OGH 9ObA30/15z

OGH9ObA30/15z24.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald Fuchs und Wolfgang Cadilek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. C*S*, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei L*, vertreten durch Dr. Farhad Paya Rechtsanwalt GmbH in Klagenfurt, wegen 1.265,48 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 2014, GZ 6 Ra 64/14z‑14, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 3. April 2014, GZ 34 Cga 23/14d‑7, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E111660

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 336,82 EUR (darin 56,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 2. 11. 2005, seit 1. 1. 2007 unbefristet, als Angestellte beschäftigt. Für ihre ab 1. 7. 2008 ausgeübte Tätigkeit als Museumsmanagerin vereinbarten die Arbeitsvertragsparteien, dass die Klägerin 150 Überstunden pro Jahr in Form einer Überstundenpauschale finanziell und 60 Überstunden in Form von Zeitausgleich abgegolten erhält und die Überstundenpauschale jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen oder gemindert werden kann.

Im Anschluss an die Karenz nach der Geburt ihres Kindes am 12. 3. 2012 nahm die Klägerin ab dem 12. 3. 2013 Elternteilzeit gemäß § 15h MSchG in Anspruch. Sie reduzierte ihre wöchentliche Normalarbeitszeit von 40 auf 30 Stunden. Seit der Rückkehr aus der Karenz leistet die Klägerin keine Überstunden mehr. Bis einschließlich September 2013 bezahlte ihr die Beklagte die Überstundenpauschale aliquot ihrem reduzierten Beschäftigungsausmaß von 30 Stunden. Danach stellte die Beklagte die Zahlung der Überstundenpauschale ohne Angabe von Gründen ein. Ein ausdrücklicher Widerruf der Überstundenpauschale erfolgte nicht.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von 1.265,48 EUR sA an anteiliger Überstundenpauschale für die Monate Oktober 2013 bis Jänner 2014. Die Überstundenpauschale von aliquot 316,37 EUR brutto monatlich sei regelmäßiger Entgeltbestandteil und von der Beklagten weiter zu bezahlen. Ein Widerruf sei nicht erfolgt.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ‑ soweit für das Revisionsverfahren noch relevant ‑ ein, dass der Widerruf der Überstundenpauschale durch die Einstellung der Auszahlung der Pauschale erfolgt sei. Da die Klägerin keine Überstunden mehr leiste, gebühre ihr auch die Überstundenpauschale nicht mehr.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die kommentarlose Einstellung der Zahlung durch die Beklagte sei nicht als konkludenter Widerruf im Sinne des § 863 ABGB zu werten. Die Überstundenpauschale sei von der Beklagten daher auch während der Elternteilzeit weiter zu zahlen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagte Folge und wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin sei aufgrund der in Anspruch genommenen Elternteilzeit nicht zur Leistung von Mehr‑ oder Überstunden verpflichtet. Da somit die Grundlage für die Zahlung der Überstundenpauschale weggefallen sei, ruhe während der Dauer der Elternteilzeit der Anspruch auf die Überstundenpauschale. Die Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob während der Inanspruchnahme von Elternteilzeit eine Überstundenpauschale weiter zu zahlen sei, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Es ist in Lehre und Rechtsprechung unbestritten, dass der Vorbehalt des einseitigen Widerrufs einer vereinbarten Überstundenpauschale vereinbart werden kann (9 ObA 61/11b ua; RIS‑Justiz RS0051758; Schrank, Arbeitszeitgesetze Kommentar³ § 10 AZG Rz 27; Wolf in Mazal/Risak, Das Arbeitsrecht ‑ System und Praxiskommentar, Kap XI Rz 125; Felten in Grillberger, AZG³ § 10 Rz 40; Jöst in Reissner/Neumayr, Zeller Handbuch Arbeitsvertrags‑Klauseln Rz 26.05).

