OGH 12Os25/13p

OGH12Os25/13p16.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Mai 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Müller als Schriftführerin in der Strafsache gegen Niklas R***** und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Niklas R***** sowie über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Jugendschöffengericht vom 13. Dezember 2012, GZ 9 Hv 151/12g‑15, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, des Angeklagten Niklas R***** sowie der Verteidiger Dr. Huemer und Dr. Grahofer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 9 Hv 151/12g des Landesgerichts St. Pölten verletzt das Urteil dieses Gerichts als Jugendschöffengericht vom 13. Dezember 2012 in Ansehung des Verurteilten Magomed K***** § 28 Abs 2 JGG und in Ansehung des Angeklagten Niklas R***** § 46a Abs 1 JGG iVm § 28 Abs 2 JGG.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Niklas R***** wird verworfen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Niklas R***** wird das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, in Ansehung des Niklas R***** und des Magomed K***** im Verfallserkenntnis aufgehoben und im Umfang der Aufhebung gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Vom Verfall wird abgesehen (§ 20a Abs 3 StGB).

Der Berufung des Angeklagten Niklas R***** wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten Niklas R***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen ‑ hinsichtlich Magomed K***** auch einen Freispruch enthaltenden, in Rechtskraft erwachsenen ‑ Urteil wurden Niklas R***** und Magomed K***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie am 3. März 2012 in A***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Jakob L***** dadurch, dass Niklas R***** ihn am Hals erfasste, gegen die Wand des Waschraums der Bahnhofstoilette drückte, ihn aufforderte, ihm Geld zu geben, widrigenfalls er ihm mit seiner Zigarette die Augen verbrennen würde, wobei er dieser Drohung insoweit Nachdruck verlieh, als er die Zigarette nahe des linken Auges des Genannten bewegte, Magomed K***** in einer für das Opfer wahrnehmbaren Weise zu Niklas R***** äußerte, „vergewaltigen wir ihn“, Niklas R***** im Anschluss das Opfer neuerlich in Richtung Toiletten drängte und gegen die Wand stieß und Magomed K***** das Opfer fragte, ob er „bei diversen Schlägereien schon viel einstecken musste und oft eine in die Fresse bekommen hätte“, zur Übergabe von 2 Euro, somit durch Gewalt gegen seine Person sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89) fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz abgenötigt, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Die Hauptverhandlung wurde am 13. Dezember 2012 durchgeführt und das Urteil am selben Tag verkündet, wobei das erkennende Gericht aus einem Richter und zwei Schöffen weiblichen Geschlechts zusammengesetzt war (ON 14 S 1).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde ‑ in Übereinstimmung mit dem Beschwerdeführer ‑ zutreffend ausführt, muss dem Schöffengericht in Jugendstrafsachen nach § 28 Abs 2 JGG mindestens ein Schöffe des Geschlechts des Angeklagten angehören (Schroll in WK2 JGG § 28 Rz 11), wobei diese Bestimmung nach § 46a Abs 1 JGG auch in Strafsachen junger Erwachsener anzuwenden ist. In Ansehung des zum Tatzeitpunkt 14‑jährigen männlichen Verurteilten Magomed K***** in einer Jugendstrafsache (§ 1 Z 4 JGG) und des zum Tatzeitpunkt 18‑jährigen männlichen Angeklagten Niklas R***** in einer Strafsache junger Erwachsener (§ 46a Abs 1 erster Satz JGG) wäre somit zumindest ein Schöffe männlichen Geschlechts heranzuziehen gewesen.

Aus dem Blickwinkel des § 281 Abs 1 StPO führt eine nicht gehörige Gerichtsbesetzung aber nur insoweit zur Urteilsnichtigkeit aus dem Grund der Z 1, als der Beschwerdeführer seiner Rügeobliegenheit in Kenntnis des Nichtigkeit begründenden Umstands nachgekommen ist.

