OGH 7Ob191/11f

OGH7Ob191/11f17.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr.

Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** S*****, vertreten durch Dr. Christian Pichler, Rechtsanwalt in Reutte, gegen die beklagte Partei A***** N*****, vertreten durch Dr. Christian Fuchs Rechtsanwalt GmbH in Innsbruck, wegen Eigentumsübertragung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 26. Juli 2011, GZ 3 R 130/11h‑55, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 6. Mai 2011, GZ 12 Cg 280/08v‑50, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.400,04 EUR (darin enthalten 233,34 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Vorweg ist der Revision zu erwidern, dass nicht nur die Beweiswürdigung der Vorinstanzen vor dem Obersten Gerichtshof nicht bekämpft werden kann, weil eine unrichtige Beweiswürdigung nicht zu den taxativ im Gesetz genannten Revisionsgründen zählt, sondern auch die vom Berufungsgericht verneinten Mängel des Verfahrens erster Instanz nicht revisibel sind (10 ObS 95/12m; 7 Ob 85/12v; 10 ObS 66/12x jeweils mwN). Die vom Revisionswerber angestrebte neuerliche Prüfung des in der Berufung erfolglos geltend gemachten angeblichen Mangels des Verfahrens erster Instanz hat daher zu unterbleiben.

Davon abgesehen ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO).

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, im Fall der sogenannten Doppelveräußerung einer Liegenschaft vertrete die Judikatur wiederholt den Standpunkt, auf (vorwerfbare) Unkenntnis des Bestehens eines fremden Forderungsrechts könne ein Schadenersatzanspruch lediglich dann gestützt werden, wenn aufgrund besonderer Umstände das fremde Forderungsrecht für den Verletzer deutlich „sozial-typisch“ erkennbar sei; es sei daran festzuhalten, dass Nachforschungspflichten grundsätzlich zu verneinen seien und sich solche lediglich aufgrund besonderer Umstände (wie eines „besitzverstärkten“ Forderungsrechts) rechtfertigen ließen (RIS‑Justiz RS0022852). In 5 Ob 236/06a sei ein Restitutionsanspruch allerdings bereits dann bejaht worden, wenn der Erwerber die obligatorische Position kannte oder bei gehöriger Aufmerksamkeit kennen musste, ohne unzumutbaren Nachforschungspflichten zu entsprechen; es genüge die bewusste Durchsetzung des eigenen Rechtsstandpunkts unter bewusster Übergehung der dagegen sprechenden triftigen Argumente. Auch in 4 Ob 198/08h sei nicht auf den Besitz der Liegenschaft abgestellt worden. Daher bewege sich die Berufungsentscheidung nicht im Rahmen einer einheitlichen Rechtsprechung, weshalb die ordentliche Revision zulässig sei.

Der Beklagte erstattete in seiner Revision zur Zulässigkeitsfrage zwar kein besonderes Vorbringen, schloss sich in der Rechtsrüge jedoch der Begründung der Revisionszulassung durch das Berufungsgericht an.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Dies ist hier nicht der Fall:

Der in den Vorinstanzen erfolgreich geltend gemachte schadenersatzrechtliche Herausgabeanspruch der Klägerin infolge „Doppelveräußerung“ einer unbeweglichen Sache ist nämlich auf der Grundlage der dazu bereits vorhandenen ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abschließend zu beurteilen; die fallspezifischen Einwände des Beklagten begründen daher keine erhebliche Rechtsfrage im dargelegten Sinn (9 Ob 57/10p).

Bei der Doppelveräußerung einer Liegenschaft führen Eintragungsprinzip und Rangprinzip zum Eigentumserwerb desjenigen, der zuerst eingetragen wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht aber demjenigen, der die Liegenschaft als Erster außerbücherlich erworben und in Besitz genommen hat, ein aus dem Schadenersatzrecht abgeleiteter Herausgabeanspruch (Naturalrestitution nach § 1323 ABGB) schon dann zu, wenn der Zweiterwerber das durch den Besitz des Ersterwerbers verstärkte Forderungsrecht leicht fahrlässig nicht erkannte (7 Ob 63/12h; 9 Ob 57/10p; 6 Ob 169/07g jeweils mwN; RIS‑Justiz RS0011224 [T11]). Im Fall grundbücherlicher Vormerkung des Eigentumsrechts des Erstkäufers zum Zeitpunkt des Abschlusses des (Zweit-)Kaufvertrags und der Rechtfertigung dieser Vormerkung zum Zeitpunkt der Einverleibung sind die obligatorischen Forderungsrechte des Ersterwerbers ‑ nach der Rechtsprechung ‑ in ihrer deutlichen „sozial‑typischen“ Erkennbarkeit für den (Zweit‑)Käufer zumindest in gleicher Weise verstärkt wie auch sonst durch physischen Besitz (RIS‑Justiz RS0011224 [T10] = 7 Ob 225/03v [krit Holzner in FS Koziol 681]).

