OGH 15Os113/12z

OGH15Os113/12z27.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Februar 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Niegl als Schriftführer in der Strafsache gegen Anton S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 10. Mai 2012, GZ 15 Hv 165/11x-27, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Saurugg zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Unterstellung der dem Schuldspruch 3./ zugrunde liegenden erfolgsqualifizierten Tat unter § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB in der geltenden Fassung und korrespondierend dazu zu Schuldspruch 4./ unter § 212 Abs 1 Z 2 StGB in der geltenden Fassung und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Anton S***** hat durch die zu 3./ beschriebene erfolgsqualifizierte Tat das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 und zu 4./ das Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 begangen.

Er wird hiefür und für die ihm weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungen unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 207 Abs 2 idF BGBl 1974/60 zu einer Freiheitsstrafe von

4 (vier) Jahren

verurteilt.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Die Vorhaftanrechnung obliegt dem Erstgericht.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Anton S***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB in der geltenden Fassung (1./), der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB in der Fassung BGBl 1974/60 (2./), „des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB in der geltenden Fassung sowie realkonkurrierend dreier Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster und zweiter Fall StGB in der geltenden Fassung“ (3./), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB in der geltenden Fassung (4./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB in der Fassung BGBl 1974/60 (5./) schuldig erkannt.

Danach hat er im Zeitraum von 1. Jänner 1990 bis August 1992 mit einer unmündigen Person, nämlich der Tochter seiner damaligen Partnerin, der am 15. Juni 1983 geborenen Elisabeth M*****,

1./ in K***** „eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung“ unternommen, indem er seinen nackten erigierten Penis an ihrer Scheide ansetzte;

2./ in K***** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er sie in mehreren Angriffen veranlasste, seinen Penis zu lecken;

3./ außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen und von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung zur Folge hatten, und zwar indem er

a./ sie in K***** oberhalb der Kleidung im Bereich der Scheide intensiv streichelte und massierte;

b./ sie in K***** auf sich legte, sie anwies, Auf- und Ab-Bewegungen durchzuführen, und er dabei seinen nackten erigierten Penis an ihrer nackten Scheide rieb;

c./ sie in L***** veranlasste, ihn mit der Hand bis zum Samenerguss zu befriedigen;

d./ ihr in K***** in die Hose griff und sie an ihrer nackten Scheide intensiv massierte, betastete, streichelte und sie veranlasste, in seine Hose zu greifen und seinen Penis zu betasten;

4./ durch die zu Punkt 1./ und 3./ näher bezeichneten Tathandlungen mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von einer solchen Person an sich vornehmen lassen;

5./ durch die zu Punkt 2./ näher bezeichneten Tathandlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person diese zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 9 lit b sowie 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung der Anträge auf Einholung eines psychiatrischen sowie eines aussagepsychologischen Gutachtens über die Zeugin Elisabeth M***** bzw auf ergänzende kontradiktorische Vernehmung der Genannten jeweils „zum Beweis dafür, dass die Aussage der Zeugin nicht erlebnisbasiert ist bzw auf den falschen Täter projiziert wird“, zumal „am selben Hof der Großvater des Opfers selbst Missbrauchstäter war und sich an der Mutter des Opfers vergangen hat“ (ON 26 S 13 f), Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Diese Beweisanträge legen nämlich nicht dar, warum anzunehmen wäre, dass sich die - zur Mitwirkung an einer Befundaufnahme nicht verpflichtete - Zeugin, welche im Rahmen ihrer kontradiktorischen Vernehmung am 10. November 2011 überdies erklärt hatte, in der Hauptverhandlung nicht noch einmal aussagen zu wollen (ON 8a S 16), zu einer Aussage bzw Befundaufnahme bereit finden würde, und konnten daher sanktionslos abgewiesen werden (RIS-Justiz RS0117928; RS0118956 [T3, T4]; RS0108614; RS0097584).

Sowohl die Rechtsrüge (Z 9 lit a) als auch die Ausführungen zur Mängelrüge (Z 5, inhaltlich ebenso Z 9 lit a) vermissen in Ansehung der Schuldsprüche 4./ und 5./ Feststellungen zum Verhältnis des Angeklagten zur Zeugin Elisabeth M***** sowie zur subjektiven Tatseite, übergehen dabei aber die Urteilsannahmen, wonach es sich bei dem Opfer um die am 15. Juni 1983 geborene, unmündige Tochter seiner Partnerin Gertrude M***** handelte und es dem Angeklagten bewusst war, dass diese während der gemeinsamen Aufenthalte im Schlafzimmer, in der Garage und im Meer seiner Aufsicht unterstand, er bewusst seine Stellung dem Mädchen gegenüber ausnützen wollte und dies auch tat (US 3, 5 und 11). Den weiteren Ausführungen der Rechtsrüge zuwider beeinträchtigt die - gegenständlich substantiierte - Verwendung der vom gesetzlichen Tatbestand verwendeten Worte die Wirksamkeit einer Tatsachenfeststellung nicht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 8).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) macht das Fehlen von Feststellungen geltend, die die Beurteilung der Verjährung ermöglichen, legt jedoch nicht dar, welche über die zum Alter der Elisabeth M***** und zum Tatzeitraum ohnehin getroffenen Urteilsannahmen (US 3) hinausgehenden Konstatierungen notwendig wären.

