OGH 8Ob78/13y

OGH8Ob78/13y29.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** W*****, vertreten durch Mag. Rudolf Siegel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Dr. E***** L*****, vertreten durch Kafka Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 6.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Februar 2013, GZ 36 R 343/12a‑25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 31. August 2012, GZ 27 C 57/11a‑21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Streitteile sind jeweils Eigentümer benachbarter Grundstücke in der Wiener Innenstadt samt darauf errichteten Wohnhäusern. Das Haus des Klägers verfügt über einen Innenhof, der an einer Seite direkt an die Mauer des Hauses der Beklagten angrenzt. Die im Dachgarten des Hauses der Beklagten befindlichen Pflanzen ragen über die Grundstücksgrenze hinaus über den Innenhof. Knapp unterhalb der beiden Dachgärten wird der gesamte Innenhof von einem Taubengitter bedeckt. An dem zum Innenhof gerichteten Gesims des Hauses der Beklagten sind in einigen Bereichen, aber nicht lückenlos, Taubenabwehrspitzen angebracht. In diesem Bereich hielten sich häufig wildlebende Tauben auf, die den Innenhof sowie die dort aufgestellten Müllcontainer durch Taubenkot erheblich verschmutzten.

Der Kläger begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, die Verunreinigung seines Innenhofs und der Müllcontainer durch den Kot von Tauben, die sich im Bereich der angrenzenden Hausmauer bzw des Gesimses und der Dachterrasse des Hauses der Beklagten aufhalten, zu unterlassen. Die Bepflanzung der Dachterrasse auf dem Haus der Beklagten habe sich zu einem Gestrüpp entwickelt. Diesen kleinen Wald hätten viele Tauben als idealen Aufenthaltsort entdeckt. Dies führe dazu, dass durch die sich auf der Liegenschaft der Beklagten aufhaltenden Tauben der Innenhof sowie die dort befindlichen Müllcontainer mit Taubenkot massiv verunreinigt würden. Dieser Zustand sei bereits als sanitärer Übelstand gerügt worden. Gemeinsame Taubenabwehrmaßnahmen habe die Beklagte abgelehnt.

Die Beklagte entgegnete, dass die sich auf ihrer Liegenschaft befindlichen Pflanzen in keinem Zusammenhang mit der Verschmutzung durch Taubenkot stünden. Wenn sich wilde Tauben an der Mauerkante und am Gesims aufhielten und den darunter liegenden Hof verschmutzten, sei dies außerhalb ihrer Einflusssphäre gelegen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zusätzlich zum eingangs wiedergegebenen Sachverhalt traf es folgende Feststellung: „Etwa seit zwei Wochen vor Schluss der mündlichen Verhandlung ließ der Kläger eine Taubenkotabwehr mittels Ultraschallwellen installieren, durch welche, soweit bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung beurteilbar, die Tauben vom Hofbereich abgehalten werden und die Verschmutzung aufgehört hat.“ In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass der vom Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB zu beurteilen sei. Die inkriminierte Taubenplage sei auf eine Verhaltensänderung der wildlebenden Tauben und nicht auf eine Handlung oder ein sonstiges Tun auf dem Grundstück der Beklagten zurückzuführen. Eine Verpflichtung, Gegenmaßnahmen gegen das Verhalten wilder Tiere zu ergreifen, könne aus § 364 Abs 2 ABGB nicht abgeleitet werden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Beklagte müsse nur dann keine Maßnahmen gegen das Verhalten der wilden Tiere treffen, wenn ihr die Verhinderung der Verschmutzung der Liegenschaft des Klägers unmöglich sei. Hier sei es der Beklagten aber möglich, die inkriminierte Verschmutzung der Liegenschaft des Klägers durch die Taubenplage mit zumutbaren Mitteln zu verhindern. Allerdings sei aufgrund der vom Kläger etwa zwei Wochen vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung installierten Taubenabwehr mittels Ultraschalls die für ein Unterlassungsbegehren erforderliche Wiederholungsgefahr nachträglich weggefallen, weshalb der Kläger sein Begehren auf Kosten hätte einschränken müssen.

