OGH 2Ob194/14i

OGH2Ob194/14i8.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith, Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach M***** P*****, verstorben am *****, zuletzt wohnhaft in *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des erbantrittserklärten Erben Dr. J***** L*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Leitner, Priv.‑Doz. Dr. Max Leitner und Dr. Marie‑Sophie Häusler, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. September 2014, GZ 44 R 427/14s‑51, womit infolge Rekurses der erbantrittserklärten Erbin G***** H*****, vertreten durch Dr. Michael Cermak, Rechtsanwalt in Wien, der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 14. Juli 2014, GZ 2 PS 1/13a‑38, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00194.14I.0608.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

 

Begründung:

Für die nunmehrige Erblasserin war zu AZ 2 P ***** des Bezirksgerichts H***** ein Sachwalter bestellt. Im vorliegenden Verlassenschaftsverfahren, das mittlerweile vom Bezirksgericht Meidling geführt wird, wurde die Beischaffung des Sachwalterschaftsakts verfügt.

Im Verlassenschaftsverfahren gaben G***** H*****, gestützt auf eine letztwillige Anordnung vom 29. 12. 2011, Dr. J***** L*****, gestützt auf ein Testament vom 13. 7. 2007, sowie zuletzt R***** H*****, gestützt auf ein Testament vom 15. 8. 2007, jeweils bedingte Erbantrittserklärungen ab.

Am 19. 2. 2014 stellte der Erbansprecher Dr. J***** L***** den Antrag, ihm Einsicht in den Sachwalterschaftsakt zu gewähren. Als erbantrittserklärter Erbe nach der Verstorbenen habe er ein rechtliches Interesse an der Kenntnis des Sachwalterschaftsakts. Dazu komme, dass es zweckmäßig erscheine, noch vor Beginn der Verhandlung zielführende weitere Anträge zum Verfahrensthema zu stellen.

Das Erstgericht gewährte die Einsicht in den Verlassenschaftsakt „samt beigeschafftem Pflegschaftsakt“ im Wesentlichen mit der Begründung, dass das Verlassenschaftsverfahren den Zweck habe, den wahren Willen des Verstorbenen zu erforschen. Dazu gehöre auch die Beantwortung der Frage, ob und bis wann der Verstorbene zu einer entsprechenden Bildung des letzten Willens fähig gewesen sei. Es diene dem Interesse des Verstorbenen, alle zur Verfügung stehenden Mittel, somit auch die Einsicht in den Sachwalterschaftsakt und das dort eingeholte Gutachten, auszuschöpfen, um diese Frage zu klären.

Diese Entscheidung wurde R***** H***** nachträglich zugestellt.

Gegen diese Entscheidung erhob die Erbansprecherin G***** H***** unter Verweis auf 1 Ob 98/12m und 4 Ob 38/13m Rekurs. Es bestehe „keine gesetzliche Basis“ für die Akteneinsicht Dritter in den Pflegschaftsakt betroffener Personen; außerdem sei das Erstgericht hiefür „absolut unzuständig“, weil nur das Verlassenschafts-, nicht aber das Pflegschaftsverfahren (wegen der Befangenheit sämtlicher Richter) an das Bezirksgericht Meidling übertragen worden sei.

Nur der Erbansprecher Dr. L***** brachte eine Rekursbeantwortung ein.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs Folge und wies den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht in den Pflegschaftsakt ab. Nach Ausführungen zur örtlichen (Un‑)Zuständigkeit des Erstgerichts, die Rekurslegitimation der Erbansprecherin dagegen ohne nähere Begründung unterstellend, gelangte das Rekursgericht unter Verweis auf 4 Ob 38/13m zur Ansicht, dass die Einsicht Dritter in den Sachwalterschaftsakt unabhängig vom Vorliegen eines rechtlichen Interesses aufgrund des Größenschlusses aus § 141 AußStrG unzulässig sei. § 141 AußStrG sei nach ständiger Rechtsprechung auch nach dem Tod der betroffenen Person anzuwenden. Dritte sollten aus der Anhängigkeit eines solchen Sachwalterschaftsverfahrens grundsätzlich keine Vorteile ziehen können. Anders wäre allenfalls zu entscheiden, wenn die Akteneinsicht ausschließlich im Interesse des Pflegebefohlenen erfolge; ein solcher Fall liege hier aber nicht vor.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage für nicht zulässig erklärt.

