OGH 22Os7/14s

OGH22Os7/14s11.11.2014

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 11. November 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Mascher und Dr. Waizer sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Sailer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tagwerker als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Mag. Annamaria R*****, Rechtsanwältin in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufungen des Kammeranwalts wegen Nichtigkeit sowie der Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 28. Oktober 2013, AZ D 12‑33 (2 DV 13‑02), D 12‑38 (2 DV 13‑03), nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Brenner, des Kammeranwalts Dr. Schmidinger sowie der Verteidigerin Dr. Steger zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0220OS00007.14S.1111.000

 

Spruch:

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Der Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Mag. R***** ‑ soweit im Verfahren über die Berufungen von Bedeutung ‑ der Disziplinarvergehen der Berufspflichten-verletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil sie als Vertragserrichterin des Kaufvertrags vom 12. August 2012, abgeschlossen zwischen Mag. Elfriede M***** als Verkäuferin sowie Annemarie und Karl P***** als Käufer betreffend die 117/942stel Anteile an EZ ***** GB ***** die Treuhandschaft übernommen hat, ohne diese gemäß § 10a Abs 2 RAO zum Treuhandbuch der Tiroler Rechtsanwaltskammer anzuzeigen und ohne den Treugebern das Informationsblatt zur Unterfertigung vorgelegt zu haben.

Über die Disziplinarbeschuldigte wurde eine Geldbuße in der Höhe von 1.000 Euro verhängt,

Unter einem wurde sie vom Vorwurf, sie habe trotz der mit Schreiben vom 11. Mai 2012 erfolgten Bekanntgabe durch Mag. Klaus Ph*****, dass dieser die weitere Vertretung (ihres bisherigen Mandanten Thorsten K*****) übernommen habe, ohne Mandat und Vollmacht einen am 24. Mai 2012 beim Verwaltungsgerichtshof einlangenden Schriftsatz eingebracht, mit welchen sie namens Thorsten K*****s die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt habe, sie sich somit auf eine Vollmacht des Thorsten K***** berufen habe, die sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gehabt habe, unter Anwendung des § 3 DSt freigesprochen.

Zur Berufung des Kammeranwalts:

Der gegen die Anwendung des § 3 DSt erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) kommt keine Berechtigung zu.

Voranzustellen ist, dass entgegen dem Vorbringen des Kammeranwalts dem angefochtenen Disziplinarerkenntnis die Anwendung des § 3 DSt in Ansehung der Berufung auf eine Vollmacht, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorlag, zweifelsfrei zu entnehmen ist (ES 2, 4).

Gemäß § 8 Abs 1 zweiter Satz RAO ersetzt vor allen Gerichten und Behörden die Berufung auf die Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis. Macht der Rechtsanwalt von dieser Privilegierung Gebrauch, so ist er zu besonderer Sorgfalt verpflichtet. Beruft sich ein Rechtsanwalt auf eine Vollmacht, obwohl sie ihm nicht erteilt wurde, so kann dies in der Regel nicht als Geringfügigkeit iSd § 3 DSt abgetan werden (vgl Feil/Wennig, AnwR8 DSt § 3 S 885).

Doch ist eine Anwendung des § 3 DSt auch in einem solchen Fall nicht generell ausgeschlossen, wenn das Verschulden des Rechtsanwalts geringfügig ist und sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat (RIS‑Justiz RS0089972 [T9]). Es darf daher nur ein solcher Sorgfaltsverstoß vorliegen, dessen Gewicht im Vergleich zu den Durchschnittsfällen der Deliktsverwirklichung deutlich abfällt (AnwBl 2009/1186, 231).

Vorliegend hatte die Disziplinarbeschuldigte nach den Feststellungen des Disziplinarrats im Zeitraum zwischen Herbst 2011 und Frühjahr 2012 eine auf die schwere Erkrankung ihres Vaters, die damit notwendigen täglichen Fahrten von Innsbruck in das Krankenhaus Zams und die Trennung von ihrem Ehegatten, das anschließende streitige Scheidungsverfahren und ihren privaten Umzug gegründete schwierige private Situation zu meistern, die ihr die Erfüllung ihrer beruflichen Pflichten erschwerte (ES 5). In dem unter diesen Umständen auf ein bloßes Übersehen der Vollmachtskündigung zurückzuführenden, im Interesse ihres bisherigen Mandanten erfolgten Tätigwerden liegt daher nur ein geringer Sorgfaltsverstoß, der nach den Annahmen des Disziplinarrats zudem keine nachteiligen Folgen für den Mandanten nach sich gezogen hat (ES 6). Die Rechtsansicht, der Unrechtsgehalt dieses Verhaltens sei atypisch gering, ist daher nicht zu beanstanden.

