OGH 9Ob68/14m

OGH9Ob68/14m27.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei k***** gmbH, *****, vertreten durch Mag. Dieter Koch, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei Dr. P***** F*****, vertreten durch Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, sowie den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Mag. P***** F*****, wegen Herausgabe und Unterlassung (10.000 EUR), über die Revisionen der beklagten Partei und des Nebenintervenienten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 26. Mai 2014, GZ 1 R 46/14b‑51, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Mürzzuschlag vom 9. Jänner 2014, GZ 3 C 88/11k‑45, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0090OB00068.14M.1127.000

 

Spruch:

Die Revisionen der beklagten Partei und des Nebenintervenienten werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 818,66 EUR (darin 136,44 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich (§ 508 Abs 3 ZPO) zugelassen, weil es möglicherweise ein gegen das Neuerungsverbot verstoßendes Berufungsvorbringen berücksichtigt habe und außerdem die in der Revision vorgebrachten Argumente für die Annahme eines stillschweigenden Verzichts nicht gänzlich von der Hand zu weisen wären.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerber zeigen zutreffend eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens auf: Die Vorgangsweise des Berufungsgerichts, das ohne Vornahme einer Beweisergänzung, sondern zum einen lediglich nach Einsicht in das Firmenbuch (betreffend die Vertretungsmacht des Zeugen R.L.) und zum anderen auf Grundlage der vom Erstgericht aufgenommenen Beweise ohne Beweiswiederholung (betreffend die Öffnung des Metalltors) ergänzende Feststellungen getroffen hat, verstößt gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (vgl RIS‑Justiz RS0111112; RS0043026; RS0043057). Damit ist allerdings für die Revisionswerber nichts gewonnen, weil dieser Verstoß im vorliegenden Fall nicht relevant ist (vgl dazu 8 Ob 165/06g; 7 Ob 81/13g; 9 ObA 120/13g; RIS‑Justiz RS0043026 [T2]; RS0043057 [T9]). Den ergänzenden Feststellungen kommt bei der Beurteilung, ob ein Verzicht anzunehmen ist, keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu.

Der Beklagte und der Nebenintervenient haben den Verzicht der Klägerin zum einen darauf gestützt, die Klägerin habe seit über 20 Jahren den Eingang „Tür-Ost“ nicht mehr benutzt und zum anderen darauf, die Klägerin habe ausdrücklich ein Parkrecht des Nebenintervenienten anerkannt. Wenn aber der Nebenintervenient vor dem Metalltor parke, könne dieses nicht geöffnet werden und verhindere so einen Zugang zu der nach dem Metalltor gelegenen „Tür-Ost“.

Bei der Beurteilung der Frage, ob auf ein Recht stillschweigend verzichtet wurde, ist besondere Vorsicht geboten. Ein Verzicht darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist. Die bloße Untätigkeit des Berechtigten auch durch einen längeren Zeitraum ist für sich allein noch kein Grund einen Verzicht anzunehmen (RIS‑Justiz RS0014190; RS0014420). Für die Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf einen damit erklärten rechtsgeschäftlichen Willen legt § 863 ABGB einen strengen Maßstab an (RIS‑Justiz RS0014146; vgl RS0014157). Ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht, bildet im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0107199). Eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung ist in der Auffassung des Berufungsgerichts (bereits unter Außerachtlassung der vom Berufungsgericht ergänzend getroffenen Feststellungen), die Klägerin habe auf ihr (miet‑)vertraglich vom Beklagten eingeräumtes Recht, die „Tür-Ost“ uneingeschränkt zu nutzen, nicht verzichtet, nicht zu erkennen.

1. Die Behauptung des Beklagten und des Nebenintervenienten im erstinstanzlichen Verfahren, die Klägerin habe die „Tür-Ost“ über 20 Jahre nicht genutzt, war nicht erweislich. Vielmehr steht fest, dass die „Tür-Ost“ für den Transport größerer Kunstgegenstände drei- bis sechsmal, zuletzt im Jahr 2009, genutzt wurde. Zudem hatte der Beklagte einem Mitarbeiter der Klägerin im Jahr 2004 einen Schlüssel für das Metalltor, dessen Schloss der Beklagte am 28. 10. 2011 jedoch gewechselt hat, übergeben. Nur weil der Beklagte keine Kenntnis von der tatsächlichen Nutzung der „Tür-Ost“ und damit notwendigerweise verbunden auch des Metalltors durch Mitarbeiter der Klägerin hatte, konnte aus der Sicht eines redlichen Vertragspartners das Verhalten der Klägerin noch nicht als Verzicht auf die Ausübung des sogar mit einer gesonderten Vereinbarung (zum Mietvertrag über die Räumlichkeiten) der Klägerin eingeräumten Nutzungsrechts der „Tür-Ost“ verstanden werden.

2. Wie die Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin in einem anderen zwischen den Streitteilen geführten Prozess zum Parkrecht des Nebenintervenienten unmittelbar vor dem Metalltor zu verstehen ist (ob der Nebenintervenient dort parken kann oder darf, ist nicht von Relevanz. Das Parkrecht des Nebenintervenienten war weder im genannten Verfahren strittig noch ist es dies im konkreten Fall. Klagsgegenständlich und strittig ist ausschließlich das Recht der Klägerin, den Eingang „Tür-Ost“ zu benutzen. Um diesen Eingang nutzen zu können, ist ‑ jedenfalls aufgrund der derzeitigen Verhältnisse vor Ort ‑ ein Durchgang durch das Metalltor unabdingbare Voraussetzung. Da der Beklagte das Metalltor versperrt hat, benötigt die Klägerin einen Schlüssel für das Metalltor. Auf welche Art und Weise der Beklagte in Hinkunft dafür Sorge tragen wird, dass die Klägerin ihr Recht auf ungehinderten Zugang zur „Tür-Ost“ auch tatsächlich ausüben kann, bleibt grundsätzlich dem Beklagten überlassen. Wenn das Berufungsgericht daher davon ausgeht, dass die Anerkennung des Parkrechts des Nebenintervenienten durch die Klägerin von einem redlichen Erklärungsempfänger ‑ der Beklagte sei als vertragswidrig handelnder Vermieter anzusehen, weil er den Parkplatz vor dem Metalltor lange nach der Nutzungsvereinbarung mit der Klägerin an den Nebenintervenienten vermietet habe ‑ nicht schon als konkludenter Verzicht auf die Ausübung des Nutzungsrechts der „Tür-Ost“ verstanden werden könne, so ist dies im Ergebnis nicht zu beanstanden.

3. Über die Prozesseinrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs hat das Erstgericht in der mündlichen Verhandlung vom 15. 9. 2011 (ON 13 Seiten 7 ff) abgesondert (§ 260 Abs 1 ZPO) verhandelt und den Beschluss über die Verwerfung der Prozesseinrede gesondert ausgefertigt und zugestellt (ON 16). Dieser abgesondert anfechtbare Beschluss (RIS‑Justiz RS0040207) erwuchs mangels Bekämpfung in Rechtskraft. Damit liegt eine den Obersten Gerichtshof gemäß § 42 Abs 3 JN bindende Entscheidung über die richtige Verfahrensart vor (RIS‑Justiz RS0046861 [T3]), weshalb auf den neuerlich vorgebrachten Einwand des Nebenintervenienten, die Klage wäre wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen gewesen, weil zunächst die Schlichtungsstelle anzurufen gewesen wäre, nicht mehr einzugehen ist.

Die Zurückweisung der ordentlichen Revisionen kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Rechtsmittel ihrer Prozessgegner hingewiesen. Sie hat daher gegenüber dem Beklagten (aber nicht auch gegenüber dessen Nebenintervenienten [§ 41 Abs 1 ZPO; RIS‑Justiz RS0035816]) Anspruch auf Kostenersatz. Den in der Revisionsbeantwortung der Klägerin wegen der Beteiligung des Nebenintervenienten am Revisionsverfahren verzeichneten Streitgenossenzuschlag hat der Beklagte zu tragen (RIS‑Justiz RS0036057 [T3]).

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