Über Antrag des Klägers nach § 508 ZPO sprach das Berufungsgericht nachträglich aus, dass die ordentliche Revision zur Frage des Wegfalls der Wiederholungsgefahr doch zulässig sei.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers, die auf die Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Die Beklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Rechtsansicht der Vorinstanzen sowohl zu den Voraussetzungen des Abwehranspruchs nach § 364 Abs 2 ABGB als auch zum Wegfall der Wiederholungsgefahr einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf. Dementsprechend ist die Revision im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Das Berufungsgericht erkannte das Unterlassungsbegehren deshalb als nicht berechtigt, weil die Wiederholungsgefahr nachträglich durch die vom Kläger selbst installierte Taubenabwehr weggefallen sei.

2.1 Die Wiederholungs‑ bzw die Erstbegehungsgefahr ist materielle Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch (RIS‑Justiz RS0037660). Hat ein rechtswidriger Eingriff in die fremde Rechtssphäre bereits stattgefunden, so wird die Wiederholungsgefahr vermutet. In diesem Fall ist es Sache des Beklagten, Umstände zu behaupten und zu beweisen, denen wichtige Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass der Beklagte ernstlich gewillt ist, von künftigen Störungen Abstand zu nehmen (RIS‑Justiz RS0037661; RS0012087). Als Indiz für das Vorhandensein einer Wiederholungsgefahr ist es zu werten, wenn der Beklagte im Prozess seine Unterlassungspflicht bestreitet und keine Gewähr dafür besteht, dass er Eingriffe in das Eigentum des Klägers in absehbarer Zeit unterlässt. Sie bleibt daher insbesondere dann bestehen, wenn der Beklagte im Verfahren an seiner Rechtsauffassung festhält (RIS‑Justiz RS0012055; RS0115891).

2.2 Im Anlassfall hat die Beklagte keine Maßnahmen gesetzt, um die vom Kläger inkriminierten Beeinträchtigungen abzustellen. Mit Rücksicht auf ihren Prozessstandpunkt bestehen gerade keine Anhaltspunkte für eine ernstliche Willensänderung der Beklagten. Die nicht von der Beklagten, sondern vom Kläger selbst installierte Taubenabwehr kann daher nicht für den Wegfall der Wiederholungsgefahr ins Treffen geführt werden. Außerdem könnte aus dem den Feststellungen zugrunde liegenden Beobachtungszeitraum von zwei Wochen die nachhaltige Wirksamkeit der Abwehrmaßnahme nicht abgeleitet werden. Das Erstgericht hat diesen Umstand der nur beschränkten zeitlichen Beurteilbarkeit ausdrücklich in seine Feststellungen aufgenommen ( „soweit bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung beurteilbar“ ). Es kann somit auch nicht angenommen werden, dass die vom Kläger inkriminierten Beeinträchtigungen in Hinkunft aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären (vgl RIS‑Justiz RS0037664).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist nicht vom Wegfall der Wiederholungsgefahr auszugehen. Auf die Frage der Bedachtnahme auf die vom Kläger als überschießend qualifizierte Feststellung zu der von ihm installierten Taubenabwehr kommt es nicht an.

3.1 Auf Basis der bisherigen Feststellungen kann noch nicht beurteilt werden, ob von einer reinen Natureinwirkung oder einer verhinderungspflichtigen Taubenplage auszugehen ist.

3.2 Der Kläger stützt seinen Anspruch auf § 364 Abs 2 ABGB. Nach dieser Bestimmung kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn bzw einem dritten Störer die von dessen Grund ausgehenden mittelbaren Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und durch ähnliche Einwirkungen insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benützung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen (vgl 4 Ob 2347/96t). Von derartigen mittelbaren Einwirkungen ist die unmittelbare Zuleitung sowie das Eindringen grob körperlicher, also größerer fester Stoffe, zu unterscheiden. Derartige unmittelbare Einwirkungen müssen nicht geduldet werden (4 Ob 43/11v).

3.3 Die Abwehr unzulässiger mittelbarer Immissionen nach § 364 Abs 2 ABGB ist ein besonderer Anwendungsfall der Eigentumsfreiheitsklage. Die Aufzählung der Einwirkungen iSd § 364 Abs 2 ABGB ist demonstrativ. Anerkannt ist, dass solche Einwirkungen auch von Tieren ausgehen können (vgl RIS‑Justiz RS0010588).

In Lehre und Rechtsprechung wird dazu vertreten, dass die Eigentumsfreiheitsklage auf Unterlassung des Eindringens von Tieren nur dann von den Voraussetzungen des § 364 Abs 2 ABGB abhängt, wenn das Eindringen nach der Wesensart der Tiere und der Art des Betriebs, zu dem sie gehören, schlichtweg unvermeidbar ist, also mit zumutbaren Maßnahmen nicht zu verhindern ist. Es handelt sich demnach mit Rücksicht auf die übliche Tierhaltung um unbeherrschbare Tiere (10 Ob 52/11m). Demgegenüber gelangt § 364 Abs 2 ABGB im Fall des Eindringens größerer Tiere nicht zur Anwendung, wenn der Grundeigentümer die von seinem Grundstück ausgehenden Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung der Wesensart der Tiere mit zumutbaren Maßnahmen verhindern kann. Dies gilt nach der Rechtsprechung etwa für Schafe und Ziegen und für Hühner (10 Ob 52/11m; 5 Ob 138/11x).

3.4 Tauben gehören zweifellos zur Kategorie unbeherrschbarer Tiere, weshalb von ihnen ausgehende Beeinträchtigungen nach § 364 Abs 2 ABGB zu beurteilen sind. Nicht mehr drückt Gaisbauer (Streunende Katzen und Nachbarrecht, wobl 2000, 165) aus, wenn er ausführt, dass als „ähnlicher Einwirkungen“ iSd § 364 Abs 2 ABGB jedenfalls Insekten, wie Fliegen, Bienen und Langwanzen, und weiters auch Tauben, Flugenten, Ratten und Mäuse anzusehen seien. Es sei nicht möglich, Körper unerheblichen Umfangs (wie Insekten, Tauben, Ratten, Mäuse uä) vom Nachbargrundstück fernzuhalten.

4.1 Aus diesen Überlegungen folgt noch nicht, dass bei (relevanten) Beeinträchtigungen durch wilde Tauben in jedem Fall ein Abwehranspruch nach § 364 Abs 2 ABGB (vgl dazu RIS‑Justiz RS0079560) zusteht.

Zunächst ergibt sich schon aus den dargestellten Rechtsgrundsätzen, dass es bei Beurteilung der Unbeherrschbarkeit der Tiere als Voraussetzung für einen Abwehranspruch nach § 364 Abs 2 ABGB auf die übliche Tierhaltung und die Art des Betriebs, zu dem die Tiere gehören, ankommt. Es muss sich demnach um Tiere handeln, die dem Störer durch Tierhaltung, Füttern oder sonstiges Anlocken nachbarrechtlich zugerechnet werden können.

