Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ASVG §341, §342, §343, §345a
ABGB §879
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ASVG §341, §342, §343, §345a
ABGB §879
Spruch:
I. Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Gesundheit) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Am 21. März 1994 schloss der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (im Folgenden: Hauptverband) mit der nunmehr beschwerdeführenden Partei, der Ärztekammer für Niederösterreich, unter anderem für die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse einen Gesamtvertrag ab. Darin wurde in §5 Abs3 betreffend die "Auswahl der Vertragsärzte" vorgesehen, dass bis zur Besetzung einer freien Vertragsarztstelle im Falle eines dringenden Bedarfes im Einvernehmen mit der Kammer ein befristeter Einzelvertrag abgeschlossen werden kann.
Am selben Tag trafen der Hauptverband und die Ärztekammer für Niederösterreich außerdem "Vereinbarungen zum Gesamtvertrag". In diesen Ausführungsbestimmungen wurde unter anderem normiert, dass "[d]ie Einzelverträge […] grundsätzlich mit einem Jahr zu befristen [sind]". Nach dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei schloss daraufhin die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse mit den Kassenvertragsärzten zu Beginn ihrer Tätigkeit ausschließlich auf ein Jahr befristete Einzelverträge ab.
1.1. Mit einem am 9. Dezember 2010 bei der Landesschiedskommission für Niederösterreich eingelangten Schriftsatz beantragte die beschwerdeführende Partei, die Landesschiedskommission möge feststellen, dass jene Ausführungsbestimmung zum Gesamtvertrag, derzufolge Einzelverträge grundsätzlich zu befristen sind, keine Anwendung finde. Begründend führte die nunmehr beschwerdeführende Partei aus, dass das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) eine Befristung von Einzelverträgen nicht vorsehe und auch die Endigungsgründe von Einzelverträgen in §343 ASVG abschließend genannt seien. Daraus folge, dass eine Regelung über die Befristung von Einzelverträgen in einem Gesamtvertrag unzulässig und infolge dessen unanwendbar sei.
1.2. Mit Bescheid vom 4. Mai 2011 wies die Landesschiedskommission für Niederösterreich den genannten Feststellungsantrag ab. Begründend führte sie aus, dass gesamtvertragliche Regelungen, die eine Befristung eines Einzelvertrages vorsehen, grundsätzlich zulässig, im Hinblick auf die Zwecke des Kündigungsschutzes nach §343 ASVG jedoch auf Ausnahmefälle zu beschränken seien. Als solche kämen insbesondere die Deckung eines vorübergehenden Bedarfes sowie die – hier vorliegende – Befristung zur Erprobung des Kassenvertragsarztes in Betracht, weshalb die betreffende Vorschrift in den Ausführungsbestimmungen zum Gesamtvertrag anwendbar sei.
1.3. Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei Berufung an die Bundesschiedskommission. Diese wies die Berufung mit folgender Begründung ab:
"1. Gemäß §345a Abs2 Z1 ASVG ist die Landesschiedskommission zuständig 'zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages'. Gegen die Entscheidungen der Landesschiedskommission kann gemäß §345a Abs3 ASVG Berufung an die Bundesschiedskommission erhoben werden. Die 'Vereinbarungen zum Gesamtvertrag' vom 21.3.1994 sind eine gesamtvertragliche Regelung.
2. Der normativ auf die Einzelverträge einwirkende Teil eines Gesamtvertrags ist nach den Grundsätzen auszulegen, die für die Interpretation von Gesetzen (insbesondere §§6 und 7 ABGB) gelten (R 2-BSK/03 = SSV-NF 18/A 7 uva). Bei der Auslegung des Gesamtvertrags ist auch die Vertragspraxis der Gesamtvertragsparteien, also deren Verständnis des Gesamtvertrags zu berücksichtigen, wenn es sich um eindeutige und auch deutlich erkennbare gemeinsame Auffassungen der Vertragsparteien handelt […]. Zwischen den Streitteilen besteht Einigkeit darüber, dass der letzte Satz in Punkt 3. unter der Überschrift 'Zu §5' der 'I. Ausführungsbestimmungen' der 'Vereinbarungen zum Gesamtvertrag' vom 21.3.1994 sich nicht nur auf §5 Abs3 des Gesamtvertrags vom 21.3.1994 bezieht.
3.1. Die zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträge haben 'nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen' insbesondere die Auswahl der Vertragsärzte und Vertragsgruppenpraxen, den Abschluss und die Lösung der mit diesen zu treffenden Abmachungen (Einzelverträge) zu regeln (§342 Abs1 Z2 ASVG).
3.2 §343 Abs2 bis 4 ASVG enthält Fälle der Auflösung von Einzelverträgen (Abs2: Fälle des Erlöschens des Vertragsverhältnisses ohne Kündigung; Abs3: Fälle, in denen der Träger der Krankenversicherung zur Auflösung des Vertragsverhältnisses verpflichtet ist; Abs4: Kündigung des Vertragsverhältnisses von beiden Teilen unter Einhaltung einer Kündigungsfrist, wobei der Krankenversicherungsträger nur wegen wiederholter nicht unerheblicher oder wegen schwerwiegender Vertrags- oder Berufspflichtverletzungen unter Angabe der Gründe kündigen kann. Der gekündigte Arzt oder die gekündigte Vertrags-Gruppenpraxis kann die Kündigung bei der Landesschiedskommission anfechten). Die Frage der Befristung eines Einzelvertrags behandelt das Gesetz nicht ausdrücklich.