Das Vorbringen des Kammeranwalts, wonach der gegenständliche Akt ‑ in dem sich die Vollmachtsbekanntgabe Dris. Ph***** befunden haben „musste“, widrigenfalls von einem groben Organisationsverschulden auszugehen sei ‑ der Disziplinarbeschuldigten von ihren Kanzleimitarbeiterinnen „ganz offensichtlich“ vorgelegt wurde, orientiert sich weder an den Annahmen des Disziplinarrats noch behauptet es einen ‑ trotz indizierender Verfahrensergebnisse ‑ nicht geklärten Sachverhalt, sodass die materiell‑rechtliche Nichtigkeit nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt wurde (RIS‑Justiz RS0099810, RS00118580).

Der Umstand, dass der Disziplinarbeschuldigten noch ein zu einem Schuldspruch führendes Verhalten angelastet wird, schließt eine Anwendung des § 3 DSt ausgehend von den konstatierten persönlichen Umständen nicht aus (vgl SSt 56/27).

Rechtliche Beurteilung

Zur Berufung der Disziplinarbeschuldigten:

Die zum Schuldspruch eine Anwendung des § 3 DSt fordernde Rechtsrüge (Z 9 lit b) versagt.

Bei der Abwicklung von Treuhandgeschäften liegt deren absolut korrekte und stringente Durchführung im besonderen Standesinteresse (vgl Feil/Wennig AnwR8 § 3 DSt S 886; RIS‑Justiz RS0115041, RS0123724). Nur bei außergewöhnlichen Begleitumständen („reine Formalfehler“ bzw „geringe Formverstöße“) kann die Anwendung des § 3 DSt geboten sein (AnwBl 2010/8235, 192; AnwBl 2010/8262, 549; RIS‑Justiz RS0124433).

Zur Tatbestandserfüllung hat es außer Betracht zu bleiben, ob die Nichtbeachtung der Treuhandverpflichtungen fahrlässig oder vorsätzlich erfolgte. Der Verschuldensgrad kann lediglich bei der Strafbemessung Berücksichtigung finden (RIS‑Justiz RS0055223 [T1]; RS0055847 [T4]). Solcherart verfehlt das Vorbringen der Disziplinarbeschuldigten, der Disziplinarrat sei trotz ihrer Aussage, sie habe die Meldung „vergessen“, dies sei „passiert“, (zu Unrecht) davon ausgegangen, dass sie sich über die klaren gesetzlichen (§ 10a Abs 2 RAO) sowie standesrechtlichen Vorgaben (Treuhandbuch der Tiroler Rechtsanwaltskammer) hinweggesetzt hat (ES 7 letzter Absatz), mangels Bekämpfung einer entscheidenden Tatsache sein Ziel.

Durch die Nichtanzeige der Treuhandschaft zum Treuhandbuch der Tiroler Rechtsanwaltskammer trotz Überschreiten des Betrags von 40.000 Euro ‑ die Gesamtsumme betrug 227.000 Euro ‑ und ohne den Treugebern das Informationsblatt zur Unterfertigung vorzulegen, hat die Disziplinarbeschuldigte ihrer besonderen Sicherungspflicht bei Treuhandgeschäften nicht entsprochen. Solcherart liegt gerade nicht ein bloßer Formalfehler vor, sondern hat die Berufungswerberin dem Schutzzweck der gesetzlichen und standesrechtlichen Vorschriften zuwider gehandelt, sodass die Nichtanwendung des § 3 DSt durch den Disziplinarrat zu Recht erfolgte.

Auch die ein Absehen von der Verhängung einer Strafe nach § 39 DSt, in eventu einen schriftlichen Verweis anstelle der Geldbuße anstrebende Berufung wegen Strafe ist nicht im Recht.

Ausgehend von den Feststellungen zeigt sie nicht auf, weshalb nach der Persönlichkeit der Disziplinarbeschuldigten, deren Unbescholtenheit und schwierige Situation ausdrücklich berücksichtigt wurden (ES 8), angenommen werden könne, dass ein Schuldspruch allein genügen werde, um sie von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten. Ebenso wenig überzeugt das Vorbringen, dass nur ein ganz geringes disziplinäres Vergehen vorläge, welches einen schriftlichen Verweis, die geringste Strafe nach dem Katalog des § 16 DSt (vgl Feil/Wennig AnwR8 § 16 S 899) rechtfertigen könnte.

Auch mit Blick auf die durchschnittliche finanzielle Situation eines Rechtsanwalts sieht sich der Oberste Gerichtshof zu keiner Änderung der ohnehin im untersten Bereich des Strafrahmens liegenden Geldbuße bestimmt.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 Abs 5 DSt.

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