren zu müssen, ob ihm allenfalls ein für ihn 'vorteilhafterer' Aufenthaltstitel erteilt werden könnte“ (VwGH 2012/22/0185).
Wenn sich der Revisionswerber sinngemäß auf die zum Auskunftspflicht-Grundsatzgesetz (BGBl 1987/286) erlassenen Auskunftspflichtgesetze der Länder bezieht, ist ihm entgegenzuhalten, dass zwar aus einer unrichtigen Rechtsbelehrung Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden können, die Verwaltung jedoch angesichts des Ausdrucks „Auskunft“ nicht zu umfangreichen Ausarbeitungen, zur Erstellung von Gutachten, zur Beschaffung von auch anders zugänglichen Informationen etc verhalten ist. Die Auskunftserteilung hat Nachrang gegenüber den übrigen Aufgaben der Verwaltung. Auskunftsbegehren müssen konkrete, in der vorgesehenen Frist ohne Beeinträchtigung der übrigen Verwaltungsabläufe beantwortbare Fragen enthalten. Der Behörde kommt eben nicht die Funktion eines Rechtsberaters zu (1 Ob 46/00x; RIS‑Justiz RS0113717).
2.1. Eine Haftung der Republik Österreich aus einer unterlassenen (vgl etwa RIS‑Justiz RS0081378) oder unrichtigen Rechtsbelehrung (Schragel, AHG³ Rz 295 mwN) hat überdies nach den Bestimmungen des AHG nur einzutreten, wenn die Rechtsbelehrung oder ihre Unterlassung in Unkenntnis der Gesetze bzw einhelliger Lehre und Rechtsprechung unrichtig erfolgte; eine vertretbare Auffassung stellt auch kein leichtes Verschulden bzw Versehen dar (RIS‑Justiz RS0049814; vgl RS0049955). Wenn bis zum Zeitpunkt einer argumentierbaren anderslautenden Entscheidung höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einer bestimmten Frage noch nicht vorlag, liegt darin keine zu korrigierende grobe Verkennung der Rechtslage (1 Ob 248/00b, 1 Ob 6/11f).
3.1. Bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte fallenden Rechtsmaterien kommt dem Obersten Gerichtshof zum einen keine Leitfunktion zu (RIS-Justiz RS0116438; vgl RS0123321); zum anderen ist die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0110837). Das gilt auch für die Beurteilung, ob ein Abweichen von einer klaren Gesetzeslage als (un-)vertretbar anzusehen ist (RIS‑Justiz RS0049912 [T5, T11]).
3.2. § 57 NAG (BGBl I 2005/100, damals idF BGBl I 2009/122) gewährt Angehörigen von Österreichern ein dem nach § 54 Abs 1 NAG (BGBl I 2005/100 damals idF BGBl I 2009/135) zustehenden Aufenthaltsrecht von Angehörigen von EU‑[damals EWR‑]Bürgern entsprechendes Recht, sofern der Österreicher sein gemeinschaftsrechtliches [nun unionsrechtliches] oder das ihm aufgrund des Freizügigkeitsabkommens EG ‑ Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in einem anderen EWR‑Mitgliedstaat oder in der Schweiz in Anspruch genommen hat und im Anschluss an diesen Aufenthalt nach Österreich nicht bloß vorübergehend zurückkehrt.
Die Materialien erläuterten bei Einführung dieses Rechts dazu, man habe sich hier etwa den Fall vorzustellen, dass ein Österreicher in Deutschland als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sei und nunmehr mit seinen Angehörigen nach Österreich zurückkehre (ErläutRV 952 BlgNR XXII. GP 144). Der VwGH leitete erstmals mit Erkenntnis vom 29. 9. 2011 (2009/21/0386) ‑ demnach nach dem Zeitpunkt, an dem die vom Kläger für seinen Anspruch herangezogenen Vorsprachen bei der Behörde stattgefunden hatten ‑ aus der in der Entscheidung des VfGH vom 16. 12. 2009 (G 244/09 ua = VfSlg 18.968) verwendeten Formulierung „ausübt oder ausgeübt hat“ in Verbindung mit jener im Urteil des EuGH vom 1. 4. 2008 (Rs C‑212/06 = ECLI:EU:C:2008:178; zur Auslegung der Verordnung [EWG] Nr 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern) „Gebrauch gemacht haben“ ab, dass es der VfGH genügen lasse, dass die österreichische Ankerperson in der Vergangenheit einen Sachverhalt erfüllt habe, der als Inanspruchnahme der unionsrechtlichen Freizügigkeit anzusehen ist.
Entgegen den Ausführungen des Revisionswerbers war diese nun als ausreichend erachtete Verknüpfung auch aus den Urteilen des EuGH idS Metock ua (Rs C‑127/08 vom 25. 7. 2008 = ECLI:EU:C:2008:449) und Sahin vom 19. 12. 2008(Rs C‑551/07 = ECLI:EU:C:2008:755) nicht ableitbar, weil diese nicht Fragen der Inanspruchnahme der unionsrechtlichen Freizügigkeit durch eine inländische Ankerperson, sondern solche im Hinblick auf das Aufenthaltsrecht des drittstaatszugehörigen Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat behandelten. In der Entscheidung Metock erläuterte der EuGH, es könne dafür nicht darauf ankommen, ob sich der Drittstaatsangehörige bereits rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten habe oder nicht, wo und wann die Ehe geschlossen worden sei, oder wie er in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sei (Rn 54, 70, 81 ff). Nach dem Urteil Sahin sind auch drittstaatszugehörige Angehörige von dem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht erfasst, die unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt sind und erst dort die Angehörigeneigenschaft erworben haben (Rn 27‑33). Die in diesen Entscheidungen behandelten Fragen unterscheiden sich von dem vorliegenden Sachverhalt dadurch, dass es dabei um Aufenthaltstitel von drittstaatszugehörigen Familienangehörigen in einem Aufnahmemitgliedstaat ging, dessen Staatsangehörigkeit der (den Titel vermittelnde) Unionsbürger als Ankerperson nicht besaß, während hier die Ehefrau des Klägers selbst Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats ist, es daher um das Aufenthaltsrecht des Klägers als Ehemann einer Österreicherin in Österreich geht (und nicht um sein Aufenthaltsrecht etwa in Spanien).
Somit liegt in den Entscheidungen der Vorinstanzen zur Vertretbarkeit keine zu korrigierende grobe Verkennung der Rechtslage, weil bis zum Zeitpunkt der argumentierbaren anderslautenden Rechtsansicht der zuständigen Beamtin höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage nicht vorlag (vgl RIS‑Justiz RS0049912 [T9]).
4. Der Revisionswerber meint, es bestehe eine Verpflichtung ein Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, weil nach ständiger Rechtsprechung zum AHG nicht geprüft werde, ob die Entscheidung richtig gewesen sei, sondern nur, ob sie vertretbar gewesen sei. Dies widerspreche Art 41 Abs 3 der Grundrechtecharta (GRC), welcher bestimme, dass jede Person Anspruch darauf habe, dass die Union den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ersetze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam seien. Dabei übersieht er, dass die GRC eben einen durch Organe oder Bedienstete der Europäischen Union ‑ nicht jener eines Mitgliedstaats (EuGH Rs C‑166/13 = ECLI:EU:C:2014:2336 Rn 44) ‑ und zwar in Ausübung deren Amtstätigkeit, also wiederum nicht den in Ausübung der Amtstätigkeit eines Mitgliedstaats, entstandenen Schaden anspricht (vgl dazu auch Art 340 AEUV).
Zur Haftung eines Mitgliedstaats für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht sprach der EuGH in seinen Entscheidungen in den Rechtssachen Köbler (Rs C‑224/01 = ECLI:EU:C:2003:513 Rn 51 f) und (fast wortgleich) Fuß (Rs C‑429/09 = ECLI:EU:C:2010:717 Rn 47) unter Verweis auf seine schon bis dahin ergangene Rechtsprechung aus, dass ein Mitgliedstaat Schäden, die einem Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, dann ersetzen muss, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Die verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert, und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang (vgl auch RIS‑Justiz RS0113922). Die Beurteilung der Voraussetzungen für die Haftung der Mitgliedstaaten obliegt grundsätzlich den nationalen Gerichten (C‑429/09 Rn 48). Ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist jedenfalls dann hinreichend qualifiziert, wenn die einschlägige Rechtsprechung des EuGH vorwerfbar verkannt wurde (RIS‑Justiz RS0114183).
Zur zweiten Voraussetzung verwies der EuGH zur in der Rechtssache Köbler zu beurteilenden Entscheidung eines Höchstgerichts (des VwGH), darauf, dass die Besonderheit der richterlichen Funktion sowie die berechtigten Belange der Rechtssicherheit zu berücksichtigen sei. Der Staat hafte für eine solche gemeinschaftsrechtswidrige Entscheidung nur in dem Ausnahmefall, dass das Gericht offenkundig gegen das geltende Recht verstoßen habe (C‑224/01 Rn 53, 56). Dabei seien alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen (aaO Rn 54), wozu ua das Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift, die Vorsätzlichkeit des Verstoßes und die Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums zu zählen seien (aaO Rn 55).
Auch wenn sich der EuGH in dieser Entscheidung auf die Besonderheit der richterlichen Funktion bezog, betonte er doch gleichzeitig, dass die vom Gerichtshof zur Haftung eines Mitgliedstaats für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entwickelten Grundsätze für alle Staatsgewalten unabhängig davon gelten, welches mitgliedstaatliche Organ durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß begangen hat (C‑224/01 Rn 31). Damit kommt es nicht darauf an, ob der den Schaden verursachende Verstoß dem Gesetzgeber, den Gerichten oder der Verwaltung anzulasten ist. Soweit der Amtshaftungskläger von der zuständigen Beamtin verlangt, die Entscheidung zu treffen, welchen unter mehreren möglichen Anträgen sie für ihn als „besten“ auswählt, käme es ohnehin auch nach der Rechtsprechung des EuGH nicht auf die vom Revisionswerber geforderte Prüfung der Richtigkeit einer solchen Entscheidung an, sondern auf die Offenkundigkeit des Verstoßes (C‑224/01 Rn 53, 56; C‑429/09 Rn 51 f; so auch VfGH A 3/2015 mwN). Eine solche vermag der Revisionswerber aber nicht aufzuzeigen.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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