OGH 2Ob167/13t

OGH2Ob167/13t19.9.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der beim Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht zu AZ 26 Kt 31/09 anhängigen Kartellrechtssache der Antragstellerin M***** GmbH, *****, vertreten durch Gugerbauer & Partner Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die Antragsgegnerin W***** KG, *****, vertreten durch Dr. Norbert Wiesinger, Rechtsanwalt in Wien, und die Amtsparteien 1. Bundeswettbewerbsbehörde, Praterstraße 31, 1020 Wien, und 2. Bundeskartellanwalt Dr. Alfred Mair, Schmerlingplatz 11, 1011 Wien, wegen eines Abstellungsantrags nach § 26 KartG, über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 13. Juni 2013, GZ 13 Nc 7/13y‑2, womit der Antrag auf Ablehnung der Mitglieder des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Wien Dr. Anneliese Kodek, Dr. Sabine Völkl‑Torggler, KR Mag. Ulrike Ginner und KR Dr. Theodor Taurer zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Die Antragstellerin ist Medieninhaberin der Tageszeitung „Ö*****“, die teils in einer Verkaufsausgabe, teils in einer Gratisausgabe (ua zur kostenlosen Entnahme in Verteilerboxen) vertrieben wird. Die Antragsgegnerin betreibt ua das U‑Bahn‑Netz in Wien und besitzt 85 U‑Bahn‑Stationen samt dazugehörigen Liegenschaften und Objekten.

Gegenstand der Kartellrechtssache ist das Begehren der Antragstellerin auf Abstellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin. Diese habe einem im Wettbewerbsverhältnis zur Antragstellerin stehenden Verlagsunternehmen in der Absicht, deren Wettbewerbsposition zu fördern, das exklusive Recht eingeräumt, Zeitungsboxen zur Entnahme der von dieser vertriebenen Gratistageszeitung „H*****“ in den Räumlichkeiten und Zugangshallen der Wiener U‑Bahn‑Stationen aufzustellen (vgl 16 Ok 3/11).

In der mündlichen Verhandlung vom 18. 3. 2013 erstattete die Antragstellerin ergänzendes Vorbringen und beantragte, der Antragsgegnerin die Vorlage diverser Urkunden aufzutragen. Die Antragsgegnerin behielt sich zu einem dieser Anträge die Äußerung vor, sprach sich im Übrigen aber gegen eine Urkundenvorlage aus. Daraufhin zog sich der Kartellsenat zur Beratung zurück. In der fortgesetzten Verhandlung legte die Vorsitzende des Kartellsenats zunächst dessen Rechtsansicht zu bestimmten Rechtsfragen dar. Dabei nahm sie auch Bezug auf das Beweisverfahren, das „bisher starke Indizien“ in eine bestimmte Richtung (Kollusion zwischen „Hoheitsverwaltung“ der Stadt Wien und der Antragsgegnerin) geliefert habe, und wonach „auf Grund des gesamten Sachverhalts, wie er sich aus den bisherigen Aussagen und aus den Urkunden ergibt, eher nicht von einer Rechtfertigung“ der Antragsgegnerin in Bezug auf eine offene Forderung auszugehen sei.

Im Anschluss an diese Erörterungen räumte der Kartellsenat den Parteien im Hinblick auf die dargelegte Rechtsansicht die Möglichkeit zur Ergänzung ihres Vorbringens binnen einer Frist von vier Wochen ein. Schließlich äußerte er sich noch zu den Urkundenvorlageanträgen der Antragstellerin.

Mit am 12. 4. 2013 beim Kartellgericht eingelangtem Schriftsatz lehnte die Antragsgegnerin sämtliche Mitglieder des Kartellsenats ab. Die in der Tagsatzung vom 18. 3. 2013 nach längerer Beratung dargelegte Rechtsansicht des Senats könne bei objektiver Betrachtung in keiner Weise auf die Ergebnisse des bisherigen Beweisverfahrens, insbesondere der Zeugenaussagen, gestützt werden. Die Antragsgegnerin müsse daher davon ausgehen, dass der gesamte Kartellsenat befangen sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Oberlandesgericht Wien den Ablehnungsantrag zurück.

Es vertrat die Ansicht, der Ablehnungsantrag sei verspätet. Die Ablehnungswerberin hätte den Ablehnungsantrag sofort, dh noch in der Tagsatzung vom 18. 3. 2013 stellen müssen. Dem Antrag komme auch inhaltlich keine Berechtigung zu.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin und Ablehnungswerberin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Ablehnungsantrags abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragstellerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben. Weitere Rekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Der Rekurs ist zulässig (§ 24 Abs 2 JN). Er ist aber nicht berechtigt.

