European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0030OB00163.13M.0821.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidung des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die betreibenden Parteien sind schuldig, dem Verpflichteten die mit 370,28 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin enthalten 61,71 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
In einem von den betreibenden Parteien als Kläger gegen den Verpflichteten als Beklagten eingeleiteten Räumungsverfahren (AZ 2 C 1437/09k des Bezirksgerichts Eisenstadt) schlossen die Parteien am 11. November 2010 einen gerichtlichen Räumungsvergleich mit folgendem Inhalt:
„1. Die beklagte Partei verpflichtet sich unter Verzicht auf jedweden Räumungsaufschub, das im angeschlossenen Plan grün schraffiert eingezeichnete Freigelände der Liegenschaft ***** W*****, bis spätestens 31. 12. 2010 zu räumen und den klagenden Parteien geräumt zu übergeben.
2. Die beklagte Partei verpflichtet sich unter Verzicht auf jedweden Räumungsaufschub, den im angeschlossenen Plan blau umrandet eingezeichneten Bereich der Liegenschaft ***** W***** (insbesondere von der dort befindlichen Zelthalle), bis spätestens 31. 1. 2011 zu räumen und den klagenden Parteien geräumt zu übergeben.
3. Die beklagte Partei verpflichtet sich unter Verzicht auf jedweden Räumungsaufschub, den nicht von Punkt 1.) und 2.) umfassten restlichen, insbesondere jenen im angeschlossen Plan orange eingezeichneten Bereich der Liegenschaft ***** W***** (insbesondere von den dort befindlichen Glashäusern), bis spätestens 15. 10. 2012 zu räumen und den klagenden Parteien geräumt zu übergeben.“
Am 18. Oktober 2012 beantragten die betreibenden Parteien die Bewilligung der Räumungs‑ exekution hinsichtlich der von Punkt 3.) des Räumungsvergleichs umfassten Flächen.
Das Erstgericht bewilligte die Exekution antragsgemäß.
Am 20. November 2012 stellte der Verpflichtete den Antrag auf Aufschiebung der Exekution.
Er bezog sich auf eine am 15. November 2012 beim Handelsgericht Wien eingebrachte und mit einem Verfahrenshilfeantrag verbundene „Anfechtungsklage“. Darin behauptet der Verpflichtete unter Anschluss einer Skizze, dass die dem Vergleich zugrunde liegende Vereinbarung in Wahrheit ein anderes Grundstück betroffen habe. Im Zuge der Verhandlung vor dem Titelgericht sei von der gegnerischen Anwältin, bewusst oder unbewusst, ein anderer als der vereinbarte Aufsichtsplan einschließlich Grundstücksmarkierungen vorgelegt worden; daher sei der Vergleich für das falsche Grundstück vereinbart worden. Wie in der Skizze gekennzeichnet, habe der Vergleich für das als Nebengrundstück bezeichnete Areal geschlossen werden sollen. Eine Räumung des nun vom Räumungsexekutionsantrag umfassten Bereichs sei nie vereinbart worden. Das könne auch durch die vor Abschluss des Vergleichs geführte Korrespondenz eindeutig belegt werden.
Im Aufschiebungsantrag selbst brachte der Verpflichtete vor, dass ihm ohne Aufschiebung der Exekution ein unwiederbringlicher Schaden entstehen würde, weil bei Räumung der Liegenschaft alle Glashäuser abgetragen werden müssten und damit sein ganzer Betrieb „kaputt“ wäre. Dieser Schaden könne nicht wiedergutgemacht werden. Im Übrigen seien die Landpachtverträge noch aufrecht. Es könne doch nicht sein, dass eine Liegenschaft, für die ein aufrechtes Pachtverhältnis bestehe, schon vor Ende des Pachtverhältnisses geräumt werden könne.
