OGH 11Os20/91

OGH11Os20/9119.3.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.März 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Felzmann, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Paulin als Schriftführerin in der Strafsache gegen A***** W*****, A***** L***** und B***** Z***** wegen des Vergehens des Raufhandels nach dem § 91 Abs. 1 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 28.August 1990, AZ 9 Bs 138/90, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, und der Verteidigerin Dr. Sarnitz, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen A***** W***** und A***** L*****, und Bernhard Z***** wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 14 E Vr 399/88 des Landesgerichtes Klagenfurt, verletzt die - nach Aufhebung des Urteils des Oberlandesgerichtes Graz vom 24. Oktober 1988, AZ 9 Bs 414/88, durch den Obersten Gerichtshof vorgenommene - neuerliche Verhandlung und Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten A***** W***** und B***** Z***** wegen Nichtigkeit und wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe am 28.August 1990 zum AZ 9 Bs 138/90 des Oberlandesgerichtes Graz durch einen Senat, dem zwei Mitglieder (Vorsitzender und Berichterstatter) angehörten, die bereits an der Berufungsverhandlung vom 24.Oktober 1988 teilgenommen und in derselben Sache erkannt hatten, das Gesetz in der Bestimmung des § 68 Abs. 2 zweiter Satz StPO in Verbindung mit Art 6 Abs. 1 MRK. Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 28.August 1990, AZ 9 Bs 138/90 (ON 71 des Aktes 14 E Vr 399/88 des Landesgerichtes Klagenfurt), aufgehoben und dem Oberlandesgericht Graz die neuerliche Verhandlung und Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten A***** W***** und B***** Z***** in einer (auch) der Bestimmung des § 68 Abs. 2 zweiter Satz StPO entsprechenden Zusammensetzung des Berufungssenates aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 13.Juli 1988, GZ 14 E Vr 399/88-28, wurden (ua) der am 16.Juni 1961 geborene A***** W***** und der am 7.Februar 1967 geborene B***** Z***** der Vergehen des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 erster Fall StGB und der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB, Z***** überdies der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu (Zusatz-)Freiheitsstrafen (§§ 31, 40 StGB) verurteilt. Beide Angeklagten meldeten unmittelbar nach der Urteilsverkündung "volle Berufung" (S 284) an. Während der Angeklagte W***** sein Rechtsmittel in der Folge gegen den Ausspruch über die Schuld ausführte (ON 29), unterblieb eine Rechtsmittelausführung des Mitangeklagten Z***** schon mangels rechtswirksamer Zustellung der Urteilsausfertigung an ihn.

Dessenungeachtet entschied das Oberlandesgericht Graz - noch dazu in Abwesenheit der beiden (damals noch nicht anwaltlich vertretenen) Rechtsmittelwerber - mit Urteil vom 24.Oktober 1988, AZ 9 Bs 414/88 (ON 33 des erstgerichtlichen Aktes über die Rechtsmittel (der Angeklagten). Dabei nahm es auf die Berufungen wegen Nichtigkeit gemäß § 467 Abs. 2 StPO keine Rücksicht und wies die Berufungen wegen Schuld und Strafe als unbegründet zurück. Dieses Urteil wurde in Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 26. Jänner 1990, GZ 11 Os 136,137/89-5, aufgehoben. Da die Aktenvorlage an das Berufungsgericht ohne vorherige rechtswirksame Urteilszustellung an den Berufungswerber B***** Z***** sowie die Verhandlung und Entscheidung über die Berufungen beider nicht ordnungsgemäß zum Gerichtstag vorgeladenen Angeklagten in deren Abwesenheit das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 466 Abs. 7, 467 Abs. 1 und 5 sowie 471 Abs. 1, 2 und 4 StPO iVm § 489 Abs. 1 StPO verletzt hatten, ordnete der Oberste Gerichtshof die gesetzmäßige Erneuerung des Berufungsverfahrens, beginnend mit der Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Angeklagten B***** Z*****, an (ON 60 des erstgerichtlichen Aktes).

Nach Ausführung der Berufung wegen Strafe (ON 65) durch den am 7. März 1990 gemäß § 41 Abs. 2 StPO bestellten Verteidiger (ON 64) des B***** Z***** und Verzicht der Staatsanwaltschaft Klagenfurt auf Gegenausführung zu diesem Rechtsmittel wurden die Akten erneut dem Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht vorgelegt. Dieses Gericht entschied in der Berufungsverhandlung am 28. August 1990 in Anwesenheit der Angeklagten und ihrer Verteidiger (ON 70) nach Wiederholung des Beweisverfahrens neuerlich, daß auf die Berufungen der Angeklagten W***** und Z***** wegen Nichtigkeit keine Rücksicht genommen werde (§ 467 Abs. 2 StPO), und wies ihre Berufungen gegen die Aussprüche über die Schuld und die Strafe als unbegründet zurück (ON 71). An dieser Berufungsverhandlung und -entscheidung wirkten (ohne daß dies gerügt worden wäre) als Vorsitzender bzw als Berichterstatter Richter mit, welche in diesen Funktionen bereits an der Fällung der ersten - vom Obersten Gerichtshof aufgehobenen - Berufungsentscheidung beteiligt gewesen waren.

Die Angeklagten W***** und Z***** traten die über sie verhängten, damit erneut in Rechtskraft erwachsenen Freiheitsstrafen bisher nicht an.

Rechtliche Beurteilung

Die Mitwirkung von Richtern, die bereits an der Berufungsverhandlung und -entscheidung vom 24.Oktober 1988 teilgenommen hatten, an der neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung über die Rechtsmittel der Angeklagten ist mit der fundamentalen Zielsetzung des § 68 Abs. 2 zweiter Satz StPO nicht vereinbar. Nach dieser prozessualen Bestimmung sind bei Wiederholung einer Hauptverhandlung infolge einer Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde jene Richter von der neuen Hauptverhandlung ausgeschlossen, die an der ersten teilgenommen haben. Damit soll eine (neuerliche) Entscheidung der Schuldfrage durche jene Richter, die hierüber im aufgehobenen Ersturteil entschieden haben, vermieden werden, weil bei einer neuerlichen meritorischen Befassung von Richtern, deren Entscheidung in derselben Sache im Rechtszug kassiert wurde, ihre völlige Unbefangenheit in Frage gestellt wäre. Analoge Gesichtspunkte kommen aber auch dann zum Tragen, wenn (wie hier) eine Berufungsentscheidung gemäß § 292 letzter Satz StPO aufgehoben und dem Berufungsgericht die neue Verhandlung und Entscheidung (auch) über die Tat- und Schuldfrage (mithin nicht allein über die Strafneubemessung) aufgetragen wird. Ist doch diesfalls die Frage einer abermaligen Mitwirkung der in ihrer Sachbeurteilung berichtigten Rechtsmittelrichter nicht anders zu beurteilen als jene entsprechend korrigierter Tatrichter (SSt 31/123). Dieser Auslegung der Bestimmung des § 68 Abs. 2 zweiter Satz StPO steht die Anführung besonderer Ausschließungsgründe für Mitglieder von Gerichten höherer Instanzen in § 69 StPO nicht entgegen, weil es sich dort nicht um eine erschöpfende Aufzählung der für Rechtsmittelrichter geltenden Ausschließungsgründe handelt (arg: "... insbesondere auch ...."), vielmehr die in § 68 StPO normierten allgemeinen Ausschließungsgründe für Richter aller Instanzen umfassend beachtlich bleiben. Die nicht ausdrückliche Berücksichtigung der in Rede stehenden prozessualen Konstellation in der gesetzlichen Regelung richterlicher Ausschließung beruht auf ihrer (außerhalb des ordentlichen Rechtsmittelverfahrens) auf den Rechtsbehelf der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes beschränkten Aktualität, ohne die Annahme einer entsprechend gezielten legislativen Ausrichtung nahezulegen. Die im dargelegten Sinn analoge Anwendung des § 68 Abs. 2 StPO auf die Erneuerung in Einzelfällen gesetzwidrig abgelaufener Rechtsmittelverfahren steht auch mit dem (im Verfassungsrang gewährleisteten) Anspruch jedes Angeklagten darauf, daß seine Sache in billiger Weise von einem unparteiischen Gericht gehört werde (Art 6 Abs. 1 MRK), im Einklang.

Daß die Geltendmachung dieses Verstoßes als Nichtigkeitsgrund (wie hier) schon durch Unterlassung rechtzeitiger Rüge gemäß §§ 281 Abs. 1 Z 1, 468 Abs. 2 StPO versäumt wird, tut der Verfassungs- und Prozeßordnungswidrigkeit der Mitwirkung ausgeschlossener Richter keinen Abbruch. Begibt sich doch damit nur die säumige Partei des ihr insoweit zustehenden Anfechtungsrechtes. Davon abgesehen liegt im konkreten Fall zumindest hinsichtlich des Angeklagten Z***** kein Anhaltspunkt dafür vor, daß er selbst oder sein Verteidiger überhaupt rechtzeitig von den zur Rüge berechtigenden Umständen Kenntnis erlangten.

Da nicht auszuschließen ist, daß sich die unterlaufene Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, war in Stattgebung der von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde die Erneuerung des in Rede stehenden Berufungsverfahrens anzuordnen und insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte