OGH 9ObA277/93

OGH9ObA277/9329.10.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Roman Merth und Mag.Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Irmgard H*****, Krankenschwester, ***** vertreten durch Dr.Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Graz, Graz, Göstinger Straße 24-26, vertreten durch Dr.Ralph Forcher, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 11.747 sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.Juli 1993, GZ 8 Ra 149/92-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 16.Oktober 1992, GZ 31 Cga 140/92-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenkosten.

Text

Begründung

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1.8.1973 als Operationsschwester beschäftigt. Seit etwa 1988 ist sie Stellvertreterin einer in Gehaltsgruppe IV, Dienstklasse B eingereihten Leiterin des Pflegedienstes und bezieht in dieser Funktion gemäß § 44 Abs 3 Z 1 DO.A (die auf das Dienstverhältnis der Klägerin anzuwenden ist) eine Funktionszulage. Die mit der Leitung des Pflegedienstes verbundenen zeitlichen Mehrleistungen der Klägerin betragen etwa vier bis fünf Stunden monatlich. Die Klägerin verrichtet diese Arbeiten am Abend außerhalb ihrer üblichen Dienstzeit. Zwischen dem 16. und 24.Februar 1992 leistete die Klägerin in ihrer Haupttätigkeit als Operationsschwester wegen akuten Personalmangels bei fünf Nachtdiensten 20 Überstunden mit 100 %igem und vier Überstunden mit 50 %igem Zuschlag, auf die ein Entgelt von S

11.747 brutto entfällt.

Diesen Betrag begehrt die Klägerin von der Beklagten mit der Begründung, daß die Überstundenvergütung in der Funktionszulage nicht enthalten sei. Nur Mehrleistungsstunden aus der Funktion als Stellvertreterin der Leiterin des Pflegedienstes seien durch die Funktionszulage abgegolten, nicht aber Überstunden aus ihrer Haupttätigkeit als Operationsschwester.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil die Funktionszulage eine pauschalierte Überstundenabgeltung enthalte. Außerdem habe die Klägerin ihre Pflicht, Überstundenaufzeichnungen zu führen, verletzt. Sie leiste keine Überstunden, die über das durch die Funktionszulage abgegoltene Maß hinausgingen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Funktionszulage schließe die gesonderte Geltendmachung von Überstunden aus. Überstunden wären nur dann gesondert zu entlohnen, wenn sie das Ausmaß der durch die Funktionszulage pauschalierten Überstunden überstiegen. Dabei sei auf den Durchrechnungszeitraum eines Jahres abzustellen. Funktionszulagenbezieher, die über die pauschal abgegoltenen Überstunden hinausgehende Mehrleistungszulagen geltend machen, seien verpflichtet, darüber Aufzeichnungen zu führen. Da die Klägerin dies unterlassen habe, habe sie keinen Anspruch auf das das Überstundenpauschale übersteigende Überstundenentgelt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Mit dem Zweck eines Überstundenpauschales, eine Vereinfachung der Abrechnung zu bewirken, stünde es in unlösbarem Widerspruch, wenn die Bezahlung jeder einzelnen Überstunde von der Beantwortung der Frage abhinge, ob deren Verursachung durch eine Leitungstätigkeit ausgeschlossen werden könnte. Dies wäre nur der Fall, wenn der Dienstnehmer durch eine in der Normalarbeitszeit verrichtete Leitungstätigkeit gehindert war, die Überstunden verursachende Tätigkeit in die Normalarbeitszeit zu verschieben. Die Rechtssache sei aber noch nicht spruchreif, da das Unterlassen von Überstundenaufzeichnungen durch die Klägerin den Anspruch auf Überstundenentlohnung nicht ausschließe. § 26 AZG sehe zwingend eine Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers vor, die nicht auf den Arbeitnehmer überwälzt werden dürfe. Im fortzusetzenden Verfahren sei das Ausmaß der Überstunden im einzelnen festzustellen, damit beurteilt werden könne, ob die Funktionszulage die geltend gemachten Überstunden decke.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, in der Sache selbst im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens zu erkennen.

Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs der Klägerin als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben oder den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß der Berufung der Klägerin nicht Folge gegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerin ist entgegen der Ansicht der Beklagten zulässig. An die Stelle des (im § 519 Abs 2 ZPO zitierten) § 502 ZPO tritt im arbeitsgerichtlichen Verfahren gemäß § 46 Abs 2 ASGG die Vorschrift des § 46 Abs 1 ASGG, wonach die Revision (hier: der Rekurs gemäß § 519 Abs 2 ZPO) auch dann zulässig ist, wenn der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S nicht übersteigt, aber die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne dieser Bestimmung abhängt. Diese Voraussetzung liegt vor, weil zur Frage, ob mit der Funktionszulage nach § 44 DO.A auch die nicht funktionsbedingten Überstunden des Zulagenbeziehers abgegolten sind, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt.

Der Rekurs ist jedoch nicht berechtigt.

