European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00246.14D.0303.000
Spruch:
Aus Anlass der Revision werden die Entscheidungen der Vorinstanzen als nichtig aufgehoben.
Das bisherige Verfahren wird für nichtig erklärt.
Die Klage wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.694,72 EUR (darin 782,45 EUR USt und 3,67 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Klägerin begehrt die beklagte Partei zur Erteilung der Auskunft, welcher Mitarbeiter der Magistratsabteilung 48 am 23. 11. 2010 in der Zeit von 06:00 bis 10:00 Uhr in der Rankgasse, 1160 Wien, oder im Umkreis von 500 m von dieser entfernt, Dienst versehen habe, zu verpflichten. Von dieser Verpflichtung könne sich die beklagte Partei befreien, indem sie der Klägerin einen Betrag von 20.000 EUR bezahle.
Die Klägerin sei an diesem Tag um 07:05 Uhr von einem Mitarbeiter der MA 48 mit einem fahrbaren Mistkübel „auf Höhe der Rankgasse Tür Nr 4“ niedergestoßen worden und schwer verletzt am Boden liegen geblieben. Sie habe durch den Sturz einen Bruch beider Knöchel ‑ an der Innen‑ und Außenseite des linken Fußes ‑ erlitten und sei noch am selben Tage und zwei weitere Male operiert worden. Der Fuß sei durchgehend acht Wochen gar nicht belastbar gewesen. Die Schwellung an der Verletzungsstelle werde sich nicht mehr zurückbilden.
Es obliege der beklagten Partei als Gemeinde gemäß dem Wiener Abfallwirtschaftsgesetz die Entsorgung des Mülls, der im Gebiet des Landes Wien anfalle. Diese gesetzlich überbundene Aufgabe erfülle innerhalb der Gemeinde die MA 48, weshalb deren Mitarbeiter als Erfüllungsgehilfen der beklagten Partei anzusehen seien. Um diesen Mitarbeiter direkt in Anspruch nehmen zu können, habe die Klägerin versucht, jene Person, die sie tatsächlich niedergestoßen habe, zu eruieren. Die Beklagte sei aber bislang nicht bereit gewesen, deren Namen bekannt zu geben. Auch das Strafverfahren sei eingestellt worden, weil der Schädiger nicht habe ermittelt werden können. Da es ihr ansonsten nicht möglich sei, ihre Ansprüche geltend zu machen, sehe sich die Klägerin gezwungen, die Bekanntgabe der Identität des Schädigers auf gerichtlichem Weg durchzusetzen. Nach Erörterung der Rechtsgrundlage in der mündlichen Streitverhandlung stützte die Klägerin ihr Begehren „zusätzlich“ auf § 1295 Abs 2 ABGB. Der Schaden bestehe im vorliegenden Fall darin, dass infolge unrichtiger Auskunftserteilung die Klägerin nicht in der Lage sei, den Schaden gegen den direkten Schädiger geltend zu machen.
Die beklagte Partei bestritt und erwiderte, es bestehe kein Rechtsgrund für das Auskunftsbegehren. Weder bestehe ein Vertragsverhältnis noch sei § 1295 Abs 2 ABGB eine taugliche Anspruchsgrundlage. Überdies hat die beklagte Partei die begehrte Auskunft bereits erteilt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mangels Rechtsgrundlage ab. Es stellte fest, dass die beklagte Partei der Klägerin mit Schreiben vom 10. 1. 2013 zu Handen deren Rechtsvertretung mitteilte, ihre Recherchen hätten ergeben, dass zum angegebenen Unfallszeitpunkt am Unfallsort kein Mitarbeiter der MA 48 Dienst versehen habe und somit der Vorfall nicht durch deren Bedienstete verursacht worden sei.
Aus der gesetzlichen Überbindung von öffentlichen Aufgaben ‑ wie hier der Sammlung und Behandlung von Müll ‑ an die beklagte Partei und der ihr möglichen Einsichtnahme in Dienstpläne lasse sich keine rechtliche Verpflichtung zur Auskunft über einen potentiellen Schädiger ableiten. Wenn es eine solche Verpflichtung gäbe, hätte die beklagte Partei dieser bereits mit ihrem Schreiben entsprochen.