4.2 Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Natureinwirkungen, also Einwirkungen, die nicht auf menschliches Handeln, sondern auf Naturvorgänge zurückzuführen sind, nicht nach § 364 Abs 2 ABGB abgewehrt werden können. Dem Nachbarn kann somit nicht in jedem Fall ein schädlicher Erfolg durch Immissionen untersagt werden (7 Ob 218/02p; vgl auch RIS‑Justiz RS0107625). Vielmehr setzt der Abwehranspruch nach § 364 Abs 2 ABGB einen vom Störer geschaffenen Störungszustand durch menschliches Handeln oder durch eine besondere Rechtswidrigkeit voraus (vgl RIS‑Justiz RS0079560). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Gartengestaltung dem Grundeigentümer obliegt und ihm in dieser Hinsicht auch nachbarrechtlich weitgehende Handlungsfreiheit zuzubilligen ist. Ähnlich wie bei unmittelbaren Immissionen eine gefährliche Nutzungsart eine Gefahrenerhöhung aus den Naturwirkungen begründen kann (vgl 2 Ob 13/97v), kann es auch durch eine unübliche Nutzung zu einer relevanten Erhöhung der Beeinträchtigungen durch natürliche Vorgänge iSd § 364 Abs 2 ABGB kommen. Ein geschaffener Störungszustand kann im gegebenen Zusammenhang - abgesehen von einer Tierhaltung oder einem sonstigen Anlocken ‑ daher nur im Fall einer unüblichen Nutzung (zB Müllablagerungen) oder einer unüblichen Bepflanzung (zB ungepflegtes Gestrüpp) der Dachterrasse oder bei einem rechtswidrigen Überhang (vgl 4 Ob 43/11v; 4 Ob 63/13p) angenommen werden.

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass ein auf § 364 Abs 2 ABGB gestütztes Unterlassungsbegehren kein Handlungsverbot, sondern ein Erfolgsverbot darstellt (7 Ob 218/02p; 4 Ob 43/11v). Dies bedeutet nur, dass im Unterlassungstitel die Art, wie die Vermeidung der unzulässigen Immission zu geschehen hat, dem Verpflichteten überlassen bleiben muss (RIS‑Justiz RS0010566).

5. Nach den Feststellungen stammen die Verschmutzungen durch Taubenkot von wildlebenden Tauben, die nicht von der Beklagten gehalten werden und nicht permanent auf ihrem Grundstück leben.

Im gegebenen Zusammenhang hat sich der Kläger allerdings schon im erstinstanzlichen Verfahren darauf berufen, dass die wilden Tauben den kleinen Wald auf der Dachterrasse der Beklagten (im Sinn eines ortsunüblichen Pflanzenbewuchses) als idealen Aufenthaltsort entdeckt hätten, also durch das auf der Dachterrasse wuchernde Gestrüpp und durch die über die Grundstücksgrenze ragenden Pflanzen angezogen würden. In der Berufung hat er in dieser Hinsicht zu Recht das Vorliegen sekundärer Feststellungsmängel geltend gemacht.

6.1 Zusammenfassend ergibt sich:

Ein Abwehranspruch wegen unzulässiger mittelbarer Immissionen nach § 364 Abs 2 ABGB aus relevanten Beeinträchtigungen durch wilde Tauben setzt eine Tierhaltung oder ein sonstiges Anlocken durch den Störer oder einen sonst geschaffenen Störungszustand durch eine unübliche Nutzung oder eine unübliche Bepflanzung des Nachbargrundstücks oder durch eine besondere Rechtswidrigkeit voraus.

6.2 Die Beurteilung der Vorinstanzen hält der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof somit nicht stand. Anhand der getroffenen Feststellung ist eine abschließende Beurteilung der Rechtssache noch nicht möglich. Im fortgesetzten Verfahren wird insbesondere zu klären sein, ob die Bepflanzung auf der Dachterrasse der Beklagten als ortsunüblich und/oder als rechtswidrig iSd § 422 ABGB zu qualifizieren ist, sowie ob dadurch Tauben angelockt werden, die die inkriminierten Beeinträchtigungen verursachen. Im Fall der Bejahung dieser Fragen wird weiters zu klären sein, ob die Verschmutzungen im Bereich des Innenhofs des Klägers und der dortigen Müllcontainer durch Taubenkot das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten, und ob die ortsübliche Benützung des Grundstücks des Klägers dadurch wesentlich beeinträchtigt wird.

Zufolge sekundärer Feststellungsmängel waren die Entscheidungen der Vorinstanzen in Stattgebung der Revision aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte