OGH 13Os95/08g

OGH13Os95/08g27.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Falmbigl als Schriftführer in der Strafvollzugssache des Abdulvahid O***** wegen bedingter Entlassung aus Freiheitsstrafen, AZ 36 BE 4/08y des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen die Oberstaatsanwaltschaft und Strafgefangenem nicht eingeräumte Gelegenheit, zu den Ergebnissen vom Oberlandesgericht Innsbruck vor seiner zum AZ 7 Bs 88/08m getroffenen Beschwerdeentscheidung (ON 15) veranlasster Erhebungen Stellung zu nehmen, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 36 BE 4/08y des Landesgerichts Innsbruck verletzt die zum AZ 7 Bs 88/08m getroffene Entscheidung des Oberlandesgerichts Innsbruck über eine vom Strafgefangenen erhobene Beschwerde gegen die Ablehnung seiner bedingten Entlassung, ohne zuvor Oberstaatsanwaltschaft und Strafgefangenem Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Ergebnissen durch das Beschwerdegericht veranlasster tatsächlicher Erhebungen zu geben, das Gesetz in den Bestimmungen der § 17 Abs 3 erster Satz StVG iVm § 6 Abs 2 erster Satz StPO.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Vollzugsgericht vom 29. Jänner 2008, GZ 36 BE 4/08y-7, wurde die bedingte Entlassung des Abdulvahid O***** aus dem Vollzug mehrerer Freiheitsstrafen abgelehnt. Seiner dagegen eingebrachten Beschwerde gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 27. Februar 2008, AZ 7 Bs 88/08m (ON 15), Folge, ordnete zugleich Bewährungshilfe an und erteilte Weisungen.

Zuvor hatte es eine Reihe tatsächlicher Aufklärungen verlangt und teilweise selbst durchgeführt, ohne Staatsanwaltschaft und Beschwerdeführer deren Ergebnis mitzuteilen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend geltend macht, wurde durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts, ohne dass dieses zuvor der Oberstaatsanwaltschaft und dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Ergebnissen dieser tatsächlichen Erhebungen einräumte, das Gesetz - wenngleich nicht in der bloß die Beschwerde selbst betreffenden Bestimmung des § 89 Abs 5 zweiter Satz StPO, so doch - in § 17 Abs 3 erster Satz StVG iVm mit § 6 Abs 2 erster Satz StPO verletzt.

Nach dieser - über den Anwendungsbereich des Art 6 MRK weit hinausgehenden - Vorschrift hat jede am (hier: Beschwerde-)Verfahren beteiligte Person das Recht auf angemessenes rechtliches Gehör. Dieses aber verlangt mit Blick auf die Tatsache, dass das Beschwerdegericht bei Vorliegen der Beschwerdevoraussetzungen (außer der mit BGBl I 2007/93 eingefügten Ausnahme im § 89 Abs 5 zweiter Satz StPO) stets „in der Sache" - also bestätigend oder reformatorisch - zu entscheiden und dabei gegebenenfalls auch Umstände zu berücksichtigen hat, die nach dem bekämpften Beschluss eingetreten oder bekannt geworden sind (§ 89 Abs 2 zweiter Satz StPO), vor der endgültigen Entscheidung, den Beteiligten des Beschwerdeverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme zum Ergebnis vom Beschwerdegericht verlangter oder durchgeführter tatsächlicher Erhebungen zu geben (zum grundrechtlich abgesicherten Überraschungsverbot richtungsweisend 12 Os 38/05p, EvBl 2005/162, 764).

Bleibt gegenüber einer missverständlichen Bemerkung in der Nichtigkeitsbeschwerde anzumerken, dass den Beschwerdeführer zwar eine Begründungspflicht trifft (§ 88 Abs 1 erster Satz StPO), jedoch nicht mit der Konsequenz, dass in Richtung des Beschwerdestandpunkts nicht vorgetragene Argumente unbeachtlich wären. § 89 Abs 2 dritter Satz (erster Fall) StPO beschreibt demnach, wie der Oberste Gerichtshof gerade jüngst (13 Os 125/07t, EvBl 2008/46, 241; noch zu der bis 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage) betont hat, keinen Fall der Amtswegigkeit, ist vielmehr Ausdruck fehlender Bezeichnungspflicht des Beschwerdeführers (vgl zur unterschiedlichen Bezeichnungspflicht bei gegen Urteile gerichteten Rechtsmitteln §§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2, 467 Abs 2 erster Satz [zweiter Fall] StPO betreffend Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe im Gegensatz zu § 467 Abs 2 erster Satz [erster Fall] StPO in Betreff der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld, die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche, und § 294 Abs 2 vierter Satz StPO, betreffend die Strafberufung im kollegialgerichtlichen Verfahren; vgl bereits 13 Os 122/02, SSt 2002/80).

Amtswegigkeit, nämlich ein Vorgehen nicht in Erledigung, vielmehr aus Anlass der Beschwerde, spricht erst der zweite Fall des § 89 Abs 2 dritter Satz StPO an.

Abdulvahid O***** gereicht die aufgezeigte Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil, weshalb für eine konkrete Maßnahme nach § 292 letzter Satz kein Raum bleibt.

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