In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs bezieht sich der Erbansprecher Dr. J***** L***** auf die Frage, ob ein potentieller Erbe in den Sachwalterschaftsakt des Erblassers im Interesse der Verwirklichung des letzten Willens Einsicht nehmen dürfe. Dazu gebe es nur eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, nämlich 4 Ob 38/13m, die aber in der Literatur kritisiert worden sei (Tschugguel,E‑FZ 2013/180). Eine gesicherte Rechtsprechung liege daher nicht vor. Die Entscheidung des Rekursgerichts stehe mit der bestehenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch insoweit nicht im Einklang, als sie die Einsicht in den gesamten Sachwalterschaftsakt ablehne. Aus diesem wäre nämlich auch ersichtlich, dass die Zweitantragstellerin die Erblasserin vor deren Ableben von der Außenwelt abgeschottet, ja geradezu gefangen gehalten und so massiven Einfluss auf den Willen der Erblasserin ausgeübt habe, weswegen die ab Dezember 2012 verfassten Verfügungen der Erblasserin nicht von deren freien Testierwillen getragen gewesen seien. Im Übrigen sei das Verhalten der Zweitantragstellerin auch dazu geeignet, ihre Erbunwürdigkeit zu begründen. Diese Vorgänge könnten durch die Berichte des Sachwalters nachvollzogen werden, ohne dass höchstpersönliche Daten der Erblasserin, wie deren Geisteszustand, weitergegeben werden müssten. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß der potentielle Erbe Einsicht in einen den Erblasser betreffenden Sachwalterschaftsakt nehmen dürfe, habe über den Anlassfall hinausgehend Bedeutung.

G***** H***** beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, jedenfalls ihm aber nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinne des Eventualantrags auf Aufhebung auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Zuständigkeit:

Eingangs sei bemerkt, dass die Parteien die Zuständigkeit der Vorinstanzen zur Entscheidung über den Akteneinsichtsantrag in dritter Instanz nicht in Zweifel ziehen.

Das Erstgericht hat als Verlassenschaftsgericht den Sachwalterschaftsakt beigeschafft (auch wenn er zwischenzeitig in ON 45 dem Sachwalterschaftsgericht mit dem Ersuchen um „ehestmögliche Rückübermittlung“ zurückgestellt wurde).

Die Entscheidung über die Akteneinsicht obliegt, soweit beigeschaffte Akten im Zivilprozess verlesen und damit als Urkundenbeweis Teil des Prozessakts wurden, dem Prozessgericht (Schragel in Fasching/Konecny², II/2 § 219 ZPO Rz 4 aE; vgl auch 7 Ob 646/84 und 7 Ob 663/86, wobei es in beiden Entscheidungen jeweils richtig „ersuchendes“ statt „ersuchtes“ Gericht heißen müsste). Dem folgend legt Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth,AußStrG § 22 Rz 52 dar, dass in Verfahren, in denen keine mündliche Verhandlung stattfindet, aber auch im Verfahrensstadium vor der Verhandlung das Gericht bei Gewährung der Akteneinsicht deren Zulässigkeit im Einzellfall zu prüfen habe.

Ob in Verfahren ohne Verhandlung oder im Stadium vor einer solchen Beiakten bzw Teile davon Aktenbestandteil des Verfahrens werden, zu dem sie beigeschafft wurden, kann aber sinnvollerweise nur das beischaffende Gericht beurteilen. Ihm muss daher ab diesem Verfahrensstadium auch die Entscheidung über Einsichtsanträge in solcherart beigeschaffte Akten(‑teile) durch Parteien, zu deren Verfahren der Akt beigeschafft wurde, obliegen.

