OGH 3Ob244/12x

OGH3Ob244/12x20.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Peter Rudeck, Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei E*****, vertreten durch Mag. Peter Rottensteiner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. Oktober 2012, GZ 39 R 91/12i‑33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 29. Dezember 2011, GZ 89 C 60/10x‑29 (führend), ua verbunden mit AZ 89 C 62/10s des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien (Geschäftslokal R1), bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0030OB00244.12X.0220.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Dem Verfahren liegt die im Februar 2009 eingebrachte und zugestellte Kündigung eines Geschäftslokals nach § 30 Abs 2 Z 7 MRG zugrunde. Dieses wurde vom Beklagten seit 1978 bis Anfang Jänner 2008 für den Handel mit Geschenkartikeln, Souvenirs, Kunstgewerbeartikel und schließlich mit dem Schwerpunkt Faschingsartikel betrieben (Öffnungszeiten Montag bis Freitag von 10:30 bis 18:30 Uhr). Mit 7. Jänner 2008 eröffnete der Beklagte ein größeres Geschäftslokal an einem anderen Standort derselben Stadt, worauf im gekündigten Geschäftslokal vorerst eine Geschäftstätigkeit mit regelmäßigen Öffnungszeiten im Wesentlichen eingestellt wurde. Der Beklagte hatte nicht die Absicht, das frühere Verkaufslokal aufzugeben, sondern plante, die Verkaufstätigkeit mit denselben Öffnungszeiten fortzusetzen, sofern sich die Investitionen in das neue Geschäftslokal refinanziert hätten und er dann bei der Suche nach qualifiziertem Personal für den Einsatz im gekündigten Geschäftslokal erfolgreich gewesen sein sollte; einen konkreten Zeitplan, wann die Verkaufstätigkeit dort wieder aufgenommen werden sollte, hatte der Beklagte weder im Jänner 2008 noch im Februar 2009; für ihn hing alles vom geschäftlichen Erfolg im neuen Geschäftslokal ab. Ab 4. Mai 2010 fand im alten Geschäftslokal wieder eine regelmäßige Verkaufstätigkeit statt. Der Schluss der Verhandlung erster Instanz fiel auf den 2. Dezember 2011.

Gegenstand der außerordentlichen Revision des Beklagten ist ausschließlich die Bekämpfung der Rechtsansicht der die Aufkündigung für rechtswirksam erklärenden Vorinstanzen, dem Beklagten habe es im Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung im Februar 2009 an der Schutzwürdigkeit bei vorübergehender Einstellung/Einschränkung des Betriebs gefehlt, weil damals die Wiederaufnahme einer regelmäßigen Geschäftstätigkeit ‑ ungeachtet ihres nunmehrigen Eintritts ‑ nicht nur vom Zeitpunkt her, sondern auch grundsätzlich völlig ungewiss gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Dem Beklagten gelingt es nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, weshalb die Revision als nicht zulässig zurückzuweisen ist (§ 510 Abs 3 ZPO):

1. Die hier allein strittige (zweite) Voraussetzung für das Vorliegen des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 7 MRG ist der Mangel eines schutzwürdigen Interesses des Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietvertrags.

Nach der Rechtsprechung liegt in diesem Sinn eine nur vorübergehende Stilllegung des Geschäftsbetriebs vor, wenn ausgehend von der Sachlage im Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung oder doch wenigstens bei Schluss der Verhandlung erster Instanz mit der Wiederaufnahme einer solchen geschäftlichen Tätigkeit in absehbarer Zeit konkret zu rechnen ist (RIS‑Justiz RS0070332 [T2]).

Insoweit ein schutzwürdiges Interesse zu beurteilen ist, sind nicht bloß die Umstände im Zeitpunkt der Aufkündigung maßgebend, es sind vielmehr auch die während des Verfahrens eingetretenen Entwicklungen zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0070320); die Gründe, aus denen eine Wiederaufnahme regelmäßiger geschäftlicher Bestätigung berechtigterweise zu erwarten ist, müssen aber in dem für die Kündigung maßgeblichen Zeitpunkt bereits konkret fassbar sein (RIS‑Justiz RS0070300 [T2] = RS0070315 [T2]). Es sind auch die während des Verfahrens eingetretenen Entwicklungen zu berücksichtigen, wenn diese Rückschlüsse darauf zulassen, dass das schutzwürdige Interesse schon im Zeitpunkt der Aufkündigung gegeben war (RIS‑Justiz RS0070449; 3 Ob 40/00d; 6 Ob 347/04d; 6 Ob 125/09i; vgl RS0070234). Als besonderer Grund, der ein Hinausschieben der Entscheidung über die Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs schutzwürdig erscheinen lasse, wurde das Abwarten des aus rechtlichen Gründen noch ungewissen Ausgangs eines anderen (gerichtlichen oder Verwaltungs‑)Verfahrens anerkannt, sofern der Mieter danach den Geschäftsbetrieb unverzüglich aufnehmen wird (3 Ob 40/00d; 6 Ob 125/09i). Welche Umstände für den Ausschluss des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 7 MRG vorliegen müssen, ist eine Frage des Einzelfalls; ebenso, ob die Wiederaufnahme einer geschäftlichen Tätigkeit des Mieters im Bestandobjekt in naher Zukunft erwartet werden kann (RIS‑Justiz RS0070332 [T3 und T4]). Auf ungewisse, in der Zukunft liegende Möglichkeiten ist nicht Bedacht zu nehmen (vgl 6 Ob 156/11a; Würth/Zingher/Kovanyi Miet‑ und WohnR I 22 § 30 MRG Rz 45).

2. Schon die auch hier maßgebliche Beurteilung der besonderen Umstände des Einzelfalls schließt das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage aus. Den Vorinstanzen ist auch keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen.

2.1. Der Beklagte stellte die früher ganzjährig betriebene Verkaufstätigkeit nach Eröffnung des größeren Geschäftslokals für weit mehr als zwei Jahre im Wesentlichen ein, davon mehr als ein Jahr nach Zustellung der Aufkündigung, um die wirtschaftliche Entwicklung seines Unternehmens im neuen Umfeld abzuwarten und nur im Fall eines entsprechenden Erfolgs die Verkaufstätigkeit im früheren Geschäftslokal wieder aufzunehmen. Angesichts der festgestellten Intentionen des Beklagten, die eine Wiederaufnahme der regelmäßigen Verkaufstätigkeit im strittigen Bestandobjekt bei Zustellung der Kündigung im Februar 2009 gar nicht erwarten, sondern völlig ungewiss erscheinen ließen, ist die Verneinung eines schutzwürdigen Interesses des beklagten Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietvertrags keineswegs unvertretbar.

2.2. Daran vermag auch die Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs im Mai 2010 nichts zu ändern, weil dieser, erst nach fast zweieinhalb Jahren der Einstellung der regelmäßigen Verkaufstätigkeit eingetretene Umstand die zuvor schon feststehende Ungewissheit im relevanten Zeitpunkt Februar 2009 nicht zu beseitigen vermag.

2.3. Die vom Beklagten für seinen Standpunkt zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 40/00d; 6 Ob 125/09i) sind nicht einschlägig, weil diesen rechtliche Hindernisse zugrunde lagen, die zwar die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs, nicht aber die unbedingte Absicht des Mieters zur Wiederaufnahme als ungewiss erscheinen ließen. Davon kann aber hier keine Rede sein, wenn der Beklagte die Wiederaufnahme ausschließlich vom ungewissen wirtschaftlichen Erfolg seiner Geschäftstätigkeit am neuen Standort abhängig machte.

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