OGH 1Ob126/14g

OGH1Ob126/14g22.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinksi, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S***** GmbH, *****, 2. S*****gesellschaft mbH, *****, 3. S*****gmbH, *****, 4. H***** GmbH & Co KG, *****, 5. Mag. H***** K*****, 6. Dr. W***** GmbH, *****, 7. M***** GmbH, *****, 8. I***** GmbH, *****, 9. N***** GmbH, *****, 10. S***** GmbH, *****, 11. W***** GmbH, *****, 12. M***** GmbH, *****, 13. S***** GmbH, *****, 14. P***** GmbH, *****, 15. S***** GmbH, *****, 16. K***** KEG, *****, 17. K*****, 18. C*****, 19. K*****, 20. P*****, 21. C***** GmbH, *****, 22. C***** GmbH, *****, 23. C***** GmbH, *****, 24. S***** GmbH, *****, 25. M***** GmbH, *****, 26. H***** GmbH & Co KG, *****, 27. K***** GmbH, *****, 28. V*****‑GmbH, *****, 29. S*****‑KG, *****, 30. V***** GmbH, *****, 31. A***** GmbH, *****, 32. A***** GmbH, *****, 33. P***** mbH, *****, 34. A***** K*****, 35. H*****, 36. A***** GmbH, *****, 37. S***** GmbH, *****, 38. K***** mbH, *****, 39. P***** Verein *****, 40. S***** Z*****, 41. A***** GmbH, *****, 42. A***** GmbH, *****, 43. P*****verein *****, 44. P***** GmbH, *****, 45. S***** KG, *****, 46. K*****, 47. S***** GmbH, *****, 48. S***** KG, *****, 49. N***** GmbH, *****, 50. N***** GmbH, *****, 51. R***** K*****, 52. A***** K*****, 53. P***** GmbH & Co KG, *****, 54. H***** GmbH, *****, 55. P***** GmbH & Co KG, *****, 56. S***** GmbH, *****, 57. M***** D*****, 58. E***** Diakoniewerk *****, 59. P***** KEG, *****, 60. P***** GmbH, *****, 61. A***** GmbH, *****, 62. S***** GmbH, *****, 63. J***** S*****, 64. O***** GmbH, *****, erst-, zweit-, fünft- bis zwanzigstklagende Parteien, vierundzwanzigst- bis dreißigst‑ und dreiunddreißigst bis vierundsechzigstklagende Parteien vertreten durch hba Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH, Graz, gegen die beklagte Partei Land Steiermark, Graz, Hofgasse 15, vertreten durch Dr. Erwin Mächler, Rechtsanwalt in Graz, wegen 214.191,62 EUR (erstklagende Partei) und je 10.001 EUR (zweit-, fünft- bis achtzehntklagende Parteien, zwanzigst- bis sechsundvierzigstklagende Parteien, achtundvierzigst bis vierundsechzigstklagende Parteien), 8.672,42 EUR (neunzehntklagende Partei) und 1.659,98 EUR (siebenundvierzigstklagende Partei) sowie Feststellung (100.000 EUR) über die außerordentliche Revision der erst-, zweit-, fünft- bis zwanzigstklagende Parteien, vierundzwanzigst- bis dreißigst‑ und dreiunddreißigst bis vierundsechzigstklagende Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 15. April 2014, GZ 4 R 158/13g‑19, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 12. Juni 2013, GZ 41 Cg 140/12w‑14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0010OB00126.14G.1022.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Kläger betreiben 108 von insgesamt 215 Pflegeheimen in der Steiermark, deren Betrieb mit Bescheid gemäß § 15 des Steiermärkischen Pflegeheimgesetzes (StPHG) unbefristet bewilligt wurde. Die Beklagte ist gegenüber alten und hilfsbedürftigen Menschen verfassungsrechtlich zu Pflege‑ und Betreuungsleistungen verpflichtet. Nähere Regelungen über diesen Versorgungsauftrag finden sich im Steiermärkischen Sozialhilfegesetz (stmkSHG) und dem StPHG 2003 (LGSL 77). Die Beklagte bediente sich zur Erfüllung ihrer Verpflichtung unter anderem der Kläger. Zu diesem Zweck hat die Beklagte mit den Klägern jeweils gleichlautende Verträge abgeschlossen. Die Unterbringung der pflegebedürftigen Personen in den Heimen erfolgt aufgrund eines zwischen diesen und den Klägern abzuschließenden „Heimvertrags“.

Die Kläger begehren (zusammen) die Zahlung von insgesamt 834.585,02 EUR sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, „den klagenden Parteien aus dem jeweils aufrecht bestehenden Vertragsverhältnis gemäß § 13 Abs 1 Steiermärkisches Sozialhilfegesetz idF LBGl 70/2004 für zukünftig vertragskonform erbrachte Leistungen einen Leistungspreis in kostendeckender Höhe auf Basis der dem jeweiligen Vertrag als integrierender Bestandteil beigeschlossenen Normkostenaufstellung zu zahlen“. Die Rahmenbedingungen für die stationäre Unterbringung von pflegebedürftigen Personen im Sinn des stmkSHG seien in jeweils separat abgeschlossenen und befristeten zivilrechtlichen Verträgen statuiert. Parteiabsicht sowie Sinn und Zweck dieser Verträge sei, die stationäre Unterbringung alter und pflegebedürftiger Menschen in entsprechender Qualität dauerhaft zu sichern und die wirtschaftliche Existenz der Kläger durch eine zumindest kostendeckende Abgeltung der vertraglich vereinbarten Leistungen auf Dauer zu gewährleisten. Die Beklagte sei daher den Klägern gegenüber jeweils verpflichtet für die Dauer des gesamten Vertragsverhältnisses einen valorisiereten Leistungspreis zu zahlen, der die Kosten eines durchschnittlichen Pflegeheims mit 70 Betten decke.

Die Beklagte bestritt ein gerichtlich durchsetzbares Leistungsanpassungsrecht der Kläger. Eine Valorisierung des ermittelten Leistungspreises sei nicht vereinbart worden, wobei die einvernehmlich vereinbarte Vertragssystematik auch keine automatische Anpassung der Leistungspreise vorsehe.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung der Klage durch das Erstgericht und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig.

1.1 Die vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abgeschlossenen Gesamtverträge (§ 341 ASVG) sind privatrechtliche Normenverträge, die, soweit sie Rechte und Pflichten der Ärzte und der Sozialversicherungsträger als Partner des Einzelvertrags regeln, auf Letzteren unmittelbar einwirken (§ 341 Abs 3

ASVG). Sie beruhen nicht auf der Privatautonomie der vertragschließenden Parteien, sondern auf gesetzlicher Ermächtigung und können daher nur in Angelegenheiten, die das Gesetz bestimmt, abgeschlossen werden (VfGH B 390/2112). Gesamtverträge und ihre Zusatzvereinbarungen werden als Rechtsquellen sui generis angesehen, deren Zustandekommen zwar nach privatrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist, die ihrem Inhalt nach jedoch Gesetzen im materiellen Sinn gleichzuhalten sind (7 Ob 3/05z = SZ 2005/149; 2 Ob 128/06x; 4 Ob 121/10p).

1.2 Die Revisionswerber berufen sich auf den im Vorfeld des Abschlusses der jeweiligen Einzelverträge zwischen dem Verband Steirischer Alten‑, Pflege‑, und Betreuungsheime (VAB) ‑ unter Beteiligung von Heimbetreibern ‑ und dem beklagten Land ausverhandelten Mustervertrag und meinen, dieser sei den sozialversicherungsrechtlichen Gesamtverträgen vergleichbar und daher wie diese gemäß §§ 6, 7 ABGB nach seinem Wortlaut und nicht unter Berufung auf §§ 914 f ABGB nach der Absicht der Vertragsparteien auszulegen.

1.3 Soweit Gesamtverträge nach § 341 ASVG die einzelnen Adressaten ohne ihre Zustimmung wie ein Gesetz berechtigen und verpflichten, wirken sie normativ und sind insoweit wie Gesetze nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB auszulegen. In ihrem schuldrechtlichen Teil erfolgt die Auslegung jedoch wie bei einem Vertrag, also nach den Regeln der §§ 914 f ABGB (7 Ob 3/05z; 2 Ob 48/08k = RIS‑Justiz RS0124647 vgl auch Kneihs/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 338 ASVG Rz 10). Der zwischen dem VAB und der Beklagten verhandelte Mustervertrag hat die Revisionswerber weder berechtigt noch verpflichtet, sondern diente lediglich als Vorlage für die mit diesen abgeschlossenen gleichlautenden Verträge. Für eine normative Wirkung des Mustervertrags, die dann allenfalls eine Anlehnung an die für Gesamtverträge nach § 341 ASVG geltenden Grundsätze rechtfertigen könnte, fehlt auch jede gesetzliche Grundlage.

2.1 Die Bindung der Kläger ergibt sich aus den zwischen ihnen und dem Beklagten jeweils abgeschlossenen Verträgen. Diese haben rein schuldrechtliche Wirkung, mögen sie auch den im Vorfeld ausgehandelten Mustervertrag als Vertragsschablone zugrunde liegen haben. Die Anwendung der §§ 914 f ABGB zur Auslegung dieser Verträge durch die Vorinstanzen bedeutet daher keine Fehlbeurteilung.

2.2. Der Umstand, dass allenfalls auch ein anderes Auslegungsergebnis vertretbar wäre, begründet keine erhebliche Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO, sofern nicht eine krasse Fehlbeurteilung vorliegt (RIS‑Justiz RS0042555 [T4]; RS0043485; RS0112106 [T4]). Letzteres ist hier schon deshalb nicht zu erkennen, weil es nach den bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen übereinstimmender Wille der den Mustervertrag verhandelnden Parteien war, dass die Entscheidung, ob entsprechend der Empfehlung der gleichlautend zum Mustervertrag in den jeweiligen Vereinbarungen genannten Gremien (Kommission bzw Schlichtungsstelle) eine Erhöhung des Leistungspreises erfolgen soll, dem Beklagten zukommt. Dieser Wille entspricht auch dem Wortlaut der Verträge. Darin ist ausdrücklich festgehalten, dass das beklagte Land binnen einer Frist von vier Monaten zu entscheiden hat, ob es der Empfehlung der Schlichtungsstelle hinsichtlich der Anpassung des Leistungspreises für das kommende Kalenderjahr nachkommt. Für den Fall, dass es keine Anpassung vornimmt, ist den jeweiligen Heimbetreibern ein außerordentliches Kündigungsrecht eingeräumt, das bis zur Anpassung des Leistungspreises entsprechend der Empfehlung jederzeit mit sofortiger Wirkung ausgeübt werden kann.

2.3 Nach den Feststellungen war der Mustervertrag das Ergebnis umfangreicher Verhandlungen, an welchen nicht nur der VAB, sondern auch weitere Vertreter der Betreiber der bestehenden Pflegeheime teilgenommen haben. Es mag zutreffen, dass nicht alle späteren Vertragspartner des Landes persönlich an der dem Mustervertrag zugrunde liegenden Willensbildung teilgenommen haben. Das ist hier aber schon deshalb ohne Belang, weil sich die Revisionswerber ausdrücklich auf den objektiven Wortlaut der Verträge berufen und damit ohnedies keinen von diesem abweichenden übereinstimmenden Willen der Parteien geltend machen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0017783 [T1]; RS0014005). Dass das außerordentliche Kündigungsrecht den Klägern als „zusätzliche Möglichkeit“ offen stehen sollte und das beklagte Land ungeachtet dessen zu der von den Klägern gewünschten Anpassung des Leistungspreises entsprechend der Empfehlung der Schlichtungsstelle verpflichtet wäre, worauf die Revisionswerber letztlich abzielen, lässt sich aber mit dem Wortlaut des Vertrages nicht in Einklang bringen.

3. Soweit die Revisionswerber die Unwirksamkeit der Vorabvereinbarung eines Einforderungsverzichts (pactum de non petendo) relevieren, verkennen sie, dass das Fehlen einer vertraglichen Verpflichtung des Landes, der von der Schlichtungsstelle vorgeschlagenen Anpassung des Leistungspreises zuzustimmen, keinen Vorausverzicht darstellt, die ihnen aus den Verträgen zustehenden Leistungen gerichtlich einzufordern.

4.1 Gemäß § 879 Abs 3 ABGB ist eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, jedenfalls nichtig, wenn diese unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls gröblich benachteiligend ist. Die Revisionswerber berufen sich auf diese Bestimmung und meinen, es lägen Vertragsformblätter vor, weil die Einzelverträge inhaltsgleich dem Mustervertrag abgeschlossen worden seien. Zusammengefasst machen sie dazu geltend, dass die Annahme einer Vertragsbedingung durch die Vorinstanzen, nach der ihnen kein Anspruch auf (gerichtliche) Durchsetzung der Zahlung des kostendeckenden Leistungspreises zustehe, gröblich benachteiligend und damit nichtig wäre.

4.2 Die Vorinstanzen haben in ihren Entscheidungen keineswegs eine sie benachteiligende (Neben)Bestimmung in die Verträge „hineininterpretiert“, wie die Revisionswerber meinen, sondern gelangten ‑ vertretbarer ‑ zum Ergebnis, dass die Beklagte nach der vertraglichen Regelung nicht verpflichtet ist, der Empfehlung der Schlichtungsstelle zur Zahlung eines höheren Leistungspreises an die Kläger zu entsprechen. Mit ihrer Argumentation bekämpfen die Revisionswerber daher auch keine vertragliche Nebenbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen betrifft (vgl Bollenberger in KBB4 § 879 Rz 22), sondern machen im Ergebnis erneut Auslegungsfragen betreffend den Kernbereich der vertraglichen Leistungspflicht der Beklagten zum Gegenstand ihres Rechtsmittels. Dazu wurde bereits Stellung genommen. Ob die zwischen den Revisionswerbern und der Beklagten abgeschlossenen Verträge als Vertragsformblätter iSd § 879 Abs 3 ABGB angesehen werden können, muss daher nicht untersucht werden.

5. Da die von den Revisionswerbern begehrte Erhöhung des Leistungspreises schon dem Grunde nach nicht berechtigt ist, erübrigt es sich, auf Fragen im Zusammenhang mit dem von ihnen erhobenen Feststellungsbegehren einzugehen.

6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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