2. Zur Rekurslegitimation der G***** H*****:

Das Rekursgericht hat deren Rechtsmittel-legitimation aus folgenden Gründen zu Recht bejaht:

2.1. Gemäß § 45 AußStrG sind Beschlüsse des Gerichts erster Instanz ‑ außer verfahrensleitende Beschlüsse ‑ mit Rekurs anfechtbar. Das Gesetz unterscheidet zwischen Beschlüssen in der Sache, über die Sache, verfahrensleitenden Beschlüssen und sonstigen Beschlüssen, darunter zB Entscheidungen über das Vorliegen von Prozessvoraussetzungen oder die Verfahrenshilfe (vgl Fucik/Kloiber AußStrG § 45 Rz 2).

2.2. Die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht ist als solcher sonstiger Beschluss anzusehen und daher grundsätzlich selbständig anfechtbar, was ‑ ohne weitere Begründung ‑ in den bisherigen Entscheidungen zur Akteneinsicht, insbesondere von erbantrittserklärten Erben in einen Sachwalterschaftsakt (vgl 4 Ob 38/13m, 7 Ob 119/08p, 1 Ob 98/12m, 3 Ob 17/10m, 4 Ob 2316/96h oder 4 Ob 125/97d) unterstellt wurde.

2.3. All diesen Entscheidungen - auch soweit in ihnen letztlich (teilweise) eine Akteneinsicht gewährt wurde ‑ lag aber zugrunde, dass die Vorinstanzen übereinstimmend den Antrag auf Akteneinsicht abgelehnt hatten, sodass der jeweilige Antragsteller auch Rechtsmittelwerber war.

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht dem Antrag auf Akteneinsicht stattgegeben, und dagegen eine andere Erbansprecherin Rekurs erhoben. Mit der Frage, ob ihr Rechtsmittellegitimation zukommt, beschäftigt sich weder der zweitinstanzliche Beschluss noch der außerordentliche Revisionsrekurs des ursprünglichen Antragstellers.

2.4. Gemäß §§ 160, 161 AußStrG hat das Gericht bei in Widerspruch zueinander stehenden Erbantrittserklärungen (wenn ein Einigungsversuch des Gerichtskommissärs ‑ der hier noch aussteht ‑ nicht gelingt) letztlich das Erbrecht der Berechtigten festzustellen.

Welcher Zeitpunkt als Beginn dieses Verfahrens anzusehen ist, lässt sich dem Gesetz nicht eindeutig entnehmen. Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth,AußStrG § 161 Rz 12 ff meint, dass die alleinige Voraussetzung für den Beginn des Verfahrens über das Erbrecht das Vorliegen einander widersprechender Erbantrittserklärungen ist, und dass Parteien dieses Verfahrens alle Erbprätendenten, die eine Erbantrittserklärung abgegeben haben, sind (aaO Rz 16). Dem ist zuzustimmen.

In dem Zeitpunkt, in dem hier der Antrag auf Akteneinsicht auch in den Sachwalterschaftsakt gestellt wurde, lagen zwei einander widersprechende Erbantrittserklärungen bereits vor (ON 12 und 15) und war daher dieser Verfahrensabschnitt bereits erreicht. Auf den Beginn dieser „Verhandlung“ bezieht sich offensichtlich auch der Antrag des Erbansprechers Dr. L***** (ON 25). Da die Erbansprecherin und weitere Partei G***** H***** diesem Antrag entgegentrat, war sie durch die Entscheidung des Erstgerichts jedenfalls beschwert, sodass ihre Rechtsmittellegitimation vom Rekursgericht zutreffend unterstellt wurde.

3. Zum Recht auf Einsicht in den Sachwalterschaftsakt durch die Erbprätendenten:

3.1. § 141 AußStrG sieht vor, dass „Auskünfte über die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse vom Gericht nur dem betroffenen Pflegebefohlenen und seinen gesetzlichen Vertretern, nicht aber sonstigen Personen oder Stellen erteilt werden dürfen“. Es handelt sich dabei um eine lex specialis für das II. Hauptstück des Außerstreitverfahrens, also Verfahren in Ehe‑, Kindschafts‑ und Sachwalterschaftsangelegenheiten, durch die die Grundregel des § 22 AußStrG iVm § 219 ZPO verdrängt wird (Graf, Akteneinsicht im Außerstreitverfahren und § 141 AußStrG, Zak 2007, 427; Neuner, Glosse zu EvBl 2010/123; Tschugguel, Akteneinsicht des Erben in den Sachwalterschaftsakt des Erblassers? iFamZ 2010/209). Sie gilt nicht für das III. Hauptstück (Verlassenschaftsverfahren) selbst (2 Ob 175/06h).

3.2. Auch nahen Angehörigen ist die Akteneinsicht zu verweigern, wenn es um Daten geht, die den Geisteszustand einer Verfahrenspartei in einem Verfahren zur Überprüfung, ob ein Sachwalter zu bestellen ist, betreffen (RIS‑Justiz RS0116925). So wurde in 7 Ob 69/04d der Antrag der Tochter der Erblasserin, in den Sachwalterschaftsakt des Betroffenen, der von der Erblasserin zum Erben eingesetzt worden war, Einsicht zu nehmen, abgewiesen (idS auch 4 Ob 208/02w: kein Einsichtsrecht zweier Kinder des Betroffenen hinsichtlich der Ergebnisse der Erstanhörung und des psychiatrischen Sachverständigengutachtens unter Berufung auf ihr testamentarisches und gesetzliches Erbrecht ‑ angeblich ‑ schmälernde Handlungen eines weiteren Bruders, in dessen Obhut sich letzterer befand).

3.3. Nach 8 Ob 71/03d ist potentiellen Prozessgegnern keine Akteneinsicht zu gewähren. Auch ein vermutetes Einverständnis des Betroffenen ist unerheblich (3 Ob 298/05b).

3.4. Bereits in der schon zu 2.2. erwähnten Entscheidung 4 Ob 125/97d wurde ausgesprochen, dass die Alleinerbenstellung per se nicht für die Einsicht in den gesamten Sachwalterschaftsakt ausreicht. Im selben Verlassenschaftsverfahren wurde in 4 Ob 2316/96h aber der Alleinerbin Einsicht in die vom Sachwalter gelegten Rechnungen gewährt.

3.5. Auch in 3 Ob 17/10m wurde bei einem einzigen eingeantworteten Erben differenziert und die Einsicht in die die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse betreffenden Teile des Akts genehmigt, weil der Erbe insofern kein Dritter sei und § 141 AußStrG daher nicht entgegenstehe. Der Ansicht Grafs,Akteneinsicht im Außerstreitverfahren und § 141 AußStrG, Zak 2007, 429, wonach § 141 AußStrG Dritten grundsätzlich kein Recht auf Akteneinsicht gewähre (allenfalls mit Ausnahme, wenn diese zur Wahrung der Interessen des Pflegebefohlenen Einsicht nehmen wollen), sei zu folgen, weil der Zweck der Geheimhaltung der von § 141 AußStrG erfassten Daten keine Ausnahme kenne und vereitelt würde, wenn durch die Möglichkeit der Akteneinsicht das Geheimzuhaltende doch wiederum an Dritte offenbart werden könnte.

3.6. Zu 7 Ob 175/07x, SZ 2007/135, wurde dem ehemaligen Sachwalter nach Tod des Betroffenen zur Gänze Einsicht in den Sachwalterschaftsakt mit der Begründung gewährt, der Sachwalter sei gesetzlicher Vertreter des Betroffenen und es sei nicht zu erkennen, warum sich daran aus Gründen des Datenschutzes oder im Hinblick auf die Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen nach dessen Tod etwas ändern sollte. Vom Standpunkt der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes aus gesehen sei ‑ insbesondere auch im Außerstreitverfahren ‑ im Wesentlichen nur die Akteneinsicht durch Dritte problematisch. Der Sachwalter sei auch nach dem Tod des Betroffenen nicht als „dritte Person iSd § 219 ZPO“ anzusehen, sodass die Frage des rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht ebenso dahinstehen könne wie die Frage der Zulässigkeit der Verwendung von aus dem Sachwalterschaftsakt gewonnenen Informationen durch den ehemaligen Sachwalter in einem Erbrechtsstreit.

