OGH 1Ob71/13t

OGH1Ob71/13t27.6.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** P*****, vertreten durch Dr. Gerald Haas und andere Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei b***** Ltd., *****, Malta, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 123.148,24 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. Jänner 2013, GZ 3 R 225/12x-22, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 17. Oktober 2012, GZ 6 Cg 19/12v-17, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.830,60 EUR (darin enthalten 305,10 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Die beklagte Partei, eine Gesellschaft maltesischen Rechts mit Sitz auf Malta, ist Teil eines multinationalen Online-Spiele-Konzerns. Sie betreibt über eine Website Online-Glücksspiele und Online-Sportwetten und verfügt über maltesische Lizenzen, welche sie zur Veranstaltung von Glücksspielen in und außerhalb Maltas berechtigten, nicht aber über österreichische. Die klagende Verbraucherin spielte über diese Website Poker und Roulette. Dabei verlor sie vom 24. 10. 2009 bis 26. 7. 2011 den eingeklagten Betrag von 123.148,24 EUR.

Die Klägerin stützte ihr Begehren auf Ersatz ihrer Spielverluste - soweit für das Rekursverfahren relevant - auf eine Verletzung des in Österreich unstrittig bestehenden Glücksspielmonopols und die sich daraus ergebende Nichtigkeit der mit der beklagten Partei geschlossenen Glücksspielverträge.

Die beklagte Partei wendete insbesondere ein, dass das österreichische Glücksspielmonopol gegen die durch das Unionsrecht garantierte Dienstleistungsfreiheit verstoße.

Das Erstgericht schloss sich diesem Standpunkt an und wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Zum Verstoß des österreichischen Glücksspielmonopols gegen das Unionsrecht verwies es auf die Judikatur des Gerichtshofs der Union (EuGH), die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs durch ein derartiges Monopol nur zulasse, wenn dieses auf die Gewährleistung eines besonderen Verbraucherschutzniveaus und nicht etwa auf das Wachstum des gesamten Markts für Spieltätigkeiten (expansionistische Geschäftspolitik) abziele. Die nationalen Gerichte müssten unabhängig davon, in welchem Verfahren sie befasst worden seien, alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Wirtschaftsteilnehmer in einem Mitgliedstaat das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr ausüben können. Dabei obliege es dem Mitgliedstaat, der sich auf ein Ziel berufen möchte, mit dem sich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen ließe, dem Gericht, das über diese Frage zu entscheiden habe, alle Umstände darzulegen, anhand deren es sich vergewissern könne, dass die Maßnahme tatsächlich den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Anforderungen genüge. Das Berufungsgericht hielt es „fallbezogen“ für notwendig, der Republik Österreich im weiteren Verfahren die Möglichkeit zu eröffnen, im Detail die Erwägungen für die Einführung bzw Beibehaltung des Glücksspielmonopols und die divergierenden Regelungen für verschiedene Glücksspielarten, bezogen auf den Zeitraum Oktober 2009 bis Juli 2011 darzulegen. Erst danach könne beurteilt werden, ob die vom Erstgericht inkriminierten Werbeaktivitäten und die von der beklagten Partei in der Berufungsbeantwortung bestrittene Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit/Kohärenz oder Nichtdiskriminierung vorlägen. Den Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses begründete das Berufungsgericht mit fehlender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur zivilverfahrensrechtlichen Umsetzung der Vorgaben des EuGH bei Prüfung der Zulässigkeit des innerstaatlichen Glücksspielmonopols.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der beklagten Partei ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Voranzustellen ist, dass weder die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte noch die Anwendung österreichischen Sachrechts Thema des Rechtsmittelverfahrens sind.

2. Einigkeit besteht zwischen den Streitteilen auch darüber, dass die von der Klägerin über die Website der beklagten Partei gespielten Glücksspiele Roulette und Poker dem österreichischen Glücksspielmonopol unterliegen, bei dessen Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht verboten sind und die Klägerin in diesem Fall ihre Spieleinsätze zurückfordern kann.

3. Nach der bereits vom Berufungsgericht zitierten Rechtsprechung des EuGH zur Vereinbarkeit nationaler Glücksspielmonopole mit der im Unionsrecht garantierten (hier auch relevierten) Dienstleistungsfreiheit (6. 3. 2007, verb. Rs C-338/04 , C-359/04 , C-360/04 , Placanica ua; 8. 9. 2010, verb. Rs C-316/07 , C-358/07 - 360/07, C-409/07 und C-410/07 , Stoß ua; 8. 9. 2010, C-46/08 , Carmen Media Group; 30. 6. 2011, C-212/08 , Zeturf; 15. 9. 2011, C-347/09 , Dickinger und Ömer) sind nationale Gerichte zur Prüfung verpflichtet, unter welchen Voraussetzungen ein derartiges Monopol ein taugliches und verhältnismäßiges Instrument zur Eindämmung der Gefahren des Glücksspiels darstellen kann. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang bereits ausgesprochen, dass es dem Mitgliedstaat obliegt, der sich auf ein Ziel berufen möchte, mit dem sich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen lässt, dem Gericht, das über diese Frage zu entscheiden hat, alle Umstände darzulegen, anhand deren sich das Gericht vergewissern kann, dass die Maßnahme tatsächlich den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Anforderungen genügt (Rs C-316/07 , Stoß, Rn 71; Rs C-212/08 , Zeturf, Rn 70; Rs C-347/09 , Dickinger und Ömer, Rn 54).

3.1. Die Rekurswerberin sieht in diesen Aussagen keine Forderung des EuGH, ein nationales Gericht müsse in einem Zivilprozess einem am Verfahren gar nicht beteiligten Mitgliedstaat ein Anhörungsrecht einräumen, gehe es doch um die Verpflichtung des Mitgliedstaats, das nationale Gericht bei dessen Prüfung zu unterstützen. Tatsächlich ließe sich eine andere Interpretation mit den in der ständigen Rechtssprechung des EuGH festgelegten Grundsätzen zum Verhältnis zwischen Unionsrecht und nationalem Verfahrensrecht nicht vereinen. Danach müssen die nationalen Gerichte den Rechtsschutz gewährleisten, der sich für den Einzelnen durch die unmittelbare Wirkung des Unionsrechts ergibt (19. 11. 1991, verb. Rs C-6/90 und C-9/90 , Francovich ua, Rn 43; 14. 12. 1995, C-312/93 , Peterbroeck, Van Campenhout & Cie SCS, Rn 12 mwN). Nach dem vom EuGH (C-312/93 , Rn 12 mwN; 14. 3. 2013, C-420/11 , Leth, Rn 38 mwN) vertretenen Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten sind die geltenden Verfahrensmodalitäten aber Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der von der Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz).

3.2. Die österreichische Zivilprozessordnung kennt kein zwingend vorgeschriebenes Anhörungsrecht der (nicht als Nebenintervenientin an einem Verfahren beteiligten) Republik Österreich in einem zwischen anderen Parteien geführten Verfahren, in dem das österreichische Zivilgericht die Vereinbarkeit einer den freien Dienstleistungsverkehr beschränkenden nationalen Maßnahme mit Unionsrecht zu prüfen hat. Dem Zivilrichter ist es aber aufgrund der materiellen Prozessleitungspflicht gestattet, auch von Amts wegen zur Feststellung aller aufgrund des Parteienvorbringens für die Entscheidung erheblichen Tatsachen - abgesehen von hier nicht relevanten Einschränkungen - Beweise aufzunehmen (Schragel in Fasching/Konecny² § 183 ZPO Rz 7; Rechberger in Fasching/Konecny² Vor § 266 ZPO Rz 77; Rechberger in Rechberger³ Vor § 266 ZPO Rz 27 je mwN), was auch durch Anfragen an Behörden, insbesondere durch Einholung einer schriftlichen Stellungnahme geschehen kann, die als Urkunden- oder Sachverständigenbeweis anzusehen sind (vgl Rechberger in Fasching/Konecny² Vor § 266 ZPO Rz 102; derselbe in Rechberger³, Vor § 292 ZPO Rz 3).

3.3. Die vom Berufungsgericht geforderte Darlegung der Erwägungen für die Einführung und Beibehaltung des Glücksspielmonopols und die divergierenden Regelungen für verschiedene Glücksspielarten (bezogen auf den Zeitraum Oktober 2009 bis Juli 2011) durch die Republik Österreich ist in diesem Sinn als Auftrag zur Einholung einer Stellungnahme als Beweismittel (gutachterliche Stellungnahme) zu verstehen, erachtete das Berufungsgericht dies doch im vorliegenden Fall („fallbezogen“) insbesondere für die abschließende Beurteilung als notwendig, ob die vom Erstgericht als expansionistische Geschäftspolitik eingestuften Werbeaktivitäten der Inhaber von Glücksspielkonzessionen dem zulässigen Zweck eines Glücksspielmonopols im Sinn der Rechtsprechung des EuGH noch gerecht werden. Der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, kann dieser Einschätzung des Gerichts zweiter Instanz zum Erfordernis einer Verfahrensergänzung grundsätzlich nicht entgegentreten (vgl RIS-Justiz RS0043414). Warum die Einholung der erwähnten Stellungnahme dem Äquivalenz- oder Effektivitätsgrundsatz (Punkt 3.1.) nicht gerecht werden soll, vermag die Rekurswerberin nicht darzulegen.

3.4. Anzumerken ist, dass das Erstgericht (noch vor Einbringung des Rekurses der beklagten Partei am 11. 3. 2013) bereits die Einholung einer Stellungnahme der Finanzprokuratur veranlasste.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat auf die fehlende Zulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.

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