OGH 12Os134/14v

OGH12Os134/14v9.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. April 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Dr. Oshidari sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Moelle als Schriftführerin in der Strafsache gegen Tomas P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 2. Juli 2014, GZ 605 Hv 1/14h‑86, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00134.14V.0409.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Tomas P***** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB (I./) sowie des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB (II./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 21 Abs 2 StGB wurde seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat er in W*****

I./ am 6. September 2013 einen Beamten während der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper verletzt, indem er BI Sigrid B***** im Zuge der Sachverhaltsabklärung mit der Faust auf den Kopf schlug und sie an den Haaren zu Boden riss, wodurch die Genannte einen münzgroßen Haarverlust im Bereich der linken Stirn, Kratzwunden am linken Handrücken sowie Hautabschürfungen an der linken Kniescheibe erlitt;

II./ am 20. September 2013 Xiao Mei W***** zu töten versucht, indem er dieser in der U‑Bahnstation N***** einen gezielten, beidhändigen Stoß gegen den Rücken versetzte, sodass Xiao Mei W***** rund drei Meter nach vorne katapultiert wurde und auf den Geleisen zu liegen kam, wodurch sie Kronenbrüche der ersten beiden Schneidezähne im Oberkiefer, eine Lockerung des zweiten Schneidezahns links im Oberkiefer, eine Hautabschürfung und Blutunterlaufung im Bereich des Kinns, eine Prellung der rechten Schulter sowie eine Blutunterlaufung und Prellung der rechten Hüfte, somit eine an sich schwere Körperverletzung sowie eine Gesundheitsschädigung von über 24 Tagen und eine Berufsunfähigkeit von vier Wochen aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung erlitt, wobei es lediglich deshalb beim Versuch blieb, weil sich Xiao Mei W***** mit Hilfe von anderen Passanten noch kurz vor Eintreffen des U‑Bahnzugs durch Klettern auf den Bahnsteig retten konnte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6, 8 und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt:

Die Fragenrüge (Z 6) betreffend die Eventualfrage ./1 zur Hauptfrage ./B nach dem Verbrechen der schweren Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1, 85 Z 3 StGB kritisiert die ihrer Ansicht nach unzutreffend nach mehrfacher Deliktsqualifikation erfolgte Fragestellung als unklar bzw irreführend. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, haben die Geschworenen doch durch die Bejahung der Hauptfrage ./B nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB einen bloßen Verletzungsvorsatz ausgeschlossen, sodass eine auch unrichtige Fragestellung nach einem vorsätzlich begangenen qualifizierten Körperverletzungsdelikt nicht geeignet gewesen wäre, einen nachteiligen Einfluss auf die Entscheidung zu üben (§ 345 Abs 3 StPO; vgl 14 Os 8/99).

Zur Hauptfrage ./B fordert die Beschwerde (Z 6) eine Eventualfrage in Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung mit Dauerfolgen (§ 87 Abs 2 StGB) ein, bezeichnet aber unter Hinweis auf die Einschätzung der Zeugin Anna-Maria M*****, wonach aus ihrer Sicht der Stoß „nicht irgendwie unabsichtlich“, sondern „mit voller Absicht mit beiden Händen“ erfolgt sei (ON 85 S 49), kein in der Hauptverhandlung vorgekommenes, die Stellung einer Eventualfrage indizierendes Tatsachensubstrat, weil subjektive Ansichten, Wertungen und Schlussfolgerungen keine relevanten Beweismittel (RIS‑Justiz RS0097540) sind. Da das Bestreiten des Tötungsvorsatzes durch den Angeklagten, der seinerseits von einem „Unfall“ spricht (ON 85 S 16), ebenfalls nicht die Behauptung enthält, mit Verletzungsabsicht gehandelt zu haben und auch keine sonstigen Verfahrensresultate auf eine solche Fallgestaltung hindeuten, war der Schwurgerichtshof nicht zur Stellung einer Eventualfrage in Richtung § 87 StGB verpflichtet (RIS‑Justiz RS0113213); dies zumal bloß abstrakt denkbare Möglichkeiten und Mutmaßungen nicht Gegenstand einer Eventualfrage sein können (vgl die in der Beschwerde ins Treffen geführte Entscheidung 14 Os 149/04).

Es trifft zwar zu, dass der zur Hauptfrage ./A auf S 8 der Rechtsbelehrung (Beilage ./B zu ON 85) angeführte erste Satz, wonach „die Hauptfrage ./B darauf gerichtet“ sei, „ob Tomas P***** das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB begangen hat“ insofern unrichtig ist, als es statt „Hauptfrage ./B“ „Hauptfrage ./A“ heißen müsste. Der darauf abstellenden Instruktionsrüge (Z 8) zuwider ist diese ‑ offenkundig auf einem bloßen Schreibfehler beruhende ‑ Unrichtigkeit aber nicht erheblich (und vermag deshalb auch den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht zu verwirklichen), weil sich aus dem Kontext der gesamten Rechtsbelehrung zweifelsfrei ergibt, dass sich die unter dem Titel „zur Hauptfrage ./A“ gebotenen Erläuterungen auf eben diese Fragestellung beziehen.

Weshalb die Rechtsbelehrung zur Hauptfrage ./A darüber hinaus den Geschworenen Anlass zu Missverständnissen bei der Abgrenzung der beiden Fakten I./ und II./ geboten hätte und daher „eindeutig geeignet“ gewesen sein sollte, die Laienrichter bei der Beantwortung der Hauptfrage ./B auf einen falschen Weg zu weisen, wird von der ausschließlich den Schuldspruch wegen Mordes bekämpfenden Fragenrüge bloß behauptet, aber nicht nachvollziehbar zur Darstellung gebracht.

In seinem aus Z 8 erstatteten Vorbringen zur unbeantwortet gebliebenen Eventualfrage ./1 nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1, 85 Z 3 erster Fall StGB rügt der Beschwerdeführer, dass die Rechtsbelehrung hiezu

a./ eingangs die Passage enthält: „Die Eventualfrage ./1 ist darauf gerichtet, ob Tomas P***** das Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1, 85 Z 3 erster Fall StGB begangen hat“,

b./ die Tat somit nur als schwere Körperverletzung beschrieben, statt entsprechend dem Gesetzestext als Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen,

c./ zu den Begriffen der Verletzung am Körper und der Gesundheitsschädigung auf die Ausführungen zur Hauptfrage ./B verwiesen, und

d./ darauf hingewiesen hat, dass das Verbrechen der (schweren) Körperverletzung mit Dauerfolgen nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1, 85 Z 3 erster Fall StGB mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedroht ist.

Daraus leitet er die Befürchtung ab, die Geschworenen „könnten durchaus“ der Ansicht gewesen sein, dass, wenn sie die Eventualfrage ./1 bejahen, sie den Angeklagten dadurch nur wegen einer schweren Körperverletzung und eben nicht wegen der viel schwerwiegenderen mit Dauerfolgen verurteilen würden.

Damit wendet er sich aber gegen die Unterweisung der Laienrichter zu einer - nur für den Fall der Verneinung der bejahten Hauptfrage ./B und solcherart (im Ergebnis) - nicht gestellten Eventualfrage, die aus Z 8 nicht erfolgreich gerügt werden kann. Im Übrigen übergeht er mit seinen punktuellen, zum Teil einen leicht erkennbaren Schreibfehler (c./) und unerhebliche, jedenfalls keine Nichtigkeit begründende Ausführungen (d./; vgl 11 Os 35/05i) berührenden Kritikpunkten die Gesamtheit der Instruktion (S 13 bis 15, 24 der Rechtsbelehrung), aus der eine mögliche Subsumtion unter den Tatbestand der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen jedenfalls abzuleiten ist. Solcherart legt er jedoch nicht nachvollziehbar dar, dass die bekämpften Teile der Rechtsbelehrung konkrete Auswirkungen auf die Beantwortung der Hauptfrage ./B gehabt haben (RIS‑Justiz RS0101091, RS0110682, RS0111311; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 63).

Zum weiteren Einwand, in der Überschrift der Instruktion zur ‑ ebenfalls nicht beantworteten -Eventualfrage ./2 nach § 88 Abs 1 und 4 zweiter Fall StGB hätte der Schwurgerichtshof den Tatbestand der „fahrlässigen schweren Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen“ anführen müssen, genügt der Hinweis, dass es sich bei § 88 Abs 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB um das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung handelt.

Der Sanktionsrüge (Z 13) zuwider lässt die Feststellungsgrundlage des Urteils die (rechtlich gebundene) Ermessensentscheidung einer Befürchtung, also der rechtlichen Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Angeklagte werde eine oder mehrere bestimmte Handlungen begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wären (RIS‑Justiz RS0118581), durchaus zu; wurde doch ‑ entgegen dem Beschwerdevorbringen sehr wohl unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Rechtsbrechers und der Art der Tat - unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es jederzeit vorkommen kann und auch naheliegend ist, dass der Angeklagte abermals destruktiv impulsiv entgleist (US 14 und 15) und strafbare Handlungen begeht, welche ihrer Art nach (als Prognosetat) mit „äquivalenten Taten wie bisher“ und „Gewalttaten mit nicht bloß leichten Verletzungsfolgen gegen Zufallsopfer“, also „Gewalttaten mit schweren Folgen“ (US 14 f), zureichend beschrieben sind (RIS‑Justiz RS0118581, RS0113980). Auch die Kausalbeziehung zwischen der festgestellten Abnormität und der verfahrensgegenständlichen Anlasstat erweist sich mit Blick auf die Feststellung einer höhergradig abnormen „Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen Anteilen sowie einer Persönlichkeits- und Verhaltensstörung durch Alkohol und dessen schädlichen Gebrauch“, die mit der Anlasstat vom 20. September 2013 „in unmittelbarem Bezug“ steht (US 14), als hinreichend klargestellt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Erledigung der Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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