3.7. In 7 Ob 119/08p wurde die Einsicht in einen Sachwalterschaftsakt, der dem Verlassenschaftsakt angeschlossen war, verweigert. Die Stellung als Erbin des Unterhaltsschuldners (und gegenüber der Betroffenen Unterhaltspflichtigen) wurde als nicht ausreichend gesehen, die Akteneinsicht in den Sachwalterschaftsakt zu begründen. Die Erbin des Unterhaltsschuldners gehöre zum Kreis der „sonstigen Personen“, denen nach der klaren Gesetzeslage keine Auskünfte zu erteilen seien. Auch die von dieser bevollmächtigte Einschreiterin sei daher nicht auskunftsberechtigt.

3.8. In 1 Ob 98/12m wurde der „erblichen Tochter“, die sich allein auf diesen Umstand, nicht aber auf ihre Erbenstellung oder die bereits abgegebene Erbantrittserklärung berufen hatte, ebenfalls die Akteneinsicht verweigert. Im Anwendungsbereich des § 141 AußStrG stehe Dritten grundsätzlich kein Recht auf Akteneinsicht zu, allenfalls mit der Ausnahme, dass diese zur Wahrnehmung der Interessen des Pflegebefohlenen Einsicht nehmen wollen.

3.9. Zuletzt wurde in 4 Ob 38/13m ausgesprochen, dass eine Miterbin betreffend jene Aktenteile des Sachwalterschaftsakts, die sich auf den höchstpersönlichen Lebensbereich des Betroffenen beziehen, wie jeder andere verfahrensfremde Dritte zu behandeln sei. Der Gewährung der Akteneinsicht stehe von vornherein ein Größenschluss aus § 141 AußStrG entgegen. Es sei kein Grund zu erkennen, weshalb einem Dritten Zugang zu ‑ gegenüber den finanziellen Verhältnissen viel sensibleren ‑ Daten möglich sein solle, die sich auf den Geisteszustand der betroffenen Person beziehen. § 141 AußStrG sei nach ständiger Rechtsprechung auch nach dem Tod der betroffenen Person anzuwenden. In seinem unmittelbaren Anwendungsbereich hätten Dritte grundsätzlich kein Recht auf Akteneinsicht. Auf ein (sonst) als „rechtlich“ zu qualifizierendes Interesse komme es nicht an. Aufgrund des dargestellten Größenschlusses gelte dies umso mehr für die Einsicht in personenbezogene Aktenbestandteile, insbesondere das psychiatrische Gutachten. Das Pflegschaftsverfahren diene ausschließlich dem Schutz der Interessen des Pflegebefohlenen. Dritte sollten aus der Anhängigkeit eines solchen Verfahrens grundsätzlich keine Vorteile ziehen können. Anders wäre allenfalls zu entscheiden, wenn die Akteneinsicht ausschließlich im Interesse des Pflegebefohlenen erfolge; ein solcher Fall liege in concreto aber nicht vor.

4. Literatur zur Frage der Akteneinsicht:

4.1.  Danzl fasst in seiner Kommentierung zur Geo 5 , § 170 Anm 10 A) lit b die zuvor wiedergegebenen Judikate dahin zusammen, dass aus der Stellung als Erbe allein noch kein berechtigtes Interesse, von ausschließlich personenbezogenen Daten des Erblassers durch Akteneinsicht (in dessen SW‑Akt) Kenntnis zu erlangen, folge, da Persönlichkeitsrechte des Erblassers nicht auf den Erben übergehen; auch einem Alleinerben könne demnach Akteneinsicht in Sachwalterschaftssachen nur gewährt werden, wenn er (so wie sonstige Dritte) ein berechtigtes Interesse, das in datenschutzrechtlichen Belangen mehr als ein nur rechtliches Interesse sein müsse (vgl Gitschthaler in Rechberger , ZPO 4 § 219 Rz 3/1), glaubhaft mache.

4.2. In seiner Glosse zu 3 Ob 17/10m in EvBl 2010/123 meint Neuner, dass das Grundrecht auf Datenschutz ein höchstpersönliches Recht sei, das mit dem Tod des Betroffenen erlösche und nicht auf den Rechtsnachfolger übergehe. Der Zweck der Persönlichkeitsrechte sei die Gewährleistung der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Dazu müsse auch nach dem Tod der betroffenen Person ein gewisser Schutz bestehen bleiben. Zu beachten seien auch die über den Tod des Betroffenen hinauswirkenden Grundsätze des § 141 AußStrG. Das Recht auf Einsichtnahme in Teile des Sachwalterschaftsakts, die personenbezogene Daten enthielten, sei nach der Gesetzeslage zu Recht unvererblich und stehe dem Erben nicht zu. Die Geheimhaltung gewisser Informationen der eigenen Privatsphäre müsse auch nach dem Tod gewährleistet sein.

4.3. Die restriktiven Bestimmungen des § 141 AußStrG gelten nach W. Tschugguel, Akteneinsicht des Erben in den Sachwalterschaftsakt des Erblassers? iFamZ 2010/209, analog für sonstige sensible Daten, insbesondere solche des Gesundheitszustands des Besachwalterten. Es solle verhindert werden, dass Dritte durch Einsichtnahme in den Pflegschaftsakt Zugang zu Informationen erlangten, die ihnen ohne Pflegschaftsverfahren nicht möglich wären; niemand solle durch ein Pflegschaftsverfahren einen Vorteil genießen, den er ohne dieses Verfahren nicht gehabt hätte. Der Schutzzweck der Norm rechtfertige die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auch auf ähnlich sensible Daten, wenn diese aus den gleichen Gründen schützenswert seien. Auch nach dem Tod der betroffenen Person sei die Akteneinsicht in den Pflegschafts‑ oder Sachwalterschaftsakt eingeschränkt. Auch Erben sei es untersagt, durch Einsicht in den Sachwalterschaftsakt Angaben über den persönlichen Zustand des ehemaligen Besachwalterten zu erlangen.

4.4. Dagegen hat A. Tschugguel in seiner Glosse zu 4 Ob 38/13m in EF‑Z 2013/180 dargelegt, dass dem Erben schon mit Abgabe der Erbantrittserklärung, soferne ihm damit gesetzliche Vertretungsbefugnis gemäß § 810 ABGB bezüglich des Nachlasses zukomme, Akteneinsicht zu gewähren sei. Der Schutzzweck des § 141 AußStrG lege es nahe, ein Einsichtsrecht Dritter nicht schlechthin zu verneinen, sondern die Bestimmung in Fällen teleologisch zu reduzieren, in denen die Einsicht (auch) im Interesse des Erblassers selbst liege. Das Interesse des Erblassers an der Verwirklichung seines letzten Willens könne nur durch die potentiellen Erben gewahrt werden, indem sie sich auf ihr eigenes Erbrecht beriefen und jenes eines anderen bestritten, sodass eine Gerichtsentscheidung über das Erbrecht herbeigeführt werde. Bei der Durchsetzung des Erbrechts würden die Erben daher nicht nur in ihrem eigenen, sondern auch im Interesse des Erblassers an der Wahrung seines letzten Willens tätig. Es sei im rechtlichen Interesse des Erblassers ‑ im Sinne der Verwirklichung seines letzten Willens ‑ gelegen, den potentiellen Erben Einsicht in den Sachwalterschaftsakt zu gewähren, wenn auf diese Weise wesentliche Rückschlüsse auf die Testier‑(un‑)fähigkeit des Erblassers ermöglicht würden. Werde in einem solchen Fall die Akteneinsicht verweigert, sei zu fragen, ob damit wirklich ein effektiver Schutz der persönlichen Sphäre des Erblassers verwirklicht werde. Im nachfolgenden Verfahren über das Erbrecht müsse ohnehin die Frage der Testier‑(un‑)fähigkeit des Erblassers geprüft werden, sodass den Verfahrensparteien letztendlich sensible persönliche Daten ohnehin transparent würden. Lasse sich der Geisteszustand ex post ‑ wenn überhaupt ‑ nur vage beurteilen, sei deshalb zu fragen, worin das schützenswerte Interesse des verstorbenen Betroffenen an einer diesbezüglich unklaren Beweislage liegen solle bzw darin, der Entscheidung über seine Testier‑(un‑)fähigkeit eine ‑ vielleicht die einzige ‑ geeignete Grundlage vorzuenthalten.

