OGH 6Ob600/92

OGH6Ob600/9218.12.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hermann H*****, vertreten durch Dr.Gerhard O.Mory, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei M***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Reinhold Möbius, Rechtsanwalt in Salzburg, und den Nebenintervenienten auf der Seite der beklagten Partei Gemeinde A*****, vertreten durch Dr.Herbert Troyer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Löschung einer Grundbuchseintragung, in eventu Anfechtung eines Kaufvertrages (Streitwert 3,025.000 S), hier wegen Ablehnung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 24. September 1992, GZ Nc 204/92-2, womit ein Ablehnungsantrag des Klägers zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz wird aufgehoben und diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Im Verfahren AZ 3 Cg 311/90 des Landesgerichtes Salzburg (folgend Hauptverfahren) begehrt der Kläger die Löschung des aufgrund des schriftlichen Kaufvertrages vom 21.Juli 1989 zugunsten der beklagten Partei an einem Grundstück einverleibten Eigentumsrechtes, in eventu die Aufhebung des Kaufvertrages. Den damit verbundenen Antrag des Klägers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang wies das Landesgericht Salzburg mit Beschluß vom 17.Jänner 1991, GZ 3 Cg 311/90-19, ab. Das Oberlandesgericht Linz als Rekursgericht gab (durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Wolfgang K***** als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Friedrich F***** und Dr.Reinhold S*****) nach Erhebungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers mit Beschluß vom 27. Mai 1991, GZ 2 R 75/91-23, den Parteienvertretern zugestellt am 19. Juni 1991, dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers nicht Folge, im wesentlichen, weil das bisherige Verhalten des Klägers nur den Schluß zulasse, daß er sich der Unrichtigkeit seines von ihm im Verfahren vertretenen Prozeßstandpunktes bewußt und daher seine Prozeßführung als offenbar mutwillig anzusehen sei. Nicht mehr einzugehen sei auf die weitere Frage, ob nicht im Hinblick auf die Ergebnisse des mittlerweile rechskräftig abgeschlossenen (Vor)Verfahrens AZ 6 Cg 210/89 des Landesgerichtes Salzburg die Prozeßführung des Klägers überdies als von vornherein offenbar aussichtslos zu beurteilen wäre.

Im Hauptverfahren wies dann das Landesgericht Salzburg mit Urteil vom 3. Jänner 1992, GZ 3 Cg 311/90-36, beide Begehren ab. Nach Vorlage der Berufung des Klägers - in der kein Richter des Oberlandesgerichtes Linz abgelehnt worden war - an das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht verfügte der (später abgelehnte) Vorsitzende des auch für das Berufungsverfahren zuständigen Senates 2, Senatspräsident des Oberlandesgerichtes Dr.Wolfgang K*****, am 30. März 1992, eine Mitteilung - aus deren Ausfertigung war das Aktenzeichen 2 R 75/92, die für das Berufungsverfahren zuständige Gerichtsabteilung 2 und der Vorsitzende des zuständigen Berufungssenates zu entnehmen - an die Parteienvertreter abzusenden. Es sei beabsichtigt, die (vom Kläger beantragte) mündliche Berufungsverhandlung bei Erlag eines entsprechenden Kostenvorschusses im Gebäude des Landesgerichtes Salzburg durchzuführen. Alle drei Parteienvertreter erlegten den Vorschuß. Der Vorsitzende des Berufungssenates beraumte sodann am 22.Juli 1992 die mündliche Berufungsverhandlung für den 15.September 1992 im Gebäude des Landesgerichtes Salzburg an und verfügte "Zur Einsicht Richter des OLG Dr.S***** als Beisitzer und Richter des OLG Dr.F***** als BE". Die Ladung wurde am 30.Juli 1992 dem damaligen Klagevertreter zugestellt.

Am 8.September 1992 gab der nunmehrige Rechtsvertreter des Klägers den Antrag auf Ablehnung der Mitglieder des Senates 2 des Oberlandesgerichtes Linz (Senatspräsident des Oberlandesgerichtes Dr.Wolfgang K***** sowie Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Friedrich F***** und Dr.Reinhold S*****) zur Post. Begründet wurde der Antrag im wesentlichen mit dem Inhalt des von diesem Senat gefaßten Beschlusses, mit dem dem Rekurs des Klägers gegen die Verweigerung der Verfahrenshilfe wegen offenbar mutwilliger Prozeßführung nicht Folge gegeben worden war. Die Berufungsverhandlung wurde abberaumt. Die abgelehnten Richter erklärten sich nicht für befangen (§ 22 Abs. 2 JN).