3.3. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin regelt §343 Abs2 bis 4 ASVG die Beendigung des Einzelvertrags nicht abschließend, wäre doch sonst nach zutreffender Auffassung die Bestimmung des §342 Abs1 Z2 ASVG sinnlos und selbst eine einvernehmliche Lösung als Beendigungsmöglichkeit des Einzelvertrags ausgeschlossen, woran es kein vernünftiges Interesse gäbe (vgl Mosler in Strasser (Hrsg), Arzt und gesetzliche Krankenversicherung 275 f, 281; Albegger, Die Auflösung des kassenärztlichen Einzelvertrages 82; Geist in Jabornegg/Resch/Seewald, Der Vertragsarzt 198 f; aA Selb in Tomandl, System 595 [Stand 1993/94]; s auch Krejci, Probleme des individuellen Kassenarztvertrages, ZAS 1989, 109 [116]). Der Einzelvertrag ist ein (zivilrechtliches) Dauerschuld Verhältnis, Dauerschuldverhältnisse können gemäß §1449 ABGB befristet werden. Mangels einer speziellen Regelung im ASVG ist die grundsätzliche Möglichkeit und Zulässigkeit einer Befristung von Einzelverträgen zu bejahen (Mosler in Strasser (Hrsg), Arzt und gesetzliche Krankenversicherung 275 f, 281; Albegger, Die Auflösung des kassenärztlichen Einzelvertrages 82).
3.4. Wenngleich es grundsätzlich zulässig ist, im Gesamtvertrag die Befristung eines Einzelvertrags vorzusehen, so müssen nach herrschender, von der Bundesschiedskommission geteilter Auffassung solche Regelungen im Hinblick auf die Beachtung des Schutzzwecks des Kündigungsschutzes (§343 Abs4 ASVG) auf Ausnahmefälle beschränkt sein (Mosler in Strasser, (Hrsg), Arzt und gesetzliche Krankenversicherung 278; Albegger, Die Auflösung des kassenärztlichen Einzelvertrages 82; Geist in Jabornegg/Resch/Seewald, Der Vertragsarzt 198; Krejci, Probleme des individuellen Kassenarztvertrages, ZAS 1989, 109 [116]). So wäre die Vereinbarung im Gesamtvertrag, die eine Aneinanderreihung von befristeten Einzelverträgen vorsieht ('Kettenarztverträgen') unzulässig, stellte dies doch eine Umgehung des gesetzlichen Kündigungsschutzes dar (Mosler aaO 277; Albegger aaO 83 ff; Krejci aaO 116).
3.5. Mit dem Schutzzweck des §343 Abs4 ASVG vereinbar ist hingegen eine kurze Befristung bei einem vorübergehenden Bedarf – wie im gegenständlichen Fall in §5 Abs3 des Gesamtvertrags iVm der Bestimmung: 'Die Einzelverträge sind grundsätzlich mit einem Jahr zu befristen.' in den 'Vereinbarungen zum Gesamtvertrag' vom 21. 3. 1994 vorgesehen – und im Fall der Erprobung des Arztes ('Probearztverträge'; Mosler aaO 278; Albegger aaO 85 ff).
3.5.1. Im ersten Fall begründet der bloß vorübergehende Bedarf hinreichend den Zweck der Befristung, der sie im Zusammenhalt mit ihrer Beschränkung auf ein Jahr vor dem Hintergrund des Kündigungsschutzes unbedenklich erscheinen lässt (vgl Mosler aaO 278).
3.5.2. Im zweiten Fall scheinen zwar auch bei einer Befristung des ersten Einzelvertrags (anfängliche, einmalige Befristung) die Interessen des Arztes (Errichtungskosten; Investitionen in Geräteausstattung) gegen die Zulässigkeit einer kurzen Befristung zu sprechen, doch steht dem jedenfalls gleichwertig das Interesse am Schutz der Versicherten gegenüber. Die tatsächliche Erprobung des Vertragsarztes kann durch ein noch so ausführliches, streng formalisiertes Auswahlverfahren nicht ersetzt werden, wie die Landesschiedskommission zutreffend ausführte. Die Befristung ist geeignet, Defizite des Auswahlverfahrens auszugleichen und den Anspruch der Versicherten auf eine ausreichende Behandlung besser zu gewährleisten, erlaubt sie doch die Prüfung, ob der Arzt die in ihn gesetzten Erwartungen in der Praxis bestätigen kann (Mosler aaO 278; Albegger aaO 85 ff).
4. Die streitverfangene Bestimmung 'Die Einzelverträge sind grundsätzlich mit einem Jahr zu befristen.' lässt eine Auslegung im Sinn der vorstehenden Ausführungen unter Punkt 3.5.1. und 3.5.2. zu. Einem möglichen Missbrauch der Befristungsmöglichkeit durch den Krankenversicherungsträger wirkt die Regelung in den 'Vereinbarungen zum Gesamtvertrag' entgegen, wonach zwischen Kammer und Kasse das Einvernehmen herzustellen ist, wenn der befristete Einzelvertrag, aus welchen Gründen immer, nicht verlängert wird. Ist insoweit die Anwendbarkeit der streitverfangenen Bestimmung zu bejahen, kann dem Antrag kein Erfolg beschieden sein. Der Bescheid der Landesschiedskommission war daher zu bestätigen."