Die Behauptung, die inkriminierten Taten wären in Ansehung der am 1. Juli 2001 eingetretenen Volljährigkeit des Opfers und des Ablaufs der zehnjährigen Verjährungsfrist am 1. Juli 2011, sohin vor der erst Anfang August 2011 bei der Staatsanwaltschaft eingelangten Sachverhaltsdarstellung verjährt, übergeht die Übergangsbestimmungen des Art V Abs 3 BGBl I 1998/153 und des Art XIV Abs 2 BGBl I 2009/40. Danach ist die Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 58 Abs 3 Z 3 StGB (sowohl idF des BGBl I 1998/153 als auch idF des BGBl I 2009/40 bzw des BGBl I 2009/142) bis zur Volljährigkeit, in der Folge bis zum Erreichen des 28. Lebensjahres und letztlich bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres des Opfers der gegenständlichen Sexualdelikte auch auf vor dem Inkrafttreten der jeweiligen Version des § 58 StGB begangene Taten anzuwenden, wenn die Strafbarkeit bei Inkrafttreten noch nicht erloschen war (Marek in WK² § 58 Rz 3 und 30).

Das unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 StPO reklamierte Fehlen einer Begründung der im Ergebnis richtigen Lösung der Rechtsfrage, nämlich gegenständlich Nichteintreten der Verjährung, bewirkt keine Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0100877). Im Übrigen hat das Erstgericht seine Rechtsansicht durch Verweis auf die sich mit der Verjährungsproblematik auseinandersetzende Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz vom 5. Jänner 2012, AZ 10 Bs 511/11i (ON 16), ohnedies begründet (RIS-Justiz RS0119301).

Die Behauptung der Subsumtionsrüge (Z 10), die zu 1./ beschriebene Tat wäre § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (statt § 206 Abs 1 StGB) zu unterstellen, ist verfehlt, weil das Erstgericht ausgehend von der Feststellung, der Angeklagte hätte den Beischlaf im Wissen um die Unmündigkeit der Zeugin Elisabeth M***** durchführen wollen und versucht, mit seinem Penis in ihre Scheide einzudringen, wobei er den genannten Geschlechtsteil des Mädchens mit seinem Penis mehrfach berührte (US 5), zutreffend ein Unternehmen des Beischlafs konstatierte (Philipp in WK² § 206 Rz 10; RIS-Justiz RS0095118) und die Tat mangels zum Tatzeitpunkt günstigerer Rechtslage zutreffend § 206 Abs 1 StGB in der geltenden Fassung unterstellte.

Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer hingegen zu Schuldspruch 3./ das Vorliegen einer unrichtigen Subsumtion (Z 10) auf.

Nach § 61 zweiter Satz StGB sind Gesetze auf vor ihrem Inkrafttreten begangene Taten dann anzuwenden, wenn jene die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtheit nicht günstiger waren. Gegenüber der eine Strafdrohung von fünf bis fünfzehn Jahren normierenden Bestimmung des § 207 Abs 3 erster Fall StGB idgF sah der zur Tatzeit auf die angelasteten Handlungen anzuwendende § 207 Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 lediglich eine Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren vor. Somit stellt sich die zur Tatzeit gültige Rechtslage für den Angeklagten insgesamt als günstiger dar, weshalb die Subsumtion der zu 3./ beschriebenen strafbaren Handlung unter § 207 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB in der Fassung des BGBl 1974/60 zu erfolgen gehabt hätte.

Hievon ausgehend wäre diese erfolgsqualifizierte Tathandlung, soweit dadurch idealkonkurrierend das Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses (4./ des Schuldspruchs) verwirklicht wurde, wegen Unzulässigkeit der Kombination verschiedener Rechtsschichten (RIS-Justiz RS0119085 [T4 und T5]) unter § 212 Abs 1 StGB in der Fassung des BGBl 1974/60 zu unterstellen gewesen.

In diesem Umfang war daher mit Kassation der Subsumtion und Entscheidung in der Sache selbst vorzugehen.

Bei der Strafneubemessung waren erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen, die Tatwiederholung und der längere Deliktszeitraum zu werten, mildernd hingegen der zuvor ordentliche Lebenswandel und das Wohlverhalten seit den längere Zeit zurückliegenden Taten. Bei einem nunmehr gegebenen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren entspricht eine Freiheitsstrafe von vier Jahren Tatschuld und Täterpersönlichkeit. Mit Blick auf die Mehrzahl der Übergriffe in einem zwei Jahre übersteigenden Tatzeitraum kann - entgegen dem Berufungsvorbringen - trotz des langen Zurückliegens der Delinquenz von einem beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe (§ 41 StGB) nicht die Rede sein, weshalb eine auch nur teilbedingte Strafnachsicht nicht in Betracht kommt.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen. Die Vorhaftanrechnung bleibt dem Erstgericht überlassen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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