OGH 11Os125/12k

OGH11Os125/12k9.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Scheickl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Daniel S***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 10. Mai 2012, GZ 16 Hv 103/11t-31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Daniel S***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 dritter Fall StGB (I) und der Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er in K*****

I) der V***** AG fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung solcher Taten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, weggenommen, und zwar Bargeld in der Höhe von

1) 12.138,10 Euro am 26. Mai 2010,

2) 11.136,70 Euro am 10. August 2010,

3) 15.934,40 Euro am 25. August 2010 und

4) von 2.187,20 Euro am 1. September 2010;

II) dadurch, dass er Quittungen der V***** AG über Auszahlungen von Bargeld ausstellte, auf denen er jeweils eigenmächtig das Losungswort des Kunden anführte und die Paraphe der Ingeborg L***** fälschte, falsche Urkunden mit dem Vorsatz hergestellt, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich der Auszahlung der Beträge an die Kunden gebraucht werden, und zwar

1) am 26. Mai 2010 durch Anführen des Losungsworts „Schwarz“ zum Nachweis einer Auszahlung von 12.150,82 Euro [s allerdings oben I 1; US 3, 5],

2) am 10. August 2010 durch Anführen des Losungswortes „3“ zum Nachweis einer Auszahlung von 11.136,70 Euro,

3) am 25. August 2010 durch Anführen des Losungsworts „Chrysler“ zum Nachweis einer Auszahlung von 15.934,40 Euro und

4) am 1. September 2010 durch Anführen des Losungsworts „Oma“ zum Nachweis einer Auszahlung von 2.187,20 Euro.

Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a, 10 und 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten (zur Rechtsmittelanmeldung ON 33 vgl 11 Os 172/09t mwN).

Das Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) trifft teilweise zu:

Rechtliche Beurteilung

Nach Maßgabe des mit BGBl I 2004/164 eingeführten § 252 Abs 2a StPO kann auf die tatsächliche Verlesung oder Vorführung von in § 252 Abs 1 oder Abs 2 StPO genannten Schriftstücken oder Ton- oder Bildaufnahmen verzichtet werden. Dann ist der Inhalt des die Verlesung oder Vorführung substituierenden Vortrags einer nachträglichen Kritik aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO entzogen, nicht aber die Tatsache, dass überhaupt kein auf die genannten Beweismittel bezogener Vortrag stattgefunden hat (vgl RIS-Justiz RS0111533 [insbes T5 und T7]). Die bloße Kenntnis dieser Aktenbestandteile durch die Beteiligten des Strafverfahrens genügt weder dem Grundsatz der Öffentlichkeit noch demjenigen der Mündlichkeit der Hauptverhandlung, konnten doch solcherart weder Zuhörer noch Schöffen vom Inhalt der Schriftstücke Kenntnis erlangen (Art 6 Abs 1 MRK). Sogar trotz Verzichts der Beteiligten auf den Vortrag des erheblichen Inhalts von Aktenstücken durch den Vorsitzenden gemäß § 252 Abs 2a StPO ist deren Berücksichtigung im Urteil nach dem eindeutigen Wortlaut des § 258 Abs 1 zweiter Satz StPO unzulässig und begründet Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 460 f, 464; jüngst - das von der Verteidigung zitierte Erkenntnis - 15 Os 4/11v mwN). Die Judikatur zu § 252 Abs 2 StPO idF vor BGBl I 2004/164 (RIS-Justiz RS0106028, RS0098437) kann - wegen der Streichung der Verzichtsmöglichkeit im letzten Halbsatz der genannten Norm - nicht mehr aufrechterhalten werden.

Im Gegenstand enthält das Protokoll über die neu durchgeführte und zum Urteil führende Hauptverhandlung vom 10. Mai 2012 (ON 30 S 5) folgende Wendung „StA Verteidigerin und PBV erklären, dass ihnen der Akteninhalt zur Gänze bekannt ist, ausdrücklich auf Verlesung verzichtet wird und der Akt zur Gänze als verlesen gelten kann“.

Wenngleich die ON 21 (das Protokoll über eine frühere Hauptverhandlung) ohne Einschränkung verlesen wurde (ON 30 S 2) und der Sachverständige sich auf sein schriftliches Gutachten ON 25 stützte (ON 30 S 3), begründet die in der Beschwerde aufgezeigte Berücksichtigung der nicht in der Hauptverhandlung vorgekommenen polizeilichen Ermittlungen bei der Urteilsfindung (US 7) die geltend gemachte Nichtigkeit.

Dies zwingt - ohne das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde erörtern zu müssen - zu einem Vorgehen nach § 285e StPO; die Berufung war auf die Kassation (auch) des Straf- und des Privatbeteiligtenausspruchs zu verweisen.

Abschließend sei bloß bemerkt:

Der Schadensbetrag zu I 3 steht den erstgerichtlichen Überlegungen US 4 zum modus operandi entgegen.

Durch das Setzen der Paraphe einer anderen Person auf einem Auszahlungsbeleg wird eine unechte Urkunde hergestellt, weil sie eben nicht von dem auf ihr angegebenen Aussteller herrührt (Fabrizy, StGB10 § 223 Rz 3).

Für die Qualifikation nach § 130 dritter Fall StGB genügt die auf schwere Diebstähle gerichtete gewerbsmäßige Absicht; ob es bei allen Taten immer zur Verwirklichung des beabsichtigten schweren Diebstahls kommt, ist unerheblich und hindert die Aufnahme auch eines isoliert betrachtet „einfachen“ Diebstahls in die Subsumtionseinheit nach § 29 StGB nicht (RIS-Justiz RS0090687 [vor allem T11]).

Mit der Forderung nach Unterstellung eines der Diebstahlsfakten unter § 133 StGB wird die Nichtigkeitsbeschwerde nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt.

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