European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00230.14Y.0217.000
Spruch:
1. Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
2. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung
Die Klägerin verfügt über eine Bewilligung für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung mit Automaten in Automatensalons in Oberösterreich nach dem Oö GlücksspielautomatenG. Sie betreibt Automaten unter anderem am Standort Steyr. Die Beklagte betreibt in S***** ein Lokal, in dem zwei Glücksspielautomaten aufgestellt sind. Bei den darauf installierten Spielen handelt es sich um Glücksspiele, bei denen die Entscheidung über das Spielergebnis (Gewinn oder Verlust) ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängt. Das Glücksspiel wird als Ausspielung durchgeführt, wobei der Spieler den Einsatz pro Spiel mit mindestens 20 Cent und höchstens 10,50 EUR festlegen kann. Der Sachverhalt weist keinen Auslandsbezug auf.
Die Klägerin beantragt, der Beklagten mit Urteil und einstweilige Verfügung zu verbieten, Geräte für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu betreiben oder einem Dritten den Betrieb von Geräten für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu ermöglichen, insbesondere durch Aufstellung und/oder Zugänglichmachung solcher Geräte, insbesondere in ihrem Lokal, solange sie oder der Dritte, dem sie die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung ermöglicht, nicht über die dafür erforderliche Konzession oder behördliche Bewilligung verfügt. Damit verbunden stellt sie auch ein Veröffentlichungsbegehren. Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten dürfe nur mit behördlicher Bewilligung erfolgen. Da die Beklagte über keine solche Bewilligung verfüge, betreibe sie ein illegales Glücksspiel. Dadurch verstoße sie gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG (Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch).
Die Beklagte wendet ein, die Verbotsbestimmungen des Glücksspielgesetzes seien unanwendbar, weil das Glücksspielmonopol unionsrechtswidrig sei. Nach der zuletzt ergangenen Entscheidungen des EuGH in der Rechtssache C‑390/12, Pfleger, stehe Art 56 AEUV einer nationalen Beschränkung des Glücksspiels entgegen, sofern diese nicht wirklich das Ziel des Spielerschutzes oder der Kriminalitätsbekämpfung verfolge und nicht tatsächlich dem Anliegen entspreche, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen. Diese Voraussetzungen seien in Österreich nicht erfüllt. Darauf könne sich wegen der verfassungsrechtlich unzulässigen Inländerdiskriminierung (Art 7 B‑VG) auch die Beklagte berufen. Eine Ungleichbehandlung von Inländern und Angehörigen anderer Mitgliedstaaten bedürfe einer hier nicht erkennbaren sachlichen Rechtfertigung. Jedenfalls sei die Rechtsansicht der Beklagten vertretbar; daher bestehe kein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Die Beklagte veranstalte in ihrem Lokal Ausspielungen im Sinn des § 2 Abs 1 GlSpG. Da ihre Automaten Einsätze von mehr als 10 EUR ermöglichten, unterlägen diese Ausspielungen nach § 3 GlSpG dem Glücksspielmonopol des Bundes. Mangels Konzession greife der Beklagte in dieses Monopol ein. Ein allfälliger Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit erfasse nur Sachverhalte mit einem transnationalen Element, das hier nicht vorliege.
Das Rechtsmittelgericht gab den gegen diese Entscheidungen gerichteten Rechtsmitteln nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig seien.
Die im Unionsrecht garantierten Grundfreiheiten, so auch die Dienstleistungsfreiheit, erfassten nur Sachverhalte mit einem transnationalen Element. Hier liege demgegenüber ein reiner Inlandssachverhalt vor. Eine verfassungswidrige Inländerdiskriminierung liege nicht vor. Das Unionsrecht hindere Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht, Normen im innerstaatlichen Bereich aufrecht zu erhalten, die bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Anknüpfungspunkts als unzulässige Beschränkung der Art 56 ff AEUV zu qualifizieren und aufgrund von deren vorrangiger Wirkung nicht anzuwenden wären. Der Verfassungsgerichtshof habe gegen die zahlenmäßige Beschränkung der Konzession sowie das Erfordernis eines Mindestkapitals keine Bedenken im Sinn des Gleichheitsgrundsatzes gehabt; der Oberste Gerichtshof habe in gleichgelagerten Fällen ebenso wenig Bedenken gegen die Verfassungskonformität der Regelungen des GlSpG gehabt. Eine vertretbare Rechtsansicht liege angesichts der gefestigten (lauterkeitsrechtlichen) Rechtsprechung der Zivilgerichte zu vergleichbaren Sachverhalten nicht vor, verfassungsrechtliche Bedenken fehlten ebenso.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der sie ausdrücklich auch die vom Gericht zweiter Instanz bestätigte einstweilige Verfügung bekämpft. Insofern ist das Rechtsmittel als außerordentlicher Revisionsrekurs zu behandeln. Die Beklagte strebt die Abweisung des Klagebegehrens und des Sicherungsantrags an.