Ist aber ‑ wie hier nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen ‑ davon auszugehen, dass der Beklagte sogar positive Kenntnis von den durch die Doppelveräußerung beeinträchtigten Forderungsrechten der Klägerin hatte, bedarf es (gar) keiner weiteren Auseinandersetzung mit Umständen zur Frage einer „sozial‑typischen“ Erkennbarkeit, welche diese in gleicher Weise „verstärken“ könnten wie der physische Besitz: Die Rechtsprechung anerkennt nämlich eine Schadenersatzpflicht des Zweiterwerbers (unabhängig vom Besitz des Ersterwerbers) auch dann, wenn der Zweiterwerber vom fremden Forderungsrecht Kenntnis hatte und in Ausnutzung des Vertragsbruchs die Leistungsbewirkung vereitelte; wobei sich der Machtgeber die Schlechtgläubigkeit des Machthabers zurechnen lassen muss (5 Ob 236/06a mwN; Hinteregger in Schwimann/Kodek ABGB II4 § 440 Rz 17 mwN in FN 67 und 68).

Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre ist auch eine bloß schuldrechtliche Beziehung zwischen zwei Personen gegen Eingriffe Dritter grundsätzlich zu schützen; Dritte dürfen das Recht des Gläubigers auf obligationsgemäße Willensrichtung des Schuldners nicht beeinträchtigen (RIS‑Justiz RS0025920). Dabei ist anerkannt, dass der Dritte das Forderungsrecht nicht nur beeinträchtigt, wenn er auf den schuldnerischen Leistungswillen in Richtung Vertragsbruch einwirkt, sondern auch, wenn er in Kenntnis des fremden Forderungsrechts die schlichte Leistungsbewirkung vereitelt. Das Recht auf Leistungsbewirkung entfaltet absolute Wirkung (jüngst: 1 Ob 86/12x mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Die erforderlichen Voraussetzungen des Eingriffs liegen daher nicht nur bei wissentlicher Verleitung zum Vertragsbruch bzw Kollusion, sondern in der Regel auch bei Erwerb „in positiver Kenntnis“ des fremden Forderungsrechts vor (Mader in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.01 § 440 Rz 3 mwN in FN 4). Da grundsätzlich aber allein die wissentliche Beeinträchtigung eines bekannten Forderungsrechts einen Schadenersatzanspruch auslöst, kann ein solcher auf (vorwerfbare) Unkenntnis des Bestehens eines fremden Forderungsrechts nur dann gestützt werden, wenn aufgrund besonderer Umstände das fremde Forderungsrecht für den Verletzer deutlich „sozial-typisch“ erkennbar war (RIS‑Justiz RS0022852 [T12]).

Wie der Oberste Gerichtshof auch in der Entscheidung 1 Ob 125/05x klargestellt hat, ist also daran festzuhalten, dass Nachforschungspflichten grundsätzlich zu verneinen sind und sich lediglich aufgrund besonderer Umstände (wie zB beim „besitzverstärkten“ Forderungsrecht) rechtfertigen lassen, weshalb an die „sozial‑typische“ Erkennbarkeit strenge Anforderungen zu stellen sind.

Auf eine solche Erkennbarkeit kommt es hier jedoch ‑ angesichts des festgestellten Wissens des Beklagten um das Bestehen des fremden Forderungsrechts ‑ gar nicht an:

Nach der in dritter Instanz nicht mehr angreifbaren Tatsachengrundlage war sowohl dem Beklagten als auch seinem Rechtsanwalt bekannt, „dass es eine Scheidungsvereinbarung hinsichtlich der Liegenschaft und der Kinder“ gab, in der ein „entsprechender“ Anspruch der Klägerin begründet worden war. Dass die Klägerin ‑ wie der Beklagte behauptet ‑ auf ihren Anspruch verzichtet hätte, steht hingegen nicht fest. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang der bereits vom Berufungsgericht zutreffend aufgezeigte Umstand, dass der Rechtsvertreter des Beklagten die Errichtung des Kaufvertrags gerade wegen dieser Vereinbarung zunächst ausdrücklich abgelehnt hat.

Die umfassende Kenntnis des Beklagten und seines ‑ zuvor für den Verkäufer tätigen ‑ Anwalts über den Bestand des beeinträchtigten Gläubigerrechts reichten im Einzelfall somit aus, um einen Schadenersatzanspruch, wie er der Klägerin zuerkannt wurde, zu begründen (5 Ob 236/06a mwN; 4 Ob 198/08h [mit Anm von Riedler in Zak 2009, 169]). Ihre aktive Klagelegitimation ist ‑ schon angesichts der erklärten Abtretung der Ansprüche ihrer Mutter aus dem Scheidungsvergleich ‑ nicht mehr zu bezweifeln, weshalb auch auf die in der Revision (im Rahmen der Verfahrensrüge) erörterte Anspruchsgrundlage eines Vertrags zugunsten Dritter nicht weiter einzugehen ist. Davon abgesehen handelt es sich insoweit ‑ wie die Revision selbst festhält ‑ um eine im Einzelfall zu lösende Rechtsfrage:

Nach ständiger Rechtsprechung hängt es nämlich von dem ‑ aus der Vereinbarung, der Natur und dem Zweck des Vertrags zu ermittelnden ‑ Parteiwillen ab, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Zeitpunkt auch der Dritte unmittelbar das Recht erwirbt, vom Versprechenden die Erfüllung des zu seinen Gunsten abgegebenen Versprechens zu fordern (RIS‑Justiz RS0017137; 3 Ob 288/03d mwN); wobei im Zweifel ein echter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt, wenn die Leistung ‑ wie hier ‑ hauptsächlich dem Dritten zum Vorteil gereichen soll (RIS‑Justiz RS0017145; 3 Ob 72/09y mwN).

Da der Revisionswerber keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist seine Revision zurückzuweisen (9 Ob 57/10p).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision des Beklagten hingewiesen.

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