In der dagegen erhobenen Berufung verwies die Klägerin auf ihr Recht nach Art 20 Abs 4 B‑VG und dem Wiener Auskunftspflichtgesetz. Es sei jedermann, ohne dass eine besondere Beziehung der begehrten Auskunft zur Interessensphäre des Auskunftswerbers vorliegen müsse, berechtigt, von Organen des Bundes, der durch Bundesgesetz geregelten Selbstverwaltung, der Länder, der Gemeinden, der Gemeindeverbände und der durch Landesgesetz geregelten Selbstverwaltungskörper Auskünfte über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereichs, dass heiße im Hinblick auf die von ihnen zu besorgenden Aufgaben, zu begehren.
Die beklagte Partei wendete daraufhin in ihrer Berufungsbeantwortung ein, dass für Ansprüche nach dem Wiener Auskunftspflichtgesetz der Rechtsweg nicht zulässig sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Es führte aus, dass die Klägerin zugestehe, dass keine vertragliche Beziehung zwischen den Streitteilen bestehe. Auf eine Anspruchsgrundlage nach § 1295 Abs 2 ABGB sei die Klägerin in ihrer Berufung nicht zurückgekommen, auf eine solche nach dem Wiener Auskunftspflichtgesetz habe sie sich aber im Verfahren erster Instanz nicht gestützt; damit handle es sich um eine unzulässige Neuerung. Es sei zwar zutreffend, dass bei unrichtiger oder unvollständiger Auskunftserteilung ein Anspruch nach Art 23 B‑VG und dem dazu ergangenen Amtshaftungsgesetz bestehe, soweit die sonstigen Voraussetzungen dafür vorlägen, einen solchen mache die Klägerin aber gar nicht geltend.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision mangels höchstgerichlticher Rechtsprechung zur zivilrechtlichen Durchsetzbarkeit eines Auskunftsbegehrens wie im vorliegenden Fall zulässig sei.
In der Revision wiederholt die Klägerin ihren Standpunkt, mit der Verweigerung der richtigen Auskunft gehe für die Klägerin der Verlust der Möglichkeit der Geltendmachung ihrer berechtigten Schadenersatzansprüche einher. Sie führt aus, wenn sie doch ansonsten den durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten eines Bediensteten der Stadt Wien entstandenen Schaden mangels Kenntnis von der Identität des konkreten Schädigers und insbesondere aufgrund des damit einhergehenden Beweisnotstands nicht durchsetzen könne, müsse daher der Auskunftsanspruch zustehen, und verweist auf in der Rechtssprechung bereits anerkannte Auskunftsansprüche etwa gegen den Anfechtungsgegner und im Zusammenhang mit Unterhaltsansprüchen. Auch der eventualiter geltend gemachte Schadenersatzanspruch wäre zu prüfen gewesen.
Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
1.1. Aus Anlass der Revision des Klägers ist die Nichtigkeit der Entscheidungen der Vorinstanzen und des vorangegangenen Verfahrens sowie die Unzulässigkeit der Klagsführung wahrzunehmen.
1.2. Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist eine absolute, in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung (auch) von Amts wegen wahrzunehmende Prozessvoraussetzung (RIS‑Justiz RS0046249 [T4]; RS0046861 [T5]; Garber in Fasching/Konecny³ I § 42 JN Rz 15). Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über die Voraussetzung (vgl RIS-Justiz RS0046564 [T1]).
Eine den Obersten Gerichtshof nach § 42 Abs 3 JN bindende Entscheidung liegt nicht vor. Die Vorinstanzen haben nämlich über eine Unzulässigkeit des Rechtswegs weder im Spruch noch in den Gründen ihrer Entscheidungen abgesprochen. Die bloß implizite Bejahung der Zulässigkeit des Rechtswegs durch die meritorische Behandlung des Begehrens reicht für die Annahme einer der Wahrnehmbarkeit des Mangels der Prozessvoraussetzung entgegenstehenden bindenden Entscheidung, die das Prozesshindernis verneint hätte, nicht aus (RIS-Justiz RS0046249 [T3, T5, T7]).
1.3. Für die Zulässigkeit des Rechtswegs nunmehr vor den ordentlichen Gerichten iSd Art 82 ff B‑VG ist in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt (die Klagsbehauptungen) maßgebend. Es kommt auf die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruchs an. Danach ist zu beurteilen, ob ein privatrechtlicher Anspruch iSd § 1 JN erhoben wurde, über den die Zivilgerichte zu entscheiden haben (stRsp: RIS‑Justiz RS0045584; RS0045718; RS0005896; Mayr in Rechberger ZPO4 Vor § 1 JN Rz 6). Unerheblich ist, ob der behauptete Anspruch berechtigt ist, weil hierüber erst in der Sachentscheidung abzusprechen ist (RIS‑Justiz RS0045718; RS0045491).
Unter bürgerlich-rechtlichen Ansprüchen sind iSd § 1 JN jene anspruchsbegründenden rechtlichen Regelungen zu verstehen, die auf Gleichordnung beruhende Rechtsbeziehungen zwischen beliebigen Rechtssubjekten zum Gegenstand haben (Posch in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 1 Rz 4 f; F. Bydlinski in Rummel, ABGB³ I § 1 Rz 6 ff; Ballon in Fasching/Konecny ³ I § 1 JN Rz 64 f, je mwN; vgl RIS‑Justiz RS0045438). Über Zivilrechtsansprüche können nach der durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (BGBl I 2012/51) geschaffenen Rechtslage sowohl die ordentlichen Gerichte als auch Verwaltungsbehörden entscheiden (Ballon in Fasching/Konecny ³ I § 1 JN Rz 66). Die Kompetenz der ordentlichen Gerichte hängt davon ab, ob ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch geltend gemacht wird, der nicht ausdrücklich durch das Gesetz vor eine andere Behörde verwiesen wird (§ 1 JN; 1 Ob 193/01s ua; RIS‑Justiz RS0045584 [T32]; Ballon in Fasching/Konecny ³ I § 1 JN Rz 61).
2.1. Nach dem Gesetz über die Vermeidung und Behandlung von Abfällen und die Einhebung einer hierfür erforderlichen Abgabe im Gebiet des Landes Wien (Wiener Abfallwirtschaftsgesetz ‑ Wr. AWG, LGBl 1994/13) obliegt der Gemeinde Wien zum Schutz des öffentlichen Interesses die Sammlung und Abfuhr des Mülls, der im Gebiet des Landes Wien angefallen ist, durch die öffentliche Müllabfuhr (§ 16 Wr. AWG). Die Gemeinde Wien hat die in diesem Gesetz geregelten Aufgaben im eigenen Wirkungskreis zu besorgen (§ 49 Wr. AWG in der Stammfassung; nunmehr § 48 Abs 2 Wr. AWG [idF LGBl 2013/31]).
Die Gemeinde Wien handelt bei der Hauskehrichtabfuhr als Träger von Hoheitsrechten und nicht im Rahmen der privaten Wirtschaftsverwaltung (vgl RIS‑Justiz RS0050144; vgl auch RIS‑Justiz RS0096639; RS0049943 [T1]).
2.2. Gemäß dem Wiener Auskunftspflichtgesetz (LGBl 1988/20 sowohl in der zum Zeitpunkt des Vorfalls und der Klage anzuwendenden [LGBl 1999/29] als auch in der geltenden Fassung [LGBl 2013/33]) haben die Organe des Landes und der Gemeinde Wien sowie der durch Landesgesetz geregelten Selbstverwaltung über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskunft zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht (§ 1 Abs 1 Wiener Auskunftspflichtgesetz). Die Auskunft ist eine Wissenserklärung und hat auf dem Wissen zu beruhen, über das ein auskunftspflichtiges Organ in dem Zeitpunkt verfügt, in dem das Auskunftsbegehren bei ihm einlangt (Abs 2 leg cit). Jedermann hat das Recht, Auskünfte zu verlangen (Abs 3 leg cit).
Die Gemeindeorgane besorgen die im Wiener Auskunftspflichtgesetz geregelten Aufgaben im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (§ 4 Wiener Auskunftspflichtgesetz). Die Auskunft ist ohne nötigen Aufschub, spätestens aber acht Wochen nach dem Einlangen des Begehrens bei dem zuständigen Organ, zu erteilen (§ 3 Abs 2 Wiener Auskunftspflichtgesetz). Wird die Auskunft ausdrücklich verweigert oder nicht fristgerecht erteilt, hat das Organ auf Antrag des Auskunftswerbers innerhalb von drei Monaten ab Antrag mit schriftlichen Bescheid zu entscheiden, ob die Auskunft zu erteilen ist (§ 3 Abs 3 Wiener Auskunftspflichtgesetz).
