European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0080OB00010.14Z.0929.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien haben die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.
Begründung
Die Klägerinnen brachten in ihrer an das Handelsgericht Wien gerichteten Klage zusammengefasst vor, sie hätten im Jahr 2010 einem bestimmten Unternehmen Kredite in Höhe der jeweiligen Klagsforderung gewährt, zu deren Besicherung die Beklagte Garantien nach den Bestimmungen des UnternehmensliquiditätsstärkungsG, BGBl I 2009/78 (kurz: ULSG) abgegeben habe. Der Garantiefall sei mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Kreditschuldners am 20. 6. 2013 eingetreten. Die Beklagte habe durch ihre Bevollmächtigte den Garantiefall anerkannt, aber keine Zahlung geleistet.
Die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts resultiere aus der Richtlinie des Bundesministers für Finanzen gemäß § 4 Abs 8 ULSG (kurz: ULSG‑Richtlinie), die für alle Streitigkeiten, die sich aus einer Haftungsübernahme durch den Bund ergeben, die ausschließliche Zuständigkeit des sachlich in Handelssachen und örtlich für Wien‑Innere Stadt zuständigen Gerichts bestimme.
Das Erstgericht wies die Klage a limine zurück. Die Zuständigkeit eines Gerichts ergebe sich entweder aus einer gesetzlichen Bestimmung, aus einer Vereinbarung, aus den prozessualen Wirkungen einer unterlassenen Unzuständigkeitseinrede oder aufgrund gerichtlicher Bestimmung. Alle diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Die gegenständlichen Garantien seien keine in die Zuständigkeit der Handelsgerichte fallenden unternehmensbezogenen Geschäfte im Sinn des § 51 Abs 1 Z 1, § 52 Abs 1 JN. Bloße Richtlinien könnten ‑ unabhängig von ihrer genauen rechtlichen Qualifikation ‑ die Gerichte nicht binden, zumal die Bestimmung des § 4 Abs 8 ULSG keine Verordnungsermächtigung zur Begründung einer zivilgerichtlichen Zuständigkeit enthalte. Letztlich seien das ULSG und dessen Ausführungsrichtlinie auch bereits vor Klagseinbringung, nämlich mit Ablauf des 31. 12. 2010, außer Kraft getreten.
Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerinnen, das sie mit einem Eventualantrag auf Überweisung nach § 230a ZPO an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien verbunden hatten, nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig.
Die ULSG-Richtlinie sei keine die Gerichte bindende Verordnung, sondern lediglich ein Akt der Privatwirtschaftsverwaltung, der die beanspruchte sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts nicht wirksam begründen könne. Die erstmals im Rekurs erhobene Behauptung einer Zuständigkeitsvereinbarung verstoße gegen das Neuerungsverbot.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Klägerinnen ist zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur sachlichen Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Haftungsübernahmen nach dem ULSG besteht. Zwar ist das ULSG nach seinem § 13 mit Ablauf des 31. 12. 2010 außer Kraft getreten, jedoch bleiben davon „ zu diesem Zeitpunkt bestehende Haftungen sowie die Bestimmungen über die Abwicklung durch den Bevollmächtigten unberührt“ , weshalb eine Relevanz der zu beurteilenden Rechtsfrage für weitere Verfahren über den Einzelfall hinaus zumindest nicht auszuschließen ist. Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.
1. Vorweg ist festzuhalten, dass der Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht entgegensteht, dass die Kläger in ihrem Rekurs hilfsweise für den Fall, dass ihm nicht stattgegeben werde, auch einen Überweisungsantrag nach § 230a ZPO gestellt haben (RIS‑Justiz RS0099922 [T2]). Mit einem Eventualantrag nach § 230a ZPO wird der Überweisungsantrag in Wahrheit nicht nur davon abhängig gemacht, dass der Rekurs selbst erfolglos bleibt, sondern auch davon, dass ein allfälliger Revisionsrekurs erfolglos bleibt (RIS‑Justiz RS0039108 [T3]).
2. Die Rechtsausführungen des Rekursgerichts sind jedoch zutreffend, sodass darauf verwiesen werden kann (§§ 510 Abs 3, 528a ZPO).
2.1. Aktenwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und deswegen der rechtlichen Beurteilung ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild zugrundegelegt wurde (RIS‑Justiz RS0043347). Die Revisionswerberinnen zeigen nicht auf, inwiefern das Rekursgericht ihr Klagsvorbringen in diesem Sinn unrichtig wiedergegeben hätte. Der Revisionsrekursgrund der Aktenwidrigkeit kann aber nicht dadurch verwirklicht werden, dass das Rekursgericht aus dem fehlerfrei wiedergegebenen Vorbringen andere als die von den Klägerinnen gewünschten rechtlichen Konsequenzen abgeleitet hat.
2.2. Die Übernahme von Haftungen nach dem ULSG hat(te) den Charakter einer Fördermaßnahme, bei der einem Privatrechtssubjekt durch einen Verwaltungsträger oder einen anderen mit der Vergabe betrauten Rechtsträger vermögenswerte Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln zugewendet werden, und sich der Empfänger im Gegenzug zu einem im öffentlichen Interesse gelegenen Verhalten verpflichtet (7 Ob 231/02z mwN).
Förderungen können entweder im Rahmen der Hoheitsverwaltung durch Bescheid erfolgen oder im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung, bei der sich der Staat jener Rechtsformen des Zivilrechts bedient, die auch einem Rechtsunterworfenen zur Verfügung stehen, wie Vertrag oder Auslobung. Im Zweifel ist bei Förderungsmaßnahmen von einer Vollziehung im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung auszugehen (7 Ob 231/02z, SZ 61/261 = JBl 1990,169, SZ 66/84). Förderungsrichtlinien werden als Erklärungen im Zusammenhang unter anderem mit einem abzuschließenden Förderungsvertrag verstanden, und nicht als Verordnungen im Sinne des Artikel 18 B‑VG (1 Ob 229/08w; 7 Ob 231/02z, SZ 61/261, 1 Ob 27/94; VfGH 25. 2. 1999, V 89/97 = VfSlg 15.430).
Das Rekursgericht hat diese Grundsätze zutreffend auf die Richtlinien für die ‑ im öffentlichen Interesse der Aufrechterhaltung der Liquidität mittelgroßer und großer Unternehmen normierte ‑ Übernahme von Haftungen nach dem ULSG durch den Bund übertragen.
Nach § 4 Abs 8 ULSG hat der Bundesminister für Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler durch Richtlinien nähere Bestimmungen über den Nachweis der Voraussetzungen für die Haftungsübernahme, die Bedingungen und Auflagen, die Anwendung der Haftungsquoten, die Risikoklassen und das Entgelt für Haftungen nach diesem Bundesgesetz festzulegen.
Unabhängig davon, dass damit ausdrücklich auf eine „Richtlinie“ und nicht auf eine Verordnung Bezug genommen wird ‑ was für eine abschließende Abgrenzung aber noch nicht ausreichen würde ‑ lässt auch die inhaltliche Prüfung der ULSG‑Richtlinie keine anderen als die von den Vorinstanzen gezogenen rechtlichen Konsequenzen zu.
Die ULSG‑Richtlinie setzt keine generelle Norm, sondern definiert rechtsgeschäftliche Rahmenbedingungen im Sinn von „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“, die gegenüber den Antragstellern erst über die mit ihnen abzuschließenden Haftungsverträge Wirkung entfalten.
Den Rechtsmittelausführungen gelingt es nicht darzustellen, welche generellen Verpflichtungen des Adressatenkreises in der Richtlinie enthalten wären, die nicht üblichen privatrechtlichen Vertragsbedingungen für Zustandekommen und Abwicklung eines Garantievertrags entsprechen würden. Letzteres trifft auf die Regelungen zur stillschweigenden Annahme der Garantiezusage (Punkt 6.3. ULSG‑Richtlinie) ebenso zu wie auf die von Kredit‑ und Haftungsnehmern für einen Vertragsabschluss zu erfüllenden Bedingungen einschließlich des bedungenen Entgelts (Punkt 7., 8., 11., 15., 16.), selbstverständlich auch auf die für jedes Garantieverhältnis unverzichtbare Definition des Haftungsfalls (Punkt 12.) und auf Ausschlussfristen (Punkt 17.).
2.3. Auch das Argument der Rechtsmittelwerber, die Richtlinie enthalte eine eigene Bestimmung über ihr Außerkrafttreten, was für ihre Verordnungsqualität spreche, ist nicht tragfähig. Der fehlende normative Inhalt der Richtlinie kann nicht durch eine entbehrliche Befristung substituiert werden. Wie der Revisionsrekurs im Ergebnis selbst einräumt, sind die Regelungen der Richtlinie zur Gänze vom (allenfalls nachwirkenden) Rechtsbestand des ULSG abhängig und außerhalb davon - mit oder ohne Befristung - gegenstandslos.
2.4. Zutreffend haben die Vorinstanzen auch darauf hingewiesen, dass § 4 Abs 8 ULSG keine Ermächtigung enthält, in den Ausführungsrichtlinien Regelungen für das gerichtliche Verfahren im Streitfall, insbesondere für die sachliche Zuständigkeit, zu treffen. Dies überrascht auch nicht, weil eine vom allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten abweichende Zuständigkeitsregelung wohl unmittelbar im Gesetz selbst Platz gefunden hätte, wäre sie dem Gesetzgeber des ULSG tatsächlich ein Anliegen gewesen.
Die gesetzlich vorgesehene Kundmachung eines Hinweises auf die Erlassung der Richtlinie (aber ohne Veröffentlichung ihres Inhalts) durch Einschaltung in der Wiener Zeitung entsprach dem Informationsbedürfnis der betroffenen Verkehrskreise, lässt aber keinen selbständigen Rückschluss auf eine Verordnungsqualität zu.
3. Eine nach § 104 JN zulässige Gerichtsstandsvereinbarung muss in der Klage behauptet werden ( Mayr in Rechberger ZPO 4 § 104 JN Rz 8 mwN).
Die Klägerin hat sich in erster Instanz nur auf die ULSG‑Richtlinie als Grundlage für die sachliche Zuständigkeit des Erstgerichts berufen. Die Möglichkeit und selbst die Wahrscheinlichkeit dass die verfahrensgegenständlichen Garantieverträge nach dem Muster der ULSG‑Richtlinie auch Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen den Streitteilen umfassen, kann eine konkrete Behauptung nicht ersetzen, zumal durch eine Vereinbarung nach § 104 JN im Zweifel nur ein Wahlgerichtsstand begründet wird ( Mayr aaO § 104 JN Rz 11 mwN).
Welchen Rechtsstandpunkt die beklagte Partei (hypothetisch) zur Gerichtsstandsfrage eingenommen hätte, wäre sie am Verfahren bereits beteiligt, ist im hier vorliegenden Stadium der amtswegigen Prüfung der Zuständigkeitsvoraussetzungen anhand der Klage nicht relevant.
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