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Begründend führt die beschwerdeführende Partei aus, dass durch eine Befristung von Einzelverträgen der Kündigungsschutz des §343 ASVG unterlaufen würde. Auch könne einem Kassenvertragsarzt nur bei Einhaltung dieses Kündigungsschutzes zugemutet werden, umfangreiche Investitionen auch zum öffentlichen Wohl der Versichertengemeinschaft zu tätigen. Schließlich sei nicht ersichtlich, worin der Vertragsarzt erprobt werden solle, zumal die Frage nach seiner hinreichenden Qualifikation bereits im Auswahlverfahren zu beantworten sei.
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch ab.
4. Die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse als beteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie den Beschwerdevorwürfen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Rechtslage
1. Die im vorliegenden Fall relevanten Vorschriften des Bundesgesetzes vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG), BGBl 189/1955 idF BGBl I 52/2011, lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung auszugsweise wie folgt:
"Gesamtverträge
§341. (1) Die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten sowie den Gruppenpraxen werden jeweils durch Gesamtverträge geregelt. Diese sind für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen. Die Gesamtverträge bedürfen der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den der Gesamtvertrag abgeschlossen wird. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der beteiligten Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen.
(2) - (4) […]
Inhalt der Gesamtverträge
§342. (1) Die zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträge haben nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen insbesondere folgende Gegenstände zu regeln:
1. die Festsetzung der Zahl und der örtlichen Verteilung der Vertragsärztinnen und –ärzte (Vertrags-Gruppenpraxen) unter Bedachtnahme auf die regionalen Strukturpläne Gesundheit (RSG) mit dem Ziel, dass unter Berücksichtigung sämtlicher ambulanter Versorgungsstrukturen, der örtlichen Verhältnisse und der Verkehrsverhältnisse, der Veränderung der Morbidität sowie der Bevölkerungsdichte und –struktur (dynamische Stellenplanung) eine ausreichende ärztliche Versorgung im Sinne des §338 Abs2 erster Satz der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten und deren Angehörigen gesichert ist; in der Regel soll die Auswahl zwischen mindestens zwei in angemessener Zeit erreichbaren Vertragsärzten oder einem Vertragsarzt und einer Vertrags-Gruppenpraxis freigestellt sein;
1a. allfällige Regelungen für Investitionsabgeltungen an den/die bisherigen/bisherige Stelleninhaber/in unter anteiliger Anrechnung auf das Honorarvolumen für den Fall, dass eine im Stellenplan enthaltene Planstelle gestrichen und somit nicht nachbesetzt wird, und weder vom/von der bisherigen Stelleninhaber/in noch von einem/einer anderen Arzt/Ärztin in dessen/deren bisherigen Räumlichkeiten oder mit dessen/deren bisherigen Einrichtungen eine vertrags- oder wahlärztliche Tätigkeit ausgeübt wird; Veräußerungserlöse sind auf die Investitionsabgeltung anzurechnen;
2. die Auswahl der Vertragsärzte und Vertrags-Gruppenpraxen, Abschluß und Lösung der mit diesen zu treffenden Abmachungen (Einzelverträge);
3. - 9. […]
10. die Festlegung einer Altersgrenze (längstens bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres) für die Beendigung der Einzelverträge von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten (persönlich haftenden Gesellschafterinnen/Gesellschaftern einer Vertrags-Gruppenpraxis) sowie möglicher Ausnahmen davon bei drohender ärztlicher Unterversorgung. Kommt keine Einigung über eine Altersgrenze zustande, so gilt das vollendete 70. Lebensjahr als Altersgrenze."
"Aufnahme der Ärzte in den Vertrag und Auflösung des Vertragsverhältnisses
§343. (1) Die Auswahl der Vertragsärztinnen/Vertragsärzte und der Vertrags-Gruppenpraxen und der Abschluss der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der Krankenversicherung und dem Arzt/der Ärztin oder der Gruppenpraxis erfolgt nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer. Diese Einzelverträge sind sodann für alle Gebiets- und Betriebskrankenkassen sowie für die Sozialversicherungsanstalt der Bauern wirksam. Die Einzelvertragsparteien können abweichend von §341 Abs3 mit Zustimmung der zuständigen Ärztekammer ergänzende oder abweichende Regelungen hinsichtlich Art, Umfang und Honorierung der vertragsärztlichen Tätigkeit insbesondere im Zusammenhang mit der Festlegung der Öffnungszeiten, für Spitalsambulanzen entlastende Leistungen, oder für dislozierte Standorte treffen. Wurden in einem Zulassungsverfahren nach §52c ÄrzteG 1998 oder §26b Abs1 ZÄG Auflagen erteilt, so sind diese Inhalt des jeweiligen Einzelvertrages. Einzelverträge, die nicht im Rahmen der jeweils nach §342 Abs1 Z1 vereinbarten Zahl und örtlichen Verteilung abgeschlossen werden, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Hauptverbandes und der zuständigen Ärztekammer, bei Nichteinigung der Zustimmung des Hauptverbandes und der Österreichischen Ärztekammer. Mit approbierten Ärztinnen/Ärzten (§44 Abs1 ÄrzteG 1998) kann kein Einzelvertrag abgeschlossen werden, es sei denn, der Arzt/die Ärztin hat gemäß Artikel 36 Abs2 der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen das Recht erworben, den ärztlichen Beruf als Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizin im Rahmen eines Sozialversicherungssystems auszuüben.
