OGH 3Ob24/14x

OGH3Ob24/14x25.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Josef K*****, 2. Johann K*****, 3. Franz K*****, 4. Susanne K***** und 5. Sabine K*****, alle *****, alle vertreten durch Dr. Klaus Dengg, Mag. Stefan Geisler und Mag. Markus Gredler, Rechtsanwälte in Zell am Ziller, gegen die beklagten Parteien 1. Klaus D*****, 2. Hermann T*****, 3. Martin K*****, und 4. Wilhelmine E*****, alle vertreten durch Dr. Axel Fuith, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung einer Grenze, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 30. Oktober 2013, GZ 2 R 139/13z‑43, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Zell am Ziller vom 22. März 2013, GZ 2 C 495/11p‑33, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00024.14X.0625.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Parteien wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag der beklagten Parteien auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die Parteien sind Eigentümer von zwei aneinander grenzenden Almen im Zillertal, die Kläger der „W*****“ und die Beklagten der „W*****-Alpe“. Aufgrund einer von den Klägern behaupteten Ersitzung des Eigentumsrechts ist zwischen ihnen die Grundgrenze im Nahebereich eines Samweges strittig. Die „Papiergrenze“ laut Grundsteuerkataster und der Verlauf des ‑ im strittigen Bereich weiter nördlich gelegenen ‑ Samweges decken sich nicht.

Das Erstgericht hat dem Feststellungsbegehren der Kläger, dass der Samweg die rechtsverbindliche Eigentumsgrenze zwischen dem nördlich des Weges gelegenen Grundstück der Beklagten und den südlich des Weges gelegenen Grundstücken der Kläger darstelle, stattgegeben.

Das Berufungsgericht wies die Klage nach Neudurchführung des Beweisverfahrens ab, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Es stellte unter anderem fest, dass die Grenze zwischen der „W*****“ der Kläger und der „W*****-Alpe“ der Beklagten im Zeitpunkt der Mappenerrichtung (im 19. Jahrhundert) im strittigen Bereich nicht entlang des Samweges verlief. Hinsichtlich des damaligen Verlaufs des Samweges, der im Lauf der Jahre an Bedeutung verloren hatte, im Jahr 1937/1938 nicht mehr sichtbar war und erst ungefähr 1940 im Zusammenhang mit der Errichtung eines Stallgebäudes seinen heutigen Verlauf erhielt, traf das Berufungsgericht eine Negativfeststellung. Bis zum Bau einer Skilifttalstation im Jahr 2001 weideten im hier maßgeblichen Bereich in erster Linie Tiere der „W*****“; ab und zu verirrten sich auch Tiere anderer Almen in diesem Bereich. Die Hirten orientierten sich bei der Beweidung aber an dem seit etwa 1940 bestehenden Samweg, den sie für die Nutzungsgrenze zwischen der „W*****“ und der „W*****‑Alpe“ hielten. In all den Jahren gab es zwischen den jeweiligen Eigentümern der „W*****“ und der „W*****‑Alpe“ keine Differenzen über den Grenzverlauf, wobei nicht feststellbar ist, ob der Grenzverlauf in der Natur zwischen den Rechtsvorgängern der Streitteile bis zum Bau der Liftstation überhaupt eine Rolle spielte. Eine Einigung über einen Grenzverlauf im Bereich des Samweges wurde zu keinem Zeitpunkt getroffen.

Seiner rechtlichen Beurteilung legte das Berufungsgericht zugrunde, dass das bloße Beweiden einer Liegenschaft in den Sommermonaten für eine Ersitzung nicht ausreiche, weil eine Bewirtschaftung dieser Art auch von einem Servitutsberechtigten oder einem vertraglich Nutzungsberechtigten vorgenommen werden könnte. Die Ersitzung eines bloßen Weiderechts sei hier zudem durch das Wald- und Weideservitutenrecht ausgeschlossen: Sei aber schon die Ersitzung eines Weiderechts rechtlich unmöglich, müsse dies in einem Fall, in dem die einzige Nutzungshandlung die Bewirtschaftung durch Beweidung sei, umso mehr für die Ersitzung des Eigentumsrechts gelten. Damit sei aber eine Veränderung der Mappengrenze im Verlauf der Jahre durch Ersitzung oder Einigkeit über den Grenzverlauf nicht zu rechtfertigen. Der von den Klägern behauptete Grenzverlauf entspreche nicht den tatsächlichen Gegebenheiten.

In ihrer außerordentlichen Revision bezeichnen die klagenden Parteien die Rechtsfrage der Voraussetzungen einer Ersitzung durch bäuerliche Nutzung in hochalpinen Regionen, vor allem im Zusammenhang mit einer Beweidungsgrenze als erheblich.

Rechtliche Beurteilung

Letztlich gelingt es den Klägern, die ‑ vor allem im Hinblick auf die Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht und den von diesem neu getroffenen Feststellungen ‑ Nichtigkeit, Aktenwidrigkeit und Verfahrensfehler, weiters unrichtige rechtliche Beurteilung mit Hinweis auf zahlreiche sekundäre Feststellungsmängel geltend machen, nicht, eine erhebliche Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.

