OGH 15Os123/13x

OGH15Os123/13x23.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Wolfgang H***** gegen die Antragsgegnerinnen S*****gesellschaft mbH und d***** GesmbH wegen §§ 7 Abs 1, 8a Abs 6 MedienG, AZ 92 Hv 104/12f des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 20. August 2012, GZ 92 Hv 104/12f‑4, und den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 18. Oktober 2012, AZ 18 Bs 402/12t (ON 9 des Hv‑Aktes), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Vertreters des Antragstellers, Dr. Gärner, und der Vertreterin der Antragsgegnerinnen, Dr. Windhager, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 92 Hv 104/12f des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. August 2012 § 390 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm §§ 8a Abs 1, 41 Abs 1 MedienG.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Wolfgang H***** gegen die Antragsgegnerinnen S*****gesellschaft mbH und d***** GmbH wegen §§ 7 Abs 1, 8a Abs 6 MedienG wies das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 20. August 2012, GZ 92 Hv 104/12f‑4, die (selbständigen) Anträge des Dr. H***** auf Zuerkennung einer Entschädigung und auf Urteilsveröffentlichung wegen der Veröffentlichung mehrerer Artikel in den Online- und Printausgaben der Tageszeitung „D***** S*****“ vom 8. und 9. Mai 2012 sowie vom 2. und 3. August 2012 gemäß § 41 Abs 5 MedienG iVm § 485 Abs 1 Z 3 StPO aus dem Grund des § 212 Z 1 StPO zurück und stellte das Verfahren ein.

Dieser verfahrensbeendende Beschluss, der keinen Ausspruch über die Kosten enthält, wurde nach der Aktenlage dem Antragsteller und den Antragsgegnerinnen zugestellt (ON 1 S 3). Der Staatsanwaltschaft wurde der Akt erstmals am 6. November 2012 (nach der Entscheidung des Beschwerdegerichts [ON 1 S 4]) zur Kenntnis gebracht (zur Beschwerdelegitimation des öffentlichen Anklägers hinsichtlich des Kostenpunkts vgl RIS‑Justiz RS0096412, RS0107047 [T1]; 13 Os 30/06w; 11 Os 71/11t [implizit zur neuen Rechtslage im Privatanklageverfahren]; 15 Os 33/09f [zur neuen Rechtslage im Subsidiaranklageverfahren]).

Während die (anwaltlich vertretenen) Antragsgegnerinnen den Beschluss (im Kostenpunkt) unbekämpft ließen, erhob der Antragsteller Beschwerde ausschließlich gegen die Einstellung des Verfahrens (ON 5), welcher das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 18. Oktober 2012, AZ 18 Bs 402/12t (ON 9 des Hv‑Akts), nicht Folge gab. Aus deren Anlass ergänzte es den angefochtenen Beschluss jedoch um den Ausspruch, dass der Antragsteller gemäß § 390 Abs 1 StPO iVm §§ 8a Abs 1, 41 Abs 1 MedienG die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu ersetzen hat, und verpflichtete diesen gemäß § 390a Abs 1 StPO iVm §§ 8a Abs 1, 41 Abs 1 MedienG auch zum Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Dazu führte es aus, das Beschwerdegericht könne gemäß § 89 Abs 2b letzter Satz StPO mangels Bindung an die Beschwerdepunkte auch nicht geltend gemachte Rechtsverletzungen amtswegig aufgreifen, sofern dem Beschuldigten dadurch kein Nachteil erwachse.

Rechtliche Beurteilung

1./ Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien steht ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Im Fall der Beendigung des Strafverfahrens auf andere Weise als durch einen Schuldspruch ist gemäß § 390 Abs 1 zweiter Satz StPO dem Privat- oder Subsidiarankläger der Ersatz aller infolge ihres Einschreitens aufgelaufenen Kosten in der das Verfahren für die Instanz erledigenden Entscheidung aufzutragen. Da diese Vorschrift zufolge der Verweisungen in §§ 8a Abs 1 und 41 Abs 1 MedienG im selbständigen Entschädigungsverfahren (§ 8a MedienG) sinngemäß anzuwenden ist (Lendl, WK‑StPO § 390 Rz 5, 10 und 11), wäre der Antragsteller im Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien in den Kostenersatz zu verfällen gewesen.