5. Schlussfolgerungen für den vorliegenden Fall:

5.1. In der bisherigen Judikatur wurde die Einschränkung des Auskunftserteilungsverbots „allenfalls im Interesse des Pflegebefohlenen“ zwar mitunter erwähnt, sie war aber nie tragende Begründung; vielmehr wurde die Akteneinsicht Verfahrensfremder regelmäßig abgelehnt. Lediglich dem Erben wurde als Rechtsnachfolger des Erblassers in vermögensrechtlicher Sicht Einsicht in die bezüglichen Teile des SW‑Akts gewährt, weil er insofern nicht Dritter iSd § 141 AußStrG sei (3 Ob 17/10m), bzw in 7 Ob 175/07x auch dem ehemaligen Sachwalter.

5.2. Bedenkt man aber das durch das SWRÄG 2006, BGBl I 2006/92, verstärkt zum Ausdruck gebrachte Ziel des Sachwalterschaftsverfahrens, den Wünschen und Vorstellungen, also der subjektiven Sicht des Betroffenen, zum Durchbruch zu verhelfen (vgl Weitzenböck in Schwimann ABGB 4 I § 281 Rz 2; Tschugguel/Parapatits , ABGB‑ON 1.03 § 281 Rz 1) und die Selbstbestimmung der behinderten Person zu stärken ( Hopf in KBB 4 § 281 Rz 1), so ist nach Auffassung des erkennenden (Fach‑)Senats des Obersten Gerichtshofs der oben in Punkt 4.4. dargestellten Argumentation A. Tschugguels insofern zu folgen, dass dies auch umfasst, nach dem Tod des Betroffenen die Durchsetzung seines letzten Willens zu fördern.

5.3. Dies kann schon im Hinblick auf den Schutzgedanken des § 141 AußStrG naturgemäß keineswegs zu einer Akteneinsicht in jedem Fall alleine mit der Behauptung führen, (auch) den wahren letzten Willen des Betroffenen fördern zu wollen.

Werden aber in einem Verlassenschaftsverfahren einander widersprechende Erbantrittserklärungen abgegeben, ohne dass ein Einigungsversuch durch den Gerichtskommissär gemäß § 160 AußStrG gelingt, und ist daher das Verfahren in das Stadium der Entscheidung über das Erbrecht eingetreten (vgl Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 161 Rz 12 ff), erscheint es auch unter dem Gesichtspunkt des Zwecks des Sachwalterschaftsverfahrens sinnvoll, in bestimmt und einzeln oder zumindest nach Gattungsmerkmalen zu bezeichnende (zB den Gesundheitszustand des Erblassers betreffende), relevante Teile des Sachwalterschaftsakts Einsicht zu gewähren. Um dem besonderen Schutzgedanken des Sachwalterschaftsverfahrens Rechnung zu tragen, ist aber zu verlangen, dass jeweils konkret dargelegt wird, warum die jeweiligen Aktenteile geeignet sind, die Erforschung des wahren letzten Willens des Erblassers substantiell zu verbessern. Damit soll letztlich sichergestellt werden, dass bei der Entscheidung über das Erbrecht sämtliche relevanten Erkenntnisquellen genutzt werden, die den wahren Willen des Erblassers zutage fördern können.

5.4. Diesem Konkretisierungserfordernis ent-spricht der hier bloß pauschal gestellte Antrag auf Einsicht in den Sachwalterschaftsakt nicht (ON 25).

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren den Einsichtswerber zu einer Verbesserung im aufgezeigten Sinne und Konkretisierung seines Antrags anzuhalten haben, sowohl was die Teile des Sachwalterschaftsakts, in die Einsicht begehrt wird, betrifft, als auch die Gründe, warum gerade diese Aktenstücke der Erforschung des wahren Willens der Erblasserin dienlich sind, und auf dieser Basis neuerlich über den Einsichtsantrag zu entscheiden haben.

5.5. Soweit der Revisionsrekurswerber nunmehr vorbringt, dass sich auch die Frage des Verhaltens der Erbansprecherin G***** H***** gegenüber der Erblasserin und damit deren allfällige Erbunwürdigkeit aus dem SW‑Akt ergeben könnte, hat er dazu im erstinstanzlichen Antrag überhaupt nichts vorgebracht ‑ es handelt sich dabei daher um unbeachtliche Neuerungen (§ 49 Abs 2 AußStrG).

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