OGH 9ObA98/95

OGH9ObA98/956.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Thomas Mais und OR Mag.Eva Maria Sand als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Irmgard H*****, Krankenschwester, ***** vertreten durch Dr.Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Graz, Göstinger Straße 24-26, 8021 Graz, vertreten durch Dr.Ralph Forcher ua, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 11.747 sA (Revisionsinteresse S 5.947 brutto sA), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7.Dezember 1994, GZ 8 Ra 61/94-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 12.April 1994, GZ 31 Cga 141/93m-18, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.467,84 bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens (darin enthalten S 744,64 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrt für im Februar 1992 geleistete Überstunden ein der Höhe nach mit S 11.747 brutto außer Streit gestelltes, Überstundenentgelt. In ihrer Funktion als Pflegedienstleitungstellvertreterin erhalte sie eine Funktionszulage. Die Überstunden habe sie jedoch in ihrer Funktion als Operationsschwester geleistet. Eine Verknüpfung dieser Funktionen sei unzulässig, so daß die Funktionszulage nicht für die Abgeltung von Überstunden herangezogen werden dürfe.

Die beklagte Partei hat das Klagebegehren, soweit nicht Außerstreitstellungen getroffen wurden, bestritten und die Abweisung der Klage beantragt. Die Funktionszulage decke sämtliche Überstundenleistungen.

Im ersten Rechtsgang wurde abschließend geklärt, daß die der Klägerin gebührende Funktionszulage den Charakter eines die gesamte Dienstleistung umfassenden Überstundenpauschales aufweise. Die Pauschalentlohnung von Überstunden sei zulässig, könne den Arbeitnehmer aber nicht hindern, über das Pauschale hinausgehende Ansprüche zu erheben, wenn sein unabdingbarer gesetzlicher Anspruch auf Vergütung der Mehrarbeitsleistung durch die vereinbarte Pauschalentlohnung nicht gedeckt sei. Die im Wege der Funktionszulage nicht abgegoltenen Überstunden könne die Klägerin fordern. Es seien aber Feststellungen maßgeblich, ob die Funktionszulage alle von der Klägerin geleisteten Überstunden in der maßgeblichen Zeit abgegolten habe.

Die Vorinstanzen stellten fest:

Die Klägerin erhielt die Funktionszulage seit ihrer Bestellung als stellvertretende Pflegedienstleiterin. Ihre eigentliche Tätigkeit ist die einer OP-Schwester. In der Zeit zwischen 16. und 24.Februar 1992 absolvierte die Klägerin als OP-Schwester fünf Nachtdienste, wobei sie 20 Überstunden im Ausmaß von 100 % und 4 Überstunden im Ausmaß von 50 % leistete.

In ihrer Funktion als Pflegedienstleitungstellvertreterin war sie mit der Erstellung von Dienstplänen betraut. Die Dienstplanerstellung erfolgte durch die Stationsschwester in Koordination mit den dortigen Schwestern und der Pflegedienstleitung. Bei Erstellung, Errechnung und Korrektur der Dienstpläne war die Klägerin beigezogen. Dazu fanden üblicherweise am Abend, außerhalb der für die Klägerin üblichen Arbeitszeit, Gespräche statt. Monatlich war die Klägerin dabei etwa vier bis fünf Stunden eingesetzt. In der weiteren Funktion als Betriebsratsvorsitzende nahm sie mit einem Vielfachen an Zeitaufwand an der Erstellung der Dienstpläne teil und hatte teilweise tagelang im Rahmen des Betriebsrates diese Probleme zu behandeln. Darüber hinaus absolvierte sie immer wieder Dienstreisen in ihrer Funktion als Mitglied des Landesstellenausschusses und damit namens der beklagten Partei. Dafür erhielt sie Diäten und Fahrtspesen. Mit der Novellierung des Einkommensteuergesetzes entfiel ab 1.Jänner 1989 jegliche Aufzeichnung der aufgewendeten Mehrleistungen. In ihrer eigentlichen Tätigkeit als OP-Schwester leistete sie im Durchschnitt weniger als die Normalarbeitszeit von 8 Stunden pro Arbeitstag.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat in Bindung an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes in dessen Aufhebungsbeschluß vom 29.Oktober 1993 die Rechtsmeinung, daß die Klägerin die Vergütung jener Überstunden fordern könne, die durch die Funktionszulage nicht abgedeckt seien. Als Beobachtungszeitraum zur Deckungsprüfung böten sich drei Varianten an, ein Monat (sohin der Februar 1992), 13 Wochen oder das gesamte Kalenderjahr 1992. Die Heranziehung des Februar 1992 als Beobachtungszeitraum sei unrealistisch, weil die Klägerin die Funktionszulage von S 5.800 brutto monatlich beziehe, die geleisteten Überstunden nur überaus selten und ausnahmsweise anfielen. Diese Eingrenzung des Beobachtungszeitraumes würde dem Charakter einer pauschalierten Überstundenentlohnung widersprechen. Bei einem Beobachtungszeitraum von 13 Wochen ergebe sich kein Anspruch der Klägerin auf eine gesonderte Überstundenmehrentlohnung, weil der außer Streit gestellte Betrag für Überstunden von S 11.747 durch die Funktionszulage für Februar 1992 bereits auf eine Höhe von S 5.947 reduziert werde. Da die Funktionszulage monatlich bezogen werde, bliebe, weil die Klägerin in einem längeren Zeitraum davor und danach keine Überstunden geleistet habe, bei einem Beobachtungszeitraum von 13 Wochen kein Überstundenentgeltanspruch mehr übrig. Auch bei einem Beobachtungszeitraum des Kalenderjahres 1992 sei kein Raum vorhanden, weil die Parteien außer Streit gestellt hätten, daß bei Heranziehung des Kalenderjahres 1992 als Beobachtungszeitraum kein restlicher Überstundenentgeltanspruch bestehe.

Das Gericht der zweiten Instanz änderte über Berufung der Klägerin das angefochtene Urteil dahingehend ab, daß es ihr unter Heranziehung eines Beobachtungszeitraumes von Februar 1992 den der Höhe nach unbestrittenen Betrag von S 5.947 brutto sA zusprach. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer S 5.800 brutto sA wies es ab.

Es vertrat die Rechtsansicht, daß § 59 Abs 4 DO.A einen unabdingbaren gesetzlichen Anspruch auf die im Monat Februar 1992 geleisteten Überstunden bedinge, wenn das Überstundenpauschale hinter dem Entgelt für tatsächlich geleistete Überstunden zurückbleibe. Die in § 59 Abs 5 DO.A enthaltene Richtlinie zur Festsetzung des Überstundenpauschales unter Bedachtnahme auf die im Jahresdurchschnitt zu leistenden Überstunden begründe keinen Durchrechnungszeitraum, der die Rechte des Arbeitnehmers aus der monatlich vorzunehmenden Überstundenabrechnung beeinträchtigen könnte. Besonders im Falle der Funktionszulage wäre eine solche Durchrechnung nicht praktikabel, weil die Funktionszulage nicht nur eine Abgeltung für quantitative, sondern auch für qualitative Mehrleistungen darstelle. Dies stehe einer zielführenden Gegenüberstellung von das Pauschale überschreitenden Mehrleistungen im Verhältnis zu das Pauschale unterschreitendenden Minderleistungen entgegen. Im übrigen habe der Oberste Gerichtshof im Aufhebungsbeschluß bindend ausgesprochen, daß die Klägerin nachzuweisen habe, daß die Funktionszulage nur einen Teil der im Februar geleisteten Überstunden abgegolten habe.

Infolge der höchstgerichtlichen Klärung der umstrittenen Rechtsfrage im Aufhebungsbeschluß erübrige sich die Zulassung der Revision.

Gegen dieses Urteil des Gerichtes der zweiten Instanz richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Abänderungsantrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die klagende Partei stellt den Antrag, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und berechtigt. Die Zulässigkeit ergibt sich daraus, daß der Oberste Gerichtshof im Aufhebungsbeschluß zur Frage des Beobachtungszeitraumes nicht Stellung bezog und die Entscheidung des Berufungsgerichtes von der den Beobachtungszeitraum zur Deckungsprüfung einer Pauschalvereinbarung der Überstundenentlohnung betreffenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht.

Der Sinn einer vereinbarten Pauschalierung der Überstundenvergütung liegt darin, Aufzeichnungen, Diskussionen und die Abrechnung über die tatsächliche Leistung dieser oder jener Mehrarbeit zu ersparen (Mayer-Maly/Marhold Österreichisches Arbeitsrecht I, 103; DRdA 1990/5 [Mosler] = Arb 10.638). Daraus folgt, daß bei einem ohne Vorbehalt eines Widerrufs vereinbarten Überstundenpauschales darauf auch Anspruch besteht, wenn der Arbeitnehmer im Durchschnitt weniger Überstunden leistet als durch das Pauschale gedeckt sind oder gar keine Überstundenleistung erbringt (DRdA 1990/5 [Mosler] = Arb 10.638). Leistet der Arbeitnehmer hingegen das Überstundenpauschale übersteigende Überstundenarbeit, dann kann er die über das Pauschale hinausgehenden, damit nicht gedeckten Ansprüche nachträglich geltend machen, weil § 10 AZG zwingenden Charakter hat (Grillberger Arbeitszeitgesetz 83; Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz, AngG7, 326; RdW 1986, 51 = Arb 10.451; DRdA 1990/5 [Mosler] = Arb 10.638; 9 Ob A 277/93 mwN [ON 13]).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung vom 24.2.1988 (= RdW 1988, 430) unter Berufung auf die Ansicht Grillbergers (aaO 83) zum Ausdruck gebracht, daß als Zeitraum für die Durchschnittsberechnung der durch das Pauschale umfaßten Überstunden mangels Vereinbarung eines kürzeren Zeitraumes ein Jahr zugrunde gelegt werden könne. Der Begründung lagen allgemeine, nicht auf den zu dieser Frage im damals zu entscheidenden Fall völlig unbestimmten und kaum aussagekräftigen Wortlaut des dort maßgeblichen Kollektivvertrages für die Handelsangestellten beschränkte Erwägungen zugrunde. Diesen Beobachtungszeitraum hat der Oberste Gerichtshof in zwei weiteren Entscheidungen gebilligt (9 Ob A 42/90; 9 Ob A 1039/92).

Das Charakteristikum eines Überstundenpauschales besteht darin, worauf auch § 59 Abs 5 DO.A hinweist, die in einem bestimmten Zeitraum voraussichtlich zu leistenden Überstunden pauschal ohne weitere Aufzeichnungen festzusetzen und zu vergüten. Der Beobachtungszeitraum für die Festsetzung des Pauschales - im Falle des § 59 Abs 5 DO.A ein Jahr - ist dadurch gekennzeichnet, daß in einem Lohnzahlungszeitraum mehr und in einem anderen weniger Überstunden anfallen, die dann einer Durchschnittsbetrachtung unterzogen werden. Nichts anderes gilt aber für den Fall der Deckungsprüfung. Das Pauschale darf den Dienstnehmer im Durchschnitt des Beobachtungszeitraumes nicht ungünstiger stellen als es die Überstundenentlohnung bei Einzelverrechnung wäre (Mayer-Maly/Marhold aaO 103; Cerny, Arbeitszeitrecht2 98; Grillberger aaO 83; RdW 1988, 430; DRdA 1990/5 [Mosler] = Arb 10.638; Arb 8651, Arb 6743). Daraus ergibt sich aber auch, daß kollektivvertragliche Entgelterhöhungen während des Beobachtungszeitraumes nur dazu führen, daß der Berechnung des Überstundenüberhanges der im Beobachtungszeitraum erzielte Durchschnittsverdienst zugrunde zu legen ist.

Die Bestimmung des § 59 Abs 4 DO.A, daß die Vergütung für im Laufe eines Monates geleistete Überstunden spätestens am 15. des folgenden Kalendermonates auszuzahlen ist, steht der von der DO.A und der Rechtsprechung grundsätzlich als zulässig angesehenen (RdW 1986, 51 = Arb 10.451; DRdA 1990/5 [Mosler] = Arb 10.638 ua) Pauschalentlohnung von Überstunden nicht entgegen. Diese Regelung betrifft als Regelfall nur den Dienstnehmer, mit dem keine Pauschalvereinbarung der Überstundenentlohnung zustande gekommen ist, weil nur in diesem Fall eine Abrechnungspflicht des Dienstgebers für die monatlichen Überstunden besteht, die aber bei der Pauschalvereinbarung entfällt. Erst bei einer Nachforderung durch den Dienstnehmer nach Ablauf des Beobachtungszeitraumes und nach dessen Nachweises des das Pauschale überschreitenden Überhanges an Überstunden erlangt die tatsächliche Anzahl an Überstunden wieder Bedeutung. Die Vereinbarung von Überstundenpauschalien ist nach der DO.A auch nur als Ausnahmeregelung in bestimmten Fällen zulässig (§ 59 Abs 5 DO.A; Beilage zur DO.A Erläuterung 7 zu den Änderungen ab 1.12.1973 und 1.2.1974).

Daß die Funktionszulage eine Abgeltung nicht nur für quantitative, sondern auch für qualitative Mehrleistungen ist, ändert nichts an ihrem Charakter einer zeitbezogenen Überstundenpauschalvereinbarung (RdW 1986, 51 = Arb 10.451). Sie steht daher entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes einer Deckungsprüfung der Stundenleistungen innerhalb des Beobachtungszeitraumes nicht entgegen.

Im Aufhebungsbeschluß wurde entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes zur Frage der Dauer des Beobachtungszeitraumes für die Deckungsprüfung nicht Stellung genommen. Die Spruchreife der Rechtssache wurde verneint, weil Feststellungen über die Abdeckung aller von der Klägerin im maßgeblichen Zeitraum geleisteten Überstunden durch die Funktionszulage fehlten. Der Bemerkung, daß die Klägerin nachzuweisen habe, daß die Funktionszulage nur einen Teil der im Februar 1992 geleisteten Überstunden abgegolten habe, wäre nur insofern Bedeutung zugekommen, wenn sich herausgestellt hätte, daß alle Mehrleistungen der Klägerin im Beobachtungszeitraum immer durch die Funktionszulage abgedeckt wurden.

Es war daher das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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