Gemäß § 44 Abs 3 Z 1 DO.A gebührt den in die Gehaltsgruppe IV, Dienstklasse B einzureihenden Leitern des Pflegedienstes, sowie den Stellvertretern dieser Angestellten eine Funktionszulage im Ausmaß von 5 bis 30 vH der jeweiligen ständigen Bezüge nach § 35 Abs 2 Z 1 lit b und Z 6 DO.A. Nach den "Erläuterungen (einvernehmliche Auslegung der Vertragspartner)" zu § 44 DO.A sollen mit dieser Zulage nicht nur die qualitativen Leistungsunterschiede, sondern auch die quantitativen Mehrleistungen (Überstunden) der Leiter von Organisationseinheiten und ihrer Stellvertreter abgegolten werden. Diese Erläuterungen, die eine authentische Interpretation des § 44 DO.A durch die Kollektivvertragsparteien bilden (Koziol-Welser, Grundriß9, 21; SZ 58/15 mwN) könnten, - wie das Berufungsgericht hervorgehoben hat, - für sich allein dahin verstanden werden, daß die Funktionszulage neben der qualitativen Mehrleistung nur jene quantitativen Mehrleistungen decken soll, die durch die Ausübung der betreffenden Leistungstätigkeit ausgelöst worden sind. Auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob eine solche Auslegung mit dem Zweck eines Überstundenpauschales im Einklang zu bringen wäre, und unter welchen Voraussetzungen die getrennte Zuordnung der geleisteten Überstunden zur Leitungstätigkeit und zu den sonstigen Tätigkeiten eines Funktionszulagenbeziehers überhaupt möglich ist, braucht aber nicht eingegangen zu werden, weil § 59 Abs 3 DO.A ausdrücklich bestimmt, daß bei Angestellten mit Leitungszulage (§ 43) oder Funktionszulage (§ 44) die Vergütung für geleistete Überstunden in dieser Zulage enthalten ist. Da die DO.A in § 59 unter der Überschrift "Überstunden" die Frage der Vergütung von Überstunden allgemein geregelt hat, können auch unter den in § 59 Abs 3 DO.A gennanten Überstunden nur alle Überstunden der Funktionszulagenbezieher ohne Rücksicht darauf, ob sie durch die Ausübung der leitenden Funktion oder sonst ausgelöst wurden, gemeint sein. Mit § 59 Abs 3 DO.A steht auch im Einklang, daß die DO.A auch die Vergütung für eine teilweise höherwertige Tätigkeit, die sich in einem erheblichen Ausmaß und regelmäßig wiederholt (§ 36 Abs 2 DO.A) durch eine höhere Einstufung berücksichtigt und daher auch für den Bereich der Normalarbeitszeit eine Differenzierung der Arbeitsleistungen nach Zeiten, in denen die höherwertige oder die sonstige Tätigkeit geleistet wird, nicht stattfindet, sondern von einem einheitlich zu entlohnenden Arbeitsverhältnis ausgegangen wird. Hat der Angestellte nicht nur wegen seiner Leitungstätigkeit sondern auch in seinem übrigen Tätigkeitsbereich regelmäßig Überstunden zu leisten, so können diese durch eine entsprechende Bemessung der Funktionszulage, für die die DO.A Rahmenprozentsätze vorsieht, abgegolten werden.

Die der Klägerin gebührende Funktionszulage hat daher (auch) den Charakter eines die gesamte Dienstleistung umfassenden Überstundenpauschales (Arb 10.451 = EvBl 1986/14). Eine solche Pauschalentlohnung von Überstunden ist zwar in der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt worden; sie kann aber den Arbeitnehmer nicht daran hindern, über das Pauschale hinausgehende Ansprüche zu erheben, wenn und soweit sein unabdingbarer gesetzlicher Anspruch auf Vergütung der Mehrarbeitsleistung durch die vereinbarte Pauschalentlohnung nicht gedeckt ist (Arb 10.451 = EvBl 1986/14 mwN; DRdA 1990/5; 9 Ob A 56/91). Das gilt auch für die Funktionszulage der Klägerin, soweit ihr neben der Vergütung qualitativer Mehrleistungen der Charakter des Überstundenpauschales zukommt. Die Klägerin kann daher von der Beklagten eine besondere Vergütung jener Überstunden fordern, die sie über die - im Wege der Funktionszulage nach § 44 DO.A vereinbarte - Pauschalentlohnung hinaus tatsächlich geleistet hat.

Da Feststellungen darüber fehlen, ob die Funktionszulage alle von der Klägerin geleisteten Überstunden in der maßgeblichen Zeit abgegolten hat, ist die Rechtssache im Gegensatz zu der Meinung der Beklagten nicht spruchreif. Die Klägerin wird nachzuweisen haben, daß die Funktionszulage nur einen Teil der im Februar 1992 geleisteten Überstunden abgegolten hat.

Dem Rekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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