OGH 14Os149/04

OGH14Os149/045.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. April 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kain als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Irfan Y***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 15. September 2004, GZ 422 Hv 2/04w-190, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiß, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Kresbach, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Irfan Y***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 11. September 2003 in Wien seine Ehefrau Fatma Y***** durch Versetzen von mehreren Messerstichen gegen den Rumpf vorsätzlich getötet hat.

Die Geschworenen hatten die nach Mord gestellte Hauptfrage bejaht. Weitere Fragen wurden nicht gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil aus § 345 Abs 1 Z 6, 10a und 11 lit b StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht. Gestützt auf Z 6 rügt der Beschwerdeführer, dass den Geschworenen nur eine auf das Verbrechen des Mordes nach § 75 lautende Hauptfrage gestellt wurde, die Stellung einer (seiner Ansicht nach durch die Ergebnisse des Beweisverfahrens indizierten) Eventualfrage in Richtung des Verbrechens des Totschlages nach § 76 StGB jedoch unterblieben ist. Anhaltspunkte dafür, dass er die (von ihm geleugnete) Tötungshandlung in einer allgemein begreiflichen Gemütsbewegung begangen habe, hätten sich aus seiner eigenen Verantwortung, den Aussagen der Zeugen Esra J*****, Edith St*****, Banu A***** und Gülen K***** sowie aus den Angaben seiner später getöteten Gattin im Rahmen des von ihr betriebenen Verfahrens zur Erlangung eines Betretungsverbotes der Ehewohnung ergeben, wonach er (insbesondere aufgrund der mit dem Scheidungsverfahren verbundenen Trennung) äußerst eifersüchtig gewesen sei, seine Gattin durch zahlreiche Telefonanrufe terrorisiert und auch wiederholt mit dem Tod gefährlich bedroht habe, was auf einen „entsprechenden Gemütszustand" schließen lasse. Zudem habe der psychologische Sachverständige Dr. Wolfgang N***** bei ihm die Verdachtsdiagnose einer erworbenen kognitive Störung und einer Reduktion der fluiden Intelligenz erstellt und ausgeführt, dass er in Copingsituationen mehr Schwierigkeiten als andere Personen habe und dann leicht hilflos und desorganisiert reagieren könne (vgl S 17 ff/III). Letztlich habe der Experte nicht sicher auszuschließen vermocht, dass er die Tat trotz grundsätzlich mangelnder Aggressivität gleichwohl aufgrund eines plötzlichen Impulses - begangen haben könnte (vgl S 233 f/IV). Zudem könne er (der Angeklagte) sich laut Aussage des Zeugen Rasim Ö***** nach dem Konsum von ein oder zwei Bieren nicht mehr kontrollieren. All dies weise darauf hin, dass er „aufgrund der bevorstehenden Scheidung und der bereits bestehenden Trennung, welche in einem Betretungsverbot mündete, besonders eifersüchtig war und sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung befand". Zwar ist auch bei einem leugnenden Angeklagten eine Eventualfrage (§ 314 StPO) nach einer unter ein milderes Gesetz fallenden strafbaren Handlung dann zu stellen, wenn sonstige Verfahrensergebnisse auf eine solche Tatgestaltung hindeuten. Der Beschwerdeführer übersieht jedoch, dass bloß abstrakt denkbare Möglichkeiten und Mutmaßungen nicht Gegenstand einer Eventualfrage sein können (vgl Mayerhofer StPO5 § 314 E 18, 19a und 25a). Die Privilegierung einer vorsätzlichen Tötung nach § 76 StGB wird zwar auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein im Affekt handelnder Täter die Tat schon vorher erwogen hat, sofern er den festen Tötungsentschluss nicht schon vor dem Affektausbruch gefasst hat. Die heftige Gemütsbewegung muss allerdings für den entscheidenden Tatentschluss kausal sein und während der Tat noch andauern (vgl Moos in WK² § 76 Rz 22; Mayerhofer StGB5 § 76 E 4a, 4b und 6a). Zudem muss die heftige Gemütsbewegung (die nach Art eines Affektsturms geeignet sein muss, sogar stärkste sittliche Hemmungen, wie sie gegen die vorsätzliche Tötung eines Menschen bestehen, hinwegzufegen) „allgemein begreiflich" sein, dh auch aus der Sicht eines durchschnittlich rechtstreuen Menschen mit vergleichbaren sozio-physischen Eigenschaften unter Anlegung eines objektiv-normativen Maßstabes, der auch die soziale Stellung, den Lebenskreis und eine leichte Erregbarkeit des Angeklagten umfassen kann, verständlich sein (vgl Kienapfel/Schroll BT I3 § 76 Rz 17; Mayerhofer StGB5 § 76 E 3a, 4, 7b, 10a und b).

Mit seinem Beschwerdevorbringen zur psychischen Beschaffenheit knapp vor und während der Begehung der ihm angelasteten Tat bewegt sich der diesen Vorwurf strikt leugnende Angeklagte nur auf der - für die Stellung einer Eventualfrage nicht ausreichenden - Ebene der Mutmaßungen. Auch unter Berücksichtigung der Herkunft des Angeklagten aus dem türkisch-muslimischen Kulturkreis ist nicht „allgemein begreiflich", dass ein (wie der Beschwerdeführer) bereits einmal von der (ersten) Gattin geschiedener Mann (S 47/I) aufgrund des Scheidungsbegehrens seiner mit ihm ebenfalls bereits in zweiter Ehe verheirateten Frau rund einen Monat nach der Antragstellung und 11 Tage nach Erwirkung eines gerichtlichen Wegweisungsbeschlusses aus der ehemals gemeinsamen Ehewohnung (vgl ON 168) ohne erkennbaren weiteren Anlass in einen (Tötungshemmungen hinwegfegenden) Gemütssturm gerät.

Die Tatsachenrüge (Z 10a) ist ebenso nicht begründet. Dieser Nichtigkeitsgrund liegt nämlich erst dann vor, wenn die Grenze der freien Beweiswürdigung überschritten wird, dh wo objektiv vernünftige Zweifel an der Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen offen bleiben. Derartige Zweifel auf der Ebene der intersubjektiven Überzeugungskraft vermag der Beschwerdeführer aber nicht aufzuzeigen.

Die Geschworenen konnten nämlich ihre Feststellung nicht nur auf den vom Angeklagten auch in der Beschwerde zugestandenen Umstand stützen, dass er seine Gattin wegen des von ihr betriebenen Scheidungs- und Wegweisungsverfahrens bereits Wochen und Tage vor der Tat wiederholt mit dem Umbringen bedroht hat, sondern - was vom Nichtigkeitswerber zu Unrecht in Abrede gestellt bzw übergangen wird - auch darauf, dass er sich nach dem (von ihm in der Hauptverhandlung bestätigten, vgl S 75/IV) Ergebnis der Rufdatenrückerfassung (S 473 ff/I) in einer engen zeitlichen und örtlichen Nahebeziehung zum Tatgeschehen befunden hat (vgl Lageplan S 29/II und Erhebungsbericht S 129 f/II), sowie darauf, dass die Tatumstände auf das Vorliegen eines „persönlich motivierten Tötungsdeliktes" hinweisen, bei der die Tat durch ein zwischen zwei Menschen bestehendes Aggressionspotenzial ausgelöst wird (Sachverständiger Dr. N***** S 9 f/III iVm S 231 f/IV). Die gegen die Richtigkeit der Feststellungen der Geschworenen in der Tatsachenrüge vorgetragene Argumentation überzeugt nicht. Der Beschwerde zuwider haben nämlich keineswegs sämtliche Tatzeugen den Täter als ca 1,80 m groß und damit deutlich größer als den Angeklagten beschrieben. Vielmehr trafen deren Größenschätzungen, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer erschwerten Sichtverhältnisse (Nachtzeit, perspektivische Verzerrung durch gegenüber dem Tatort erhöhte Standposition von Zeugen) durchaus auf den Angeklagten zu (vgl S 23/I sowie Zeugenaussage Insp. Sch***** S 341 f/IV).

Völlig ungeeignet zur Unterstützung der leugnenden Verantwortung des Nichtigkeitswerbers sind die Aussagen der Zeugen Rudolf H***** und Riza Ak***** in der Hauptverhandlung, wonach der Angeklagte nicht mit der von ihnen seinerzeit beobachteten Person ident sei (S 219 f und 383/IV); bezogen sich ihre seinerzeitigen Beobachtungen doch gar nicht auf das hier zu beurteilende Tatgeschehen (vgl S 217 und 285/I).

Das Fehlen konkret auf den Angeklagten als Täter hinweisender Spuren vermag ebenso wie die Auffindung der DNA-Spuren einer unbekannten dritten Person auf der Kleidung des Opfers die Feststellung der Täterschaft des Beschwerdeführers nicht zu erschüttern. Bei den gegebenen Tatumständen mussten nämlich keineswegs zwingend DNA-Spuren (insbesondere Blut, Speichel) vom Opfer auf den Täter (oder umgekehrt) übertragen worden sein. Andererseits kann die vorhandene fremde DNA-Spur leicht und völlig unabhängig vom Tatgeschehen (etwa durch Niesen) auf die Kleidung des Opfers aufgebracht worden sein (Gutachten der Sachverständigen Dr. D***** S 95 ff/IV und Dr. N***** S 249 ff/IV).

Letztlich ist die vom psychologischen Sachverständigen Dr. N***** nach der Untersuchung des Angeklagten getroffene Aussage, dieser sei generell nicht impulsiv und aggressiv, mit einem solchen aggressiven und impulsiven Handeln des Beschwerdeführers zur Tatzeit durchaus vereinbar (S 233/IV).

Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 11 lit b StPO liegt vor, wenn durch die Entscheidung über die Frage, ob die Verfolgung der Tat aus Gründen des Prozessrechtes ausgeschlossen ist, ein Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet worden ist. Die irrige Nichtannahme eines prozessualen Verfolgungshindernisses kann somit nur bezüglich eines vom Schuldspruch erfassten Lebenssachverhaltes geltend gemacht werden.

Dass das Verfahren gegen den Angeklagten wegen der (mehreren) Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB sowie § 107 Abs 1 StGB (Punkte I 1 und 2 der Anklageschrift ON 142) erst vor Schluss des Beweisverfahrens (zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität der Auslieferung mangels Zustimmung Bulgariens zur beantragten diesbezüglichen Nachtragsauslieferung des Angeklagten, vgl ON 150/III) ausgeschieden wurde (S 411/IV), die bis dahin erhobenen Beweisergebnisse jedoch unter Umständen auch Einfluss auf die Entscheidung der Geschworenen über die Mordanklage gehabt haben könnten, stellt den bezeichneten Nichtigkeitsgrund somit nicht her. Im Rahmen des Beweisverfahrens über die Mordanklage wäre zudem auch ohne Vorliegen des weiteren Verfolgungsantrages wegen § 107 Abs 1 und 2 StGB die Vernehmung von Zeugen über (der Tötung der Fatma Y***** vorangegangene, gegen sie gerichtete) gefährliche Drohungen des Angeklagten geboten und zulässig gewesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators, jedoch entgegen der hiezu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung - zu verwerfen. Das Geschworenengericht verhängte über Irfan Y***** nach § 75 StGB eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Bei der Strafzumessung wertete es als erschwerend die heimtückische, grausame Vorgangsweise; als mildernd den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten.

Mit seiner Berufung strebt der Rechtsmittelwerber eine schuldangemessene Herabsetzung der Freiheitsstrafe an. Das Geschworenengericht hat ausführlich begründet, warum es zur Überzeugung gelangte, die Tat sei sorgfältig vorbereitet, reiflich überlegt und rücksichtslos ausgeführt worden. Die mehrmaligen Ankündigungen des Mordes und das Versetzen von insgesamt 14 sehr tiefen Stichwunden, davon 11 in den Rückenbereich lassen diese Annahme tatsächlich gerechtfertigt erscheinen.

Mit der angeblichen Eifersucht hat sich das Erstgericht ausführlich auseinandergesetzt, deren Tatmotivation aber abgelehnt und aufgrund des persönlich gewonnen Eindruckes angenommen, der Angeklagte habe es bloß mit seiner Ehre nicht vereinbaren können, dass sich seine Ehefrau während der Ehe ihm widersetzte und zuletzt sogar die Scheidung einreichte. Auch diese Urteilsgründe sind nachvollziehbar und schließen die Eifersucht als Milderungsgrund aus. Zwar kann die Rückfallswahrscheinlichkeit im Rahmen von spezialpräventiven Überlegungen berücksichtigt werden, doch ergeben sich aus der rücksichtslosen Vorgangsweise des Angeklagten ein derart verwerflicher Charaktermangel und intensiver Täterwille, dass auch in Zukunft die Lösung von Beziehungsproblemen auf ähnliche Art als naheliegend angesehen werden kann.

Angesichts der vom Geschworenengericht im Wesentlichen richtig und vollständig festgestellten Strafzumessungstatsachen und der daran geknüpften Erwägungen entspricht die verhängte lebenslange Freiheitsstrafe dem hohen Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat. Die Berufung bringt nichts vor, was den Obersten Gerichtshof zur Verhängung einer zeitlichen Freiheitsstrafe bestimmmen könnte. Demnach war der Berufung ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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