Die betreibenden Parteien sprachen sich gegen eine Aufschiebung der Räumungsexekution aus. Der vor dem Titelgericht geschlossene Räumungsvergleich habe prozessbeendende Wirkung. Die Behauptung des Verpflichteten, die Landpachtverträge seien noch aufrecht, treffe nicht zu. Der Verpflichtete habe überdies den Räumungsvergleich unter Verzicht auf jedweden Räumungsaufschub geschlossen. Bereits zu AZ 13 R 158/11z habe das Landesgericht Eisenstadt mit Beschluss vom 22. November 2011 rechtskräftig festgestellt, dass der prozessbeendende Vergleich prozessual nicht beseitigt werden könne.
Jedenfalls könne aber eine Aufschiebung nur gegen Erlag einer Sicherheitsleistung erfolgen. Unter näherer Darstellung der Kosten für die Anmietung eines Ersatzobjekts sei die Sicherheitsleistung mit mindestens 4.800 EUR zu bemessen.
Das Erstgericht schob die Räumungsexekution antragsgemäß bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die vom Verpflichteten eingebrachte Anfechtungsklage auf, falls zur Sicherstellung des Anspruchs der betreibenden Parteien eine Sicherheitsleistung von 4.800 EUR erlegt werde.
Es ging davon aus, dass zwar die Anfechtungsklage in ihrer derzeitigen Form noch nicht zur Behandlung geeignet sei. Es fehlten Beweisanbot und Urteilsbegehren. Für den Fall der Bewilligung der Verfahrenshilfe könne die Klage jedoch ordnungsgemäß verbessert werden. Ob aber die Anfechtungsklage Aussicht auf Erfolg habe, werde von der Beweiswürdigung des Handelsgerichts Wien abhängen. Dieser vorzugreifen könne nicht Aufgabe des Exekutionsgerichts sein. Es sei offensichtlich, dass durch das Abtragen der Glashäuser, die der vom Verpflichteten gerichtsbekannt betriebenen Gärtnerei dienten, die Aufrechterhaltung des Betriebs des Verpflichteten unmöglich wäre. Auf der anderen Seite sei die Aufschiebung der Exekution geeignet, die Befriedigung der betreibenden Parteien zu gefährden. Ausgehend von den von den betreibenden Parteien angegebenen Kosten für ein Ersatzlager sei die Sicherheitsleistung mit 4.800 EUR festzusetzen.
Das Rekursgericht gab dem dagegen von den betreibenden Parteien erhobenen Rekurs Folge und wies den Aufschiebungsantrag des Verpflichteten ab.
Rechtlich erachtete es zusammengefasst, dass der Vergleichstext eindeutig sei. Werde aber in einem Räumungsverfahren über das in der Räumungsklage konkret bezeichnete Objekt ein Räumungsvergleich geschlossen, scheide ein Irrtum über die dem Vergleich zugrunde liegende Liegenschaftshälfte „selbstverständlich“ aus. Es bedürfe hier keiner Beweiswürdigung, um zu erkennen, dass die vom Verpflichteten beim Handelsgericht Wien eingebrachte Anfechtungsklage aussichtslos und nur zur Verzögerung des Räumungsexekutionsverfahrens eingebracht worden sei. Wenn die Klageführung mit hoher Wahrscheinlichkeit als aussichtslos zu beurteilen sei, sei die Abweisung des Exekutionsaufschiebungsantrags jedenfalls gerechtfertigt. Die Behauptung eines Irrtums dahin, dass sich der Vergleich auf ein in Wahrheit im Räumungsverfahren nicht verfahrensgegenständliches Nachbargrundstück bezogen habe, sei mutwillig.
Das Rekursgericht bewertete den Wert des Entscheidungsgegenstands mit 30.000 EUR übersteigend und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.
Der Verpflichtete strebt mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs erkennbar die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses an.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist auch im Sinne einer Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung berechtigt.
1. Der Räumungsexekutionantrag der betreibenden Parteien bezieht sich ausschließlich auf die gemäß Punkt 3.) des Räumungsvergleichs bis 15. Oktober 2012 zu räumenden Flächen. Davon ausgehend wahrten die betreibenden Parteien mit ihrem Exekutionsantrag die Frist des § 575 Abs 2 ZPO.
