Spruch:
Nnamdi A***** und Uche Ak***** wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerden werden abgewiesen.
Text
Gründe:
Über den Angeklagten Nnamdi A***** wurde am 28. Juni 2009 (ON 82), über die Angeklagte Uche Ak***** am 25. Juli 2009 (ON 36 in ON 95) die Untersuchungshaft verhängt und diese später (nach Wegfall der zunächst auch angezogenen Verdunkelungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 StPO) wiederholt aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO, bei Nnamdi A***** auch nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO prolongiert.
Nnamdi A***** wurde mittlerweile mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. April 2012, GZ 044 Hv 45/09h-363, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 1 und 3 SMG (A./I./3./ und 4./ sowie A./II./2./) und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 1 SMG (B./), Uche Ak***** mit diesem Urteil des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (A./I./3./ und 4./) schuldig erkannt.
Danach haben sie in Amsterdam und an anderen Orten als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung, wobei Nnamdi A***** mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien (als Schöffengericht) vom 13. November 2002 zu AZ 44 Hv 100/02z bereits einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden ist,
A./ zu der den bestehenden Vorschriften zuwider erfolgten Ausfuhr von Suchtgift in einer insgesamt das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge aus den Niederlanden und zur anschließenden Einfuhr des für Österreich bestimmten Suchtgifts nach Deutschland und nach Österreich beigetragen, indem sie an der Organisation der Schmuggelfahrten mitwirkten, und zwar
I./ Nnamdi A***** und Uche Ak*****
3./ im Februar 2008 zur Ausfuhr von 982,77 Gramm Kokain mit zumindest 442,24 Gramm Kokain „Hydrochlorid“ aus den Niederlanden und zur anschließenden Einfuhr des für Österreich bestimmten Suchtgifts nach Deutschland durch die Suchtgiftkurierinnen Yasmin M***** und Rosita Me*****, welche am 23. Februar 2008 in Deutschland mit dem Suchtgift betreten und in der Folge festgenommen wurden;
4./ im März 2008 zur Ausfuhr von 8.882,8 Gramm Heroin und Morphin sowie 913,6 Gramm Kokain mit zumindest 207 Gramm Reinsubstanz Heroinbase, 69 Gramm Reinsubstanz Monoacetylmorphin und 24,68 Gramm Acetylcodein sowie 313 Gramm Reinsubstanz Kokain und zur anschließenden Einfuhr des Suchtgifts über Deutschland nach Österreich durch den Suchtgiftkurier Frits ***** N*****, welcher am 12. März 2008 in Wien mit dem Suchtgift betreten und in der Folge festgenommen wurde;
II./ Nnamdi A***** alleine
2./ im November 2008 zur Ausfuhr von 3,5 Kilogramm Heroin mit 43,9 Gramm Heroinbase und 20,1 Gramm Monoacetylmorphin aus den Niederlanden und zur anschließenden Einfuhr des für Österreich bestimmten Suchtgifts nach Deutschland durch die Suchtgiftkurierin Ganimete Az*****, welche am 11. November 2008 in Deutschland mit dem Suchtgift betreten und festgenommen wurde;
B./ Nnamdi A***** alleine im November 2008 vorschriftswidrig Suchtgift „in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge“, nämlich 3,5 Kilogramm Heroin mit 43,9 Gramm Reinsubstanz Heroinbase und 20,1 Gramm Monoacetylmorphin, einem anderen, nämlich Ganimete Az***** überlassen, indem er ihr im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter (§ 12 StGB) das Suchtgift zum Transport nach Österreich übergab.
Hiefür wurde Nnamdi A***** zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Jahren, Uche Ak***** zu einer solchen in der Dauer von sieben Jahren verurteilt. Das (erstinstanzliche) Urteil ist zufolge von beiden Angeklagten und der Staatsanwaltschaft erhobener Rechtsmittel noch nicht in Rechtskraft erwachsen.
Mit Beschluss vom 19. November 2012, AZ 17 Bs 441/12w, 17 Bs 442/12t (derzeit unjournalisiert in den Hv-Akten) gab das Oberlandesgericht Wien den Beschwerden des Nnamdi A***** (ON 382) und der Uche Ak***** (ON 383) gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25. Oktober 2012 (ON 378 und 380), mit welchen die über sie verhängte Untersuchungshaft aus den bereits genannten Haftgründen neuerlich fortgesetzt worden war, nicht Folge und ordnete jeweils die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den vom Erstgericht genannten Haftgründen an. Es bejahte unter Hinweis auf die mittlerweile erfolgte, wenngleich nicht in Rechtskraft erwachsene Verurteilung den dringenden Tatverdacht sowie die genannten Haftgründe und verneinte deren Substituierbarkeit ebenso wie eine Unverhältnismäßigkeit der Haft angesichts der (nicht rechtskräftigen) erstinstanzlichen Verurteilungen zu Freiheitsstrafen in der Dauer von zwölf bzw sieben Jahren. Ermittlungsfehler, die zu Verzögerungen geführt hätten, aus welchen ein Enthaftungsanspruch abzuleiten wäre, seien nicht aufgezeigt worden. Seit der letzten Beschlussfassung durch das Oberlandesgericht am 13. April 2012 (ON 356) sei eine (darin durch Verweis auf den Beschluss vom 23. Dezember 2011 [ON 338 iVm BS 15] anerkannte [siehe dazu auch 14 Os 9/12y]), neuerliche Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen nicht erfolgt.
Rechtliche Beurteilung
Den dagegen von Nnamdi A***** und Uche Ak***** erhobenen, weitgehend inhaltsgleich ausgeführten Grundrechtsbeschwerden kommt keine Berechtigung zu.
Die im Rahmen ihrer Ausführungen zur Fluchtgefahr angestellten Spekulationen zum Erfolg ihrer Nichtigkeitsbeschwerde stellen der Sache nach primär den dringenden Tatverdacht in Frage. Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens ist jedoch in Betreff der Sachverhaltsannahmen für die Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts von denjenigen des - wenngleich angefochtenen - Urteils auszugehen (RIS-Justiz RS0108486). Die Beurteilung, ob das angefochtene Urteil mit formellen oder materiellen Mängeln behaftet ist, bleibt dem Nichtigkeitsverfahren vorbehalten, weswegen sich alle Einwände gegen das Urteil einer Erörterung im Grundrechtsbeschwerdeverfahren entziehen (RIS-Justiz RS0061107).
Die rechtliche Annahme der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren kann vom Obersten Gerichtshof nur dahin überprüft werden, ob sie aus den angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durften, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste. Denn § 173 Abs 2 StPO verlangt nur, dass die angezogenen Haftgründe auf bestimmten Tatsachen beruhen, kennt als Vergleichsbasis des Willkürverbots mithin nur die in Anschlag gebrachten bestimmten Tatsachen (RIS-Justiz RS0117806 [T16]).
Entgegen der Beschwerdeauffassung lassen die vom Oberlandesgericht - teils unter Verweis auf dessen Beschluss vom 13. April 2012 (ON 356) - ins Treffen geführten Tatsachen, nämlich die mangelnde Integration der - jeweils ausländische Staatsbürgerschaften besitzenden - Angeklagten in Österreich und in den Niederlanden (BS 7 iVm ON 356 BS 15), insbesondere aber die mittlerweile vom Erstgericht (nicht rechtskräftig) verhängten hohen Freiheitsstrafen (BS 6), die einen massiven Fluchtanreiz bieten, einen formal einwandfreien Schluss auf die nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO begründete Gefahr zu, die Angeklagten werden auf freiem Fuß flüchten oder sich verborgen halten (vgl bereits 14 Os 9/12y).