Die Parteien haben zwar einen derartigen Widerrufsvorbehalt vereinbart, ein Widerruf der vereinbarten Überstundenpauschale durch die Beklagte erfolgte jedoch weder ausdrücklich noch konkludent. Die bloße „Einstellung der Auszahlung“ der Überstundenpauschale konnte für einen objektiven Erklärungsempfänger nicht ohne jeden Zweifel (§ 863 ABGB; vgl RIS‑Justiz RS0013947 ua) dahin verstanden werden, dass die Beklagte damit ihre Absicht erklärte, die zunächst auch nach Beginn der Elternteilzeit (12. 3. 2013) weiter (aliquot) bezahlte Überstundenpauschale plötzlich mit Beginn des Monats Oktober 2013 zu widerrufen. Entgegen der Annahme der Klägerin und des Erstgerichts geht es hier aber ohnehin nicht um den dauernden Widerruf der Überstundenpauschale.

2. Nach§ 15h Abs 1 Satz 1 MSchG hat die Dienstnehmerin einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung längstens bis zum Ablauf des siebenten Lebensjahres oder einem späteren Schuleintritt des Kindes, wenn das Dienstverhältnis zum Zeitpunkt des Antritts der Teilzeitbeschäftigung ununterbrochen drei Jahre gedauert hat und die Dienstnehmerin zu diesem Zeitpunkt in einem Betrieb mit mehr als 20 Dienstnehmern beschäftigt ist. Für männliche Arbeitnehmer findet sich eine inhaltsgleiche Regelung in § 8 Abs 1 VKG. Zweck dieser Bestimmungen ist es, der Dienstnehmerin ausreichende Zeit zur Kinderbetreuung zu gewähren und damit die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern sowie positive Impulse für das Erwerbsleben der Frauen und für eine partnerschaftliche Beteiligung des Vaters an der Betreuung des Kindes zu schaffen (ErlRV 399 BlgNR 22. GP  2; vgl 8 ObA 15/12g; auch Ercher/Stech in Ercher/Stech/Langer, Mutterschutz und Väter‑Karenzgesetz § 15h MSchG Rz 2).

3. Die Teilzeitarbeit in Abgrenzung zur gesetzlichen Normalarbeitszeit bzw zur niedrigeren kollektivrechtlichen Normalarbeitszeit von Vollzeit-beschäftigten regelt § 19d AZG. § 19d Abs 3 Z 1 bis 3 AZG normiert die Voraussetzungen, unter denen ein Teilzeitbeschäftigter zur Arbeitsleistung über das vereinbarte Arbeitszeitausmaß (Mehrarbeit) verpflichtet ist. Von dieser Verpflichtung sind nach § 19d Abs 8 AZG Dienstnehmer ausgenommen, die von der Möglichkeit der Elternteilzeit nach dem Mutterschutzgesetz bzw dem Väterkarenzgesetz oder vergleichbarer österreichischer Rechtsvorschriften Gebrauch gemacht haben. Diese Ausnahme wird in den Gesetzesmaterialien damit begründet, dass Mehrarbeit mit der Notwendigkeit der Kindesbetreuung und unter Umständen mit finanziellen Leistungen der öffentlichen Hand (Karenzurlaubsgeld bei Teilzeitbeschäftigung) nicht im Einklang stünden (ErlRV 735 BlgNR 18. GP  44). Verpflichtende Mehrarbeit für Elternteilzeitbeschäftigte würde somit dem Sinn und Zweck der Elternteilzeit widersprechen (Schrank, Arbeitszeitgesetze Kommentar³ § 19d AZG Rz 119). Die Nichtanwendbarkeit des § 19d Abs 3 AZG bei Elternteilzeitbeschäftigung bedeutet zwar einen klaren Vorrang der Betreuungsinteressen vor etwaigen Mehrarbeitsverpflichtungen, jedoch kein Verbot von Mehrarbeit (Schrank, Arbeitszeitgesetze Kommentar3 § 19d AZG Rz 56). Erbringen Elternteilzeitbeschäftigte einvernehmlich Mehrarbeit, dann steht ihnen auch das entsprechende Entgelt zu (Heilegger/Schwarz in Heilegger/Klein/Schwarz, AZG³ § 19d Erl 15; Felten in Grillberger, AZG³ § 19d Rz 6; ErlRV 141 BlgNR 23. GP  6). Dies ergibt sich schon aus den Bestimmungen des § 19d Abs 3a bis 3f AZG über die Abgeltung von Mehrarbeit, die auch für Dienstnehmer in Elternteilzeit anwendbar sind.

4. § 8 MSchG sieht ein Verbot der Leistung von Überstunden für werdende und stillende Mütter vor. Der Grundgedanke dieses Verbots liegt in der notwendigen Rücksichtnahme auf den biologischen Tag‑Nacht‑Rhythmus von werdenden und stillenden Müttern (ErlRV 735 BlgNR 18. GP  22). Bei dieser Bestimmung handelt es sich um zwingendes Recht (Wolfsgruber in ZellKomm² § 8 MSchG Rz 2). Werden entgegen diesem Verbot dennoch Überstunden geleistet, so steht der Dienstnehmerin auch eine Überstundenvergütung zu (Ercher/Stech in Ercher/ Stech/Langer, Mutterschutz und Väter‑Karenzgesetz § 8 MSchG Rz 8; Burger-Ehrnhofer in Burger‑Ehrnhofer/ Schrittwieser/Thomasberger, Mutterschutzgesetz und Väter-Karenzgesetz² § 8 MSchG, 190; Pfeil in ZellKomm² § 10 AZG Rz 2, 4). Die Erlaubtheit der Überstundenleistung ist keine Voraussetzung der Vergütungspflicht (vgl 9 ObA 71/04p mwN). Durch die Schutznorm sollen nicht Arbeitgeber von ihren Zahlungspflichten entlastet werden.

5.1. § 14 MSchG normiert einen Anspruch auf Weiterzahlung des Arbeitsentgelts für bestimmte im Mutterschutzgesetz normierte Beschäftigungsverbote und -beschränkungen. Zweck dieser Bestimmung ist es, Entgelteinbußen, die sich aus der Anwendung der Beschäftigungsverbote und -beschränkungen ergeben, hintanzuhalten. Die Dienstnehmerin soll jenes Entgelt erhalten, das sie ohne Beschäftigungsverbote bisher hatte (Burger-Ehrnhofer in Burger‑Ehrnhofer/Schrittwieser/ Thomasberger, Mutterschutzgesetz und Väter‑Karenzgesetz² § 14 MSchG, 295).

5.2. Nicht umfasst von der Weiterzahlungspflicht des Dienstgebers ist allerdings das Entgelt für die Leistung von Überstunden, weil die taxative Aufzählung des § 14 MSchG keinen Hinweis auf § 8 MSchG enthält. Auch bei Weiterbeschäftigung der schwangeren Dienstnehmerin können daher die Verdiensteinbußen, welche dadurch eintreten, dass sie keine Überstunden mehr leisten darf, selbst wenn zulässigerweise ein Überstundenpauschale vereinbart war, nicht abgegolten werden (4 Ob 81/74 = Arb 9348 = DRdA 1976, 18 [M. Schwarz]; 8 ObA 233/95; 8 ObA 124/03y; Wolfsgruber in ZellKomm² § 8 MSchG Rz 6; Burger-Ehrnhofer in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Thomasberger, Mutterschutzgesetz und Väterkarenzgesetz² 192, 301; Ercher/Stech in Ercher/Stech/Langer, Mutterschutz und Väter-Karenzgesetz § 14 MSchG Rz 17). Über die Normalarbeitszeit hinausgehende Mehrleistungen sollen also während Schwangerschaft und Stillzeit nicht fortgezahlt werden, wenn sie tatsächlich nicht mehr erbracht werden.

6. Obwohl eine Überstundenpauschale dem Dienstnehmer jedenfalls auch dann zusteht, wenn die Zahl der tatsächlich geleisteten Überstunden in einzelnen Verrechnungsperioden geringer ist oder er in einzelnen Verrechnungsperioden gar keine Überstundenleistung erbringt (9 ObA 98/95 ua; vgl RIS‑Justiz RS0051648), führt ein gänzlicher Wegfall der Überstundenleistung durch längere Zeit hindurch aufgrund eines gesetzlichen Verbots zum Ruhen des Anspruchs während der Zeit des Verbots. Dies deshalb, da die Grundlage für die Vereinbarung einer Überstundenpauschale in der beiderseitigen Annahme liegt, dass solche Überstunden auch tatsächlich geleistet werden „dürfen“ (4 Ob 81/74). Aus einer Pauschalierungs-vereinbarung ist aber zumindest konkludent auf eine vertragliche Verpflichtung des Dienstnehmers zur Leistung von Überstunden zu schließen (vgl Pfeil in ZellKomm² § 10 Rz 19; Schrank, Arbeitszeitgesetze Kommentar³ § 10 Rz 25). Eine Pauschalabgeltung wird regelmäßig in der Erwartung vereinbart, dass auch Überstunden zu leisten sein werden (Pfeil in ZellKomm² § 10 Rz 22).

7. Auch im vorliegenden Fall ist ‑ schon mangels anderer Behauptungen der Klägerin ‑ davon auszugehen, dass die Klägerin während der in Anspruch genommenen Elternteilzeit durch längere Zeit hindurch keine Überstunden leisten wird. Da die Vereinbarung der Überstundenpauschale, wie schon der vereinbarte Widerrufsvorbehalt erkennen lässt, auch hier in der beiderseitigen Annahme der Parteien lag, dass solche Überstunden von der Klägerin auch tatsächlich geleistet werden, wäre das von den Parteien dem Arbeitsvertrag zugrunde gelegte Synallagma zwischen Arbeitsleistung und Entgelt erheblich gestört, wäre die Beklagte verpflichtet, der Klägerin das Überstundenpauschale weiter zu bezahlen, obwohl sie von der Klägerin nicht einmal die Leistung von Mehrstunden fordern kann. Es ist daher nur konsequent und sachgemäß, wenn auch für die Dauer der Elternteilzeit der Anspruch auf die Überstundenentlohnung grundsätzlich ruht. Eine ähnliche Rechtsansicht vertreten Peschek (Anpassung von All-in-Vereinbarungen in der Eltern‑Teilzeit, ecolex 2014, 985 f) und Morgenstern (All‑in-Vereinbarungen und Elternteilzeit, PV‑Info 3/2015, 9) im Zusammenhang mit All‑in‑Vereinbarungen in der Eltern-Teilzeit. Sollte die Klägerin Mehr- und Überstunden leisten, sind ihr diese, wie auch anderen Dienstnehmern, zu vergüten.

8. Diesem Ergebnis steht ‑ entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ‑ auch nicht die Entscheidung 8 ObA 124/03y entgegen. Da die dort von der Dienstnehmerin bezogene Turnuszulage zumindest teilweise die im Turnusdienst zu leistende Nachtarbeit abgelten sollte, das Nachtarbeitsverbot des § 6 MSchG aber von der taxativen Weiterzahlungspflicht des § 14 MSchG umfasst ist, stand der Dienstnehmerin die Zulage weiterhin zu. Die Turnusdienstzulage zielte aber in erster Linie auf die Entlohnung von Normalarbeitszeit ab und nicht auf die sich allfällig daraus ergebenden Überstunden.

9. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Anspruch von Dienstnehmern auf eine vereinbarte Überstundenpauschale für die Zeit ruht, für die sie von der Möglichkeit der Elternteilzeit nach dem Mutterschutzgesetz bzw dem Väterkarenzgesetz oder vergleichbarer österreichischer Rechtsvorschriften Gebrauch gemacht haben. Leisten Dienstnehmer während der Elternteilzeit jedoch Mehr- und Überstunden, haben sie dafür auch das entsprechende Entgelt zu erhalten.

Der Revision der Klägerin war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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