OGH 9ObA120/13g

OGH9ObA120/13g26.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Mag. Andreas Hach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei K***** W*****, vertreten durch Dr. F.X. Berndorfer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Longin Kempf, Rechtsanwalt in Peuerbach, 2. Dr. M***** S*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der S***** GmbH, ***** und 3. Dr. K***** S*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der S***** GmbH, *****, wegen 68.938,31 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Juli 2013, GZ 11 Ra 43/13t-73, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Anlässlich des Einstellungsgesprächs erklärte der Prokurist der in P***** ansässigen Zweitbeklagten dem Kläger, dass zwar die Erstbeklagte mit Sitz in Belgien formeller Arbeitgeber sei, das Arbeitsverhältnis jedoch zur Gänze über „S***** Österreich" abgewickelt werde. Die Arbeitgeberfunktion gegenüber dem Kläger übte ausschließlich die Zweitbeklagte aus. Die ebenfalls in P***** ansässige Drittbeklagte übte keine Arbeitgeberfunktion aus; sie stand auch beim Einstellungsgespräch als Arbeitgeberin nicht zur Diskussion.

Das Erstgericht kam zum Ergebnis, dass die Zweitbeklagte als Arbeitgeberin anzusehen sei. Die Solidarhaftung der Erstbeklagten stützte es zum einen auf den von der Erstbeklagten erweckten und daher dieser zurechenbaren Anschein, dass der Kläger (möglicherweise) mehrere Arbeitgeber habe. Zum anderen begründeten mögliche beabsichtigte Verschleierungsmaßnahmen aus unlauteren Gründen seitens des Arbeitgebers eine Solidarhaftung der Erst- und Zweitbeklagten, was zudem die Realisierung berechtigter Forderungen erleichtere.

Eine solidarische Haftung der Drittbeklagten mit den beiden anderen Beklagten verneinten die Vorinstanzen jedoch. Die Drittbeklagte habe weder Arbeitgeberfunktionen ausgeübt noch einen Anschein gesetzt, Arbeitgeber zu sein.

Der Kläger strebt nach wie vor die solidarische Haftung der Drittbeklagten ausschließlich mit dem - seiner Ansicht nach eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründendenden - Argument an, dass mehrere Unternehmen, die räumlich, personell und organisatorisch an einem Standort einer Unternehmensgruppe etabliert seien, dann für die Arbeitnehmeransprüche haften, wenn ihnen diese bewusst herbeigeführte mangelnde Abgrenzbarkeit zur Last gelegt werden könne. Unsicherheiten über die Passivlegitimation eines Unternehmens als Arbeitgeber dürften nicht auf den Arbeitnehmer überwälzt werden.

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Arbeitgeber als Vertragspartner des Arbeitnehmers im Arbeitsrecht nicht gesetzlich definiert; vielmehr ist bei der Lösung eines konkreten Falls nach der für Verträge geltenden Vertrauenstheorie zu prüfen, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht eines redlichen Erklärungsempfängers objektiv gesehen darauf vertrauen durfte, dass der Erklärende als Vertreter eines bestimmten Arbeitgebers aufgetreten ist. Wenn mehrere Personen Arbeitgeberfunktion wahrnehmen, ist aus der Wahrnehmung von Einzelpflichten nach den Grundsätzen eines beweglichen Systems auf die mögliche Arbeitgeberstellung im Sinne des Arbeitsvertragsrechts zu schließen (RIS-Justiz RS0014455).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass bei der Beurteilung, wer als Arbeitgeber anzusehen sei, im Einzelfall regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen ist (9 ObA 71/11y mwN). Eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Der Prokurist der Zweitbeklagten gab in der bei Beginn des Arbeitsverhältnisses für den Kläger allenfalls unklaren Situation ausschließlich Erklärungen für die Erstbeklagte und Zweitbeklagte ab. Die Drittbeklagte stand hingegen als potentielle Arbeitgeberin gar nicht zur Diskussion. Gegenüber dem Kläger als redlichen Erklärungsempfänger konnte die Drittbeklagte daher auch nichts verschleiern. Die bloße mangelnde Abgrenzung der Drittbeklagten zum Unternehmen der Zweitbeklagten begründet für sich allein noch keine Solidarhaftung für die Entgeltforderung der Arbeitnehmer der Zweitbeklagten.

Die vom Kläger für seine Ansicht ins Treffen geführte Entscheidung 5 Ob 3/05k ist, wie er selbst erkennt, weder mit dem hier vorliegenden Sachverhalt noch in Bezug auf die Anspruchsgrundlage vergleichbar. Daraus lässt sich aber auch nicht allgemein (und schon gar nicht für die hier zu beurteilende Frage relevant) „die Tendenz erkennen, dass ein berechtigterweise Anspruchstellender insofern geschützt werde, als Unklarheiten in Bezug auf die Passivlegitimation nicht zu seinen Lasten, sondern zu Lasten jener gingen, welche als Schädiger nur schon alleine in Betracht kämen“.

Der Kläger stützt die Zulässigkeit seiner Revision auch auf einen zur Wahrung der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmenden Verstoß des Berufungsgerichts gegen die ständige Rechtsprechung zur gesetzmäßigen Ausführung einer Beweisrüge.

Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verfahrensverstoß bildet nur dann den Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO, wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (RIS-Justiz RS0043027). Der Rechtsmittelwerber hat die Erheblichkeit des Mangels darzulegen (RIS-Justiz RS0043027 [T10]).

Selbst wenn man davon ausginge, das Berufungsgericht hätte zu Unrecht die Beweisrüge des Klägers nicht behandelt, wäre der Verfahrensmangel nicht erheblich, weil die vom Kläger begehrten Ersatzfeststellungen, die sich im Wesentlichen mit den im Rahmen der Rechtsrüge geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel decken, für die Beurteilung der Solidarhaftung der Drittbeklagten nicht relevant sind. Die in diesem Zusammenhang gemachten Rechtsausführungen des Berufungsgerichts sind jedenfalls vertretbar. Demnach ist es weder entscheidend, ob der Prokurist der Zweitbeklagten wusste, bei welchem Unternehmen der S*****-Gruppe der Kläger beschäftigt war noch ob der Kläger die Drittbeklagte in Bezug auf die Arbeitgebereigenschaft einordnen konnte. Vielmehr kommt es ausschließlich auf die Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers (vgl RIS-Justiz RS0014455) zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags und des konkreten Dienstantritts an (vgl 9 ObA 71/11y; 9 ObA 88/98a). Aus diesem Grund stehen aber auch die Ausführungen des Klägers zu den Handlungen der Drittbeklagten nach Beginn des Arbeitsverhältnisses, etwa dass diese an alle Fahrer Anweisungen in Bezug auf ausländische Auflieger und ausländische Zugfahrzeuge gegeben und er ab und zu Frachtpapiere von ihr bekommen habe und er auch mit deren Fahrzeugen gefahren sei, der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts nicht entgegen.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

Stichworte