Dem setzen die Rechtsmittelwerber mit ihren Ausführungen zu - im Hinblick auf den angestrebten Freispruch - fehlendem Fluchtanreiz keine substantiellen Argumente entgegen und zeigen solcherart keine Willkür der bekämpften Prognoseentscheidung auf (vgl bereits 14 Os 9/12y). Dies gilt auch für das von Uche Ak***** erstattete Vorbringen, bei Beurteilung des Fluchtanreizes seien die bereits erlittene Dauer ihrer Untersuchungshaft und die Möglichkeit ihrer bedingten Entlassung bzw eines vorläufigen Absehens vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots gemäß § 133a StVG zu berücksichtigen, denn die Anwendung solcher den Vollzug einer Freiheitsstrafe beendenden Maßnahmen vor Verbüßung von zwei Dritteln derselben ist angesichts der Schwere der Straftat, der das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge weit übersteigenden Menge des vom (nicht rechtskräftigen) Schuldspruch wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels als Beteiligte nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG umfassten Suchtgifts sowie der Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung keineswegs selbstverständlich (vgl auch RIS-Justiz RS0123343, RS0061308). Auch das - im Übrigen nicht durch Fundstellen im äußerst umfangreichen Akt belegte - Argument, die Zweitangeklagte habe sich „freiwillig gestellt“ (vgl dagegen ON 27 S 5 in ON 95 und ON 219 S 9), lässt die Annahme eines gerade durch die in erster Instanz verhängte hohe Freiheitsstrafe gesteigerten Anreizes zur Flucht (insbesondere in die nigerianische Heimat) nicht willkürlich erscheinen.
Ebensowenig stehen die von Nnamdi A***** ins Treffen geführte eheliche Beistandspflicht der Zweitangeklagten und deren (niederländische) EU-Bürgerschaft oder von Uche Ak***** angesprochene Wohnungs- und Unterhaltszusagen für Wien und die Niederlande diesem Kalkül entgegen.
Da bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, im Rahmen der Behandlung der Grundrechtsbeschwerde auf das (weitere) Vorbringen zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a (bei Nnamdi A***** auch nach Z 3 lit b) StPO einzugehen (RIS-Justiz RS0061196).
Soweit die Angeklagten unter Berufung auf eine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§§ 9 Abs 1, 177 Abs 1 StPO) den Anspruch auf ihre sofortige Enthaftung erheben, übersehen sie, dass dieser nach § 9 Abs 2 StPO - aber auch Art 5 Abs 3 zweiter Satz MRK und Art 5 Abs 1 PersFrG - nur bei einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer gegeben ist (Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 177 Rz 2 ff). Auf Basis der vom Oberlandesgericht zulässigerweise übernommenen Sachverhaltsannahmen des erstinstanzlichen Urteils zur dringenden Verdachtslage (BS 2 f und 5 f) steht die im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung rund drei Jahre und fünf (Nnamdi A*****) bzw vier (Uche Ak*****) Monate andauernde Untersuchungshaft aber weder zur Bedeutung der Sache noch zu den vom Erstgericht ausgesprochenen Freiheitsstrafen in der Dauer von zwölf bzw sieben Jahren außer Verhältnis (§ 173 Abs 1 StPO).
Eine Grundrechtsverletzung durch das Oberlandesgericht erblicken die Beschwerdeführer (auch) in der Nichtanerkennung von in ihren Haftbeschwerden (ON 382 und 383) geltend gemachten Verstößen gegen das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen durch Versäumnisse der Ermittlungsbehörden und Verzögerungen der Hauptverhandlung.
Soweit die Beschwerden das Unterbleiben der amtswegigen Erhebung einerseits von Stamm- und Standortdaten zu einer der Verdachtslage nach vom Erstangeklagten während seiner Haft in den Niederlanden benützten Telefonnummer (bei mittlerweile eingetretenem Beweisverlust) und andererseits der Ausforschung seines genauen Haftorts in den Niederlanden im Ermittlungsverfahren kritisieren, legen sie nicht dar, welche Beweisergebnisse, Vorbringen oder Angaben der Angeklagten eine solche Überprüfung bereits im Zuge des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens nahegelegt hätten (vgl ON 81, ON 35 in ON 95, ON 141, 143, 146, 169, 175, 177), zumal ein darauf gerichteter Beweisantrag (§ 55 Abs 1 StPO) der Angeklagten erstmals im Lauf der Hauptverhandlung eingebracht wurde (ON 284 und 313), welchem sodann durch Veranlassung von Erhebungen nachgegangen wurde (ON 316, 320, 334 und 344).
Als weiteren Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen rügen die Beschwerden die Unterlassung der Ladung einer Belastungszeugin zum Faktenkomplex A./II./2./ und B./ bereits zur „ersten Hauptverhandlung“ (gemeint offenbar: zum Termin vom 23. März 2010; ON 190), übergehen dabei aber den Umstand, dass eine Ladung dieser Zeugin wegen unbekannten Aufenthalts nach ihrer Haft in Deutschland bis Oktober 2011 nicht möglich war (ON 319, ON 362 S 42 f und Zeuge H***** ON 362 S 49 ff) und nach Bekanntwerden der Ladungsadresse ohnehin für den Hauptverhandlungstermin vom 22. Dezember 2011 (ON 335) erfolgte.
Ins Gewicht fallende Säumigkeiten im Stadium der Hauptverhandlung durch einzelne Verfahrensstillstände und die verzögerte Erstellung des Schallgutachtens wurden vom Oberlandesgericht bereits in seiner Haftentscheidung vom 23. Dezember 2011 (ON 338 BS 3 ff und 11 f) anerkannt (vgl 14 Os 9/12y) und in jener vom 13. April 2012 (ON 356 BS 15) ebenso bekräftigt wie implizit in der nunmehr mit Grundrechtsbeschwerde kritisierten Entscheidung (BS 7: „seit … eine neuerliche Verletzung … nicht erfolgt“).
Für den Zeitraum nach Dezember 2011 bis zur Ausschreibung einer Hauptverhandlung für den 18. April 2012 geltend gemachte Verzögerungen wurden bereits in der - von den Beschwerdeführern seinerzeit unangefochten gebliebenen - Haftentscheidung des Oberlandesgerichts vom 14. April 2012 (ON 356 BS 16) verneint, weshalb sich das Beschwerdegericht im nunmehr angefochtenen Beschluss zur dazu neuerlich vorgebrachten Kritik - ohne Verstoß gegen seine Kontrollpflicht - auf eine Prüfung einer („neuerlichen“) Verletzung des Beschleunigungsgebots seit seiner letzten Haftentscheidung beschränken konnte (BS 7).
Eine ins Gewicht fallende ungerechtfertigte Verzögerung des Rechtsmittelverfahrens bei der (neuerlichen) Vorlage des (am 7. November 2012 eingelangten) Akts an den Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerden ist nach erforderlicher weiterer Zustellung des Urteils zufolge Protokollberichtigung (ON 370, 372, 373), Einlangen der Rechtsmittelausführung am 19. Oktober 2012 (ON 376), der Gegenäußerung am 22. Oktober 2012, Durchführung von Haftverhandlungen am 25. Oktober 2012 (ON 377 und 379), Einlangen der angemeldeten Hafbeschwerden am 28. Oktober 2012 (ON 382 und 383) und am 2. November 2012 verfügter Vervollständigung des dem Oberlandesgericht vorzulegenden Kopienakts nicht erfolgt, weshalb die von den Beschwerdeführern kritisierte Verneinung einer neuerlichen Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen seit der letzten Beschlussfassung durch das Beschwerdegericht (BS 7) nicht zu beanstanden ist.
Nnamdi A***** und Uche Ak***** wurden durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts demnach im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerden - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen waren.
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