Die Ablehnungswerberin wendet sich gegen die Beurteilung des Ablehnungsantrags als verspätet. Sie macht geltend, sie habe nach Bekanntwerden des Ablehnungsgrundes weder Anträge gestellt noch andere Prozesshandlungen vorgenommen. Die Rechtsansicht des Ablehnungssenats werde durch die von ihm zitierte Judikatur (3 Ob 133/04m; 1 Ob 199/12i) nicht gestützt. Es sei erforderlich gewesen, zunächst die bisherigen Protokolle durchzusehen und die Beweisergebnisse zu analysieren. Erst danach sei feststellbar gewesen, dass die geäußerte Rechtsmeinung die Befangenheit der Richter begründe.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

1. Weder das Kartellgesetz 2005 (mit Ausnahme seines ‑ hier nicht einschlägigen ‑ § 72) noch das Außerstreitgesetz enthalten Bestimmungen über die Ablehnung von Richtern. Im kartellgerichtlichen Verfahren sind daher sowohl in Betreff der Berufs- als auch der Laienrichter die allgemeinen Regelungen der §§ 19 ff JN anzuwenden (vgl 5 Ob 154/07v; 1 Ob 199/12i; RIS-Justiz RS0123013).

2. Gemäß § 21 Abs 2 JN kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei demselben, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Diese Bestimmung bindet die Ablehnung an Zeitgrenzen und hat insbesondere den Zweck, Ablehnungsgründe auszuschalten, die offenbar in Verschleppungsabsicht gestellt werden oder die erst vorgebracht werden, wenn sich aus dem Gang des Rechtsstreits ihre „taktische Zweckmäßigkeit“ ergibt. Sie ist allgemein dahin zu verstehen, dass Ablehnungsgründe sofort nach ihrem Bekanntwerden vorzubringen sind, denn das Ablehnungsrecht ist verzichtbar und verschweigbar (vgl 6 Ob 600/92 mwN; 3 Ob 133/04m; 6 Ob 213/05z; 1 Ob 199/12i; RIS-Justiz RS0045977; RS0045982; RS0046040; vgl auch Mayr in Rechberger, ZPO³ § 21 JN Rz 2). Jede Einlassung in die Verhandlung oder Antragstellung nach Bekanntwerden des Befangenheitsgrundes bewirkt den Ausschluss von der Geltendmachung (1 Ob 199/12i). Wird ein Befangenheitsgrund in einer mündlichen Verhandlung bekannt, so hat die Partei in dieser sofort den Ablehnungsantrag zu stellen (3 Ob 133/04m; 1 Ob 199/12i; Ballon in Fasching² I § 21 JN Rz 1).

3. Die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Wien stimmt mit diesen Kriterien der Rechtsprechung überein. Dabei schadet es nicht, dass den von ihm zitierten Entscheidungen nicht ein völlig identer Sachverhalt zugrunde lag. Die als Ablehnungsgrund relevierten Rechtsausführungen des Kartellsenats erfolgten gegen Ende der mündlichen Verhandlung vom 18. 3. 2013. Es trifft zwar zu, dass die Ablehnungswerberin danach keine Sach- oder Prozessanträge mehr stellte. Die Verhandlung wurde aber zu Ende geführt, ohne dass die Ablehnungswerberin eine Befangenheit der Richter geltend machte. Die Einräumung einer Frist zur Erstattung ergänzenden Vorbringens und die Erörterung der Urkundenvorlageanträge durch den Kartellsenat erfolgte im Rahmen der mündlichen Verhandlung, in deren Fortsetzung sich die Ablehnungswerberin ohne Stellung eines Ablehnungsantrags eingelassen hat.

4. Mit dem Vortrag der Rechtsmeinung des Kartellsenats war der Ablehnungswerberin der behauptete Ablehnungsgrund bekannt. Da sich die Vorsitzende auf die bisherigen Beweisergebnisse stützte, musste die Ablehnungswerberin davon ausgehen, dass deren (vorläufige) Würdigung ihrer eigenen Sichtweise widersprach. Die Ablehnungswerberin hätte daher im Hinblick auf die ‑ nach ihrem Standpunkt ‑ zumindest potentielle Befangenheit der Mitglieder des Kartellsenats sofort (und nicht erst mehrere Wochen später) reagieren müssen. Wollte man ihr zuerst die „Analyse“ der bisherigen Beweisergebnisse zubilligen, würde ihr die Antragstellung nach „taktischer Zweckmäßigkeit“ eröffnet werden, die durch die oben erörterte Rechtsprechung aber gerade vermieden werden soll.

5. Aus den dargelegten Gründen muss dem Rekurs der Ablehnungswerberin ein Erfolg versagt bleiben. Auf die (hilfsweise) inhaltliche Beurteilung des Ablehnungsantrags und die dagegen gerichteten Rekursausführungen ist nicht weiter einzugehen.

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