(1a) Zur Auswahl nach Abs1 sind auf Vorschlag der Österreichischen Ärztekammer durch Verordnung des Bundesministers für Gesundheit verbindliche Kriterien für die Reihung der Bewerberinnen und Bewerber um Einzelverträge festzulegen (Reihungskriterien). Dabei sind auch die fachliche Eignung der Bewerberinnen und Bewerber und die zeitliche Reihenfolge der Bewerbungen um Einzelverträge zu berücksichtigen. Für den Fall der Vergabe eines Gruppenpraxen-Einzelvertrages ist die Bewertung der sich jeweils gemeinsam bewerbenden Ärztinnen/Ärzte als Gesamtes vorzusehen. Für die Besetzung einer in einer Gruppenpraxis gebundenen Planstelle ist prozentmäßig eine Bandbreite festzulegen, innerhalb derer die Bewerbungen, aus denen die Gruppenpraxis auswählen kann, liegen müssen. Die Reihungskriterien haben jedenfalls dem Gleichheitsgebot, der Erwerbsausübungs- und Niederlassungsfreiheit sowie den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, BGBl Nr 210/1958, zu entsprechen. Vor Erlassung dieser Verordnung ist der Hauptverband anzuhören.
(1b) Solange kein Einvernehmen über den Bedarf der Nachbesetzung einer frei werdenden Planstelle zwischen der zuständigen Ärztekammer und dem zuständigen Träger der Krankenversicherung unter Berücksichtigung der Kriterien nach §342 Abs1 Z1 besteht, kann diese Planstelle nicht ausgeschrieben werden. Besteht nach Ablauf eines Jahres nach Beendigung eines Einzelvertrages immer noch kein Einvernehmen, so entscheidet die Landesschiedskommission (§345a) auf Antrag einer der beiden Vertragsparteien über den Bedarf der Nachbesetzung unter Berücksichtigung der Kriterien nach §342 Abs1 Z1. Bis zur Rechtskraft der Entscheidung kann die Planstelle nicht ausgeschrieben werden. Der Stellenplan gilt ab Rechtskraft einer Entscheidung der Nicht-Nachbesetzung als angepasst.
(1c) Im Falle der Stilllegung einer Planstelle (Abs1a) darf der betroffene Sozialversicherungsträger das bisher vom Vertragsarzt/von der Vertragsärztin der jeweiligen Planstelle abzudeckende Leistungsvolumen innerhalb von fünf Jahren ab Freiwerden der Stelle nicht durch einen neuen Vertrag mit anderen Leistungsanbietern/-anbieterinnen abdecken.
(2) Das Vertragsverhältnis zwischen dem Vertragsarzt oder der Vertrags-Gruppenpraxis und dem Träger der Krankenversicherung erlischt ohne Kündigung im Falle:
1. der Auflösung des Trägers der Krankenversicherung;
2. des Wirksamwerdens gesetzlicher Vorschriften, durch die die Tätigkeit des Trägers der Krankenversicherung entweder eine örtliche oder eine sachliche Einschränkung erfährt, in deren Folge die Tätigkeit als Vertragsarzt oder der Vertrags-Gruppenpraxis nicht mehr in Frage kommt;
3. des Todes des Vertragsarztes oder der Auflösung der Vertrags-Gruppenpraxis, wobei die bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Honoraransprüche des Arztes auf die Erben, jene der Vertrags-Gruppenpraxis auf die Gesellschafter übergehen;
4. der rechtskräftigen Verurteilung des Vertragsarztes oder eines Gesellschafters der Vertrags-Gruppenpraxis
a) wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener gerichtlich strafbarer Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe oder
b) wegen einer mit Bereicherungsvorsatz begangenen gerichtlich strafbaren Handlung;
5. einer im Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufes wegen groben Verschuldens strafgerichtlichen rechtskräftigen Verurteilung des Vertragsarztes oder eines Gesellschafters der Vertrags-Gruppenpraxis;
6. eines wiederholten rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils, in welchem ein Verschulden des Vertragsarztes oder eines Gesellschafters der Vertrags-Gruppenpraxis im Zusammenhang mit der Ausübung der vertraglichen Tätigkeit festgestellt wird;
7. des Erreichens der jeweils festgelegten Altersgrenze mit Ablauf des jeweiligen Kalendervierteljahres;
8. eines Verstoßes gegen §342a Abs3 Z1 lita oder Z2.
In den Fällen der Z4 bis 7 kann eine Vertrags-Gruppenpraxis das Erlöschen des Einzelvertrages verhindern, wenn sie innerhalb von vier Wochen ab Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung oder nach Ablauf des jeweiligen Kalendervierteljahres, in welchem die Altersgrenze erreicht wurde, den betroffenen Gesellschafter aus der Vertrags-Gruppenpraxis ausschließt. Die Wiederaufnahme eines ausgeschlossenen Gesellschafters in eine Vertrags-Gruppenpraxis kann nur mit Zustimmung der zuständigen Sozialversicherungsträger erfolgen. Die Rechtsfolge des Erlöschens des Einzelvertrages nach Z4 und 5 kann nicht nach §44 Abs2 StGB nachgesehen werden.