§ 3 Abs 6 Wiener Auskunftspflichtgesetz ordnet an, dass für das in § 3 vorgesehene Verfahren das AVG gilt, sofern nicht für die Sache, in der Auskunft begehrt wird, ein anderes Verfahrensgesetz anzuwenden ist. Mit dem Landesgesetz LGBl 2013/33 wurde eine Beschwerde gegen nach diesem Gesetz ergangene Bescheide an das Verwaltungsgericht Wien eingerichtet (§ 3 Abs 6 Wiener Auskunftspflichtgesetz).
2.3. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs dient die Auskunftspflicht dem Zweck, Informationen zu gewinnen, über die der Antragsteller nicht verfügt, an denen er jedoch ein konkretes Auskunftsinteresse besitzt (VwGH 2014/02/0006). Den Bestimmungen des Wiener Auskunftspflichtgesetzes könne nicht entnommen werden, dass eine Behörde die Auskunft verweigern dürfe, wenn die Auskunft gegebenenfalls ‑ mittelbar ‑ im Weg der Amtshilfe im Rahmen eines (zivil-)gerichtlichen Verfahrens erwirkt werden könne. Werde eine gemäß § 1 Wiener AuskunftspflichtG verlangte Auskunft im Rahmen eines Zivilprozesses zur Durchsetzung möglicher Ansprüche benötigt, müsse bei Abwägung der Interessen der an diesem gerichtlichen Verfahren Beteiligten darauf Bedacht genommen werden, dass die verlangte Auskunft geeignet sein könne, als Mittel zur Herbeiführung eines dem Gesetz entsprechenden Ergebnisses (im Beschwerdefall die Beseitigung der durch eine allfällige Verletzung der guten Sitten im Wettbewerb iSd § 1 UWG entstandenen Folgen) zu dienen. Es entspreche daher nicht dem Sinn des im Art 20 Abs 3 B‑VG verankerten Gebotes der Interessenabwägung, den Beschwerdeführern die verlangte Auskunft lediglich mit dem Hinweis darauf zu verweigern, dass sie im wirtschaftlichen Wettbewerb benötigt werde (VwGH 92/05/0131).
3. Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei eine (richtige) Auskunft darüber, welcher Mitarbeiter der Magistratsabteilung 48 am 23. 11. 2010 in der Zeit von 06:00 bis 10:00 Uhr in der Rankgasse, 1160 Wien, oder im Umkreis von 500 m von dieser entfernt, Dienst versehen habe; damit begehrt sie Auskunft über eine Angelegenheit des Wirkungsbereichs der beklagten Partei als Gemeinde. Einen Schadenersatzanspruch macht sie nach der Klagserzählung nicht geltend. Die Einräumung einer facultas alternativa gemäß § 410 ZPO bleibt für die Einordnung des Anspruchs ohne Auswirkungen, weil eine solche Erklärung nicht Entscheidungsgegenstand ist (RIS‑Justiz RS0041477; RS0041484; RS0041467; Fucik in Fasching/Konecny ² III § 410 ZPO Rz 6).
Den Anspruch auf Auskunft gegenüber der Stadt Wien über die hier betroffene Angelegenheit hat der Gesetzgeber der Behandlung im Verwaltungsverfahren zugewiesen. Demnach ist ein solcher Anspruch den ordentlichen Gerichten wegen des Grundsatzes der Trennung von Justiz und Verwaltung (Art 94 Abs 1 B‑VG) entzogen. Die Gerichtsbarkeit wird (nur) in bürgerlichen Rechtssachen (und nur) soweit dieselben nicht durch besondere Gesetze vor andere Behörden oder Organe verwiesen sind ausgeübt (§ 1 JN).
Für Ansprüche auf Erteilung einer Auskunft über Angelegenheiten, die in den Wirkungsbereich des Landes oder der Gemeinde Wien fallen, ist der Zivilrechtsweg nicht zulässig.
4. Die Kostenentscheidung gründet auf § 51 Abs 1 ZPO. Es ist der Klägerin als Verschulden anzulasten, dass sie das Verfahren trotz eines bestehenden absoluten Prozesshindernisses einleitete, obwohl der geltend gemachte Anspruch bereits nach der Klagserzählung auf eine Auskunft einer Behörde über eine Angelegenheit ihres Wirkungsbereichs gerichtet war.
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