2. Auf das Vorbringen des Verpflichteten im Revisionsrekurs zur Zulässigkeit der Beendigung von Landpachtverträgen durch Räumungsvergleich ist schon deshalb nicht einzugehen, weil der Verpflichtete in seiner beim Handelsgericht Wien eingebrachten Klage, die er zur Begründung seines auf § 42 Abs 1 Z 1 EO gestützten Aufschiebungsantrags heranzog, nur auf den behaupteten gemeinsamen Irrtum der Parteien über den Vergleichsgegenstand Bezug nahm und den Räumungsvergleich nur mit dieser Begründung anzufechten erklärte.
Auch in der mittlerweile nach Bewilligung der Verfahrenshilfe von der Verfahrenshelferin verbesserten Anfechtungsklage, die aufgrund eines Überweisungsantrags des Verpflichteten nun beim Bezirksgericht Liesing anhängig ist, macht der Verpflichtete als Kläger nur den behaupteten gemeinsamen Irrtum beim Vergleichsabschluss geltend.
3. Aus folgenden Überlegungen erweist sich die Begründung des Rekursgerichts, die vom Verpflichteten eingebrachte Klage sei „offenbar aussichtslos“, als korrekturbedürftig:
3.1. Der Verzicht auf „jedweden“ Räumungsaufschub hindert die Aufschiebung nach § 42 Abs 1 Z 1 EO nicht; es kann nicht unterstellt werden, dass sich der Verzicht auch auf den Fall erstrecken sollte, dass der einem Vergleich zugrunde liegende Anspruch bei späterer erfolgreicher Anfechtung des Vergleichs seine materielle Wirkung verliert (vgl zur Aufschiebung nach § 42 Abs 1 Z 5 EO RIS‑Justiz RS0001817; 3 Ob 92/03f).
3.2 Zutreffend ist das Rekursgericht zunächst davon ausgegangen, dass die Aufschiebung der Exekution ‑ von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen ‑ nach Lehre und Rechtsprechung nur dann bewilligt werden darf, wenn die Aktion des Aufschiebungswerbers, die den Aufschiebungsgrund bildet, nicht aussichtslos ist ( Jakusch in Angst , EO 2 § 42 Rz 65; 3 Ob 175/07t; RIS‑Justiz RS0001522 [T21]).
3.3. Bei der Entscheidung über einen Aufschiebungsantrag kommt es nicht darauf an, ob die Klage „aussichtsreich“ ist, sondern darauf, ob sie als „offenbar aussichtslos“ angesehen werden muss (RIS‑Justiz RS0001979); das ist dann der Fall, wenn der Klageerfolg schon nach den Klagebehauptungen zweifelhaft ist (RIS‑Justiz RS0001522).
3.4. In der Literatur ( Jakusch in Angst , EO 2 § 42 Rz 66) wird darauf verwiesen, dass die den Aufschiebungsgrund bildende Klage (nur) aussichtslos ist, wenn ihr Erfolg aus rechtlichen Überlegungen zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit zweifelhaft ist, es der Klage also etwa an der Schlüssigkeit mangelt.
3.5. Auch die Rechtsprechung betont, dass bei der im Aufschiebungsverfahren anzustellenden Prüfung dem Verfahrensergebnis, also insbesondere der Beweiswürdigung, nicht vorgegriffen werden darf (3 Ob 223/98k; RIS‑Justiz RS0001522 [T7]; weitere Nachweise bei Jakusch in Angst , EO 2 § 42 Rz 66).
3.6. Sind aber die dem Kläger bzw Antragsteller zur Verfügung stehenden Beweis‑ oder Bescheinigungsmittel nicht in die Betrachtung einzubeziehen, kann es in Wahrheit bei der Prüfung der Erfolgsaussichten nur auf Rechtsfragen und damit auf die Schlüssigkeit der Klage bzw des Antrags ankommen. In diesem Sinn ist die in der Rechtsprechung gebrauchte Wendung, die Klage dürfe nicht „offenbar aussichtslos“ sein, zu verstehen.
