OGH 4Ob2347/96t

OGH4Ob2347/96t14.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Johann F*****, 2. Anna F*****, beide vertreten durch Dr.Gisulf Konrad, Rechtsanwalt in Köflach, wider die beklagte Partei Edmund Z*****, vertreten durch Dr.Peter Schaefer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Entfernung und Unterlassung (Streitwert S 60.000,--), infolge Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 4.Juli 1996, GZ 5 R 66/96d-23, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Voitsberg vom 29. November 1995, GZ 3 C 1203/95m-16, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kläger sind Miteigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG ***** K*****, Bezirksgericht V*****. Die Liegenschaft besteht aus dem landwirtschaftlich genutzten Grundstück 404/4, der begrünten Baufläche 407/1 und aus der Baufläche 233, auf der sich das Wohnhaus der Kläger befindet. Im Norden dieser Liegenschaft verläuft die Gemeindestraße und daran schließt in 15 bis 20 m Entfernung ein Wald an, dessen Bestand relativ jung ist. Im Westen befindet sich in rund 150 bis 200 m Entfernung vom Wohnhaus der Kläger am Waldrand das Haus des Horst H*****, der auf seinem Grundstück 8 Bienenstöcke aufgestellt hat.

Der Beklagte ist der Schwiegersohn von Karoline L*****, die Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** KG ***** K*****, Bezirksgericht V*****, ist. Zu dieser Liegenschaft gehört das landwirtschaftlich genutzte Grundstück 488/1. Zwischen diesem Grundstück und der - höher gelegenen - Liegenschaft der Kläger besteht ein Niveauunterschied von rund 1 bis 1,5 m. Südlich des Grundstückes 488/1 befindet sich ein Wald mit älteren und höheren Bäumen.

Der Beklagte hat seit 1990 auf dem Grundstück 488/1 in etwa 3 bis 4 m Entfernung zur Grundgrenze der Kläger zwischen 15 und 25 Bienenstöcke mit Hausbienenständen aufgestellt. Die Bienenstöcke stehen unter Apfelbäumen; die Ausflugsöffnung weist nach Süden. Die Bienenköniginnen stammen vom Steiermärkischen Bienenzuchtverband.

Die Kläger begehren, den Beklagten schuldig zu erkennen,

1. alle in einer Reihe in der Länge von ca. 20 m auf dem Grundstück 488/1 der EZ ***** KG ***** K*****, in einer Entfernung von 3 m zum Grundstück 404/4 der EZ ***** KG ***** K***** aufgestellten Bienenvölker zu entfernen, sowie

2. es zu unterlassen, am Grundstück 488/1 der EZ ***** K*****, näher als 25 m vom Grundstück 404/4 der EZ ***** KG ***** K***** entfernt oder näher als 50 m vom Haus ***** E***** Nr. 699 entfernt, Bienenvölker aufzustellen.

Die Bienen des Beklagten seien äußerst aggressiv und hätten die Kläger und deren Familienangehörigen wiederholt gestochen. Es werde dadurch in einem Maß auf die Liegenschaft der Kläger eingewirkt, das das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreite. Der Beklagte habe entgegen § 13 Abs 2 Stmk. Bienenzuchtgesetz die Zustimmung der Kläger nicht eingeholt. Nach dieser Bestimmung dürften Bienenstöcke mit Wanderbienenvölkern nur dann innerhalb von 25 m Entfernung zur Grundgrenze aufgestellt werden, wenn der Nachbar zustimme.

Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen.

Die Bienenvölker befänden sich seit 1990 an ihrem Platz; bis 1993 hätten sich die Kläger nicht belästigt gefühlt. 1993 sei es zu einem Streit wegen eines Servitutsweges gekommen. Die Bienen seien keine Wanderbienen; sie seien nicht aggressiv und flögen nicht über die Liegenschaft der Kläger, weil die Ausflugsöffnungen nach Süden gerichtet seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Zusätzlich zu dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte das Erstgericht fest, daß die Bienen Hausbienen und nicht aggressiv seien. Bis 1994 habe der Erstkläger ohne Schutzkleidung im Freien gearbeitet und sich durch die Bienen nicht belästigt gefühlt. 1993 sei es zwischen den Klägern und der Schwiegermutter des Beklagten zu einem Streit wegen eines Servitutsweges gekommen. Seit diesem Zeitpunkt empfänden die Kläger die Bienenzucht des Beklagten als unerträgliche Belästigung; der Erstkläger habe sich seither beim Mähen einen Kartoffelsack mit Sehschlitzen über den Kopf gestülpt. Sein ihm helfender Sohn habe hingegen keine Schutzkleidung getragen.

Es sei zwar richtig, daß der Beklagte auf der Nachbarliegenschaft Bienenstöcke aufgestellt habe; dies sei jedoch keine Einwirkung auf die Liegenschaft der Kläger, die das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreite. Die ortsübliche Benützung der Grundstücke der Kläger sei nicht wesentlich beeinträchtigt. § 13 Abs 2 Stmk. Bienenzuchtgesetz sei nicht anzuwenden, weil es sich um Hausbienenstände und nicht um Wanderbienenstände handle.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Nach § 364 Abs 2 ABGB habe der Verpflichtete dafür zu sorgen, daß sein Nachbar nicht durch Immissionen beeinträchtigt werde. Die Auswahl der Schutzmaßnahmen sei dem Beklagten zu überlassen. Die Kläger könnten weder die Entfernung der Bienenvölker verlangen noch begehren, daß der Beklagte es zu unterlassen habe, die Bienenvölker in einem bestimmten Nahebereich zur Liegenschaft der Kläger aufzustellen. Schon aus diesen Erwägungen sei das Klagebegehren abzuweisen; auf die weiters geltend gemachten Berufungsgründe sei nicht einzugehen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der Kläger ist zulässig und berechtigt.

Die Kläger sind der Auffassung, daß konkrete Vorkehrungen verlangt werden können, wenn keine Alternativen bestehen. Der Belästigung durch Bienen könne nur durch deren Entfernung abgeholfen werden. Die Fassung des Begehrens sei nicht erörtert worden.

Die Kläger stützen ihren Anspruch auf § 364 Abs 2 ABGB. Nach dieser Bestimmung kann der Eigentümer eines Grundstückes dem Nachbarn - dies gilt auch für den dritten Störer (Spielbüchler in Rummel, ABGB**2, § 364 Rz 5) - die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen und die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen. Das Begehren ist auf Unterlassung des Eingriffes zu richten. Bestimmte sichernde Vorkehrungen dürfen nicht verlangt werden, sondern die Auswahl der Schutzmaßnahmen muß dem Beklagten überlassen bleiben (stRsp ua SZ 65/145 = ecolex 1993, 451 = RdU 1994, 24 mwN; ImmZ 1995, 175 = NZ 1996, 118; s auch Spielbüchler aaO § 364 Rz 17 mwN). Ob dieser Rechtssatz nur dann gelten kann, wenn mehrere Möglichkeiten bestehen, die Immission zu verhindern, braucht im vorliegenden Fall nicht geklärt zu werden:

Die Flugrichtung von Bienen kann wohl auch durch Wände oder Hecken beeinflußt werden. Auch wenn solche Maßnahmen nur mit einem wirtschaftlich unvertretbaren Aufwand zu treffen sein werden, muß es dem Beklagten überlassen bleiben, ob er diese Aufwendungen macht oder sich für die Entfernung der Bienen entscheidet. Auch im vorliegenden Fall kann das Begehren daher nur auf Unterlassung des Eingriffes gerichtet werden.

Die Kläger rügen jedoch zu Recht, daß sie von der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes überrascht wurden. Die Gerichte, insbesondere die Rechtsmittelgerichte, dürfen die Parteien nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die diese nicht beachtet haben und auf die sie vom Gericht nicht aufmerksam gemacht wurden (SZ 42/28; SZ 50/35 = JBl 1978, 262 [König]; MietSlg 34.719/13; 4 Ob 2334/96f mwN). In Österreich gilt somit, wenngleich eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt, dasselbe, was § 278 Abs 3 dZPO festlegt. Danach darf das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, nur dann stützen, wenn es Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Darauf, ob die Partei oder ihr Vertreter diesen Gesichtspunkt und seine Erheblichkeit hätte erkennen müssen, kommt es nicht an (Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO20, § 278 d ZPO Rz 43; Thomas/Putzo, ZPO19, § 278 d ZPO Rz 8; 4 Ob 2334/96f). Es bedarf daher keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die anwaltlich vertretenen Kläger bei gehöriger Sorgfalt erkennen hätten können, daß das Klagebegehren auf Unterlassung des Eingriffes zu richten ist.

Ob die Fassung des Klagebegehrens im vorliegenden Fall überhaupt relevant ist und daher erörtert werden muß, kann erst beurteilt werden, wenn die Beweis- und Mängelrüge der Berufung erledigt sind. Die angefochtene Entscheidung war aufzuheben und die Rechtssache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Revision war Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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