OGH 5Ob154/07v

OGH5Ob154/07v6.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der die Kartellsache der Antragstellerinnen 1. B***** GesmbH, *****, 2. W***** AG, *****, 3. „W*****" *****gesmbH, *****, 4. I***** GmbH, *****, alle vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die Antragsgegnerinnen 1. O***** GesmbH, *****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OEG in Wien und bpv-Hügel Rechtsanwälte OEG in Wien, 2. S***** AG, *****, vertreten durch DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, 3. K***** AG, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, 4. T***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Axel Reidlinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Abstellung (§ 26 KartG) und Feststellung (§ 28 KartG), betreffenden Ablehnung von Richtern, infolge Rekurses der Erstantragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 13. Juni 2007, GZ 13 Nc 8/07m-6, womit der Ablehnungsantrag der Erstantragsgegnerin gegen den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Wien Dr. Eckhart Hermann, den Richter des Oberlandesgerichtes Wien Dr. Friedrich Heigl und die fachkundigen Laienrichterinnen Dr. Annemarie Mille und Mag. Ulrike Ginner in der Kartellrechtssache des Oberlandesgerichtes Wien zu 25 Kt 24, 25/07 zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs der Erstantragsgegnerin wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit Eingabe vom 10. Mai 2007 lehnte die Ablehnungswerberin (= Erstantragsgegnerin des Verfahrens 25 Kt 24, 25/07 des Oberlandesgerichtes Wien als Kartellgericht) die in dieser Sache (damals) nach der Geschäftsverteilung zuständigen Richter gemäß § 19 JN ab. Die Abgelehnten seien auch erkennende Richter bei der Entscheidung über den Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde vom 30. 1. 2007 auf Verhängung einer Geldbuße zu 25 Kt 12/07 des Oberlandesgerichtes Wien. Vor allem wegen der strafrechtlichen Komponente des Geldbußenverfahrens nach dem Kartellgesetz, wegen der Bestimmung des § 39 KartG 2005 und der damit in Zusammenhang stehenden Funktionsfähigkeit des österreichischen Kronzeugenprogramms seien die abgelehnten Richter von der Führung des vorliegenden, von privaten Antragstellern eingeleiteten Verfahrens, ausgeschlossen. Das Oberlandesgericht Wien wies mit dem nunmehr bekämpften Beschluss den Ablehnungsantrag zurück. Die abgelehnten Richter hätten sich dahin geäußert, nicht befangen zu sein. Weder dem Kartellgesetz noch dem Außerstreitgesetz seien einschlägige Bestimmungen über die Ablehnung von Kartellrichtern zu entnehmen, weshalb die allgemeinen Regeln der JN Anwendung fänden. Deren Tatbestände lägen aber nicht vor. Abstellungs- und Feststellungsverfahren hätten zweifellos keinen Strafcharakter im Sinn des Art 6 EMRK; schon aus diesem Grund sei die Judikatur des EGMR, wonach ein im Vor- oder Anklageverfahren tätig gewesener Richter nicht über die Schuld in der Hauptsache entscheiden dürfe, nicht anwendbar. Wegen des Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung und des Rechtes auf den gesetzlichen Richter komme es immer wieder vor, dass ein Richter für eine Partei in verschiedenen Verfahren zuständig sei. Bei Bezirksgerichten könne dies sogar alle dort anhängig gewordenen Verfahren betreffen. Auch im Adhäsionsverfahren entscheide der zuständige Strafrichter über zivilrechtliche Ansprüche des Beteiligten gegen den angeklagten Schädiger. Darüber hinaus seien Untersagungsaufträge im kartellgerichtlichen Verfahren nach ständiger Rechtsprechung nur zulässig, wenn das kartellrechtswidrige Verhalten im Zeitpunkt der Entscheidung noch andauere. Auch hier sei daher maßgeblich, ob das inkriminierte Verhalten im Zeitpunkt der Entscheidung noch andauere und es sei nicht erkennbar, inwieweit Erkenntnisse aus dem Bußgeldverfahren auf diese Frage Einfluss haben könnten. Es liege daher weder Befangenheit noch ein solcher Anschein vor. Fragen der Verbindung des Bußgeldverfahrens mit dem Abstellungsverfahren und der Akteneinsicht hätten mit der behaupteten Befangenheit der Kartellrichter nichts zu tun, weshalb die Problematik des § 39 KartG nicht erörtert werden müsse.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Rekurs der Ablehnungswerberin ist nicht berechtigt.

Die umfangreichen Rekursausführungen der Ablehnungswerberin lassen sich in zwei Themenkomplexe gliedern. Einerseits wird auf den strafrechtlichen Charakter des Bußgeldverfahrens im Sinn des Art 6 EMRK und darauf basierend auf die Anwendbarkeit der Rechtsprechung des EGMR zur Ausgeschlossenheit von Richtern in Strafverfahren verwiesen, wenn in verschiedenen Verfahren im Wesentlichen derselbe Sachverhalt nach den im Wesentlichen selben Rechtsnormen zu beurteilen sei. Auch in dem, dem Ablehnungsantrag zugrunde liegenden kartellgerichtlichen Verfahren zielten die Anträge der Individualantragstellerinnen darauf ab, dieselben Sachverhalte wie im Bußgeldverfahren im Wesentlichen nach denselben Rechtsnormen zu beurteilen, wozu die Antragstellerinnen den Akteninhalt und das Richterwissen aus dem Bußgeldverfahren als „Trittbrettfahrer" nutzen wollten. Die Erwägungen des Erstgerichtes zu § 20 Z 5 JN seien in diesem Zusammenhang nicht tragfähig, weil mit dieser Bestimmung ein Ausschließungsgrund normiert werde, dessen Verneinung nicht zwingend bedeute, dass auch kein - hier aber geltend gemachter - Ablehnungsgrund vorliege. Es bestehe weitgehende Identität der Sach- und Rechtsfragen und nicht bloß ein loser Zusammenhang. Demgegenüber würden in den vom Erstgericht zitierten Beispielen regelmäßig unterschiedliche Rechtsnormen auf einen Sachverhalt angewendet oder sogar unterschiedliche Sachverhalte beurteilt und es seien nicht - wie hier - idente Rechtsnormen für idente Sachverhalte maßgeblich. Im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Komponente des kartellrechtlichen Geldbußensystems verweist die Ablehnungswerberin weiters auf den Grundsatz „nemo tenetur" und sieht diesen als Gegengewicht zur weitreichenden Mitwirkungspflicht der Parteien im Außerstreitverfahren. Darüber hinaus habe das Kartellgericht europarechtliche Grundlagen, insbesondere nach Art 2 der Verordnung 1/2003 über die Beweislast, im Verfahren zur Anwendung der Art 81 und 82 EG zu beachten, wonach der Beweis für die Zuwiderhandlung jener Partei obliege, die diesen Vorwurf erhebt. Diese Regelung würde ad absurdum geführt, wenn es einer „trittbrettfahrenden" Privatpartei gestattet werde, sich entgegen § 39 KartG die in einem Bußgeldverfahren mit besonderen hoheitlichen Mitteln, wie dem Kronzeugenprogramm und spezifischen Ermittlungsmöglichkeiten, gesammelten Erkenntnisse und Beweise sowie das Wissen der identen Mitglieder des entscheidenden Senats zu Nutze zu machen, und sich so die Beweisführung bei und die Überzeugung des Gericht(s) zu ersparen. Im zweiten Themenkomplex behandelt die Ablehnungswerberin § 39 KartG 2005 und die Kronzeugenregelung (§ 11 Abs 3 WettbG). Den erläuternden Bemerkungen zu § 39 KartG 2005 sei zu entnehmen, dass der Gesetzgeber den Geheimnisschutz der von einem Kartellverfahren betroffenen Unternehmen und das öffentliche Interesse an der Aufdeckung von Kartellen höher bewertete als jenes der geschädigten Dritten an der individuellen Rechtsverfolgung. § 39 KartG lege die Entscheidungshoheit über Akteneinsicht und Verbindung von Akten des Kartellgerichts, in denen Antragsteller eine Amtspartei sei, in die Hände der Parteien des Verfahrens, und zwar aller Parteien und nicht nur der Amtsparteien. Damit regle der Gesetzgeber ausdrücklich eine Beschränkung der Verwertung von Prozessergebnissen und Beweismitteln, die ad absurdum geführt würde, wenn in der Folge ein oder mehrere Richter in Kenntnis des gesamten Prozessstoffs des Erstverfahrens am zweiten kartellgerichtlichen Verfahren mit anderen Antragstellern über den selben Prozessstoff unter Anwendung der selben materiellen Rechtsnormen entscheiden dürften. Auch insofern liege daher ein Ablehnungsgrund im Sinn des § 19 JN vor.

Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

1. Wie bereits das Erstgericht dargelegt hat, enthalten weder das Kartellgesetz (mit Ausnahme seines hier nicht einschlägigen § 72) noch das Außerstreitgesetz Bestimmungen über die Ablehnung von Richtern, sondern es sind die allgemeinen Regelungen der §§ 19 ff JN anzuwenden, die sich auf alle zivilgerichtlichen Verfahren, also auch auf das außerstreitige, insbesondere auch auf das kartellgerichtliche Verfahren sowohl in Betreff der Berufs- als auch der Laienrichter beziehen (Ballon in Fasching/Konecny2 I § 19 JN Rz 2 mwN).

1.2. Gemäß § 22 JN sind zugleich mit der Ablehnung die Umstände genau anzugeben, welche die Ablehnung begründen und glaubhaft machen. Das Vorbringen der Ablehnungswerberin enthält zwar umfangreiche Ausführungen zu Art 6 EMRK, zum Außerstreitverfahren und zum Kartellgesetz, insbesondere zu dessen § 39, und die vermeintlich daraus zu ziehenden Schlüsse, aber - auch nicht ansatzweise - konkrete Umstände und Tatsachenbehauptungen, worauf sich die Überprüfung der Ablehnung/Ausschließung in tatsächlicher Hinsicht beziehen soll. Die Ablehnungswerberin stellt nicht einmal die Behauptung auf, selbst vom Bußgeldverfahren zu 25 Kt 12/07 des Oberlandesgerichts Wien betroffen zu sein, geschweige denn werden Umstände dargelegt, die eine Überprüfung dahin erlaubten, ob, abgesehen von der Tatsache, dass es sich in beiden Fällen offensichtlich um Kartellabsprachen im Branchenbereich „Aufzüge, Lifte und Rolltreppen" handeln dürfte, dieselbe Sache Verfahrensgegenstand ist. Wiewohl die Ablehnungswerberin umfänglich zu der ihrer Ansicht nach gemäß § 39 KartG einzuhaltenden Trennung dieser Verfahren auch betreffend die erkennenden Richter ausführt, setzt sie eben diese vefahrensübergreifenden Kenntnisse geradezu voraus.

1.3. Die Frage amtswegiger Feststellungen im Sinn des § 22 Abs 4 JN erübrigt sich, weil selbst bei Annahme von Parteien- und Sachidentität und ungeachtet der Tatsache, dass mittlerweile durch eine Änderung der Geschäftsverteilung des Kartellgerichts Wien die beiden abgelehnten Berufsrichter des Kartellgerichts ohnehin nicht mehr zur Verhandlung und Entscheidung im vorliegenden Verfahren berufen sind, die geltend gemachten Ablehnungs- bzw Ausschließungsgründe aus nachstehenden Gründen nicht vorliegen:

2. Zum strafrechtlichen Charakter und der Anwendbarkeit der strafrechtlichen Bestimmungen über die Ausgeschlossenheit von Richtern sowie zur Anwendbarkeit der Rechtsprechung des EGMR:

2.1. In diesem Zusammenhang verweist die Ablehnungswerberin ergänzend zu den oben dargestellten allgemeinen Ausführungen darauf, dass Verfahren zur Verhängung kartellgerichtlicher Bußgelder den Charakter von Strafsanktionen im Sinn des Art 6 EMRK hätten und dass dies ebenso für sonstige, ebenfalls im öffentlichen Interesse auferlegte Maßnahmen wie Abstellungsverfügungen gelten müsse, die weit einschneidendere wirtschaftliche Konsequenzen haben könnten als Bußgelder. Die Beurteilung der Unparteilichkeit des Gerichts nach Art 6 Abs 1 EMRK sei aber nicht nur in Verfahren mit Strafcharakter, sondern auch in solchen über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen vorzunehmen. Die Ablehnungswerberin zitiert dabei Judikatur zur (Un-)Befangenheit von Richtern in Strafverfahren, die in unterschiedlichen Verfahrensstadien (Vorverfahren - Hauptverfahren) bzw wegen der Nähe der Untersuchungsinstanz zur Anklagebehörde die Ausgeschlossenheit des Untersuchungsrichters von der Hauptverhandlung bejahe und verweist auf die Entscheidung des EGMR vom 24. 11. 1996, Gillow gegen Vereinigtes Königreich, Nr 9063/80, mit der Behauptung, dass sich die selbe Problemstellung auch bei identen Richtern in einem Straf- und einem Zivilverfahren ergeben könne.

2.2. Die Rechtsnatur der kartellrechtlichen Geldbußen ist nach einer jüngst ergangenen Entscheidung des Kartellobergerichts, 16 Ok 4/07, nach wie vor strittig. In der Literatur (Zeder in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB, § 168b Rz 33; ders, Die österreichischen Kartellbußen am Maßstab des Kriminalrechtes, JBl 2007, 477 ff; Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht, Rz 504, 507; Hoffer, KartG 249) wird der strafrechtliche Charakter teils bejaht, teils eine Sanktion des Zivilrechts „sui generis" angenommen, die dem Rechtsschutzstandard des Art 6 EMRK unterliegt (Thyri, Kartellrechtsvollzug in Österreich, Rz 548, 611). Der EuGH hat sich bisher nicht explizit zur Rechtsnatur der Geldbußen geäußert, in seiner Rechtsprechung aber anerkannt, dass der sich insbesondere aus Art 6 Abs 2 EMRK ergebende Grundsatz der Unschuldsvermutung zu den in der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten gehört und in Verfahren wegen der für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln angesichts der Art der fraglichen Zuwiderhandlung sowie der Art und Schwere der verhängten Sanktionen anwendbar ist (EuGH 8. 7. 1999 Rs C-199/92 p, Slg 1999 I-4287 - Hüls Rn 149 f; EuGH 8. 7. 1999, Rs C-235/92 p, Slg 1999 I-4539 - Monte Catini Rn 175 f).

2.3. In 16 Ok 52/05 und 16 Ok 3/06 hat das Kartellobergericht der herrschenden Meinung folgend, wonach kartellrechtliche Geldbußen des Gemeinschaftsrechts wegen ihres repressiven Charakters zwar nicht zum allgemeinen (Kriminal-)Strafrecht, aber doch zum Strafrecht im weiteren Sinn zählen, ausgesprochen, dass die kartellrechtliche Geldbuße nach ihrem Zweck und ihrer Wirkung eine Sanktion mit „strafrechtsähnlichem Charakter" ist. Ergänzend wird in 16 Ok 4/07 ausgeführt, dass kartellrechtliche Geldbußen zwar ein bestimmtes Verhalten unter Sanktion stellten, sich aber nicht (wenigstens potenziell) an die Allgemeinheit, also an jedermann, sondern nur gegen eine bestimmte Personenkategorie richteten, nämlich Unternehmer, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckten oder bewirkten (§ 1 Abs 1 KartG 2005) oder die ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchten (§ 5 Abs 1 KartG 2005). Sie seien nach ihrer „wahren Natur" nicht gegen strafrechtliche Zuwiderhandlungen gerichtet, sondern Mittel des staatlichen Zwangs, um die kartellrechtlich vorgesehene Wirtschaftsordnung durchzusetzen. Pönalisiert werde nicht Kriminalunrecht, sondern die Verletzung von Wettbewerbsvorschriften (vgl de Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht, Art 23 Rz 4). Kartellrechtliche Geldbußen seien daher nach in Österreich und Deutschland herrschender Auffassung jedenfalls keine echten Kriminalstrafen.