3.7. Unter Zugrundelegung der vom Erstgericht zutreffend bejahten Verbesserungsfähigkeit der vom Verpflichteten eingebrachten Anfechtungsklage ‑ die nun auch nach Bewilligung der Verfahrenshilfe bereits verbessert wurde ‑ liegt aber offenbare Aussichtslosigkeit nicht vor:
3.7.1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass materielle Mängel eines Vergleichs mit Klage geltend gemacht werden können (5 Ob 209/07g; 5 Ob 184/10k; weitere Nachweise bei Klicka/Fasching/Konecny 2 §§ 204 bis 206 ZPO Rz 43 mwN).
3.7.2. Der Verpflichtete behauptet in seiner Klage und in seinem Aufschiebungsantrag, dass beide Parteien bei Vergleichsabschluss übereinstimmend davon ausgegangen seien, dass nicht die in Punkt 3.) des Räumungsvergleichs genannten Flächen von der Räumungsvereinbarung umfasst sein sollten.
Dabei handelt es sich jedenfalls nach den Behauptungen des Verpflichteten um Umstände, die beide Parteien bei Abschluss des Vergleichs als feststehend annahmen. Ein Irrtum über diese Umstände berechtigt aber zur Anfechtung des Vergleichs nach § 1385 ABGB (RIS‑Justiz RS0032543; Klicka in Fasching/Konecny 2 §§ 204‑206 ZPO Rz 41 mwN).
3.7.3. Die betreibenden Parteien übersehen mit ihrem Einwand, es sei bereits rechtskräftig die prozessbeendende Wirkung des Vergleichs festgestellt worden, dass in der von ihnen zitierten Rechtsmittelentscheidung nur die Unzulässigkeit des vom Verpflichteten im Titelverfahren gestellten Fortsetzungsantrags nach Vergleichsabschluss beurteilt wurde: Während über die prozessuale Unwirksamkeit eines Vergleichs über Fortsetzungsantrag in dem Verfahren, in welchem der Vergleich geschlossen wurde, zu entscheiden ist, (RIS-Justiz RS0000093), müssen materiellrechtliche Mängel mit selbständiger Klage geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0032587 [T5]).
3.8. Daraus folgt aber, dass der vom Verpflichteten eingebrachten Klage, unterstellt man die Richtigkeit der darin aufgestellten Tatsachenbehauptungen, die aus den aufgezeigten Gründen vom Exekutionsgericht nicht in Vorwegnahme der Beweiswürdigung angezweifelt werden können, nicht von vornherein aus rechtlichen Überlegungen Aussichtslosigkeit beschieden ist.
4. In Abänderung der Entscheidung des Rekursgerichts ist daher der Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.
Dass der Verpflichtete ohne Aufschiebung der Räumungsexekution einen Nachteil im Sinn des § 44 Abs 1 EO erleiden würde, ist aus dem vom Erstgericht als gerichtsbekannt vorausgesetzten Umstand abzuleiten, dass in den ‑ zu räumenden ‑ Glashäusern eine Gärtnerei betrieben wird. Entgegen der im Rekurs der betreibenden Parteien vertretenen Auffassung ist für die Annahme eines solchen Nachteils nicht zwingend ein Verdienstentgang des Verpflichteten erforderlich: Es reicht die Gefahr der Vernichtung bzw Beschädigung der in den Glashäusern befindlichen Pflanzen.
Die Höhe der vom Erstgericht festgesetzten ‑ und vom Verpflichteten bereits erlegten ‑ Sicherheitsleistung beruht auf den Angaben der betreibenden Parteien in ihrer Äußerung.
5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 78 EO. Die betreibenden Parteien haben sich gegen den Aufschiebungsantrag gewendet und auch Rekurs gegen die erstgerichtliche Entscheidung erhoben. Es liegt ein Zwischenstreit vor ( Jakusch in Angst , EO 2 § 74 Rz 79).
Dem Verpflichteten sind daher die Kosten seines Revisionsrekurses, nicht aber die Kosten seiner ‑ zwar nicht unzulässigen, aber nicht vorgesehenen ‑ Rekursbeantwortung zuzusprechen (RIS-Justiz RS0118686 [T12]).
Ein dem Verpflichteten zu seinen Lasten unterlaufener Multiplikationsfehler bei Berechnung des Streitgenossenzuschlags war zu berichtigen.
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