Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Text
Begründung
Mit Beschluss des Erstgerichts vom 18. 6. 2007 wurde über Antrag der Schuldnerin das Abschöpfungsverfahren eingeleitet und eine Treuhänderin bestellt. Dieser Beschluss erwuchs am 11. 7. 2007 in Rechtskraft. Die Gläubiger erhielten bisher eine Quote von 0,79 % auf ihre Forderungen.
Am 5. 4. 2012 beantragte die im Kopf genannte Insolvenzgläubigerin (in weiterer Folge: Antragstellerin) die vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens. Sie habe bisher erst zwei geringfügige Zahlungen (0,33 EUR am 28. 1. 2009 und 0,89 EUR am 3. 2. 2012) erhalten. Es liege daher der dringende Verdacht einer Obliegenheitsverletzung der Schuldnerin nahe, weil diese seit Beginn des Abschöpfungsverfahrens ihrer Verpflichtung zur Erwirtschaftung eines angemessenen Einkommens nicht nachgekommen sei. Diese Obliegenheitsverletzung stelle ein Dauerdelikt dar, sodass der Antrag nicht verfristet sei. Nach Anhörung der Treuhänderin und der Schuldnerin durch das Erstgericht ergänzte die Antragstellerin ihr Vorbringen dahin, dass es der Schuldnerin ungeachtet des Umstands, dass sie für zwei Kinder im Alter von 13 und 17 Jahren zu sorgen habe, durchaus zumutbar sei, eine Arbeitstätigkeit auch in einem größeren zeitlichen Ausmaß als 20 Stunden pro Woche anzunehmen. Ihr sei als Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen, dass sie dies unterlasse.
Das Erstgericht wies den Antrag auf vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens ab. Es ging dabei von folgendem Sachverhalt aus:
Die Schuldnerin ist seit 21 Jahren beim Land ***** als Pflegehelferin mit einem Beschäftigungsausmaß von 20 Stunden pro Woche beschäftigt. Sie verdient derzeit 14 x jährlich 1.070 EUR. Die Schuldnerin ist für zwei Kinder, geboren 1995 und 1999, unterhaltspflichtig. Das ältere Kind absolviert eine Lehre im zweiten Lehrjahr, das jüngere besucht die Schule. Zwischen der Schuldnerin und ihrem Arbeitgeber besteht eine Vereinbarung über die Teilzeitbeschäftigung bis Oktober 2013. Nach Ablauf dieser Frist kann das Beschäftigungsausmaß voraussichtlich auf 30 Stunden erhöht werden. Aufgrund entsprechender Angaben der Schuldnerin ging das Erstgericht überdies davon aus, dass der Schuldnerin die Ausübung einer Vollzeitbeschäftigung mit einem Ausmaß von 40 Stunden pro Woche aufgrund der Beaufsichtigungs- und Betreuungspflichten für die jüngere Tochter noch nicht möglich ist.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass die Obliegenheitsverletzung der Unterlassung der Ausübung einer angemessenen Erwerbstätigkeit iSd § 210 Abs 1 Z 1 KO einen Dauertatbestand darstelle, sodass der Antrag fristgerecht sei. Im Hinblick auf die bestehenden Unterhalts- und Fürsorgepflichten der Schuldnerin gegenüber ihren Kindern sowie unter Beachtung des Umstands, dass auch im „öffentlichen Dienst“ eine Ausweitung des Arbeitsverhältnisses auf eine Vollzeitbeschäftigung nicht jederzeit möglich sei, könne von einer Obliegenheitsverletzung der Schuldnerin nicht ausgegangen werden. Ob die Schuldnerin die Voraussetzungen für die Erteilung der Restschuldbefreiung überhaupt schaffen werde, sei bei einem Einstellungsantrag des Gläubigers nicht zu prüfen.
Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss über Rekurs der Antragstellerin dahin ab, dass es dem Antrag auf vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens stattgab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der Schuldner müsse alles ihm Mögliche tun, um durch die Ausübung einer angemessenen Erwerbstätigkeit möglichst viel zur Befriedigung der Gläubiger beizutragen. An die Zumutbarkeit der Erwerbstätigkeit seien strenge Anforderungen zu stellen, es gebe keinen Berufsschutz. Ausgehend davon sei der Schuldnerin im Hinblick auf das Alter ihrer Kinder die Ausübung einer Vollzeitbeschäftigung möglich und zumutbar. Selbst wenn das Beschäftigungsausmaß beim Arbeitgeber nicht über 20 Stunden hinaus ausgeweitet werden könnte, wäre die Schuldnerin gehalten, zusätzlich zu ihrer Beschäftigung auch berufsfremde Tätigkeiten oder Aushilfs- oder Gelegenheitstätigkeiten auszuüben. Für die Schuldnerin sei auch erkennbar gewesen, dass durch die Unterlassung einer zumutbaren und angemessenen Erwerbstätigkeit die Befriedigung der Insolvenzgläubiger wesentlich beeinträchtigt werde, weil sie lediglich marginale Zahlungen in dem seit 2007 laufenden Abschöpfungsverfahren geleistet habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Schuldnerin.
Rechtliche Beurteilung
Das Rechtsmittelverfahren in Insolvenzsachen ist nach der ständigen Rechtsprechung mit Ausnahme des Eröffnungsverfahrens (vgl dazu 8 Ob 282/01f) grundsätzlich einseitig (§ 260 Abs 4 IO; RIS-Justiz RS0116129 mwN). Für das konkrete Rechtsmittelverfahren enthält die IO keine Anordnung, die die Anwendbarkeit des § 521a ZPO iSd § 260 Abs 4 IO vorsieht. Eine Veranlassung, der Gläubigerin dennoch die Möglichkeit einer Rechtsmittelbeantwortung einzuräumen besteht im konkreten Fall nicht. Die materielle Rechtsstellung der Gläubigerin wird mit der hier zu treffenden Entscheidung nicht in Frage gestellt. Überdies hatte die Gläubigerin die Möglichkeit, ihren Rechtsstandpunkt bereits in ihrem Rekurs an die zweite Instanz zu vertreten (vgl ebenso zum Exekutionsverfahren 3 Ob 127/12s).
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nach § 528 Abs 1 ZPO iVm § 252 IO zulässig. Er ist inhaltlich auch berechtigt.
1. Das Abschöpfungsverfahren wurde vor dem 30. 6. 2010 eröffnet, sodass gemäß § 273 Abs 1 IO - mit demn in § 273 Abs 8 IO genannten Ausnahmen (verfahrensrechtliche Bestimmungen) - die Bestimmungen der KO anzuwenden sind. Die hier relevanten Bestimmungen der §§ 210, 211 KO wurden im Wesentlichen unverändert in die IO übernommen.
2. Gemäß § 211 Abs 1 Z 2 KO hat das Gericht auf Antrag eines Insolvenzgläubigers (Konkursgläubigers) das Abschöpfungsverfahren vorzeitig einzustellen, wenn der Schuldner eine seiner Obliegenheiten verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt. Dies gilt nur dann nicht, wenn den Schuldner kein Verschulden trifft (vgl 8 Ob 43/07t). Zu den vom Schuldner zu beobachtenden Obliegenheiten zählt gemäß § 210 Abs 1 Z 1 KO jene, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben oder, wenn der Schuldner ohne Beschäftigung ist, sich um eine solche zu bemühen und keine zumutbare Tätigkeit abzulehnen. Zutreffend - und im Revisionsrekursverfahren gar nicht strittig - sind die Vorinstanzen von einer fristgerechten Einbringung des Antrags ausgegangen (8 Ob 103/03k).
3. Die in § 210 KO angeführten Obliegenheiten des Schuldners bezwecken die Wahrung der Interessen der Insolvenzgläubiger und die Erreichung einer möglichst hohen Zahlungsquote für diese (8 Ob 4/05d; G. Kodek, Privatkonkurs Rz 621; Mohr in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 210 KO Rz 1). Nach den Gesetzesmaterialien hat der Schuldner „alles ihm Mögliche“ zu tun, um durch die Ausübung einer angemessenen Erwerbstätigkeit iSd § 210 Abs 1 Z 1 KO „seinen Teil zur Befriedigung der Gläubiger beizutragen“ (RV 1218 BlgNR 18. GP 32 f). Übt der Schuldner eine angemessene Erwerbstätigkeit aus, so schadet es nicht, wenn er zeitweise keine pfändbaren Einkünfte hat, weil die Schuldbefreiung nicht davon abhängig sein soll, dass „während der Dauer des Abschöpfungsverfahrens ständig Beträge an die Konkursgläubiger abgeführt werden“ (RV 1218 BlgNR 18. GP 32). Übt er keine Beschäftigung aus, so ist der Schuldner verpflichtet, sich um eine zumutbare angemessene Erwerbstätigkeit zu bemühen. Der Gesetzgeber hat nicht festgelegt, welche Berufstätigkeiten einem Schuldner zumutbar sind (näher dazu Konecny, Restschuldbefreiung bei insolventen natürlichen Personen, ÖBA 1994, 911 [922]). In den Gesetzesmaterialien ist dazu ausgeführt, dass an die Zumutbarkeit „sehr strenge Anforderungen zu stellen“ sind und der Schuldner auch eine berufsfremde, eine auswärtige, „notfalls auch eine Aushilfs- oder Gelegenheitstätigkeit“ annehmen muss (RV 1218 BlgNR 18. GP 33). In jedem Fall ist „auf die Verpflichtung des Schuldners gegenüber seinen Familienangehörigen Rücksicht zu nehmen“ (RV 1218 BlgNR 18. GP 33).
4.1 Wird der Antrag wie hier auf eine Obliegenheitsverletzung gestützt, so hat der Antragsteller im Rahmen eines zweistufigen Verfahrens zunächst die Voraussetzungen des § 211 Abs 1 Z 2 KO glaubhaft zu machen. Er hat daher das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung und die Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu bescheinigen (Mohr aaO § 211 Rz 11; G. Kodek aaO Rz 657; RIS-Justiz RS0114731). Ist dem Antragsteller die erste Glaubhaftmachung gelungen, so hat das Gericht weitere Erhebungen von Amts wegen zu führen (§ 254 Abs 5 IO). Erst wenn eine Obliegenheitsverletzung feststeht, ist das Verfahren einzustellen (G. Kodek aaO Rz 658).
4.2 Die Antragstellerin hat zunächst bloß ins Treffen geführt, dass die Schuldnerin während der bisherigen Laufzeit der Abtretungserklärung nahezu keine Zahlungen geleistet hat. Dieser Umstand fällt für sich allein aber unter keinen der in § 210 KO taxativ (RIS-Justiz RS0119714) geregelten Tatbestände und begründet daher keine Obliegenheitsverletzung. Ob die Schuldnerin die Voraussetzungen für die Restschuldbefreiung bis zum Ablauf der Abtretungserklärung überhaupt schaffen werde, ist - wie schon das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat - nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes für die hier zu beurteilende vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens ohne Relevanz.
4.3 Erst in weiterer Folge (nach Einvernahme der Schuldnerin) hat die Antragstellerin behauptet, dass es der Schuldnerin durchaus zumutbar sei, neben der Betreuung eines 13-jährigen Schülers und eines 17-jährigen Lehrlings im zweiten Lehrjahr die Aufnahme einer Beschäftigung in einem größeren Zeitausmaß als 20 Stunden pro Woche wahrzunehmen. Damit ist es ihr im hier konkret zu beurteilenden Einzelfall jedoch nicht gelungen, das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung zu bescheinigen:
5.1 Übt der Schuldner eine Vollzeitbeschäftigung aus, so besteht in der Regel die Vermutung, dass die ausgeübte Tätigkeit angemessen ist (G. Kodek aaO Rz 626). Übt der Schuldner eine Teilzeitbeschäftigung aus, so entspricht dies grundsätzlich nicht den Anforderungen des § 210 Abs 1 Z 1 KO, weil diese Bestimmung implizit davon ausgeht, dass der Schuldner zur Erfüllung seiner Obliegenheit seine ganze Arbeitskraft einsetzt (ebenso zur vergleichbaren Norm des § 295 I Z 1 dInsO Ehricke in Kirchhof/Lwowski/Stürner, MüKomm zur InsO III § 295 Rz 34).
5.2 Die Ausübung einer Teilzeitbeschäftigung kann jedoch im Einzelfall durch besondere Gründe - wie zB Kinderbetreuung - gerechtfertigt sein (ebenso zu § 295 I Z 1 dInsO Andres/Leithaus/Dahl, InsO² § 295 Rz 2; Ahrens in Kohte/Ahrens/Grote/Busch, Verfahrenskostenstundung, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren5 § 295 Rz 17). Zur Beurteilung der Frage, in welchem Umfang ein Schuldner neben einer ihm obliegenden Kinderbetreuung (vgl RV 1218 BlgNR 18. GP) erwerbstätig sein muss, kann auch auf die unterhaltsrechtliche Judikatur zurückgegriffen werden (G. Kodek aaO Rz 624; ebenso BGH 3. 12. 2009, IX ZB 139/07 zu § 295 I Z 1 dInsO unter Verweis auf § 1570 dBGB, Unterhalt des geschiedenen Ehegatten wegen Betreuung eines Kindes).
6.1 Zwar fallen im hier zu beurteilenden Fall die Betreuungspflichten der Schuldnerin für ihr 17-jähriges Kind nicht mehr entscheidend ins Gewicht; allerdings treffen die Schuldnerin Betreuungspflichten für ein erst 13-jähriges und damit noch schulpflichtiges Kind. Derartige Betreuungspflichten beschränken aber - wie auch in der unterhaltsrechtlichen Judikatur anerkannt ist - sehr wohl die Zumutbarkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit (1 Ob 570/95; vgl auch 8 Ob 210/02v). Das Erstgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass von der Schuldnerin derzeit die Ausübung einer Vollzeitbeschäftigung noch nicht verlangt werden kann. Zudem ist die von der Schuldnerin ins Treffen geführte Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber zu beachten: Dass es der Schuldnerin möglich gewesen wäre, trotz dieser Vereinbarung, die das bisherige Beschäftigungsausmaß bis Oktober 2013 festschreibt, bei ihrem bisherigen Arbeitgeber zu einem früheren Zeitpunkt ein höheres Beschäftigungsausmaß zu erreichen, steht nicht fest, wurde von der Antragstellerin auch gar nicht behauptet und kann daher nicht unterstellt werden. Vor allem aber ist für die Zeit ab Oktober 2013 ohnedies bereits eine Erhöhung des Beschäftigungsausmaßes der Schuldnerin vorgesehen, sodass alles in allem davon auszugehen ist, dass die Schuldnerin derzeit eine angemessene Tätigkeit iSd § 210 Abs 1 Z 1 KO ausübt und ihr daher keine Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen ist. Eine mehr als nur angemessene Erwerbstätigkeit wird vom Schuldner nach dieser Bestimmung nicht verlangt. Für eine Obliegenheit der Schuldnerin, noch eine zusätzliche weitere Beschäftigung, oder Aushilfs- und Gelegenheitstätigkeiten zu suchen, besteht daher hier keine Grundlage.
6.2 Schließlich ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Fortsetzung des Abschöpfungsverfahrens im vorliegenden Fall eine Benachteiligung der Gläubiger befürchten ließe. Das gegenwärtige Einkommen der Klägerin übersteigt nicht das unpfändbare Existenzminimum, sodass in einem Exekutionsverfahren offenkundig keine frühere oder bessere Befriedigung der Gläubiger zu erwarten wäre. Es ist vielmehr gerade die aufrechte Aussicht auf eine Restschuldbefreiung, die eine Motivation der Schuldnerin zur Erhöhung ihrer Anstrengungen in der letzten Phase des Abschöpfungszeitraums bilden kann. Sofern es der Schuldnerin nicht gelingt, die Voraussetzungen für die Erlangung der Restschuldbefreiung zu schaffen, wird sie auch keine Restschuldbefreiung erhalten.
Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wieder herzustellen.
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