Diese Gesetzesverletzung war ‑ infolge uneingeschränkter Legitimation der Generalprokuratur zu einem Vorgehen nach § 23 Abs 1 StPO (vgl Ratz, WK-StPO § 292 Rz 1) trotz ihrer bereits durch das Beschwerdegericht erfolgten Sanierung ‑ festzustellen, dies jedoch nicht mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG).

2./ Zum Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht führte die Generalprokuratur aus:

„Aufgrund des unbekämpft gebliebenen Fehlens eines solchen Ausspruches ist eine Kostenersatzpflicht des Antragstellers nicht entstanden. Wurde dies nämlich (hier von den Antragsgegnerinnen) nicht mit Beschwerde gerügt, so kann die Kostenentscheidung nicht vom Rechtsmittelgericht nachgeholt oder stillschweigend fingiert werden (vgl zu unterbliebenen Kostenersatzaussprüchen in Urteilen RIS‑Justiz RS0101332; Lendl, WK-StPO § 389 Rz 4 und § 390 Rz 6; Fabrizy, StPO11 § 389 Rz 3 je mwN). Dies entgegen der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Wien aus folgenden Erwägungen auch nicht im Beschwerdeverfahren:

Gemäß § 89 Abs 1 StPO hat das Rechtsmittelgericht 'über die Beschwerde' zu entscheiden. Dabei ist es an die geltend gemachten Beschwerdepunkte nicht gebunden, darf jedoch zum Nachteil des Beschuldigten niemals Beschlüsse ändern, gegen die nicht Beschwerde erhoben wurde (§ 89 Abs 2b letzter Satz StPO).

Die Entscheidungsbefugnis des Beschwerdegerichts wird somit durch den Anfechtungsgegenstand der Beschwerde, nämlich den von dieser betroffenen Beschluss determiniert. Mit der in § 89 Abs 2b letzter Satz erster Halbsatz StPO angeordneten Nichtbindung des Beschwerdegerichtes an geltend gemachte Beschwerdepunkte wird solcherart dessen Verpflichtung zu umfassender Überprüfung des angefochtenen Beschlusses normiert (vgl ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 117 ['Prüfung nicht relevierter Rechtsverletzungen']), nicht aber die durch § 89 Abs 1 StPO limitierte Entscheidungsbefugnis ‑ ohne sachliche Begrenzung (Art 18 Abs 1 B‑VG) ‑ erweitert.

Dies auch nicht durch die Bestimmung des § 89 Abs 2b letzter Satz zweiter Halbsatz StPO, die sich ihrem Wortlaut nach ausdrücklich auf den vorhergehenden Halbsatz bezieht (arg 'jedoch') und für den Fall eines Abweichens von geltend gemachten Beschwerdepunkten (wie schon § 114 Abs 4 erster Satz erster Halbsatz StPO idF vor BGBl I 2004/19; vgl 13 Os 125/07t) die Geltung des Verbots der reformatio in peius normiert (neuerlich ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 117; Nimmervoll, Beschluss und Beschwerde in der StPO, 180 ff). Die Ableitung einer gesetzlichen Anordnung dahin, dass das Beschwerdegericht demgegenüber auch andere als von einer ihm vorliegenden Beschwerde betroffene Beschlüsse überprüfen dürfe, durch Umkehrschluss aus § 89 Abs 2b letzter Satz zweiter Halbsatz StPO verbietet sich aus Gründen gesetzessystematischer (historischer) Interpretation mit Blick auf einerseits die vorerwähnte Konjunktion mit dem Regelungsinhalt des § 89 Abs 2b letzter Satz erster Halbsatz StPO (vgl auch Nimmervoll aaO, 181 f) und andererseits das Unterbleiben einer Übernahme der ‑ solches genuin ermöglichenden (vgl SSt 53/63; Mayrhofer, Die Amtswegige Wahrnehmung im Strafprozess durch das Oberlandesgericht als Überprüfungsinstanz, 150 ff, insbesondere 152, 156) ‑ Bestimmung des § 114 Abs 4 erster Satz zweiter Halbsatz StPO aF ('Er [der Gerichtshof zweiter Instanz] hat aber die Beseitigung wahrgenommener Gebrechen des Verfahrens auch dann anzuordnen, wenn eine Beschwerde gegen diese nicht ergriffen werden konnte oder nicht ergriffen worden ist') in den Regelungsbestand des Strafprozessreformgesetzes (BGBl I 2004/19).

Das Rechtsmittelgericht, das gemäß § 89 Abs 1 StPO über die Beschwerde zu entscheiden hat, ist daher zu einer umfassenden amtswegigen (zur terminologischen Abgrenzung vgl 13 Os 95/08g = RIS‑Justiz RS0123976) Überprüfung des angefochtenen Beschlusses verpflichtet, doch hat es sich insofern auf jene Entscheidung zu beschränken, die von der Beschwerde betroffen ist (15 Os 33/09f und weitere Zahlen = SSt 2009/16 mwN, wobei mit der Zitierung der Bestimmung des ‑ nunmehr ‑ § 89 Abs 2b letzter Satz zweiter Halbsatz StPO ersichtlich [bloß] auf das dort normierte Verbot der reformatio in peius hingewiesen wird; Nimmervoll aaO, 181 f; siehe im Übrigen zur Beschränkung amtswegiger Maßnahmen gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO auf angefochtene Entscheidungen RIS-Justiz RS0107360). Das Beschwerdegericht (§ 89 Abs 1 StPO) ist daher zur Änderung von Beschlüssen, gegen die nicht Beschwerde erhoben wurde, nicht befugt (aM Tipold, WK-StPO § 89 Rz 16 ohne gesetzliche Ableitung).

Vorliegend war von der Beschwerde des Antragstellers ‑ ausschließlich ‑ der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien auf Zurückweisung seiner medienrechtlichen Anträge und auf Verfahrenseinstellung, nicht aber das ‑ für ihn günstige und ausschließlich die Antragsgegnerinnen beschwerende ‑ Unterbleiben des in § 390 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG angeordneten Kostenersatzausspruches ‑ als selbständig anfechtbarer Ausspruch sui generis (Lendl, WK‑StPO § 389 Rz 1) ‑ betroffen. Das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht war daher ‑ in Verkennung seiner Entscheidungsbefugnis gemäß § 89 Abs 1 und Abs 2b letzter Satz StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG ‑ zu dem in Rede stehenden Kostenersatzausspruch aus Anlass der Beschwerde des Antragstellers nicht befugt.

Daraus folgt, dass auch der Ausspruch des Beschwerdegerichtes über die Verpflichtung des Antragstellers zum Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 390a Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Denn gemäß § 390a Abs 1 erster Satz StPO fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens [nur] den nach den §§ 389 und 390 zum Kostenersatze Verpflichteten zur Last, was einen ‑ nach dem Vorgesagten hier fehlenden ‑ gesetzeskonformen Ausspruch über die Kostenersatzpflicht gemäß § 390 Abs 1 zweiter Satz StPO (hier in Verbindung mit § 41 Abs 1 MedienG) voraussetzt (vgl neuerlich RIS-Justiz RS0101332).“

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

Die Pflicht des Beschwerdegerichts zur umfassenden Prüfung eines angefochtenen Beschlusses iSd § 89 Abs 2b dritter Satz erster Satzteil StPO beschreibt keinen Fall der Amtswegigkeit, ist vielmehr Ausdruck fehlender Bezeichnungspflicht des Beschwerdeführers. Amtswegigkeit, nämlich ein Vorgehen nicht in Erledigung, vielmehr aus Anlass der Beschwerde, spricht hingegen der letzte Satzteil des § 89 Abs 2b dritter Satz StPO an (RIS-Justiz RS0117216 [T9]). Sowohl die Pflicht zu umfassender Prüfung als auch die Amtswegigkeit beschränken sich einerseits auf den angefochtenen Beschluss (15 Os 33/09f; 15 Os 25/14m), setzen andererseits eine ‑ nicht bereits nach § 89 Abs 2 StPO zurückzuweisende, demnach ‑ rechtzeitige und von einem Anfechtungslegitimierten eingebrachte Beschwerde voraus (15 Os 25/14m).

Die Kostenersatzpflicht nach § 390 Abs 1 zweiter Satz StPO ist in der das Verfahren für die Instanz erledigenden Entscheidung aufzutragen. Dieser Auftrag ist daher notwendigerweise Bestandteil eines Einstellungsbeschlusses gemäß § 485 Abs 1 Z 3 StPO (hier: iVm § 41 Abs 5 MedienG) und nicht mit gesondertem Beschluss auszusprechen (vgl RIS-Justiz RS0101575), mag der Kostenausspruch auch (soweit er in einem Urteil erfolgt) als solcher „sui generis“ angesehen werden und selbständig anfechtbar sein (13 Os 178/84; RIS-Justiz RS0101604).

Solcherart kann eine in einem verfahrensbeendenden Beschluss ausgesprochene oder unterlassene Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren grundsätzlich Gegenstand sowohl der umfassenden Prüfung als auch der amtswegigen Wahrnehmung sein. Wenngleich hier ‑ mangels Anfechtungsinteresses des Antragstellers hinsichtlich der Unterlassung seiner Verpflichtung zum Kostenersatz ‑ von einer Einschränkung des seiner Beschwerde zu unterstellenden Anfechtungsbegehrens (auf die zu seinem Nachteil erfolgte Verfahrenseinstellung) auszugehen ist (vgl RIS-Justiz RS0117216 [T6]), sodass die Kostenfrage nicht Gegenstand der Prüfung nach § 89 Abs 2b dritter Satz erster Satzteil StPO zu sein hatte, hinderte dies das ‑ diesbezüglich nur durch das Verbot der reformatio in peius eingeschränkte ‑ Beschwerdegericht nicht, den zum Nachteil der Antragsgegnerinnen (denen die Rechte des Angeklagten zukommen; § 41 Abs 6 MedienG) wirkenden Rechtsfehler des angefochtenen Beschlusses gemäß § 89 Abs 2b dritter Satz letzter Satzteil StPO zu deren Vorteil amtswegig wahrzunehmen. Eine andere Sicht würde dem Gesetzgeber unterstellen, entgegen den allgemein anerkannten Auslegungskriterien (Kramer, Juristische Methodenlehre3 105) mit dem letzten Satzteil des § 89 Abs 2b StPO eine überflüssige Bestimmung geschaffen zu haben.

Art 1 des 1. ZPMRK stand dem Vorgehen des Oberlandesgerichts im vorliegenden Fall schon deshalb nicht entgegen, weil in Hinblick auf die bis dato unterlassene Zustellung des Einstellungsbeschlusses an die ‑ zur Anfechtung (der Unterlassung) des Kostenausspruchs legitimierte ‑ Staatsanwaltschaft keine unter dem Aspekt eines Vertrauens auf Rechtskraft geschützte Position des Antragstellers gegeben war.

Weil das Oberlandesgericht somit den Ausspruch nach § 390 Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zu Recht vornahm, durfte es auch jenen nach § 390a Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG treffen (vgl RIS-Justiz RS0101332).

Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher in diesem Umfang zu verwerfen.

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