1. Vorweg ist festzuhalten, dass die vom Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Beweiswiederholung getroffenen Tatsachenfeststellungen vor dem Obersten Gerichtshof nicht bekämpfbar sind (auch nicht unter dem Titel sekundärer Feststellungsmängel), weil der Oberste Gerichtshof auch in diesem Fall nicht Tatsacheninstanz ist (RIS‑Justiz RS0069246 [T3]). Auch die Bewertung, wie eine Zeugenaussage zu verstehen ist, gehört zum Bereich der unanfechtbaren Beweiswürdigung. In diesem Sinn ist weiters die Zielrichtung einer (als fehlend monierten) Feststellung, dass „ausnahmslos alle Zeugen den Samweg als rechtsverbindliche Eigentumsgrenze bestätigt haben“, nicht erkennbar. Schließlich können daraus, dass im Nahebereich der strittigen Grenze auch bei anderen Grenzen eine Divergenz zwischen Papiergrenze und Naturgrenze besteht, im Revisionsverfahren keine Schlüsse zum Vorteil der Kläger mehr gezogen werden.

2. Zur Beweiswürdigung des Berufungsgerichts in Bezug auf eine ‑ nicht verwertete ‑ Aussage des Erstbeklagten machen die Kläger ausdrücklich Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO geltend. Sie lassen dabei außer Acht, dass eine unvollständige, mangelhafte, widersprüchliche oder sonst fehlerhafte Beweiswürdigung keine Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO begründet (RIS‑Justiz RS0106079). Der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Begründung wäre nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RIS‑Justiz RS0007484), was hier aber nicht der Fall ist.

3. Auch die unter dem Titel der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens aufgeworfene Frage, ob an die im Rahmen der Beweiswiederholung vernommenen Zeugen weitere Fragen zu stellen gewesen wären, betrifft den Bereich der vor dem Obersten Gerichtshof unanfechtbaren Beweiswürdigung.

4. Gleiches gilt für die geltend gemachte Aktenwidrigkeit. Auch hier wird keine Aktenwidrigkeit im Sinne des § 503 Z 3 ZPO aufgezeigt, weil die insoweit bekämpften Tatsachen zum Grenzverlauf vom Berufungsgericht aufgrund einer beweiswürdigenden Wertung gewonnen wurden.

5. Der Oberste Gerichtshof hatte sich schon mehrmals mit der Frage der Ersitzung durch land‑ und forstwirtschaftliche Nutzung in alpinen Regionen zu befassen.

5.1. In der auch von den Klägern für ihren Standpunkt herangezogenen Entscheidung 2 Ob 12/03h hat der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf 4 Ob 609/75 ausgesprochen, dass das Tiroler Wald- und Weideservitutengesetz die Begründung neuer Dienstbarkeiten an Waldgrundstücken, nicht aber den Erwerb des Eigentums für unzulässig erkläre. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht den von ihm aus dieser Entscheidung gezogenen Größenschluss von der Unmöglichkeit der Ersitzung eines Weiderechts auf die Ersitzung des Eigentumsrechts ausdrücklich auf den Fall eingeschränkt hat, dass die einzige Bewirtschaftungshandlung in der Beweidung durch Tiere liege, liegen im vorliegenden Fall keine ausreichenden Besitzergreifungshandlungen vor, aus denen der Schluss auf eine Ersitzung gezogen werden könnte (siehe unten 5.4.).

5.2. In der ebenfalls von den hier klagenden Parteien erwirkten Entscheidung 9 Ob 18/08z qualifizierte der Oberste Gerichtshof die Verneinung der Ersitzung des auch hier gegenständlichen Grundstücks ins Eigentum durch Betreiben einer Viehweide als vertretbar.

5.3. In der Entscheidung 3 Ob 203/07k (es ging um die Ersitzung einer Dienstbarkeit) sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass Voraussetzung jeder Ersitzung eine Besitzausübung ist, die die volle Zugehörigkeit der Sache zum Ausübenden so sichtbar zum Ausdruck bringt, dass sie eine Besitzausübung dritter Personen nicht zulässt (RIS‑Justiz RS0010101).

5.4. Auch wenn den Klägern zuzugestehen ist, dass die hier einzig mögliche land- und forstwirtschaftliche Nutzung im Sommer in der Beweidung liegt, liegen im vorliegenden Fall keine Besitzausübungshandlungen vor, die die volle Zugehörigkeit der fraglichen Fläche zu den Klägern deutlich sichtbar zum Ausdruck gebracht hätten. Solche Besitzausübungshandlungen müssen nicht zwingend in Nutzungshandlungen bestehen. Dass auch im hochalpinen Almenbereich Besitzausübungshandlungen möglich sind, liegt auf der Hand.

5.5. Auch die Voraussetzungen eines von den Klägern ins Spiel gebrachten (schlüssigen) konstitutiven Anerkenntnisses durch Errichtung eines Zaunes durch den Erstbeklagten liegen nicht vor, kann ein solches Anerkenntnis doch nur im Fall einer Bereinigung eines ernsthaft entstandenen konkreten Streits oder Zweifels über den Bestand eines Rechts angenommen werden (RIS‑Justiz RS0110121 [T1]). Eine solcherart zweifelhafte Situation lag aber zum Zeitpunkt der Zaunerrichtung nicht vor. Im Übrigen muss im bloßen Aufstellen eines Zaunes nicht unbedingt ein Anerkenntnis einer Grundgrenze erblickt werden, weil für dieses Verhalten eine Reihe von Gründen (beispielsweise technischer Art) in Betracht kommt.

5.6. Soweit die Kläger noch vorbringen, die Beklagten hätten mangels eines „Titels“ nie Eigentum an der strittigen Fläche erworben, da stets der Samweg als Naturgrenze maßgeblich gewesen sei, entfernen sie sich von dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt. Die Negativfeststellung geht zu ihren Lasten.

6. Mangels erheblicher Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

In der Rechtsmittelbeantwortung befassen sich die Beklagten zwar mit der Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Kläger mangels erheblicher Rechtsfrage; da eine Rechtsmittelbeantwortung aber nicht freigestellt war, dient sie nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (§ 508a Abs 2 Satz 2 ZPO).

Stichworte