Spruch:
I. In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht als Jugendschöffengericht zurückverwiesen.
II. Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.
III. Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil eines Jugend-Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien wurde der Angeklagte Clifford Osagudyamen A***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und nach dem zweiten Strafsatz des § 87 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrer (das Verbrechen des Mordes anlastenden) Anklageschrift (ON 44) das Geburtsdatum des Angeklagten mit 5. Oktober 1986 angenommen und folgerichtig im Hinblick auf die Zeit der Tatbegehung (29. Juli 2004) die (für die Änderung des Strafsatzes nach § 75 StGB infolge Vorliegens einer Jugendstraftat gebotene) Anwendung des § 5 Z 2 lit a JGG beantragt (S 277/I).
Rechtliche Beurteilung
Allein gegen die Nichtanwendung des § 5 Z 4 JGG richten sich die je auf § 345 Abs 1 Z 13 StPO iVm § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten und (gleichfalls zu Gunsten des Angeklagten) der Staatsanwaltschaft, denen Berechtigung zukommt. Der für die Änderung des anzuwendenden Strafsatzes relevante Umstand, ob der Angeklagte die Tat als Jugendlicher (vgl § 5 JGG) oder vor Vollendung des 21. Lebensjahres (§ 36 StGB) begangen hat, ist kein Gegenstand der Fragestellung an die Geschworenen. Weder hat er darauf Einfluss, ob der Angeklagte die ihm angelastete oder eine andere Tat begangen hat, noch bildet er einen Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- oder Strafaufhebungsgrund, sodass er in die Schuldfragen (§§ 312, 314 StPO) nicht aufzunehmen ist und darauf auch eine Zusatzfrage (§ 313 StPO) nicht gerichtet werden kann.
Auch § 316 StPO zielt mit dem Begriff „Strafsatz" auf die gesetzliche Strafdrohung der strafbaren Handlung ab, der die Tat des Angeklagten subsumiert wurde. Demgemäß sind auch uneigentliche Zusatzfragen nach den angeführten Altersumständen des Angeklagten im Tatzeitpunkt nicht zu stellen (14 Os 80/04).
Ob die Voraussetzungen für die Änderung des anzuwendenden Strafsatzes durch § 5 Z 2 bis 5 JGG oder § 36 StGB wegen Tatbegehung als Jugendlicher (§ 1 Z 2 JGG) oder als junger Erwachsener (§ 46a JGG) vorliegen, ist vielmehr vom Schwurgerichtshof gemeinsam mit den Geschworenen zu entscheiden (§ 338 StPO). Das Ergebnis dieser (von der Fragestellung nicht umfassten) Entscheidung ist daher im Urteil auch zu begründen (EvBl 1971/48). Diese begründungspflichtige gemeinsame Entscheidung über die tatsächliche Grundlage der Sanktionsbefugnis des Geschworenengerichtes kann sodann aus der Z 13 erster Fall des § 345 Abs 1 StPO iVm § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO angefochten werden (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 17 sowie § 281 Rz 400).
Somit zeigen beide Beschwerdeführer zutreffend auf, dass der Ausspruch über die Nichtanwendung des § 5 Z 4 JGG, durch den die tatsächliche Grundlage der Sanktionsbefugnis des Jugendgeschworenengerichtes zum Nachteil des Angeklagten verändert wurde, unbegründet geblieben ist und dass sich aus den Akten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der diesem Strafausspruch zu Grunde gelegten entscheidenden Tatsache (wonach die Tat erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres des Angeklagten begangen worden sei) bestehen.
Zur (unterbliebenen) Anwendung des § 5 Z 4 JGG führt das Urteil nämlich bloß aus, dass hiefür „bei dem nur nach eigenen, durch nichts gestützten Behauptungen im Tatzeitpunkt angeblich erst 17-jährigen, tatsächlich jedoch jedenfalls bereits 'erwachsenen' Angeklagten kein Anlass" bestanden habe, sodass „die Strafe innerhalb des durch § 36 StGB modifizierten Strafrahmen des zweiten Strafsatzes des § 87 Abs 2 StGB zu bemessen war" (US 5). Damit hat das Geschworenengericht für seine Annahme, wonach die Angabe des Angeklagten, am 5. Oktober 1986 geboren zu sein (vgl S 1l, 57/I) unglaubwürdig sei, er im Zeitpunkt der Tatbegehung in Wahrheit bereits (arg. „§ 36 StGB") ein „junger Erwachsener" im Sinn des § 46a JGG gewesen sei, überhaupt keine Gründe angegeben (§ 345 Abs 1 Z 13 iVm § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO). Auch die bei Aufzählung der Generalien des Angeklagten enthaltene Einschränkung, wonach der Beschwerdeführer „angeblich" am 5. Oktober 1986 geboren sei (US 1), vermag die Annahme des Jugendgeschworenengerichtes in keiner Weise zu stützen. Zudem liegt ein schwerwiegender, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zu Stande gekommener Mangel bei Ermittlung der dem Jugendgeschworenengericht in concreto zukommenden Strafbefugnis vor (§ 345 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 5a StPO; Ebner in WK2 § 32 Rz 54, 106). Denn die Altersangabe des Angeklagten wurde im gesamten Strafverfahren nie in Zweifel gezogen, weder von der Botschaft des Staates Nigeria (S 395/I) noch vom Geschworenengericht selbst. Nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls wurde zu diesem Thema keine einzige Frage gestellt und auch keinerlei Beweisverfahren abgewickelt. Wenn Schwurgerichtshof und Geschworene gleichwohl (offenbar auf Grund des äußeren Eindruckes des Angeklagten) Zweifel an dessen Altersangaben hegten, wären diese Zweifel gemäß § 3 StPO auch dem Angeklagten zur Kenntnis zu bringen gewesen. Denn nur solcherart wäre letzterer in der Lage gewesen, seine (vom Jugendgeschworenengericht amtswegig nicht überprüfte) Altersangabe durch sachgerechte Antragstellung in der Hauptverhandlung auch unter Beweis zu stellen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480).
Es zeigt sich daher, dass die Aufhebung des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung vor dem nunmehr sachlich zuständigen Jugendschöffengericht im Umfang der Aufhebung nicht zu vermeiden ist, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst aber noch nicht einzutreten hat (§ 285e StPO).
Mit seiner (bloß angemeldeten) Berufung war der Angeklagte auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.
Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.
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