Spruch:
Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung
Rechtliche Beurteilung
I. Zur Revision der beklagten Parteien:
Der aus der Schutznorm des § 20 Abs 1 StVO abgeleitete Grundsatz des Fahrens auf Sicht bedeutet, dass ein Fahrzeuglenker seine Fahrgeschwindigkeit so zu wählen hat, dass er sein Fahrzeug beim Auftauchen eines Hindernisses rechtzeitig zum Stehen bringen oder zumindest das Hindernis umfahren kann (RIS-Justiz RS0074750). Jeder Kraftfahrer muss daher seine Fahrweise so gestalten, dass der Weg des abzubremsenden Fahrzeugs in der Zeit vom Erkennen eines Hindernisses auf der Fahrbahn bis zum vollen Stillstand des Fahrzeugs nie länger als die durch ihn eingesehene Strecke ist. Diese Pflicht besteht auch auf Autobahnen (2 Ob 65/05f mwN; 2 Ob 148/08s; 2 Ob 32/10k; RIS-Justiz RS0074680).
Dem Erstbeklagten, der auf der Südautobahn auf der nach Wien führenden Richtungsfahrbahn in einer „geschlossenen“ Kolonne fuhr, wurde nach dem Fahrstreifenwechsel eines Kastenwagens vorübergehend die Sicht auf das sich vor diesem entwickelnde Verkehrsgeschehen genommen. Dennoch behielt er seine Fahrgeschwindigkeit von ca 70 km/h bei. Als er nach einem weiteren Fahrstreifenwechsel des Kastenwagens wieder Sicht auf das Klagsfahrzeug erlangte, wurde dieses wie auch dessen Vorderfahrzeuge gerade zum Stillstand gebracht. Trotz einer sofort eingeleiteten Vollbremsung vermochte der Erstbeklagte seine Geschwindigkeit bis zum Anstoß auf das Klagsfahrzeug nur noch auf 30 km/h zu vermindern. Hätte er bereits auf den ersten Fahrstreifenwechsel des Kastenwagens mit einer geringfügigen Geschwindigkeitsreduktion reagiert, wäre es ihm möglich gewesen, eine ausreichende Sichtstrecke aufzubauen und den Unfall zu verhindern.
Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen, wenn es bei dieser Sachlage - wenngleich unter dem Aspekt des § 18 StVO - zu der Auffassung gelangte, dass den Erstbeklagten das Verschulden an dem Auffahrunfall traf. Diese Rechtsansicht hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung und ist jedenfalls vertretbar.
Die außerordentliche Revision der beklagten Parteien ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
II. Zur Revision des Klägers:
1. Anscheinsbeweis:
1.1 Der Geschädigte hat neben dem Eintritt des Schadens auch den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Eintritt des Schadens zu beweisen. Der Kausalzusammenhang kann Gegenstand eines Anscheinsbeweises sein (vgl 3 Ob 45/88; 2 Ob 119/88; 2 Ob 131/03h; 2 Ob 97/11w; RIS-Justiz RS0022664, RS0022782). Dieser beruht auf der Annahme, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (10 Ob 66/09t; 4 Ob 145/10t; RIS-Justiz RS0040266).
1.2 Das Berufungsgericht hat aufgrund der (dislozierten) erstinstanzlichen Feststellung, es gebe keinen einzigen wissenschaftlichen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen einem bei einem Auffahrunfall erlittenen HWS-Syndrom und einer nachfolgenden Schultersteife („Frozen Shoulder“) den Schluss gezogen, dass ein typischer Geschehensablauf auszuschließen sei. Fehlt es aber schon an einer typischen formelhaften Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache (Unfall, HWS-Syndrom, Schultersteife) und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement (Kausalzusammenhang), liegen schon die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises nicht vor (vgl 2 Ob 64/90; 10 ObS 97/01i; 7 Ob 128/02b; RIS-Justiz RS0040287). Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufs, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offen lässt, gibt für den Beweis des ersten Anscheins keinen Raum (2 Ob 119/88; 10 Ob 66/09t).
1.3 Das Berufungsgericht hat somit (im Ergebnis) schon die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises verneint. Ob ein Anscheinsbeweis zulässig ist, ob es sich also um einen Tatbestand mit typischem Geschehensablauf handelt, der eine Verschiebung von Beweisthema und Beweislast ermöglicht, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RIS-Justiz RS0022624, RS0040196), deren Lösung im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (2 Ob 167/07h mwN).
Der Kläger vermag in seinem Rechtsmittel keine Gründe zu nennen, die entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts für die Typizität des von ihm behaupteten Geschehensablaufs sprechen würden:
1.3.1 Die gewünschte zusätzliche Feststellung, es sei „aus orthopädischer Sicht“ nicht auszuschließen, „dass die durch den gegenständlichen Unfall verursachte HWS-Zerrung bzw das unfallskausale Trauma im Bereich der unteren Halswirbelsäule, allenfalls verbunden mit den erwähnten prädisponierenden Faktoren, unfallskausal für das 'Frozen-Shoulder-Syndrom'“ gewesen sei, reicht - ebenso wie die begehrten Folgefeststellungen - für die Annahme eines typischen, auf allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen beruhenden Geschehensablaufs nicht aus.
1.3.2 Die für die Beweislast bei ärztlichen Behandlungsfehlern entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0038222, RS0106890) sind hier nicht anwendbar, weil ein Behandlungsfehler nicht vorliegt.
1.3.3 Nach der Rechtsprechung genügt es zwar, dass „überwiegende Gründe“ für die Verursachung des Schadens sprechen. Dies betrifft jedoch bereits die Frage, ob der (zulässige) Anscheinsbeweis erbracht worden ist (vgl 7 Ob 255/07m; 4 Ob 145/10t; 2 Ob 97/11w; RIS-Justiz RS0022782).
Die Überlegungen des Klägers zum hierfür erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad (seiner Ansicht nach soll schon „bloße Wahrscheinlichkeit“ reichen) erübrigen sich daher, wenn der Anscheinsbeweis gar nicht zulässig ist.
1.4 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Verneinung der Typizität des Geschehensablaufs, damit aber auch der Zulässigkeit des Anscheinsbeweises durch das Berufungsgericht im konkreten Einzelfall vertretbar ist und die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht erfüllt.
2. Feststellungsbegehren:
Der Kläger geht in seinem Rechtsmittel fälschlich davon aus, dass das Berufungsgericht das Feststellungsbegehren zur Gänze abgewiesen hat. Tatsächlich wurde es aber nur „zur Hälfte“ abgewiesen, wie sich aus dem Spruch der angefochtenen Entscheidung unmissverständlich ergibt. Die auf einer Fehlinterpretation dieses Ausspruchs beruhenden Revisionsausführungen bedürfen keiner weiteren Erwiderung.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)