2.4. Selbst wenn man aber den kartellgerichtlichen Geldbußen strafrechtlichen (nicht strafgerichtlichen!) Charakter zubilligte, wird dies - entgegen den Behauptungen der Ablehnungswerberin - weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung auch für das kartellgerichtliche Abstellungsverfahren vertreten. Soweit sich die Ablehnungswerberin daher auf Judikatur des EGMR bezieht, die sich mit dem Vorliegen zweier Strafverfahren und daraus folgenden Konsequenzen für die Ausgeschlossenheit von Richtern bzw die Unparteilichkeit des Gerichts bezieht, ist daraus für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen, liegen doch hier jedenfalls nicht zwei Verfahren mit strafrechtlichem Charakter vor. Gerade in der vom Rechtsmittelwerber zitierten Entscheidung vom 24. 11. 1996, Gillow gegen Vereinigtes Königreich, Nr 9063/80, hat aber der EGMR ausgesprochen, dass Art 6 EMRK dann nicht verletzt ist, wenn ein Gericht in fast gleicher Zusammensetzung in einem zivilrechtlichen und einem strafrechtlichen Verfahren entscheidet (Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, § 24 Rz 47).

2.5. Im Übrigen wird nach der Judikatur zur Unbefangenheit im Sinn des Art 6 Abs 1 EMRK in objektiver Hinsicht geprüft, ob ein Richter aus anderen als subjektiven Gründen, also solchen die sich nicht direkt aus der betreffenden Person ergeben, einer Partei gegenüber voreingenommen erscheint. Dabei werden vor allem Funktionen und Organisation des Verfahrens beurteilt, weil verhindert werden soll, dass sich ein erkennender Richter bereits vor dem Hauptverfahren eine Meinung über den Ausgang des Verfahrens, insbesondere über die Schuld des Angeklagten bildet. Die Meinungsbildung während des Verfahrens wirft dagegen - ebenso wie das vorbereitende Aktenstudium - naturgemäß keine Bedenken auf (Viliger, Handbuch der EMRK2, 265 f; Lässig, Das Wesen der Befangenheit und deren Verhältnis zu richterlichem Handeln, ÖJZ 2007/67, 772 ff). Probleme hinsichtlich der objektiven Unparteilichkeit von Richtern können sich insbesondere dann stellen, wenn diese mit einer Sache mehrfach und in unterschiedlicher Funktion befasst sind. Die Teilnahme an anderen Verfahren, welche gegen den gleichen Betroffenen geführt werden, ist mit Art 6 Abs 1 EMRK vereinbar (Viliger aaO), ebenso, dass ein Rechtsmittelgericht über verschiedene Rechtsmittel derselben Person zu entscheiden hat, die denselben Sachverhalt betreffen (Peukert in Frowein/Peukert, EMRK, Art 6 Rz 131). Auch die Tatsache, dass bei einer erneuten Entscheidung über einen von der Rechtsmittelinstanz zurückverwiesenen Fall Richter mitwirken, die an der früheren, aufgehobenen Entscheidung beteiligt waren, stellt die Unparteilichkeit des Gerichts nicht in Frage (Peukert aaO), weil es das Kriterium der Unparteilichkeit nicht erfordert, dass im Fall der Aufhebung einer Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung die Sache an ein anderes Gericht oder eine anders zusammengesetzte Abteilung des erstinstanzlichen Entscheidungsorgans zurückverwiesen wird. Der Umstand, dass dieselben Richter sowohl an der ersten als auch an der zweiten Entscheidung teilnehmen, bietet daher keinen hinreichenden Anlass an der Unparteilichkeit zu zweifeln (Grabenwarter aaO).

2.6. Innerhalb strafgerichtlicher Verfahren werden Probleme der Unabhängigkeit auch in Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Gericht und Strafverfolgungsbehörde geprüft (Grabenwarter, aaO, Rz 37). Es soll verhindert werden, dass der Richter mit Angelegenheiten befasst wird, auf Grund derer er sich bereits vor dem Hauptverfahren eine abschließende Meinung zum Fall gebildet hat. Ein wichtiger Anhaltspunkt dafür ist, dass der betreffende Richter bereits vor dem Hauptverfahren mit Fragen befasst war, die mit den innerhalb der Hauptverhandlung zu entscheidenden vergleichbar sind. Dies wurde zum Beispiel dann bejaht, wenn der Richter zuvor als aufsichtsführender Vertreter der Staatsanwaltschaft am Ermittlungsverfahren beteiligt war oder als Untersuchungsrichter, wobei aber die Beteiligung im Vorverfahren als unschädlich angesehen wurde, solange der Richter nicht für die Anklageerhebung verantwortlich war oder über die Schuld des Betroffenen zu entscheiden hatte (Grabenwarter aaO Rz 46). Ausgeschlossenheit wird aber selbst für den Bereich des Kriminalstrafverfahrens dann verneint, wenn in mehreren getrennt geführten Strafverfahren gegen verschiedene mutmaßliche Mitglieder ein und derselben Verbrecherorganisation geurteilt wird, selbst wenn die Täterschaft des aktuell Angeklagten bei der Verurteilung eines abgesondert verurteilten Mittäters Voraussetzung war (Lässig aaO 773 mwN).

2.7. Selbst wenn man hier unterstellte, Abstellungs- und Geldbußenverfahren würden vorliegend gegen dieselbe(n) Partei(en) geführt und auf dieselben rechtserzeugenden Tatsachen gestützt, so betreffen die Entscheidungen, ob eine Geldbuße wegen Zuwiderhandelns gegen das Kartellverbot zu verhängen ist, und jene, ob und wenn ja, in welcher Form eine Abstellungsentscheidung gegen ein Unternehmen zu verfügen ist, unterschiedliche Fragestellungen. Entgegen den Ausführungen der Ablehnungswerberin sind dabei insbesondere nicht dieselben Rechtsnormen anzuwenden. Vielmehr stellen die Bestimmungen über die Verhängung von Geldbußen und jene über die Abstellung kartellrechtswidriger Verhaltensweisen unterschiedliche gesetzliche Sanktionen dar, die nicht dieselbe Zielrichtung bzw Zielsetzung haben und nebeneinander anwendbar sind.

Ein im Strafrecht angelegter Ausschließungsgrund ist daher für Richter im kartellgerichtlichen Verfahren zu verneinen.

3. Zum „Nemo tenetur" - Grundsatz:

3.1. Unter dem von der Ablehnungswerberin ebenfalls angezogenen Grundsatz „nemo tenetur" versteht man das Recht des Angeklagten zu schweigen und sich nicht selbst zu beschuldigen. Dieser Grundsatz ist in Art 6 EMRK nicht ausdrücklich erwähnt, wird vom EGMR aber zum Kernbereich eines fairen Verfahrens gerechnet und im engen Zusammenhang mit der Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK gesehen. Es obliegt der Strafverfolgungsbehörde, den Beschuldigten zu überführen, ohne auf die Hilfe von Beweismitteln zurückzugreifen, die durch Zwangs- oder Druckmittel ohne den Willen des Beschuldigten erlangt wurden (Grabenwarter aaO § 24 Rz 119).

