OGH 8Ob210/02v

OGH8Ob210/02v7.11.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer, Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Regina S*****, vertreten durch Dr. Viktor V. Supplit, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei Wolfgang S*****, vertreten durch Dr. Peter Banwinkler, Rechtsanwalt in Linz, wegen Unterhalt (hier: Erlassung einer einstweiligen Verfügung), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der beklagten Partei, des Gegners der gefährdeten Partei, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 11. Juni 2002, GZ 14 R 239/02v-34, womit infolge Rekurses der beklagten Partei, des Gegners der gefährdeten Partei, der Beschluss des Bezirksgerichtes Urfahr-Umgebung vom 29. März 2002, GZ 4 C 80/00m-29, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Streitteile haben am 30. 3. 1985 die jeweils zweite Ehe geschlossen. Durch die Eheschließung wurde der am 22. 12. 1984 geborene Sohn legitimiert. Ein weiterer Sohn kam am 21. 2. 1986 zur Welt. Seit der Geburt des älteren Sohnes im Jahre 1984 war die Klägerin nicht mehr in ihrem erlernten Beruf als Einzelhandelskauffrau in der Lederwaren- bzw gehobenen Modebranche tätig. Sie führte den Haushalt und betreute die beiden Kinder. Außerdem unterstützte sie ihren Gatten bei seiner als Nebenerwerbslandwirt ausgeübten Schafzucht. Zwischen den Parteien herrschte Einvernehmen darüber, dass eine sogenannte "Hausfrauenehe" geführt werde.

Mit Urteil vom 20. 9. 2000 wurde die Ehe der Streitteile aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden. Mit Schreiben vom 3. 10. 2000 hat der Beklagte die Klägerin aufgefordert, Arbeit zu suchen. Obwohl sich die Klägerin bemüht hat, in ihrem erlernten Beruf als Verkäuferin eine Anstellung zu finden, ist ihr dies bis heute nicht gelungen. Sie verfügt daher über kein eigenes Einkommen. Die Klägerin betreut in ihrem Haushalt die beiden ehelichen minderjährigen Söhne. Diese sind Lehrlinge und werden von der Klägerin mangels geeigneter Busverbindung jeden Tag um 6.30 Uhr in die naheliegende Stadt zu ihrer Ausbildungsstelle geführt. Die Söhne kommen um 16.30 Uhr bzw 17.00 Uhr zurück und werden dann von der Mutter von der vom Wohnhaus rund 2 km entfernten Bushaltestelle mit dem Auto abgeholt. Der Beklagte ist mit 1. Dezember 2001 als Landesbeamter in Frühpension gegangen. Er erhält monatlich als Pensionsleistung EUR 2.286,63, sowie eine Versehrtenrente in der Höhe von durchschnittlich EUR 339 monatlich. Außerdem erzielt der Beklagte aus seinem landwirtschaftlichen Betrieb monatliche Einkünfte von rund EUR 335. Der Beklagte ist außer für die beiden ehelichen Söhne noch für einen 25-jährigen Sohn aus erster Ehe, der studiert, sorgepflichtig.

Mit ihrer am 7. 8. 2001 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin, den Beklagten zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von ATS 12.250 ab 1. 8. 1997 schuldig zu erkennen. Im Laufe des Verfahrens stellte sie den Antrag, ihr mit einstweiliger Verfügung ab sofort einen monatlichen Unterhaltsbetrag von ATS 7.800 zuzuerkennen (ON 18). Der Beklagte habe zuletzt im September 2001 einen pauschalen Unterhaltsbetrag von ATS 7.000 überwiesen. Im Oktober habe er die Zahlungen auf ATS 1.000 reduziert. Die beiden Kinder seien als Lehrlinge zwar teilweise schon selbsterhaltungsfähig, dennoch stehe ihnen gegenüber dem Vater ein Anspruch auf Unterhalt zu. Ein diesbezügliches Pflegschaftsverfahren sei anhängig. Die Klägerin sei seit 20 Jahren nicht mehr berufstätig; sie habe mit Zustimmung des Antragsgegners den Haushalt geführt und die beiden gemeinsamen Kinder großgezogen. Sie sei derzeit nicht mehr in der Lage, einer Arbeit nachzugehen, weil sie auf dem Arbeitsmarkt nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten zu vermitteln sei. Auf jeden Fall sei der Beklagte nicht berechtigt, eigenmächtig die Unterhaltszahlungen an die Klägerin einzustellen.

Der Beklagte äußerte sich dahingehend, dass er der Klägerin für die Zeit der Arbeitsplatzsuche von September 2000 bis einschließlich September 2001 monatlichen Geldunterhalt von ATS 6.000 zur Verfügung gestellt habe. Die Klägerin sei arbeitsfähig, eine Erwerbstätigkeit sei ihr zumutbar, sie sei am Arbeitsmarkt auch vermittelbar. Die Klägerin sei nicht gewillt, einer Beschäftigung nachzugehen, obwohl das Alter der beiden Söhne dies längst zulassen würde. Die Klägerin sei daher so zu stellen, wie wenn sie tatsächlich Einkommen erziele. Sie sei selbsterhaltungsfähig.

Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung antragsgemäß und erkannte den Beklagten zur Zahlung eines monatlichen einstweiligen Unterhalts in Höhe von EUR 566,86 vom 11. 12. 2001 bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits schuldig. Es nahm den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt als bescheinigt an und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, dass eine zwischen den Ehegatten durch längere Zeit unwidersprochen befolgte Rollenteilung, wie beispielsweise in einer "Hausfrauenehe", nach § 863 Abs 1 ABGB die gleiche Wirkung äußere wie eine ausdrückliche Gestaltungsabsprache. Eine auf diese Weise zustande gekommene Gestaltung binde die Partner auch für die Zukunft und sei nur aus wichtigen Gründen auflösbar. Die durch die eheliche Übung zustande gekommene Gestaltung habe auch Bedeutung für den nachehelichen Unterhaltsanspruch. Dabei werde nicht für die Zeit vor und die Zeit nach der Scheidung unterschieden. Der Klägerin stehe daher der geltend gemachte Unterhaltsanspruch zu. Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss in der Hauptsache. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit hänge im besonderen Maße auch vom Vorhandensein von Kindern ab. Es sei bereits ausgesprochen worden, dass eine ganztägige Berufstätigkeit dann nicht zumutbar sei, wenn der Unterhaltsberechtigte zwei Kinder im Alter von 15 und 16 Jahren, die eine Lehre absolvieren, zu versorgen habe. Das Erstgericht habe daher im Ergebnis zu Recht die Zumutbarkeit der Aufnahme einer Berufstätigkeit verneint. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin die beiden minderjährigen Söhne im Alter von 16 und 17 Jahren betreue, sowie dass sie seit der Geburt des älteren Sohnes im Jahre 1984 keinen Beruf mehr ausgeübt, sondern den Haushalt geführt habe. Eine "Anspannung" der Klägerin auf ein erzielbares Einkommen wäre nur bei schuldhaftem Verhalten möglich, das hier jedoch zu verneinen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Beklagten ist zulässig, es kommt ihm auch Berechtigung zu.

Die Klägerin stützt ihren Unterhaltsanspruch zutreffend auf § 66 EheG (AS 69). Nach dieser Gesetzesbestimmung hat der allein oder überwiegend schuldige Ehegatte dem anderen, soweit dessen Einkünfte aus Vermögen und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit, die von ihm den Umständen nach erwartet werden kann, nicht ausreichen, den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren. Nach ständiger Rechtsprechung hat der schuldlos oder minder schuldig geschiedene Ehegatte gemäß § 66 EheG von vornherein nur insoweit einen Unterhaltsanspruch gegen den allein oder überwiegend schuldig geschiedenen Ehegatten, als seine Einkünfte aus Vermögen und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit, die von ihm den Umständen nach erwartet werden kann, nicht ausreichen. Die Unterhaltspflicht ist damit subsidiär. Sie besteht erst dann, wenn Vermögenseinkünfte und Erträgnisse einer dem Unterhaltsberechtigten zumutbaren Erwerbstätigkeit nicht ausreichen, um ihm den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu verschaffen. Der Unterhaltsberechtigte ist demnach im Umfang der Zumutbarkeit zur Erwerbstätigkeit verpflichtet (SZ 66/114; 6 Ob 219/98v; Pichler in Rummel ABGB2 § 66 EheG Rz 2, Zankl in Schwimann ABGB2 § 66 EheG Rz 15 und 16). Der geschiedene Ehegatte ist dabei dem verheirateten haushaltführenden Ehegatten nicht gleichgestellt, sodass sein Einkommen nicht nur "angemessen" (§ 94 Abs 2 ABGB), sondern ohne diese Einschränkung in vollem Umfang zu berücksichtigen ist (RIS-Justiz RS0057379). Während sich der Unterhaltsanspruch bei aufrechter Ehe grundsätzlich nach der verbindlichen autonomen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft richtet, erweist sich der gesetzliche Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach § 66 EheG nicht etwa als Modifikation des ehelichen Unterhalts, sondern als bloße Nachwirkung früherer ehelicher Beistandspflicht und steht nur unter den im Gesetz gennanten Voraussetzungen zu. Ein während aufrechter Ehe geschaffener Unterhaltstitel tritt daher - ausgenommen den hier nicht gegebenen Fall einer Scheidung nach § 55 EheG mit Verschuldensausspruch gemäß § 61 Abs 3 EheG - auch gegenüber dem schuldlos oder minder schuldig geschiedenen Ehegatten mit Wirksamkeit der Scheidung außer Kraft (EvBl 1992/27; 3 Ob 2307/96b; 1 Ob 35/00d). Es stünde mit diesen Grundsätzen in unüberbrückbarem Widerspruch, wollte man - wie dies das Erstgericht getan hat - die einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft über den Zeitpunkt der Scheidung hinaus wirken lassen. Insoweit eine derartige Rechtsansicht aus der vom Erstgericht zitierten Entscheidung 8 Ob 601/89 = JBl 1991, 714 (mit ablehnender Glosse Ferrari-Hofmann-Wellenhof) entnommen werden könnte, ist diese nicht aufrecht zu erhalten, zumal durch die genannte Entscheidung zwar tatsächlich auch über einen Unterhaltsanspruch nach rechtskräftiger Scheidung ausgesprochen, darauf in der Begründung aber nicht weiter eingegangen wurde. Auch der Ansicht des Rekursgerichts, der Klägerin sei die Wiederaufnahme einer Beschäftigung nicht zumutbar, weil sie einerseits zwei Kinder im Alter von 16 und 17 Jahren zu betreuen und andererseits durch rund 20 Jahre hindurch keinen Beruf ausgeübt habe, kann zumindest auf der Grundlage des derzeit gegebenen Tatsachensubstrats nicht ohne weiteres gefolgt werden. Allein die Tatsache, dass die Klägerin während der Ehe keiner Berufstätigkeit nachging, kann ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht dazu führen, dass ihr auf Dauer keine Arbeitstätigkeit zugemutet werden könnte (8 Ob 639/91). Auch die Betreuung der beiden als Lehrlinge bereits teilweise selbsterhaltungsfähigen Söhne macht das Eingehen eines Arbeitsverhältnisses nicht schlechthin unzumutbar, sind diese doch untertags nicht zu Hause und werden sie zudem von der Mutter täglich in der Früh in die Stadt zur Arbeit geführt, in welchem Ballungszentrum auch ein Arbeitsplatz für die Klägerin wohl am ehesten zu finden wäre. Der Revisionsrekurswerber weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass der Klägerin unter diesen Umständen zumindest eine Teilzeitbeschäftigung zuzumuten wäre (vgl 1 Ob 570/95).

Die Auferlegung eines vorläufigen Unterhalts im Sinne des § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO stellt begrifflich keine einstweilige Verfügung im Sinne der EO dar, weil dadurch nicht ein Leistungsanspruch gesichert, sondern dem Berechtigten ein in der Regel endgültig zustehender einstweiliger Unterhalt zugebilligt wird. Aus diesem Grund ist der Sachverhalt im Allgemeinen, wenngleich mit der gebotenen Eile, möglichst genau zu ermitteln (RIS-Justiz RS0005261). Der Ehegatte, der vorläufigen Unterhalt im Sinn des § 66 EheG und des § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO begehrt, hat gemäß § 389 EO nicht nur zu behaupten und zu bescheinigen, dass die Einkünfte aus Vermögen zur Deckung seines angemessenen Unterhalts nicht ausreichen, sondern auch, dass er sich durch eine Erwerbstätigkeit diesen Unterhalt nicht zu verschaffen in der Lage oder ihm eine solche Tätigkeit überhaupt nicht zumutbar ist (RIS-Justiz RS0005947). Kann er diese Umstände nicht glaubhaft machen, oder stellt er entsprechende Behauptungen gar nicht auf, sind seine Einkünfte auf der Grundlage eines zwar tatsächlich nicht erzielten, aber erzielbaren Einkommens zu bemessen und als seinen Unterhaltsanspruch mindernd oder zur Gänze beseitigend zu berücksichtigen (6 Ob 2319/96i; 9 Ob 201/99w).

Die Klägerin ging offenbar ebenso wie das Erstgericht davon aus, dass die Tatsache des Vorliegens einer sogenannten "Hausfrauenehe" auch nach Scheidung derselben die Pflicht zur Aufnahme eigener Berufstätigkeit ausschließe. Es ist ihr daher nunmehr Gelegenheit zu geben, entsprechendes Vorbringen zu erstatten (vgl RIS-Justiz RS0037300). Der vom Erstgericht als bescheinigt angenommene Sachverhalt, die Klägerin habe "sich nach der Scheidung bemüht, in ihrem erlernten Beruf als Verkäuferin eine Anstellung zu finden, was ihr jedoch bis heute nicht gelungen ist", reicht für eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht aus, weil daraus eine entsprechende Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit des Bemühens nicht abgeleitet werden kann. Zudem ist dem erstinstanzlichen Beschluss nicht einmal andeutungsweise zu entnehmen, wie das Erstgericht zu dieser das eigentlich zentrale Verfahrensthema betreffenden Annahme gelangte, sodass insoweit in Wahrheit ein die gänzliche Stattgebung des Sicherungsantrags tragender Sachverhalt nicht vorliegt. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die Klägerin zu entsprechendem Vorbringen anzuleiten und nach allfälliger Ergänzung des Bescheinigungsverfahrens Feststellungen dahin zu treffen haben, ob und in welchem Umfang in Anbetracht der Betreuungspflichten und der Möglichkeiten der Erreichbarkeit eines Arbeitsplatzes die Aufnahme einer Beschäftigung zumutbar ist und - bejahendenfalls - ob die Klägerin ausreichende konkrete Bemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes gesetzt hat, die jedoch aus von ihr nicht zu vertretenden Gründen erfolglos blieben. Nur in letzterem Fall sowie bei Unzumutbarkeit wird dem Unterhaltsbegehren zur Gänze stattzugeben sein. Anderenfalls wird das Erstgericht eine der zumutbaren Arbeitsleistung entsprechende Entlohnung festzustellen und vom begehrten Unterhalt in Abzug zu bringen haben.

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 EO, § 52 Abs 1 ZPO.

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