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der außerordentlichen Revision der Beklagten, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt, der außerordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Zur außerordentlichen Revision:
1. Der Senat hat in der Entscheidung 4 Ob 145/14y (= ÖBl 2015, 18 [Isak] ‑ Landesausspielung) dargelegt, dass sich ein Mitbewerber in der Fallgruppe „Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch“ nicht darauf berufen kann, er habe in vertretbarer Weise annehmen können, die angeblich übertretene Norm sei aus unionsrechtlichen Gründen unanwendbar und verstoße gegen höherrangiges nationales Recht, die Unionsrechtswidrigkeit und/oder der Verstoß gegen höherrangiges nationales Recht daher grundsätzlich im lauterkeitsrechtlichen Verfahren zu prüfen ist, eine Unionsrechtswidrigkeit zur Abweisung der Klage und Bedenken in Bezug auf einen Verstoß gegen höherrangiges nationales Recht zu einer Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof ‑ allenfalls auch durch die in erster Instanz unterlegene Partei iSv Art 39 Abs 1 Z 4 oder Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG („Gesetzesbeschwerde“) ‑ führen müsste, die Unvereinbarkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes mit der primärrechtlichen Dienstleistungs‑ oder Niederlassungsfreiheit in rein nationalen Fällen nicht zur Unanwendbarkeit dieser Bestimmungen führte, sondern allenfalls eine verfassungsrechtlich unzulässige und daher vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmende Inländer-diskriminierung bewirken könnte.
An dieser Entscheidung, die grundsätzlich auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen wird und die aus unionsrechtlicher Sicht Zustimmung gefunden hat (Isak aaO), ist festzuhalten (4 Ob 200/14m).
2. Der EuGH macht die (unionsrechtliche) Zulässigkeit des Glücksspielmonopols nicht nur von der Zielsetzung des Gesetzgebers, sondern auch von der tatsächlichen Wirkung der Regelungen abhängig. Der Staat hat dabei dem Gericht alle Umstände „darzulegen“, anhand deren „dieses Gericht sich vergewissern kann“, dass diese Bedingungen erfüllt sind. Die Vorlage einer empirischen Untersuchung sei aber nicht zwingend erforderlich (4 Ob 200/14m).
3. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist nationales Glücksspielrecht grundsätzlich an der Dienstleistungsfreiheit des Unionsrechts zu messen. Werden dessen Vorgaben nicht eingehalten, ist das Monopol unionsrechtswidrig. Dies führte in Sachverhalten mit Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat zur Unanwendbarkeit aller Bestimmungen des GlSpG, die das Monopol normieren und seine Umsetzung regeln. Folge davon wäre unter Umständen die Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Bestimmungen, soweit diese aus unionsrechtlicher Sicht in rein nationalen Sachverhalten weiter anwendbar wären. Darüber hätte der Verfassungsgerichtshof zu entscheiden (4 Ob 200/14m mwN).
4. Auf dieser Grundlage ist die Sache nicht entscheidungsreif.
4.1. Aus den gesetzlichen Bestimmungen als solchen ist nicht abzuleiten, dass die Ausgestaltung des Glücksspielrechts nicht dem Ziel des Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung diente. Insbesondere können die Regelungen über die Erforderlichkeit und die Voraussetzungen von Konzessionen für das „große“ Glücksspiel und die Beschränkungen für „Landesausspielungen“ (§ 5 GlSpG) als erforderliche und verhältnismäßige Maßnahmen verstanden werden, um den offenbar bestehenden und sonst auf illegale Weise befriedigten Spieltrieb eines nicht vernachlässigbaren Teils der Bevölkerung in geordnete Bahnen zu lenken und so ein größeres Übel zu verhindern. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass auch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zuletzt keine Veranlassung für eine unionsrechtsbedingte Nichtanwendung, amtswegige Gesetzesprüfung oder Anfechtung der Verbotsbestimmungen des Glücksspielgesetzes gesehen haben (4 Ob 200/14m mwN).
4.2. Die ‑ eine Vorfrage für eine allfällige Verfassungswidrigkeit bildende ‑ Unionsrechtskonformität des Glücksspielgesetzes hängt nach der Rechtsprechung des EuGH allerdings auch von tatsächlichen Umständen ab. Die einschlägigen Regelungen müssen in ihrer Gesamtheit dazu führen, dass die Gelegenheit zum Spiel verringert und die damit verbundene Kriminalität bekämpft wird. Diese Bedingung wäre etwa dann nicht erfüllt, wenn es trotz der vordergründig restriktiven Ausgestaltung des Glücksspielrechts in den letzten Jahren ‑ auch unter Bedachtnahme auf Landesausspielungen iSv § 5 GlSpG und die konkrete Geschäftstätigkeit von Konzessionären ‑ zu einer Ausweitung der Spielsucht samt den damit verbundenen Problemen gekommen wäre. Dazu werden die Parteien in erster Instanz ein konkretes, mit Beweisanboten belegtes Vorbringen zu erstatten haben; dem Bund wird Gelegenheit zu geben sein, sich dazu in Form einer gutachterlichen Stellungnahme zu äußern (1 Ob 71/13t).
4.3. Aufgrund der dann zu treffenden Feststellungen wird das Erstgericht zu beurteilen haben, ob die Regelungen des Glücksspielrechts den Anforderungen des Unionsrechts entsprechen. Dabei können die vom EuGH zu Verwaltungs‑ bzw Strafverfahren getroffenen Aussagen über die Darlegungspflicht des Staats (zuletzt etwa C‑390/12, Pfleger) in einem zivilrechtlichen Verfahren schon mangels Parteistellung des Staats nicht unmittelbar herangezogen werden (2 Ob 243/12t). Grundsätzlich ist die Vereinbarung von nationalem Recht mit Unionsrecht aber ohnehin als Rechtsfrage von Amts wegen zu prüfen, sodass sich Fragen zu einer derartigen Darlegungspflicht (Behauptungslast) nicht stellen. Können aber bei Regelungen, bei denen ‑ wie hier ‑ sowohl der Wortlaut als auch die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers (vgl etwa die Materialien zur GSpG‑Nov 2010, BGBl I 2010/73: 657 BlgNR 24. GP 3 [RV], 784 BlgNR 24. GP 1 [AB]) gegen die Annahme eines Unionsrechtsverstoßes sprechen, ausnahmsweise tatsächliche Umstände zu einem anderen Ergebnis führen, so hat sich diese Prüfung grundsätzlich an diesbezüglichen Parteienbehauptungen zu orientieren. Dabei trifft hier die beklagte Partei die Verpflichtung zur Behauptung entsprechender Tatsachen, weil es sich beim Einwand der Unionswidrigkeit um eine anspruchsvernichtende Einwendung handelt (vgl RIS‑Justiz RS0106638, RS0109287). Da allerdings die Geltung oder Anwendbarkeit eines Gesetzes letztlich nicht von Behauptungen oder Beweisanboten einer Partei abhängen kann, wird das Erstgericht dann, wenn es aufgrund konkreter Anhaltspunkte Zweifel an der Unionsrechtskonformität des Glücksspielrechts haben sollte, auch von Amts wegen entsprechende Beweise aufnehmen und Feststellungen treffen müssen. Verbleiben letztendlich Zweifel über die zu prüfenden Tatsachen, liegt also ein non‑liquet vor, geht dies zu Lasten der damit beweisbelasteten beklagten Partei (RIS‑Justiz RS0037797).
4.4. Sollten die Regelungen des Glücksspiels danach nicht den Anforderungen des Unionsrechts entsprechen, bestünden wegen der in diesem Fall drohenden Inländerdiskriminierung Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Glücksspielmonopols. Dies müsste zu einer Anfechtung der relevanten Bestimmungen ‑ also zumindest der Anordnung eines Monopols (§ 3 GlSpG), der Bezeichnung von nicht ausdrücklich erlaubten oder vom Monopol ausgenommenen Ausspielungen als verboten (§ 2 Abs 4 GlSpG) und der entsprechenden Verwaltungsstrafbestimmung (§ 52 Abs 1 Z 1 GlSpG) ‑ beim Verfassungsgerichtshof führen. Nach einer stattgebenden Entscheidung des Erstgerichts stünde der Beklagten zudem ein Parteiantrag auf Normenkontrolle iSv § 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG offen. Die Beurteilung der Frage, ob eine verfassungsrechtlich relevante Inländerdiskriminierung das tatsächliche Tätigwerden von ausländischen Anbietern auf dem österreichischen Markt voraussetzt oder ob eine solche Diskriminierung für eine gewisse Zeit zur Herstellung eines unionsrechtskonformen Zustands hinzunehmen ist, obläge ausschließlich dem Verfassungsgerichtshof (4 Ob 200/14m mwN).
5. Aus diesen Gründen sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben. Dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
Zum außerordentlichen Revisionsrekurs:
1. Die Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist durch die Rechtsprechung des Senats, insbesondere durch die Entscheidung 4 Ob 145/14y, gedeckt. Das Rechtsmittel zeigt keine Gründe auf, weswegen schon im Sicherungsverfahren tragfähige Feststellungen zur allfälligen Unionsrechtswidrigkeit der anwendbaren glücksspiel-rechtlichen Bestimmungen getroffen werden könnten.
2. Die Frage einer allfälligen Sicherheitsleistung hat die Beklagte im Rekursverfahren nicht releviert, obwohl das Erstgericht ungeachtet ihres erstinstanzlichen Vorbringens die einstweilige Verfügung nicht vom Erlag einer Sicherheitsleistung abhängig machte. Der erst in dritter Instanz gestellte Eventualantrag, die einstweilige Verfügung von einer Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000 EUR abhängig zu machen, erweist sich daher als unzulässig.
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