3.2. Im kartellgerichtlichen Ermittlungsverfahren wird in § 11a Abs 3 WettbG die Grenze der Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten dort gezogen, wo die Gefahr besteht sich strafgerichtlicher Verfolgung auszusetzen, wohingegen die kartellrechtlichen Geldbußentatbestände, selbst wenn man sie als strafrechtlich qualifiziert, jedenfalls keine strafgerichtliche Verfolgung darstellen. Selbst der einer strafbaren Handlung Angeklagte muss aber - passiv - behördliche Handlungen dulden und ist lediglich nicht verpflichtet, aktiv, etwa veranlasst durch die Androhung von Zwangsmitteln, mitzuwirken. Dies gilt uneingeschränkt auch für den Bereich der Wirtschaftskriminalität (Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht, Rz 110). Soweit die Ablehnungswerberin dazu auf die VO Nr. 1/2003 , insb deren Art 2 verweist, ist auch Erwägungsgrund 23 der VO Nr 1/2003 zu beachten, wonach - der Judikatur des EuGH folgend - Unternehmer zwar nicht gezwungen werden können, Zuwiderhandlungen einzugestehen, sie aber durchaus als verpflichtet erachtet werden, Fragen nach Tatsachen zu beantworten und auch Unterlagen vorzulegen, selbst wenn die betreffenden Auskünfte dazu verwendet werden könnten, den Beweis der Zuwiderhandlung zu erbringen. Im Rahmen ihres Verteidigungsrechts sind lediglich Auskünfte über „innere Vorgänge" geschützt, mit denen sie sonst das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen würden (Solé, aaO, Rz 109 und 111 mwN).

3.3. Soweit die Ablehnungswerberin letztlich meint, dass man der „trittbrettfahrenden" Privatpartei nicht gestatten könne, mit besonderen Mitteln (Kronzeugenregelung ...) erzielte Beweisergebnisse zu nützen, verwechselt sie die Frage der Beweislast mit jener, ob es Beweismittelverbote gibt. Dazu wird gleich im Zusammenhang mit § 39 KartG einzugehen sein. An dieser Stelle sei nur vorweggenommen, dass es sich, soweit das Gericht den Inhalt beigeschaffter Akten verliest und damit zum Aktenbestandteil macht, um einen Urkundenbeweis handelt (Schragel in Fasching/Konecny2, II/2 § 219 Rz 4). Der Urkundenbeweis steht aber grundsätzlich auch einer Individualpartei im kartellgerichtlichen Verfahren zur Verfügung.

4. Zu § 39 KartG 2005:

4.1. Nach dieser mit „Schutz von Geschäftsgeheimnissen" übertitelten Bestimmung kann ein kartellgerichtliches Verfahren, das auf Antrag einer Amtspartei (§ 40 KartG) eingeleitet wurde, nur mit Zustimmung der Parteien mit einem anderen, nicht über Antrag einer Amtspartei eingeleiteten Verfahren verbunden werden (Abs 1) und ist die Akteneinsicht nicht am Verfahren als Partei beteiligter Personen nur mit Zustimmung der Parteien möglich (Abs 2).

4.2. Die Beschränkungen des § 39 KartG dienen nach den Materialien zum Kartellgesetz 2005 dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen der an den jeweiligen Verfahren beteiligten Unternehmer „auch wenn dieser Zweck im Gesetzestext selbst nicht aufscheint". In § 39 Abs 1 KartG geht es in Bezug auf die Verfahrensverbindung nach den Materialien darum, dass die Bundeswettbewerbsbehörde Beweismittel, die sie aufgrund ihres weitgehenden Auskunftsrechts nach § 11a WettbG erlangt hat, auch dann, wenn diese Beweismittel Geschäftsgeheimnisse enthalten, im Verfahren vor dem Kartellgericht vorlegen muss, wenn sie sich darauf berufen will; dadurch werden diese Beweismittel Bestandteil des kartellgerichtlichen Akts. Konkurrenten der betroffenen Unternehmen könnten ihr Recht zur Antragstellung vor dem Kartellgericht dazu benutzen, um - wenn die Verfahren verbunden werden - Kenntnis von den gegenständlichen Geschäftsgeheimnissen zu erlangen. Dies zu verhindern sei nicht nur im Interesse der betroffenen Unternehmen, sondern auch jenem der Bundeswettbewerbsbehörde und damit im öffentlichen Interesse. Wenn Unternehmen fürchten müssten, dass diese Geschäftsgeheimnisse über die Akten des Kartellgerichts den Konkurrenten bekannt werden könnten, würden sie mit allen Mitteln versuchen, sich ihrer Auskunftspflicht nach § 11a WettbG zu entziehen.

Die gleichen Erwägungen gelten nach den Materialien für die Bindung der Akteneinsicht für am Verfahren nicht beteiligte Personen an die Zustimmung der Parteien. Die im Außerstreitverfahren sonst vorgesehene Möglichkeit, dass das Gericht Akteneinsicht gewährt, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird, wird damit ausgeschlossen. Dem gegenüber hätten vor allem Vertreter von Konsumenteninteressen geltend gemacht, dass diese Möglichkeit der Akteneinsicht für Dritte auch im Kartellverfahren zulässig sein solle, um Personen, die durch eine Zuwiderhandlung gegen das Kartellgesetz geschädigt wurden, die Geltendmachung von Schadenersatzforderungen zu ermöglichen. Eine Abwägung zwischen diesen privaten Interessen und dem öffentlichen Interesse der Bundeswettbewerbsbehörde an der Aufdeckung von Zuwiderhandlungen gegen das Kartellgesetz spreche für die im Gesetz vorgesehene Regelung, weil der einzelne Geschädigte als unmittelbar Betroffener in der Regel ohnehin über die notwendigen Informationen verfügen werde, um seine Ansprüche geltend zu machen. Nach Inkrafttreten des Gesetzes werde jedoch aufmerksam zu beobachten sein, ob durch diese Regelung Defizite im Rechtsschutz entstünden und gegebenenfalls das Kartellgesetz zu korrigieren sein. Im Übrigen sei zu erwarten, dass die EG einschlägige Regelungen erlassen werde, auf die dann Bedacht genommen werden könne (EB zum Kartellgesetz, 926 BlgNR 22. GP , §§ 38-49).

Einschlägige Judikatur des Kartellobergerichts zu dieser Bestimmung gibt es bislang nicht.

4.3. Unabhängig davon, ob mit der genannten Bestimmung überhaupt eine Regelung über die Beweisaufnahme im kartellgerichtlichen Verfahren getroffen werden sollte (Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 179), ob § 39 Abs 2 KartG als Spezialnorm einschränkend dahin auszulegen ist, dass er nur auf Fälle von Anträgen Dritter auf Akteneinsicht außerhalb eines kartellgerichtlichen Verfahrens und auf die Amtshilfe anzuwenden ist (Solé aaO Rz 181 und 215 ff), ungeachtet auch der Frage, ob die Bestimmung überhaupt Anwendung finden kann, wenn Geschäftsgeheimnisse tatsächlich im Akt gar nicht enthalten sind, und ungeachtet des Verhältnisses dieser Bestimmung zum außerstreitigen Untersuchungsgrundsatz, schafft diese Regelung jedenfalls keinen Ausschließungs- oder Ablehnungsgrund sui generis für in kartellgerichtlichen Verfahren tätig werdende Richter:

Selbst wenn man nämlich § 39 KartG dahin verstehen wollte, dass die Beischaffung von Akten des Kartellgerichts zu anderen kartellgerichtlichen Verfahren - abgesehen von der Verfahrensverbindung - unzulässig wäre, und der Gesetzgeber ausweislich der Materialien - aus Gründen, die er selbst für überprüfenswert hält - die private Durchsetzung von Ersatzforderungen aus Wettbewerbsverletzungen dem Interesse an der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen im öffentlichen Interesse hintanstellt, folgt daraus kein Argument dafür, dass damit das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf den gesetzlichen Richter und das dieses Recht ausgestaltende Prinzip der festen Geschäftsverteilung geändert hätte werden sollen. Die Wahrnehmung eines Ausschließungs- oder Befangenheitsgrunds führt regelmäßig zu einer Kompetenzverschiebung und steht daher in einem Spannungsverhältnis zu den genannten verfassungsrechtlichen Garantien. Um diese nicht durch einfachgesetzliche Regelungen auszuhöhlen, bedürfen Normen in diesem Zusammenhang einer strikten Auslegung (vgl Lässig, aaO 772). Ein eigener genereller gesetzlicher Ausschließungsgrund kann daher nicht schon dann angenommen werden, wenn der Gesetzgeber nur eine spezifische verfahrensrechtliche Frage der Beweisaufnahme regelt. Zusanmmengefasst ergibt sich daher kein Ablehnungs- oder Ausschließungsgrund im Sinn des §§ 19 f JN.

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