Der Ablehnungssenat des Oberlandesgerichtes Linz wies die gegen die genannten drei Richter gerichtete Ablehnungserklärung als verspätet zurück. Der Kläger habe bei Einbringung seiner Berufung damit rechnen müssen, daß dieses Rechtsmittel wiederum in dem schon bisher im Hauptverfahren tätig gewesenen Senat 2 des Oberlandesgerichtes Linz und von den schon bei der Rekursentscheidung tätig gewesenen Richtern bearbeitet werden würde. Die Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichtes Linz für das Jahr 1992 enthalte in Punkt 3.7 die Regelung, daß Akten, die anläßlich einer früheren Entscheidung eine R-Zahl erhalten hätten, in die Gerichtsabteilung fielen, welche die frühere Entscheidung gefällt habe. Diese Regelung der Geschäftsverteilung existiere bereits seit Jahren und habe den Rechtsfreunden des Klägers bekannt sein müssen. Aus den Grundsätzen der §§ 32 ff, 17 ff Geo sei eine derartige Regelung, die auch dem aus der Bundesverfassung abgeleiteten Gebot der Vorhersehbarkeit des zuständigen Richters diene, naheliegend. Da der Kläger ungeachtet des Erhaltes der die obgenannten Informationen bietenden "Mitteilung" vom 30. März 1992 den Kostenvorschuß einbezahlt und mit dem Ablehnungsantrag bis eine Woche vor der vorgesehenen Berufungsverhandlung zugewartet habe, sei dem aus § 21 Abs. 2 JN abgeleiteten Gebot der Einbringung des Ablehnungsantrages bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zuwidergehandelt worden. Im übrigen wäre nach der Entscheidung EvBl. 1990/145 die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters erst dann gerechtfertigt, wenn er zu erkennen gebe, daß er nicht bereit sei, seine bei der Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag des Ablehnungswerbers vertretene Rechtsansicht erneut selbstkritisch zu prüfen und seine Meinung gegebenenfalls zu ändern. Ohne diese von der Rechtsprechung vorgenommene Einschränkung könnte jede Abweisung eines Verfahrenshilfeantrages einer Partei wegen offenbarer Mutwilligkeit oder Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dazu führen, daß der erkennende Richter wegen Befangenheit abgelehnt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers ist zulässig (§ 24 Abs. 2 JN) und gerechtfertigt.

Gemäß § 21 Abs. 2 JN kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei demselben, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Diese Bestimmung bindet die Ablehnung an Zeitgrenzen (Sperl, Lehrbuch der Bürgerlichen Rechtspflege 78) und hat insbesondere den Zweck, Ablehnungsanträge auszuschalten, die offenbar in Verschleppungsabsicht gestellt oder die doloserweise erst vorgebracht werden, wenn sich aus dem Gang des Rechtsstreites ihre "taktische Zweckmäßigkeit" ergibt (RZ 1975/1). Sie soll somit willkürlicher Verzögerung entgegenwirken und verhindern, daß bereits geleistete prozessuale Arbeit nutzlos wird (Demelius, Der neue Civilproceß 28; Hartmann in Baumbach-Lauterbach-Albert-Hartmann, ZPO51 Anm. 1 zu § 43 dZPO, welche Bestimmung § 21 JN entspricht). Sie ist allgemein dahin zu verstehen, daß Ablehnungsgründe sofort nach ihrem Bekanntwerden vorzubringen sind (JBl. 1989, 664; RZ 1975/1), denn das Ablehnungsrecht ist verzichtbar und verschweigbar (RZ 1975/1; Sperl aaO; Pollak, System2 236). Die Partei muß von ihrem Ablehnungsrecht Gebrauch machen, sobald ihr der Grund, aus welchem die Besorgnis der Befangenheit entsteht, bekannt wird (RZ 1975/1 mwN; 3 Ob 539/88;

Fasching I 205). Die Kenntnis - des Ablehnungswerbers oder seines Prozeßbevollmächtigten (Feiber in MünchKommZPO, Rz 3 zu § 43 dZPO;

Wassermann in AK-ZPO, Rz 2 zu § 43 dZPO) - vom Ablehnungsgrund umfaßt die Kenntnis der Tatsachen, die die (behauptete) Besorgnis der Befangenheit begründen und die Kenntnis der Person des mit der Sache befaßten Richters (Leipold in Stein-Jonas, Kommentar zur ZPO20, Rz 1 zu § 43; Wassermann aaO). Kennenmüssen reicht nicht aus (Hartmann aaO Anm. 2; Feiber aaO Rz 3; Wassermann aaO). Ob daher der damalige Rechtsvertreter des Klägers die Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichtes Linz kennen mußte, wie die erste Instanz nun unterstellt, ist für die Beurteilung des vorliegenden Ablehnungsantrages nicht entscheidend. Denn ein schriftlicher Antrag begründet nur dann die Wirkungen des § 21 Abs. 2 JN, wenn er bewußt an den befangenen Richter selbst gerichtet ist (Leipold aaO Rz 5). Wenn aber der Kläger oder sein damaliger Rechtsvertreter die Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichtes Linz für das Jahr 1992 mit der in Punkt 3.7 derselben enthaltenen seit Jahren existierenden Regelung, daß Akten, die anläßlich einer früheren Entscheidung eine R-Zahl erhalten hätten, in die Gerichtsabteilung fielen, welche die frühere Entscheidung gefällt habe, gekannt hätten, hätte bereits mit der Berufung - als Antrag iS des § 21 Abs. 2 JN - der Ablehnungsantrag in Ansehung der an der Vorentscheidung beteiligten Rechtsmittelrichter gestellt werden müssen. Diese positive Kenntnis wird im fortzusetzenden Verfahren festzustellen sein. Davon hängt ab, ob der Ablehnungsantrag rechtzeitig oder verspätet gestellt wurde. Der Erlag eines Kostenvorschusses zur Deckung der voraussichtlichen Reisegebühren des Berufungssenates durch den Kläger stellt dagegen keinen Antrag iS des § 21 Abs. 2 JN dar.

Wenn der Ablehnungsantrag rechtzeitig ist, muß sich der Ablehnungssenat sachlich damit auseinandersetzen. Die bloße Wiedergabe der in der Entscheidung EvBl. 1990/145 angestellten Erwägungen über die Befangenheit wegen Ablehnung des Antrages auf Verfahrenshilfe stellt kein ausreichendes sachliches Eingehen auf die hier im Ablehnungsantrag weitwendig dargestellten Gründe dar. Demgemäß ist der angefochtene Beschluß aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 52, 50 ZPO.

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