OGH 9Ob33/12m

OGH9Ob33/12m21.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** R*****, vertreten durch Dr. Helwig Keber, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. E***** T*****, 2. R***** T*****, beide vertreten durch Dr. Barbara Jantscher, Rechtsanwältin in Feldbach, wegen Abgabe einer Willenserklärung (Streitwert 5.200 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 10. Februar 2012, GZ 6 R 208/11v-46, womit das Urteil des Bezirksgerichts Feldbach vom 29. Juni 2011, GZ 6 C 22/09t-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der Beklagten an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Zwischen den Parteien herrscht Streit um das Eigentum an einer innerhalb des Grundstücks Nr ***** Wald der EZ 4***** gelegenen, in einem Vermessungsplan durch die Vermessungspunkte 1, 12, 13, 15 und 2 definierten Grundfläche mit dem Ausmaß von 2.696 m² (im Folgenden kurz Fläche 1). Grundbücherliche Eigentümer der EZ 4***** sind die beiden Beklagten.

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage von den Beklagten die Abgabe der notwendigen Erklärungen, um ihrerseits grundbücherliches Eigentum an der Fläche 1 zu erlangen. Sie steht im Wesentlichen auf dem Standpunkt, dass sie außerbücherliches Eigentum an der Fläche 1 durch Ersitzung infolge jahrelanger Bewirtschaftung dieser Fläche sowohl durch sie selbst als auch durch ihre Rechtsvorgänger erworben habe. Die Ersitzung durch die Klägerin stehe auch schon aufgrund eines rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses der Parteien (mit umgekehrten Parteirollen) zu 2 C ***** BG Feldbach fest. Dazu komme, dass die Beklagten den von der Klägerin behaupteten Grenzverlauf im Zuge einer Grenzverhandlung vom 11. 9. 2004 anerkannt haben.

Die Beklagten bestreiten das Klagevorbringen, beantragen die Abweisung des Klagebegehrens und wenden ein, dass die Waldparzelle Nr *****, in der die strittige Fläche 1 liege, seit Jahrzehnten im Familienbesitz der Beklagten stehe und von diesen auch bewirtschaftet werde. Eine Ersitzung durch die Klägerin bzw ihre Rechtsvorgänger könne daher nicht eingetreten sein. Aus dem von der Klägerin genannten Vorprozess, in dem es nur um ein Unterlassungsbegehren gegangen sei, ergebe sich keine Bindungswirkung für das gegenständliche Verfahren. Bei der angegebenen Grenzverhandlung habe es keine abschließende Einigung gegeben.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Fläche 1 sei mehr als 30 Jahre lang von K***** S***** und dessen Rechtsvorgänger bewirtschaftet worden. Es sei daher zu einer Ersitzung der Fläche 1 sowohl durch K***** S***** und dessen Rechtsvorgänger als auch in weiterer Folge auch die Klägerin gekommen. Der Erstbeklagte habe überdies bei einer Grenzverhandlung im September 2004 die Grenzpunkte 15, 2, 1 und 13 anerkannt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Aufgrund der Bindungswirkung des Vorprozesses der Parteien zu 2 C ***** BG Feldbach sei vom Eigentum der Klägerin an der Fläche 1 durch Ersitzung auszugehen. Die im Vorprozess erfolgte Abweisung der Eigentumsfreiheitsklage der Beklagten (dort in der Klägerrolle) infolge Eigentums der Klägerin (im Vorprozess in der Beklagtenrolle) wirke mangels nachträglicher Änderung des Sachverhalts derart präjudiziell, dass der vorliegenden Klage ohne weiteres stattzugeben sei. Es erübrige sich daher, auf die weiteren Berufungsausführungen der Beklagten einzugehen. Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht über Antrag der Beklagten nachträglich zugelassen. Bei einer Fehlbeurteilung der Bindungswirkung durch das Berufungsgericht läge eine ungerechte Entscheidung im Einzelfall vor.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig (§ 502 Abs 1 ZPO) und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

Die Beklagten bringen in ihrer Revision vor allem vor, dass im Vorprozess 2 C ***** BG Feldbach nicht über den Eigentumserwerb der Klägerin hinsichtlich der Fläche 1 entschieden worden sei. Wegen des dort angenommenen Eigentumsverlusts der Beklagten zugunsten eines Dritten seien die Beklagten (dort als Kläger) nicht mehr legitimiert gewesen, von der Klägerin (dort als Beklagter) eine Unterlassung zu begehren. Eine Aussage über den Eigentumserwerb der Klägerin habe das Berufungsgericht des Vorprozesses aber ausdrücklich nicht getroffen.

Wie bereits ausgeführt, ging das Berufungsgericht im vorliegenden Rechtsstreit davon aus, dass die im Vorprozess erfolgte Abweisung der Unterlassungsklage der Beklagten derart präjudiziell wirke, dass der vorliegenden Klage (auf Abgabe von Erklärungen zur Verbücherung der Klägerin) ohne weiteres stattzugeben sei. Diese Überlegung gebietet eine nähere Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der vom Berufungsgericht angenommenen Bindungswirkung.

Richtig ist, dass sich die durch die materielle Rechtskraft bewirkte Maßgeblichkeit einer Entscheidung in einer inhaltlichen Bindung an diese äußert, wenn der rechtskräftig entschiedene Anspruch Vorfrage, also bedingendes Rechtsverhältnis für den im zweiten Prozess erhobenen Anspruch ist (RIS-Justiz RS0041251 ua). Das Ausmaß der Bindungswirkung wird zwar nur durch den Urteilsspruch bestimmt, doch sind die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs heranzuziehen (RIS-Justiz RS0041331 ua). Eine Bindungswirkung der Vorentscheidung ist jedoch nur dann anzunehmen, wenn sowohl die Identität der Parteien als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts (verbunden mit notwendig gleicher rechtlicher Qualifikation) gegeben sind, oder an Stelle der inhaltlichen und wörtlichen Identität der Begehren ein im Gesetz gegründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren besteht. Ein solcher ist anzunehmen, wenn die Entscheidung über den neuen Anspruch vom Inhalt der bereits rechtskräftig entschiedenen Streitsache abhängig ist (Präjudizialität der rechtskräftigen Entscheidung) oder wenn das Begehren das begriffliche Gegenteil des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs darstellt (RIS-Justiz RS0041572 ua). Nach mittlerweile überwiegender Rechtsprechung erfasst die Bindungswirkung jedoch nicht die Beurteilung von Vorfragen, es sei denn, solche wären aufgrund eines Zwischenantrags auf Feststellung zur Hauptfrage eines Feststellungsurteils gemacht geworden (RIS-Justiz RS0039843 [T19] ua).

Die Bindungswirkung verbietet also dem Richter des Folgeprozesses, die im Vorprozess - als Hauptfrage - rechtskräftig entschiedene Frage selbständig zu beurteilen (RIS-Justiz RS0041251 [T5], RS0041567 ua). Sie schließt somit die Verhandlung, Beweisaufnahme und neuerliche Prüfung jenes Anspruchs aus; der zweite Richter hat von dem rechtskräftig festgestellten Anspruch auszugehen und ihn ohne weiteres seiner neuen Entscheidung zugrunde zu legen (RIS-Justiz RS0041251 [T1] ua). Infolge der Rechtskraftwirkung der Vorentscheidung ist die Berufung auf Tatsachen, die bei Schluss der Verhandlung erster Instanz im Vorprozess schon existent waren, aber nicht vorgebracht wurden, im Folgeprozess ausgeschlossen (Präklusion; RIS-Justiz RS0041321 ua). Die Vorentscheidung ist unter Ausschluss der sachlichen Verhandlung und Prüfung ihres Gegenstands dem neuerlichen Urteil über den nunmehr erhobenen Anspruch zu Grunde zu legen (RIS-Justiz RS0041321 [T2], RS0041253 ua).

Zutreffend weisen nun die Beklagten darauf hin, dass im Vorprozess 2 C ***** BG Feldbach nicht der Eigentumsverlust der Beklagten infolge Ersitzung der Klägerin festgestellt wurde. Vielmehr beschränkte das Berufungsgericht seine Prüfung ausdrücklich darauf, ob der dortige Nebenintervenient den strittigen Liegenschaftsteil ersessen habe. Darauf, ob zwischen dem Nebenintervenienten und der Klägerin (dort Beklagten) ein gültiger Kaufvertrag abgeschlossen worden sei, komme es nicht an. Es sei auch nicht relevant, ob die Klägerin Nutzungshandlungen gesetzt habe. Entscheidend sei nur, ob die hier Beklagten noch Eigentümer seien. Dies sei nicht der Fall, weshalb sie - nach Auffassung des Berufungsgerichts des Vorprozesses - nicht legitimiert seien, eigentumsanmaßende Handlungen an diesem Grundstück zu untersagen.

Der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts im vorliegenden Verfahren, dass das dem gegenständlichen Klagebegehren zugrundeliegende (außerbücherliche) Eigentum der Klägerin aufgrund des Vorprozesses 2 C ***** BG Feldbach bindend geklärt sei, wird daher nicht beigetreten. Im vorliegenden Fall macht die Klägerin einen außerbücherlichen Eigentumserwerb an der Fläche 1 durch Ersitzung geltend. Es liegt daher an ihr, diesen auch unter Beweis zu stellen. Aus der rechtskräftigen Abweisung des Unterlassungsbegehrens der Beklagten im Vorprozess folgt nach dem Inhalt der den Vorprozess abschließenden Berufungsentscheidung kein bindend feststehender Eigentumserwerb der Klägerin. Noch weniger ergibt sich für den vorliegenden Prozess aus dem eine andere Liegenschaft (Fläche 2) betreffenden Vorprozess der Parteien zu 6 C ***** BG Feldbach.

Aus der vom Berufungsgericht herangezogenen Entscheidung 2 Ob 36/03p ist für dessen rechtliche Beurteilung ebenfalls nichts Entscheidendes zu gewinnen. Dort wurde ausdrücklich von einem Eigentumserwerb des Widerklägers durch Ersitzung ausgegangen, was hier im Vorprozess dahingestellt blieb.

Da das Berufungsgericht seine Entscheidung über die Berufung der Beklagten ausschließlich auf die zu Unrecht angenommene Bindungswirkung stützte, im Übrigen aber alle anderen Berufungsausführungen der Beklagten zur Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, zur unrichtigen Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung und zur unrichtigen rechtlichen Beurteilung, insbesondere zur erstgerichtlichen Annahme einer Ersitzung der Klägerin bzw zu einem Anerkenntnis der Beklagten, dahingestellt ließ, ist eine Aufhebung der Berufungsentscheidung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung unumgänglich.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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