OGH 11Os69/15d

OGH11Os69/15d30.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andrzej S***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1 und 2, 130 dritter und vierter Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 28 Hv 20/15g des Landesgerichts Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerde des Andrzej S***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 23. April 2015, AZ 11 Bs 103/15g (ON 304a der Hv‑Akten) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00069.15D.0630.000

 

Spruch:

Andrzej S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Innsbruck einer Beschwerde des Andrzej S***** (ON 287; eine Ergänzung [ON 294] erfolgte außerhalb der dreitägigen Beschwerdefrist) gegen den vom Landesgericht Innsbruck am 10. April 2015 nach einer Haftverhandlung gefassten Beschluss (ON 284) auf Fortsetzung der über ihn am 19. Dezember 2014 verhängten Untersuchungshaft (vgl dazu 11 Os 14/15s, 11 Os 15/15p = ON 251) nicht Folge und setzte seinerseits die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht‑ und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a, b und c StPO fort.

Nach den insoweit auf seine Beschlüsse vom 13. März 2015, AZ 11 Bs 62/15b (richtig: ON 221; dazu zuletzt 11 Os 48/15s) und vom 25. März 2015, AZ 11 Bs 79/15b (ON 250), verweisenden Annahmen des Oberlandesgerichts steht der (polnische Staatsangehörige) Andrzej S***** weiterhin im dringenden Verdacht, er habe - entsprechend der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 2. März 2015 (ON 197) - das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1 und 2, 130 dritter und vierter Fall, 15 StGB (A/1-19), die Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B/1-8) und die Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (C) begangen.

Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 23. April 2015 (ON 304a) richtet sich die von seinem Verfahrenshilfeverteidiger ausgeführte Grundrechts-beschwerde (ON 328) des Angeklagten vom 11. Mai 2015.

Rechtliche Beurteilung

1./ Soweit der Beschwerdeführer bloß seinen bisherigen Standpunkt zur vermeintlichen Unverwertbarkeit der Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchungen wiederholt, ist darauf - wegen bereits entschiedener Sache (11 Os 64/15v) - inhaltlich nicht weiter einzugehen (RIS‑Justiz RS0129978; 14 Os 9/10w; 14 Os 149/09g; 14 Os 24/10a).

Weshalb die gerichtlich bewilligte Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung schon deshalb „nichtig“ sein soll, weil die Polizei der Staatsanwaltschaft „niemals über die Rechtmäßigkeit angeblich vom Beschwerdeführer stammenden DNA‑Vergleichsmaterials berichtet“ habe, macht die Beschwerde nicht klar.

Die weitere Behauptung, es sei kein Abgleich mit in der zentralen nationalen DNA‑Datenbank des Bundesministeriums für Inneres vorhandenem Vergleichsmaterial erfolgt, ist nicht nachvollziehbar (vgl ON 173 S 17, 423 ff).

2./ Eine entschiedene Sache (11 Os 64/15v) betrifft auch der abermalige Einwand, die Polizei hätte ohne einen „insoweit erklärten Willen“ der Staatsanwaltschaft ermittelt. Dass dem Angeklagten die Dokumentation und Berichterstattung der Polizei über ihr Handeln (§ 100 StPO) nicht ausreichend erscheint, vermag eine Unverwertbarkeit der kriminalpolizeilichen Ermittlungsergebnisse nicht zu begründen.

3./ Das (abermalige) Vorbringen zu angeblicher „Nichtigkeit“ von Ergebnissen der mit gerichtlicher Bewilligung angeordneten Durchsuchung der Garage in T***** kann wegen res iudicata (11 Os 48/15s) gleichfalls auf sich beruhen.

4./ Die ‑ vom Beschwerdegericht gebilligte -gerichtlich bewilligte Anordnung der Erteilung einer Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung (ON 43, 152 iVm ON 304a S 7) stützte sich darauf, dass die vier betroffenen Mobiltelefone „bei ihm“ (dem der Begehung zahlreicher Einbruchsdiebstähle im Bundesgebiet verdächtigen Angeklagten) sichergestellt (ON 32) worden waren und nach damaligem Ermittlungsstand keinem der Einbruchsdiebstähle zugeordnet werden konnten. Dem Beschwerdeeinwand zuwider ergibt sich daraus eine ausreichende Tatsachengrundlage für die seinerzeitige Annahme, dass mit der Rufdatenrückerfassung der Aufklärung dieser Taten dienende Daten des (damals) Beschuldigten ermittelt werden können. Das Fehlen einer Information über den genauen Auffindungsort (an der Person oder im PKW) im bezughabenden Anlassbericht (ON 32) vermag die angestrebte Unverwertbarkeit der Ergebnisse der Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung nicht zu begründen.

Einer meritorischen Erledigung der weiteren Beschwerdeargumentation zur Unzulässigkeit der Heranziehung der Ergebnisse der Rufdatenrückerfassung zur Begründung des dringenden Tatverdachts steht abermals das Prozesshindernis der res iudicata entgegen (11 Os 64/15v).

5./ Der Einwand vermeintlicher Nichtigkeit des Pflichtverhörs (§ 173 Abs 1 StPO) vor der Verhängung der Untersuchungshaft am 19. Dezember 2014 wegen der Stellung angeblich „unzulässiger Fragen“ durch den Richter und wegen der (mündlichen) Konfrontation mit Ermittlungsergebnissen, obwohl dem Beschwerdeführer keine Durchsuchungsbestätigungen gemäß § 122 Abs 3 StPO vorlagen, ist im Verfahren über die gegenständliche Grundrechtsbeschwerde schon wegen Nichterschöpfung des Instanzenzugs in der maßgeblichen Haftbeschwerde (ON 287) unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0114487 [T21]).

6./ Aus dem gleichen Grund kann auch das Vorbringen dahinstehen, anlässlich der Verhängung der Untersuchungshaft wären dem Untersuchungsrichter keine ausreichenden „Berichte der Polizei gemäß § 100 StPO“ vorgelegen (vgl zu dieser Frage im Übrigen 11 Os 48/15s).

7./ Über den Einwand örtlicher Unzuständigkeit von Staatsanwaltschaft, Landesgericht und Oberlandesgericht Innsbruck und der vom Beschwerdeführer behaupteten „Nichtigkeit“ des gesamten Verfahrens und sämtlicher Ermittlungsergebnisse wurde gleichfalls schon entschieden (zuletzt 11 Os 64/15v).

Zum Vorbringen der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Salzburg ist zu bemerken:

§ 25 Abs 3 StPO begründet die subsidiäre temporäre Zuständigkeit des Zuvorkommens (Fabrizy, StPO12 § 25 Rz 7). Demnach hat eine Staatsanwaltschaft, die von einer Inlandsstraftat erfahren hat, das Ermittlungsverfahren so lange zu führen, bis die Zuständigkeit einer anderen Staatsanwaltschaft nach Abs 1 oder Abs 2 leg cit festgestellt werden kann, erst danach ist an diese abzutreten.

Die erste Kenntnisnahme im Sinne der in Rede stehenden Norm entfaltet Bedeutung nicht nur bei gänzlich unbekannten Tatorten, Wohnsitzen oder Aufenthaltsorten, sondern auch für Fälle, in denen mehrere dieser Anknüpfungskriterien bekannt sind und diese in den Sprengeln verschiedener Staatsanwaltschaften liegen, eine Klärung aber nicht sofort möglich ist. Dann kann eben eine eindeutige (ausschließliche) Zuständigkeit nach § 25 Abs 1, Abs 2 StPO (noch) nicht festgestellt werden. Um dem Bestimmtheitsgebot gesetzlicher Zuständigkeitsregeln zu entsprechen, bedarf es notwendigerweise des zusätzlichen Kriteriums der ersten Kenntnisnahme (Nordmeyer, WK‑StPO, § 25 Rz 12).

Im Gegenstand gab es zwar bei erstmaliger Befassung der Staatsanwaltschaft Innsbruck Anknüpfungspunkte für eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften Salzburg (11 St 157/11p) und Leoben (6 St 137/14g). Da es aber nicht auf eine objektive ex post Betrachtung ankommt (arg „bis ... festgestellt werden kann“), war die Abtretung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Innsbruck an die Staatsanwaltschaft Salzburg zur Einbeziehung in das dortige Verfahren (11 St 157/11p) grundsätzlich vertretbar, wenngleich im Ergebnis ‑ zufolge mittlerweiliger Einstellung des Salzburger Verfahrens ‑ nicht endgültig zielführend. Als der Staatsanwaltschaft Innsbruck als nach § 25 Abs 3 StPO weiterhin zuständiger Staatsanwaltschaft die Akten retourniert wurden und sich somit die Kompetenzfrage neuerlich stellte, war die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Innsbruck nach § 25 Abs 1 StPO begründet. Dies stand ‑ auch unter Bedacht auf § 26 Abs 2 zweiter Satz StPO und den zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Verdacht einer in die schöffengerichtliche Zuständigkeit fallenden strafbaren Handlung ‑ einer Abtretung an die Staatsanwaltschaft Salzburg entgegen (Nordmeyer, WK‑StPO, § 25 Rz 10).

Die Zuständigkeit des Gerichts im Ermittlungsverfahren bestimmt sich ohnehin stets nach der das Verfahren führenden Staatsanwaltschaft (§§ 36 Abs 1, 33 Abs 1 Z 1 StPO).

Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Beschluss somit nicht im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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