Den Angeklagten selbst trifft die Rügeobliegenheit trotz sinnlicher Wahrnehmung eines Nichtigkeit begründenden Vorgangs nur dann, wenn er über dessen rechtliche Implikationen wenigstens so weit Bescheid weiß, dass er, auch ohne juristische Fachkenntnis zu besitzen, den (rechtlichen) Sinnzusammenhang nach Art einer Parallelwertung in der Laiensphäre versteht (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 138). Beim Verteidiger kommt es auf die rechtsrichtige Beurteilung hingegen nicht an, weil ihm die erforderlichen Rechtskenntnisse ohne weiteres unterstellt werden können (13 Os 46/06y, SSt 2006/50; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 138). Ein ‑ wie vorliegend an der Hauptverhandlung teilnehmender ‑ rechtskundiger Vertreter kann sich daher nicht auf mangelnde Rechtskenntnisse berufen, sodass das Geschehen, welches sich während der Hauptverhandlung in seiner Anwesenheit ereignet, ihm jedenfalls zur Kenntnis gelangt (RIS‑Justiz RS0120890, Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 139 mwN). Da das Geschlecht der Richter in aller Regel offensichtlich ist (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 139), bestand vorliegend die ‑ vom Beschwerdeführer nicht wahrgenommene ‑ Obliegenheit zur sofortigen Rüge.

Angesichts der schon lange (vgl schon § 32 Abs 3 JGG 1961) bestehenden und keinerlei Unklarheiten aufweisenden Vorschrift über die Besetzung des Schöffengerichts in Strafsachen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in §§ 28 Abs 2, 46a Abs 1 zweiter Satz JGG kann die Kenntnis der wahren Rechtslage bei einem Verteidiger ‑ ganz im Gegensatz zum Fall der Gesetzesänderung betreffend die Besetzung des Schöffengerichts, die von einem rechtsirrigen Einführungserlass begleitet wurde (RIS‑Justiz RS0120890 [T1]) ‑ hier auch ohne weiteres unterstellt werden, sodass der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus Z 1 keine Berechtigung zukommt.

Grundsätzlich soll durch die Rügeobliegenheit der Missbrauch verhindert werden, dass Verfahrensbeteiligte, die bereits Kenntnis von einer nicht gehörigen Besetzung des Gerichts haben, den Fort‑ und Ausgang des Verfahrens abwarten, um dann ‑ allenfalls erst angesichts eines missliebigen Urteils ‑ den Verfahrensmangel geltend machen und über ein Rechtsmittel eine Verfahrenserneuerung erwirken (14 Os 68/00; 11 Os 151/96; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 133).

Diese der StPO anhaftenden Wertungen zur Rügeobliegenheit sind auch zu berücksichtigen, wenn die Generalprokuratur eine nicht gehörige Gerichtsbesetzung im Zuge einer Wahrungsbeschwerde aufgreift, würde doch ansonsten ‑ dem Zweck der Bestimmung zuwiderlaufend - über § 292 StPO und einer damit einhergehenden Zuerkennung konkreter Wirkung die vom Gesetzgeber in § 281 Abs 1 Z 1 StPO ausdrücklich normierte Rügeobliegenheit ausgehöhlt und der Angeklagte nicht mehr zu einem den Prozessverlauf bestimmenden sofortigen Handeln verpflichtet (Lewisch, ÖJZ 1991, 837 f und FN 16; zustimmend Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 38). Demzufolge hat sich der Angeklagte durch das von seinem Verteidiger zu verantwortende Unterlassen einer Rüge um die Möglichkeit gebracht, aus der fehlerhaften Gerichtsbesetzung im Rahmen der Wahrungsbeschwerde eine Neudurchführung des Verfahrens zu erwirken (RIS‑Justiz RS0097277), zumal im vorliegenden Fall die nicht gehörige Besetzung mit der Konstellation, dass sich ein bereits in der Sache tätig gewesener und somit nicht mehr völlig unbefangener Richter an der Entscheidungsfindung beteiligte (vgl dazu 11 Os 20/91), nicht vergleichbar ist.

Der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher Folge zu geben und die Gesetzesverletzung festzustellen; zur Zuerkennung einer damit verbundenen konkreten Wirkung iSd § 292 letzter Satz StPO sah sich der Oberste Gerichtshof hingegen nicht veranlasst.

Der auf Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Niklas R***** kommt keine Berechtigung zu.

Dem Vorbringen des Nichtigkeitswerbers zum vom Tatopfer geschilderten Akzent eines Tatbeteiligten ‑ von dessen Vorliegen die Tatrichter ohnedies nicht ausgingen (US 23) ‑ ist nicht zu entnehmen, welche konkrete schulderhebliche Feststellung unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) sein soll. Im Übrigen kann die ‑ vom Beschwerdeführer beanstandete ‑ Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit einer Person nicht aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO releviert werden (RIS‑Justiz RS0106588 [T9]).

Mit der Subsumtionsrüge (Z 10) kritisiert der Rechtsmittelwerber, dass das erkennende Gericht im Hinblick darauf, dass Niklas R***** den erst 14‑jährigen Jakob L***** am Hals packte, ihn gegen die Wand drückte, mit einer brennenden Zigarette in Richtung dessen Auge fuhr, ihm androhte das Auge zu verbrennen und ihn gegen die Wand stieß, in der rechtlichen Beurteilung den Standpunkt vertrat, dass von erheblicher Gewalt auszugehen und eine Subsumtion unter § 142 Abs 2 StGB auszuschließen sei (US 29).

Gemäß § 142 Abs 2 StGB ist ein Raub privilegiert, wenn dieser ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Werts erfolgt, die Tat überdies unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und es sich um keinen schweren Raub nach § 143 StGB handelt.

Erhebliche Gewalt ist dann anzunehmen, wenn der Täter bei einem Angriff auf das Opfer beachtliche physische Kraft in vehementer Weise einsetzt, wobei die Belastung des Opfers im Vergleich zu Durchschnittsfällen nicht als geringfügig einzustufen ist. Ob dies zutrifft ist nach einem objektiv‑individualisierenden (strengen) Maßstab unter Berücksichtigung aller konkreten Fallgegebenheiten, wie etwa auch des körperlichen Zustands des Angegriffenen, zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0094427).

Zusätzlich angewendete Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben sind in diese Prüfung nicht einzubeziehen, weil sie die Anwendung der Privilegierung des § 142 Abs 2 StGB, die nur auf den Grad der bei der Tat geübten Gewalt abstellt, nicht ausschließen (Eder‑Rieder in WK² § 142 Rz 56 mwN; RIS‑Justiz RS0094296).

Gewalt ist jedoch nur gegeben, wenn die gegen den Körper des Opfers gerichtete physische Kraft dieses real trifft oder eine solche körperliche Wirkung unmittelbar bevorsteht, wobei bei letzterem für die Abgrenzung entscheidend ist, ob der Täter noch die Macht hat, die Realisierung der Gewalt zu verhindern oder diese körperlich wirksam werden zu lassen (Eder‑Rieder in WK² § 142 Rz 26). Im Sinn der Beschwerdeargumentation trifft daher zu, dass die bloße Androhung weiterer körperlicher Gewalt mittels Führens einer brennenden Zigarette in Richtung Auge des Tatopfers keine Gewalt, sondern eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben darstellt.

Die Gewaltausübung bestand vorliegend allerdings darin, dass der Nichtigkeitswerber das Opfer am Hals erfasste und gegen eine Wand drückte (US 11) sowie in weiterer Folge zurückdrängte und es abermals an die Wand drückte (US 13), wodurch fallbezogen bereits beachtliche physische Kraft in vehementer Weise eingesetzt wurde, weil sich die fortgesetzte Gewaltanwendung auch gegen den Hals, somit gegen eine äußerst empfindliche Körperstelle des erst vierzehnjährigen Tatopfers, richtete und daher als erheblich einzustufen ist.

Auch die Berufung wegen der Höhe des Strafausspruchs erweist sich als unberechtigt.

Von den Tatrichtern wurde zutreffend die einschlägige Vorstrafe, die Tatbegehung während offener Probezeit, der rasche Rückfall und ‑ angesichts der Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 10. Juli 2012, AZ 9 Hv 72/12i, dem Berufungsvorbringen zuwider auch ‑ das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit mehreren Vergehen als erschwerend gewertet. Bei einem Vorgehen nach §§ 31, 40 StGB sind nämlich auch die im Vor‑Urteil berücksichtigten Erschwerungs‑ und Milderungsgründe bei Ausmessung der Strafe heranzuziehen (Ratz, WK² § 40 Rz 2), was zur Folge hat, dass auch der ‑ vom Schöffengericht nicht berücksichtigte ‑ Umstand der (im Vor‑Urteil verwirklichten) mehrfachen Deliktsqualifikation als erschwerend zu werten war.

Als mildernd zu berücksichtigen war neben der bereits von den Tatrichtern herangezogenen Tatbegehung im Alter unter 21 Jahren, dass es ‑ wiederum unter Einbeziehung des Vor‑Urteils ‑ teilweise beim Versuch geblieben ist sowie die teilweise geständige Verantwortung. Der vom Beschwerdeführer reklamierte Milderungsgrund der Unbesonnenheit nach § 34 Abs 1 Z 7 StGB ist nur heranzuziehen, wenn der Täter einem Willensimpuls folgt, der aus besonderen Gründen der Lenkung durch das ruhige Denken entzogen ist (Ebner, WK² § 34 Rz 18). Anhaltspunkte dafür sind angesichts der gezielten, mehrfachen Attacken gegen das Tatopfer nicht erkennbar.

Die vom Schöffengericht ausgemessene Sanktion einer einjährigen Freiheitsstrafe wird im Hinblick auf die dargestellten weiteren Milderungs‑ und Erschwerungsgründe Tatunrecht, Täterschuld und Täterpersönlichkeit sowie auch general‑ und spezialpräventiven Erfordernissen gerecht, sodass der Berufung nicht Folge zu geben war.

Nach § 20 Abs 3 StGB ist für einen dem Verfall nach Abs 1 oder Abs 2 leg cit unterliegenden Vermögenswert, der ‑ wie vorliegend ‑ weder sichergestellt noch beschlagnahmt wurde, ein Geldbetrag für verfallen zu erklären, der dem nach Abs 1 oder Abs 2 erlangten Vermögenswert entspricht. Da gegenständlich nur die Beute von 2 Euro (US 3, 13 und 39) vom Verfall umfasst ist und der dem rechtswidrig erlangten Vermögenswert entsprechende Betrag bei mehreren Tatbeteiligten ausschließlich dem tatsächlichen Empfänger der Beute (vgl dazu ON 14 S 21) mittels Verfall abzunehmen ist (Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 20 Rz 34), die Tatrichter aber sowohl Niklas R***** als auch Magomed K***** nach § 20 Abs 3 StGB zur Zahlung von 2 Euro „verurteilten“, und somit insgesamt 4 Euro für verfallen erklären (US 5), wurde damit die Strafbefugnis überschritten (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde war daher diese nicht geltend gemachte unrichtige Anwendung des Gesetzes zum Nachteil des Angeklagten Niklas R***** und des Verurteilten Magomed K***** von Amts wegen aufzugreifen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Da der für verfallen zu erklärende Vermögenswert von 2 Euro außer Verhältnis zum Verfahrensaufwand zur Einbringung dieses Betrags steht, war nach § 20a Abs 3 StGB vom Verfall abzusehen.

Der Kostenausspruch, der sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht (Lendl, WK‑StPO § 390 Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte