OGH 10ObS22/15f

OGH10ObS22/15f24.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Ernst Bassler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Mag. Harald Redl, Rechtsanwalt in Bruckneudorf, gegen die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau, 1060 Wien, Linke Wienzeile 48‑52, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 19. Dezember 2014, GZ 7 Rs 131/14g‑45, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00022.15F.0324.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

1. Der 1970 geborene Kläger hat 1989 die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Maschinenschlosser erfolgreich abgelegt.

Nach einer achtmonatigen praktischen Verwendung auf Wechselstromlokomotiven, Wechselstromtriebwagen, Gleichstromlokomotiven und Gleichstromtriebwagen bestand er am 14. 6. 1996 die entsprechende fachtechnische Prüfung gemäß der einschlägigen Verordnung und die Prüfung betreffend Triebwagen mit Viertaktdieselmotoren. Er ist befähigter Betriebswärter für Lokomotiven. Seither ist er zur selbständigen Führung und Wartung von Wechselstromtriebfahrzeugen befugt. Am 25. 9. 1996 hat er die Dienstprüfung für Triebfahrzeugführer bestanden. Die Ausbildung zum Triebwagenführer dauerte damals 78 Wochen. Für die Ausübung dieses Berufs war zu dieser Zeit ein abgeschlossener Lehrberuf im technischen Bereich erforderlich.

Von Jänner 1998 bis März 2009 war er als Triebwagenführer beschäftigt. Bis 1986 mussten die Triebwagenführer die Wartungen und Reparaturen an den Maschinen vornehmen, danach waren andere dafür zuständig. Kleinere Reparaturen führte der Kläger während seiner Tätigkeit als Triebwagenführer mit kleinem Bordwerkzeug durch (Hammer, Inbusschlüssel, Kombizange, Blechplättchen zum Abdichten des Führerbremsventils, Dichtringe für die Bremsleitungen und Draht). Zu diesen Reparaturen zählten zB der Tausch von Sicherungen, das Lösen festsitzender Bremsen im Zug oder der Austausch des Führerbremsventils. Manche Störungen konnte er einfach mit einem Störschalter beheben. In einem Monat traten durchschnittlich zehn bis 15 derartige Störungen auf, von denen er etwa 80 % selbst beheben konnte.

Die Anforderungen der Tätigkeit als Triebwagenführer übersteigen das einschränkte medizinische Leistungskalkül des Klägers, mit dem Tätigkeiten oder Aufsichtstätigkeiten im Liefereingangsbereich etwa von Produktionsstätten vereinbar sind.

Das Erstgericht wies das auf Weitergewährung der seit 1. 8. 2011 bezogenen befristeten Invaliditätspension über den 31. 12. 2012 hinaus gerichtete Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Dem Kläger komme Berufsschutz weder als Maschinenschlosser noch als Triebwagenführer zu. Der Beruf eines Triebwagenführers sei kein angelernter Beruf.

Rechtliche Beurteilung

2. Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

2.1. Der Revisionswerber meint, die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zum Beruf eines Triebwagenführers und dazu fehle, ob ‑ wenn für die Tätigkeit eines Lokführers eine Stammberufsausbildung erforderlich ist ‑ „der Stammberuf bei dauerhafter Ausübung der Lokführertätigkeit berufsschutzerhaltend wirkt“.

2.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde legte, geht ein Berufsschutz nicht verloren, wenn in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in der Praxis nur noch Teiltätigkeiten des erlernten Berufs ausgeübt werden, sofern diese quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutend waren. Die Ausübung einer Teiltätigkeit, die sich qualitativ nicht hervorhebt und bloß untergeordnet ist, vermag einen vorher bestehenden Berufsschutz nicht aufrecht zu erhalten (RIS‑Justiz RS0084497 [T3]).

Bei der Frage, ob bestimmte Tätigkeiten berufsschutzerhaltend sind, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden kann (10 ObS 51/14v mwN). Die Frage, ob die Tätigkeiten, die der Versicherte noch im erlernten Beruf verrichtet hat, als quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutend angesehen werden können, kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (10 ObS 10/07d, RIS‑Justiz RS0084497 [T20, T26]).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die Durchführung der festgestellten etwa zehn bis 15 kleineren Reparaturen pro Monat während seiner Tätigkeit als Triebwagenführer weder in einem zeitlich noch inhaltlich ausreichendem Ausmaß ausgeübt hat, um seine Tätigkeit in ihrer Gesamtheit noch als Ausübung seines erlernten Berufs als Maschinenschlosser ansehen zu können, ist jedenfalls vertretbar. Es entspricht nämlich ständiger Rechtsprechung, dass ein erworbener Berufsschutz nur dann erhalten bleibt, wenn die spätere Tätigkeit in ihrer Gesamtheit noch als Ausübung des erlernten oder angelernten Berufs anzusehen ist (RIS‑Justiz RS0084497 [T1]). Entscheidend ist somit, ob ein Kernbereich der Ausbildung auch bei Ausübung einer bloßen Teiltätigkeit verwertet werden muss (RIS‑Justiz RS0084497 [T15]).

2.3. Ein angelernter Beruf iSd § 255 Abs 1 ASVG liegt vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, die jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Ein angelernter Beruf kann aber auch dann vorliegen, wenn es keinen gleichartig geregelten Lehrberuf gibt, die vom Versicherten verrichtete Tätigkeit nach den für sie in Betracht kommenden Voraussetzungen im Allgemeinen jedoch eine ähnliche Summe besonderer Kenntnisse oder Fähigkeiten erfordert, wie die Tätigkeiten in einem erlernten Beruf (RIS‑Justiz RS0084602, RS0084433 [T8]).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass bei Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen der Beruf eines Triebwagenführers kein angelernter Beruf ist, ist durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bereits gedeckt. Nach dieser ist der Beruf des Straßenbahnführers kein angelernter Beruf, zeigt doch die Dauer der hiefür notwendigen theoretischen (4‑6 Wochen) und praktischen Ausbildung (etwa drei Monate), dass die im Beruf des Straßenbahnführers geforderten Fähigkeiten und Kenntnisse jenen des am ehesten vergleichbaren Lehrberufs „Berufskraftfahrer“, der eine Ausbildungszeit von drei Jahren erfordert, nicht gleichwertig sein können (10 ObS 272/92 SSV-NF 6/147). Damit vergleichbar ist der Beruf des Triebwagenführers. Die Dauer der Ausbildung zu diesem Beruf (78 Wochen) erreicht die Dauer einer Lehrzeit bei weitem nicht. Dass die ÖBB 1996 für die Ausübung des Berufs des Triebwagenführers einen abgeschlossenen Lehrberuf im technischen Bereich forderten, führt nicht zur Qualifikation als angelernter Beruf, gehörten doch schon seit 1986 Reparaturen und Wartung der Triebwägen nicht mehr zur Tätigkeit eines Triebwagenführers. Für die Durchführung der festgestellten kleineren Reparaturen sind nach den tatsächlichen Annahmen der Vorinstanzen keine qualifizierten Kenntnisse oder Fähigkeiten notwendig.

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