European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0050OB00022.15V.0224.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Am 28. 6. 2005 wurde der Klägerin in der beklagten Krankenanstalt eine Hüft-Totalendoprothese rechts implantiert. Die Operation verlief komplikationslos. Nach ihrer Entlassung erlitt sie eine Luxation des operierten Hüftgelenks.
Mit ihrer am 8. 2. 2011 beim Erstgericht eingebrachten Klage macht die Klägerin Ansprüche geltend, die sie aus der mangelnden Aufklärung über Risiken der Operation einerseits und der Nachsorge andererseits sowie aus einer Fehlbehandlung der am 6. 7. 2005 aufgetretenen Luxation ableitet. Bei der Nachoperation vom 27. 11. 2006 habe sich herausgestellt, dass es zu einer irreversiblen Schädigung des nervus gluteus superior gekommen sei.
Das Erstgericht bejahte die von der Beklagten eingewendete Verjährung ihrer Ansprüche.
Mit seinem Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO verwarf das Berufungsgericht die Einrede der Verjährung und trug dem Erstgericht die Ergänzung des Verfahrens auf. Die ordentliche Revision erklärte es für nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, die keine Rechtsfragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO anspricht.
1. Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre beginnt die Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB zu laufen, wenn dem Geschädigten der Sachverhalt so weit bekannt ist, dass er mit Aussicht auf Erfolg klagen kann, also in der Lage ist, das zur Begründung seines Ersatzanspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RIS‑Justiz RS0034524; RS0034374 [T1]; M. Bydlinski in Rummel, ABGB³ § 1489 Rz 3; Mader/Janisch in Schwimann, ABGB³ § 1489 Rz 9). Die Revisionswerberin vertritt dazu den Standpunkt, dass der Klägerin bereits bei Aufsuchen der Patientenanwältin am 17. 11. 2005 „objektiv bewusst war, dass nach ihrer Überzeugung die Behandlungsmaßnahmen inklusive Nachbetreuungs-maßnahmen und auch der Aufklärung nicht erfolgreich und lege artis erfolgten“. Auch unter Berücksichtigung der Fristhemmung gemäß § 58a ÄrzteG, die im konkreten Fall ein Jahr, drei Monate und neun Tage betragen habe, seien die Ansprüche der Klägerin daher verjährt.
2. Die Kenntnis gemäß § 1489 ABGB muss den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RIS‑Justiz RS0034951 [T1, T2, T4 bis T7] uva). Hat der Geschädigte als Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, so beginnt die Verjährung nicht zu laufen (RIS‑Justiz RS0034603). Wann eine ausreichende Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen anzunehmen ist, hängt stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0034524 [T23, T41]).
3. Anlass für die Klägerin, die Patientenanwältin aufzusuchen, bestand naturgemäß nur, wenn sie bereits haftungsbegründende Umstände vermutete. Dabei mag es durchaus zutreffen, wie die Beklagte betont, dass sie bereits zu diesem Zeitpunkt von deren Vorliegen subjektiv überzeugt gewesen sein mag. Dem Sachverhalt lassen sich aber keine Umstände entnehmen, dass diese Überzeugung auf objektiven Grundlagen beruht hätte. Ohne objektivierbare Anhaltspunkte stellen solche Schlussfolgerungen aber bloß Mutmaßungen dar, die nach der Rechtsprechung keine Kenntnis der erforderlichen Sachzusammenhänge begründen (RIS‑Justiz RS0034524 [T6, T18]).
4.
Richtig ist, dass sich der Geschädigte nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen darf, dass er von der Person des Ersatzpflichtigen oder von den genauen Umständen einer Ersatzpflicht eines Tages zufällig Kenntnis erhält. Wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RIS‑Justiz RS0034327; vgl auch RS0034366). Bereits in der Entscheidung 4 Ob 144/11x hat der Oberste Gerichtshof in Beurteilung eines vergleichbaren Sachverhalts dargelegt,
dass der Geschädigte seiner Obliegenheit, Schritte zur Objektivierung seiner „Überzeugung“ zu setzen, auch dadurch nachkommt, dass er sich zur Durchsetzung seiner Ansprüche an die Patientenvertretung wendet, weil er damit rechnen kann, dass im folgenden Schlichtungsverfahren ein Gutachten eingeholt werden würde. Das trifft auch auf die Klägerin zu, die sich erst an die Patientenanwältin wendete, nachdem auch mehrere Arztbesuche nicht den gewünschten Heilungsverlauf gebracht hatten, und in weiterer Folge die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens veranlasste. In einem solchen Fall würde es eine Überspannung der Erkundigungspflicht des Geschädigten darstellen, wollte man von ihm die Einholung eines Privatgutachtens verlangen (vgl auch RIS‑Justiz RS0034327 [T2]).
5.
Hätte das im Schlichtungsverfahren eingeholte Gutachten vom 12. 2. 2009 oder die über die Vertretung der Klägerin veranlasste Ergänzung vom 9. 4. 2009 objektive Anhaltspunkte für einen Behandlungs‑ oder Aufklärungsfehler ergeben, wäre dadurch die Verjährung in Gang gesetzt worden (vgl 4 Ob 144/11x). In diesem Fall wäre die von der Klägerin am 8. 2. 2011 eingebrachte Klage jedenfalls rechtzeitig gewesen. Dass die Kommission in ihrer Sitzung vom 28. 9. 2009 festgehalten hat, ein Behandlungs- und Aufklärungsfehler liege nicht vor, bedeutet in diesem Zusammenhang allenfalls, dass die von der Klägerin erhobene Klage möglicherweise nach wie vor auf Mutmaßungen beruht, erlaubt aber nicht den Schluss, eine Klageführung wäre bereits im November 2005 objektiv möglich gewesen, wie die Beklagte offensichtlich meint. Ein objektiver Anhaltspunkt und damit ausreichende Kenntnis der maßgeblichen Sachzusammenhänge kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Versicherung der Beklagten bereits mit Schreiben vom 22. 3. 2006 eine Übernahme der Haftung ablehnte. Damit begründet es aber keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit auch in einem Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, wenn es den Zeitpunkt der Nachoperation am 27. 11. 2006, die der Klägerin die Kenntnis über die irreversible Schädigung des nervus gluteus superior brachte, als fristauslösend heranzog und unter Berücksichtigung der auch von der Beklagten zugestandenen
Verjährungshemmung nach § 58a ÄrzteG (vgl dazu RIS‑Justiz RS0121579) von einem Jahr drei Monaten und neun Tagen zum Ergebnis gelangte, dass bei Klageerhebung noch keine Verjährung eingetreten war.
6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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