(3) Der Träger der Krankenversicherung ist zur Auflösung des Vertragsverhältnisses mit einem Vertragsarzt oder mit einer Vertrags-Gruppenpraxis verpflichtet, wenn der Arzt oder ein Gesellschafter einer Vertrags-Gruppenpraxis die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes verliert oder wenn ihm diese Berechtigung von Anfang an fehlte oder wenn im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer festgestellt wird, dass die Voraussetzungen, die zur Bestellung des Vertragsarztes oder der Vertrags-Gruppenpraxis erforderlich sind, von Anfang an nicht gegeben waren. Abs2 letzter Satz gilt sinngemäß.
(4) Das Vertragsverhältnis kann unbeschadet der Bestimmungen der Abs2 und 3 von beiden Teilen unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Der Krankenversicherungsträger kann nur wegen wiederholter nicht unerheblicher oder wegen schwerwiegender Vertrags- oder Berufspflichtverletzungen unter Angabe der Gründe schriftlich kündigen. Der gekündigte Arzt/die gekündigte Ärztin oder die gekündigte Vertrags-Gruppenpraxis kann innerhalb von zwei Wochen die Kündigung bei der Landesschiedskommission mit Einspruch anfechten. Die Landesschiedskommission hat innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen des Einspruches über diesen zu entscheiden. Der Einspruch hat bis zum Tag der Entscheidung der Landesschiedskommission aufschiebende Wirkung. Eine Vertrags-Gruppenpraxis kann die Kündigung des Einzelvertrages abwenden, wenn sie innerhalb von acht Wochen ab Rechtskraft der Kündigung jenen Gesellschafter/jene Gesellschafterin, der/die ausschließlich den jeweiligen Kündigungsgrund gesetzt hat, aus der Vertrags-Gruppenpraxis ausschließt. Eine vom gekündigten Arzt/von der gekündigten Ärztin (von der gekündigten Gruppenpraxis) eingebrachte Berufung an die Bundesschiedskommission hat ohne Zustimmung des Krankenversicherungsträgers keine aufschiebende Wirkung."
"Landesschiedskommission
§345a. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesschiedskommission zu errichten. Diese besteht aus einem Richter des Ruhestandes als Vorsitzenden und vier Beisitzern. Der Vorsitzende soll durch längere Zeit hindurch in Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig gewesen sein. Er ist vom Bundesminister für Justiz jeweils auf fünf Jahre zu bestellen. Je zwei Beisitzer werden im Einzelfall von der zuständigen Ärztekammer und dem Hauptverband entsendet.
(2) Die Landesschiedskommission ist zuständig:
1. zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages;
2. zur Entscheidung über die Wirksamkeit einer Kündigung gemäß §343 Abs4;
3. zur Entscheidung bei Anträgen nach §343 Abs1a.
(3) Gegen die Entscheidungen der Landesschiedskommission kann Berufung an die Bundesschiedskommission erhoben werden."
2. Die maßgeblichen Vorschriften des am 21. März 1994 zwischen dem Hauptverband und der Ärztekammer für Niederösterreich abgeschlossenen Gesamtvertrages lauten wie folgt:
"Grundlagen
§1
(1) Dieser Gesamtvertrag wird gemäß §§338, 341 und 342 des Bundesgesetzes vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz - ASVG), BGBl Nr 189, sowie gemäß §38 Abs2 Z8 des Ärztegesetzes 1984, BGBl Nr 373, in der geltenden Fassung, zum Zwecke der Bereitstellung und Sicherstellung der ausreichenden ärztlichen Versorgung der bei den im §2 angeführten Krankenversicherungsträgern Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen (im Folgenden unter der Bezeichnung 'Anspruchsberechtigte' zusammengefasst) abgeschlossen.
(2) Vertragsparteien im Sinne dieses Gesamtvertrages sind die Kammer einerseits und die im §2 angeführten Krankenversicherungsträger andererseits.
Geltungsbereich
§2
Dieser Gesamtvertrag wird vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für folgende Krankenversicherungsträger mit deren Zustimmung und mit Wirkung für diese abgeschlossen:
Niederösterreichische Gebietskrankenkasse,
[…]"
"Auswahl der Vertragsärzte
§5
(1) Die Kammer überprüft die Voraussetzungen der Bewerber für die vertragsärztliche Tätigkeit. Sie leitet die Anträge samt Beilagen mit ihrer Stellungnahme binnen drei Wochen nach Ablauf der Ausschreibungsfrist an den Versicherungsträger weiter und erstattet einen begründeten Vorschlag. Ist der Versicherungsträger mit dem Vorschlag nicht einverstanden, hat er einen begründeten Gegenvorschlag binnen vier Wochen nach Einlangen des Vorschlages der Kammer zu erstatten. Die Auswahl des Arztes für die freie Vertragsarztstelle bedarf des Einvernehmens zwischen Kammer und Versicherungsträger. Kommt innerhalb von zwei Wochen ein Einvernehmen nicht zustande, so entscheidet die Landesschiedskommission auf Antrag einer der Vertragsparteien.
(2) Die Vertragsparteien können für die Auswahl der Vertragsärzte Richtlinien vereinbaren.
(3) Bis zur Besetzung einer freien Vertragsarztstelle kann im Falle eines dringenden Bedarfes im Einvernehmen mit der Kammer ein befristeter Einzelvertrag abgeschlossen werden.
(4) Angestellte Ambulatoriumsfachärzte von einem der in §2 genannten Versicherungsträger dürfen nicht gleichzeitig Vertragsärzte dieser Versicherungsträger sein. Sonstige angestellte Ärzte (Chefärzte, Kontrollärzte und dgl.) dürfen nicht gleichzeitig Vertragsärzte ihres Versicherungsträgers sein. Dies gilt auch für nicht angestellte Kontrollärzte. Ausnahmen sind nur im Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien zulässig."
3. Die maßgeblichen Ausführungsbestimmungen der Vereinbarungen zum Gesamtvertrag vom 21. März 1994 lauten wie folgt (die strittige Bestimmung ist hervorgehoben):
"VEREINBARUNGEN
zum Gesamtvertrag
abgeschlossen zwischen der Ärztekammer für Niederösterreich einerseits und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für die im §2 des Gesamtvertrages angeführten Krankenversicherungsträger andererseits. Diese Vereinbarungen gelten für das Vertragsverhältnis der praktischen Ärzte und Fachärzte, ausgenommen die Fachärzte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, zu den in §2 des Gesamtvertrages angeführten Krankenversicherungsträgern.
I. AUSFÜHRUNGSBESTIMMUNGEN
[…]
Zu §5
Richtlinien für die Auswahl der Vertragsärzte
1. Jedes Ansuchen um Invertragnahme bzw. um Vormerkung für eine Kassenplanstelle ist an die Ärztekammer für Niederösterreich zu richten. Der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse ist umgehend (spätestens innerhalb von drei Wochen) durch die Ärztekammer für Niederösterreich eine Kopie dieses Ansuchens zu übermitteln.
2. Die Vorschläge der Ärztekammer für Niederösterreich zum Abschluß von Einzelverträgen sollen spätestens drei bis vier Wochen vor dem jeweiligen Termin für die Invertragnahme bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse einlangen, damit deren Ausschuß für Vertragspartnerangelegenheiten noch rechtzeitig entscheiden kann.
3. Die Vorschläge der Ärztekammer für Niederösterreich sind entsprechend zu begründen. Der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse ist bekanntzugeben, ob bzw. welche weitere(n) Bewerber für die jeweilige Planstelle angesucht haben und aus welchen Gründen diese von der Ärztekammer abgelehnt wurden. Die Einzelverträge sind grundsätzlich mit einem Jahr zu befristen.
4. Bei der Auswahl der in Vertrag zu nehmenden Ärzte für die Kassenplanstelle eines niedergelassenen bzw. ehemaligen Vertragsarztes ist auf dessen Nachkommen bzw. dessen Ehegatten Bedacht zu nehmen.
5. Die Übertragung eines Kassenvertrages ist nicht möglich. Nur über die mit der Führung einer Kassenpraxis sonst zusammenhängenden Rechte sowie vorhandenen Inventargegenstände bzw. andere Investitionen können privatrechtliche Vereinbarungen getroffen werden. Kommt eine solche nicht zustande, ist eine Vorgriffsstelle zu installieren.
6. Wird der befristete Einzelvertrag, aus welchen Gründen immer, nicht verlängert, ist zwischen Kammer und Kasse das Einvernehmen herzustellen."
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Gemäß §345a Abs2 Z1 ASVG ist die Landesschiedskommission dazu berufen, über Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages zu entscheiden. Gegen ihre Entscheidungen kann gemäß §345a Abs3 ASVG Berufung an die Bundesschiedskommission erhoben werden.
Im vorliegenden Fall begehrte die Ärztekammer für Niederösterreich als Partei des Gesamtvertrages die Feststellung, dass eine bestimmte Vorschrift der "Vereinbarungen zum Gesamtvertrag" unanwendbar ist. Da diese Vereinbarungen von den Parteien des Gesamtvertrages (am gleichen Tag wie dieser selbst) abgeschlossen worden sind, liegt unstreitig eine gesamtvertragliche Regelung iSd §341 Abs1 ASVG vor. Die Bundesschiedskommission hat folglich zu Recht ihre Zuständigkeit für den vorliegenden Fall bejaht.
2. Die Beschwerde ist jedoch begründet:
2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).
2.2. Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen:
2.2.1. Gemäß §342 Abs1 ASVG haben die zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträge "nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen" bestimmte Gegenstände zu regeln. Zu diesen zählen gemäß §342 Abs1 Z2 leg.cit. insbesondere der Abschluss und die Lösung der mit den Vertragsärzten zu treffenden Abmachungen (Einzelverträge).
2.2.2. Näher geregelt ist die Beendigung des Vertragsverhältnisses sodann in §343 ASVG. Insbesondere erlischt nach dessen Abs2 das Vertragsverhältnis zwischen dem Vertragsarzt und dem Träger der Krankenversicherung ohne Kündigung in dort eigens angeführten Fällen, zu denen die Befristung des Vertragsverhältnisses nicht zählt. §343 Abs3 leg.cit. normiert zudem Fälle, in denen der Träger der Krankenversicherung zur Auflösung des Vertragsverhältnisses verpflichtet ist; Abs4 leg.cit. wiederum schreibt die Kündigungsmöglichkeit von beiden Teilen unter Einhaltung einer Kündigungsfrist fest.
2.3. Beim Gesamtvertrag handelt es sich – ähnlich dem arbeitsrechtlichen Kollektivvertrag – um einen zwischen dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und der jeweils örtlich zuständigen Ärztekammer abgeschlossenen privatrechtlichen Normenvertrag, der, soweit er Rechte und Pflichten der Ärzte und der Sozialversicherungsträger als Partner des Einzelvertrags regelt, auf Letzteren unmittelbar einwirkt (§341 Abs3 ASVG; vgl. VfSlg 15.907/2000 mwH auf die Vorjudikatur). Der Gesamtvertrag beruht daher nicht auf der Privatautonomie der vertragschließenden Parteien, sondern auf gesetzlicher Ermächtigung; er kann daher nur in Angelegenheiten, die das Gesetz bestimmt, abgeschlossen werden, und er ist insoweit, als sein zulässiger Regelungsgegenstand durch Gesetz und Verordnung inhaltlich determiniert ist, an diese Vorgaben gebunden (VfSlg 15.697/1999). Eine Gesetz oder Verordnung widersprechende Bestimmung eines Gesamtvertrages wäre nach §879 ABGB nichtig (VfSlg 19.251/2010).
2.3.1. Das gesetzliche Erfordernis des Bestehens von "Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages" als Zuständigkeitsvoraussetzung für die Entscheidung einer Frage der Auslegung des Gesamtvertrages soll offensichtlich rein theoretische Auslegungsfragen des Gesamtvertrages von einer Entscheidung durch die Landesschiedskommission, die diesfalls einer Gutachtertätigkeit gliche, fernhalten.
2.3.2. Die Entscheidung einer Auslegungsstreitigkeit über den Inhalt des Gesamtvertrages setzt demnach aber einen bestimmten Sachverhalt voraus, dessen anhand des Gesamtvertrages vorzunehmende rechtliche Beurteilung zwischen den Parteien des Gesamtvertrages strittig ist, mit der Folge, dass diese Auffassungsdivergenz über die Auslegung (oder die Anwendung) des Gesamtvertrages zu einer "Gefährdung der Rechtssphäre" (so zutreffend BSK SSV-NF7/A2 mwH) der antragstellenden Partei führt. Der hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung strittige Sachverhalt, der Anlass zur Antragstellung gibt, ist daher vom antragstellenden Vertragspartner konkret darzulegen und bestimmt in der Folge den Verfahrensgegenstand (VfSlg 18.943/2009).
2.3.3. Die beschwerdeführende Partei beantragte die Feststellung, dass jene Ausführungsbestimmung zum Gesamtvertrag, derzufolge Einzelverträge grundsätzlich zu befristen sind, keine Anwendung finde, weil das ASVG eine Befristung von Einzelverträgen nicht zulasse. Die beschwerdeführende Partei und die belangte Behörde vertreten in diesem Zusammenhang übereinstimmend die – denkmögliche – Auffassung, dass die strittige Bestimmung "Die Einzelverträge sind grundsätzlich mit einem Jahr zu befristen" eine Befristung beim erstmaligen Abschluss von Einzelverträgen auf ein Jahr generell zulässt, und gehen davon aus, dass sie auch in der Praxis von der beteiligten Gebietskrankenkasse in dieser Weise gehandhabt wird. Gegenstand des Verfahrens ist sohin die Frage, ob eine Bestimmung dieses Inhalts zulässigerweise durch Gesamtvertrag vereinbart werden kann.
2.4. Die belangte Behörde bejaht dies mit der Begründung, dass die Vorschrift des §343 ASVG die Beendigung eines Einzelvertrages nicht abschließend regle, weshalb eine Befristung desselben auf ein Jahr – unter Wahrung der Schutzzwecke des §343 leg.cit. – bei vorübergehendem Bedarf und bei Beginn des Vertragsverhältnisses zulässig sei. Mit dieser Auslegung des §343 ASVG hat die belangte Behörde die Rechtslage jedoch in besonderem Maße verkannt.
2.4.1. Bereits in seinem – von der belangten Behörde gänzlich unbeachtet gebliebenen – Erkenntnis VfSlg 19.248/2010 hat der Verfassungsgerichtshof – bezogen auf eine vorläufige Untersagung der Berufsausübung gemäß §62 Abs1 Ärztegesetz 1998 – zum Ausdruck gebracht, dass die keines Kündigungsausspruches bedürfenden Endigungsgründe in der Vorschrift des §343 ASVG abschließend geregelt sind: Der dort normierte Tatbestand des Verlustes der Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes ist daher nur im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung, nicht aber bereits im Falle einer bloß vorläufigen Untersagung der Berufsausübung erfüllt. Der Verfassungsgerichtshof hält an seiner Auffassung fest, dass die keines Kündigungsausspruches bedürfenden Endigungsgründe in §343 Abs2 ASVG abschließend geregelt sind, weil diese Sichtweise sowohl durch eine systematische als auch durch eine historische Interpretation dieser Norm gestützt wird:
2.4.1.1. Gemäß §342 Abs1 Z2 ASVG kann die Auflösung von Einzelverträgen ausschließlich "nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen" Gegenstand eines Gesamtvertrages sein. Damit legt diese Vorschrift unmissverständlich fest, dass eine gesamtvertragliche Regelung, die Modalitäten der Auflösung eines Einzelvertrages betrifft, an den Rahmen der nachfolgenden Bestimmungen, näherhin des §343 ASVG, gebunden ist. §343 ASVG kennt den Endigungsgrund der Befristung eines Vertragsverhältnisses jedoch nicht, sieht man davon ab, dass ein Einzelvertrag gemäß §343 Abs2 Z7 ASVG bei Erreichen der Altersgrenze mit Ablauf des jeweiligen Kalendervierteljahres endet. Die Festlegung einer Altersgrenze längstens mit der Vollendung des 70. Lebensjahres schreibt das Gesetz für den Gesamtvertrag ausdrücklich vor (§342 Abs1 Z10 ASVG). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Endigung des Einzelvertrages durch Zeitablauf auch in anderen Fällen zulassen wollte; dies schon im Hinblick auf das Gewicht des Kündigungsschutzes, der unbefristeten Einzelverträgen gemäß §343 Abs4 ASVG zukommt. Dies gilt nicht nur für die Befristung von Einzelverträgen im Allgemeinen, sondern auch für eine Befristung zum Zwecke einer Probezeit.
2.4.1.2. Anders als die belangte Behörde vermeint, erweist sich die Regelungsbefugnis der Gesamtvertragsparteien im Sinne des §342 Abs1 Z2 ASVG (über Abschluss und Lösung der Einzelverträge) bei einer solchen Deutung des §343 ASVG keineswegs als inhaltsleer. Sie ermächtigt die Gesamtvertragspartner vielmehr dazu, in den dort angeführten Angelegenheiten im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben konkretisierende Regelungen hinsichtlich der näheren Modalitäten zu treffen. Die Erläuterungen zur Stammfassung des ASVG (vgl. RV599 BlgNR 7. GP, 102) führen dazu ausdrücklich aus, dass "die Bedingungen, die im Gesamtvertrag bezüglich der Auflösung des Vertrages zu vereinbaren sein werden, […] für beide Vertragsteile gleich sein [müssen]. Sie müssen mit den Bestimmungen des §343, insbesondere auch des §343 Abs5 über die Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist im Einklang stehen".
2.4.1.3. Im Hinblick darauf, dass die Kündigung eines Einzelvertrages gemäß §343 Abs4 ASVG beiden Vertragspartnern unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Quartalsende offensteht und Partner eines Vertrages schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen jedenfalls berechtigt sind, einen einmal geschlossenen Vertrag einvernehmlich auch wieder aufzulösen, muss die Zulässigkeit einer einvernehmlichen Auflösung – im Gegensatz zur Zulässigkeit der Befristung – nicht ausdrücklich im Gesetz vorgesehen werden. Aus der Annahme einer abschließenden Regelung der Endigungsgründe in §343 ASVG folgt daher – entgegen der Auffassung der belangten Behörde – keineswegs, dass auch die einvernehmliche Auflösung eines Einzelvertrages nicht zulässig wäre.
2.4.1.4. Auch die weiteren Ausführungen in den – von der belangten Behörde nicht herangezogenen – Materialien zu §343 ASVG, dessen Wortlaut im Wesentlichen seit der Stammfassung unverändert ist, legen letztendlich die Annahme einer abschließenden Regelung nahe. Sie führen in diesem Zusammenhang nämlich Folgendes aus (vgl. RV599 BlgNR 7. GP, 102):
"Das Sozialversicherungs-Überleitungsgesetz hat keine nähere Regelung hinsichtlich der Aufnahme der Ärzte in ein Vertragsverhältnis und der Auflösung des Vertragsverhältnisses getroffen, sondern in dieser Hinsicht den Verträgen völlig freien Spielraum gelassen. Dies wurde als ein gewisser Mangel empfunden, der durch die Bestimmungen des §343 der Vorlage beseitigt werden soll. Im §343 Abs1 werden die Träger der Krankenversicherung verpflichtet, bei der Aufnahme der Ärzte in das Vertragsverhältnis im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer vorzugehen. Es wird damit einer schon seit langem vertretenen Forderung der Ärzteschaft nach gesetzlicher Verankerung des Rechtes ihrer Interessenvertretungen, bei der Aufnahme der Ärzte in das Vertragsverhältnis mitzuwirken, Rechnung getragen. Im Abs2 werden die Gründe taxativ aufgezählt, die zu einem Erlöschen des Vertragsverhältnisses ohne vorherige Kündigung führen. Auch diese Bestimmung stellt ebenso wie die ergänzend hinzutretende Bestimmung des Abs3 über die Verpflichtung des Trägers der Krankenversicherung zur Auflösung des Vertragsverhältnisses mit einem Vertragsarzt einen bedeutsamen Ausbau des gegenwärtig geltenden Rechtes dar. Die Abs4 und 5 gewährleisten dem Vertragsarzt einen gewissen Schutz vor ungerechtfertigter oder vor unbegründeter vorzeitiger Auflösung des Vertrages."
2.4.1.5. Schließlich hat auch der Verwaltungsgerichtshof, als er in derartigen Rechtssachen noch angerufen werden konnte, in seiner Rechtsprechung §343 ASVG hinsichtlich der Endigungsgründe als eine abschließende Regelung erachtet (vgl. VwGH 27.9.1961, 1218/60).
2.4.2. Soweit die belangte Behörde die Frage, ob der betreffende Satz in den Ausführungsbestimmungen zum Gesamtvertrag als gültige Rechtsnorm anzuwenden ist, ohne Bedachtnahme auf die und ohne nähere Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. den Gesetzesmaterialien unter Berufung auf die ihr Ergebnis vermeintlich stützende Interessenlage zum "Schutz der Versicherten" bejaht hat, hat sie das Verhältnis des Gesamtvertrages zu §343 ASVG in einer der Willkür gleichzuhaltenden Weise verkannt.
IV. Ergebnis
1. Die beschwerdeführende Partei ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
2. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,– enthalten.
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