OGH 11Os110/12d

OGH11Os110/12d9.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Scheickl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Afshin M***** wegen des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 12, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 dritter Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. April 2012, GZ 42 Hv 3/12k‑62, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen A/I/1 und 2 sowie C/1 und 2 und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Afshin M***** mehrerer Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (A/I/1 und A/II), des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (A/I/2/a und b) und des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz (richtig:) zweiter Fall StGB (A/III/1 und 2), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (B), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (C/1 und 2) sowie des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (E) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

(A) in einverständlichem Zusammenwirken mit unbekannten Mittätern durch Gewalt gegen Personen oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) anderen fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz

(I) am 8. August 2011

(1) Jozef I***** durch die Äußerung: „Wenn ihr mir nicht meine 3.000 Euro bezahlt, dann werden wir die Xandi entführen und sie wird auf meinem Standplatz in der Felberstraße für mich arbeiten müssen“, 3.000 Euro Bargeld wegzunehmen versucht;

(2) durch die wiederholte Abgabe der zu A/I/1 geschilderten Äußerung (a) Jozef I***** 450 Euro Bargeld und ein Mobiltelefon sowie (b) Alexandrina K***** eine Handtasche weggenommen;

(II) am 17. Dezember 2011 Yulian B***** und Atanas S***** Wertgegenstände und Bargeld wegzunehmen versucht, indem er ihnen Fußtritte gegen den Körper und die Brust versetzte;

(III) am 16. Dezember 2011 unter Verwendung einer Waffe

(1) Yulian B***** 350 Euro Bargeld und ein Mobiltelefon weggenommen, indem er ihm einen Schlag ins Gesicht versetzte, ein Messer gegen seinen Körper richtete und ihn aufforderte, Geld herzugeben;

(2) Atanas S***** eine Geldbörse samt 200 Euro Bargeld weggenommen, indem er ihm einen Schlag gegen die Brust versetzte und ein Messer gegen den Körper hielt;

(B) am 8. August 2011 Jozef I***** nach der zu A/I/1 und 2a geschilderten Tat vorsätzlich (richtig:) durch Zufügen von längerdauernden Schmerzen im Bereich des Halses und des Kopfes an der Gesundheit geschädigt, indem er ihm einen Schlag gegen den Kopf versetzte, wodurch er damit auf einer Espressomaschine aufschlug, und ihn am Hals erfasste;

(C) am 8. August 2011 Urkunden, über die er nicht allein verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, und zwar (1) eine Geburtsurkunde lautend auf Alexandrina K***** sowie (2) eine Geburtsurkunde und einen Dienstausweis lautend auf Jozef I*****;

(E) am 16. Dezember 2011 Yulian B***** durch die Äußerung: „Wenn du die Polizei rufst, schneide ich dir die Kehle durch und schlag dich ins Gesicht“, somit durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme von der Anzeigeerstattung wegen der zu A/III/1/ und 2 geschilderten Straftaten genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 3, 4, 5, 5a und 8 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise im Recht.

Zutreffend wendet der Beschwerdeführer gegen die ‑ von der in Richtung §§ 12, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 dritter Fall, 15 StGB erhobenen Anklage (ON 23) abweichenden, nach § 142 Abs 1 StGB erfolgten ‑ Schuldsprüche A/I/1 und 2 ein (Z 8), dass er über den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt nicht gehört wurde. Da sich die Tatbilder der §§ 142 Abs 1 und 144 Abs 1 StGB vor allem in den Voraussetzungen hinsichtlich der Imminenz des angedrohten Übels und der Unmittelbarkeit des Schadenseintritts nicht überdecken (vgl Kienapfel/Schmoller BT II § 144 Rz 75), ist ohne weiteres das Erfordernis einer dem § 262 StPO entsprechenden Belehrung zu unterstellen, ohne welche dem Grundrechtsgebot des Art 6 Abs 3 lit a oder lit b MRK nicht entsprochen wird (RIS‑Justiz RS0121419, RS0113755).

Das aufgezeigte Belehrungsdefizit macht eine Kassation der genannten Schuldsprüche bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO) unumgänglich. Da die Schuldsprüche C/1 und 2 auf der Annahme basieren, dass die Unterdrückung der dort im Einzelnen bezeichneten Geburtsurkunden im Zuge des erwähnten räuberischen Angriffs erfolgte (US 6), waren jene in Ausübung der dem Obersten Gerichtshof durch § 289 StPO eingeräumten Befugnis zu beheben, um sicher zu gehen, dass der Angeklagte durch Kassation bloß formal trennbarer Aussprüche des angefochtenen Urteils keinen inhaltlichen Nachteil erleidet (RIS‑Justiz RS0120632; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 3). Auf die durch Aufhebung von Schuldsprüchen notwendige Kassation des Strafausspruchs waren die darob erhobenen Berufungen zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird im Fall eines neuerlich schuldigsprechenden Erkenntnisses wegen des zu A/I/1 und 2 inkriminierten Verhaltens durch geeignete Feststellungen zu klären sein, ob dieses Tatgeschehen eine tatbestandliche Handlungseinheit mit der Konsequenz nur einmaliger Tatbestandsverwirklichung darstellt. Davon ist insbesondere bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld) auszugehen (RIS‑Justiz RS0120233, RS0122006 [insb T2]).

Im Übrigen wird zu berücksichtigen sein, dass die qualifizierte Drohung beim Raub gegen Leib oder Leben gerichtet sein muss. Eine gegen das Rechtsgut der Freiheit (Jerabek in WK² § 74 Rz 30) gerichtete Inaussichtstellung (nur) einer Entführung reicht demnach nicht aus (Kienapfel/Schmoller SB BT II § 142 Rz 29).

Die weitere Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt jedoch ihr Ziel.

In der Hauptverhandlung am 4. April 2012 wurde nach ‑ auf § 252 Abs 1 Z 1 StPO gestützter ‑ Verlesung der Angaben der Zeugen Atanas S*****, Yulian B***** und Mihail A***** der erhebliche Akteninhalt unter einverständlichem Verzicht auf wortwörtliche Vorlesung gemäß § 252 Abs 2a StPO vorgetragen (ON 61 S 5 f), sodass die genannten Zeugenaussagen jedenfalls nach dieser Gesetzesstelle zulässig in der Hauptverhandlung vorgekommen sind (RIS‑Justiz RS0127712). Damit kann aber der Einwand der Verfahrensrüge (Z 3), wonach die Verlesungsvoraussetzungen nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO nicht vorgelegen seien, auf sich beruhen.

Der weiteren Beschwerde (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des ‑ im Übrigen auf unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielenden ‑ Antrags auf „zeugenschaftliche Einvernahme der einvernehmenden Beamten des LKA mit der Begründung, ob B***** und S***** bereits vorbestraft sind“ (ON 49 S 19), Verteidigungsrechte nicht geschmälert, weil das Begehren die Relevanz für die Lösung der Schuld‑ oder Subsumtionsfrage nicht erkennen ließ (vgl zum Ganzen Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 327, 330 f). Das im Rechtsmittel nachgetragene Vorbringen unterliegt dem sich aus dem Wesen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618, RS0099117).

Die Behauptung der Mängelrüge (Z 5), das Erstgericht habe „außer Acht gelassen, dass der Zeuge W***** vom Raufhandel nichts gesehen habe“, trifft nicht zu (US 8, 12). Aus welchem Grund der Hinweis der Tatrichter auf die als relativ detailliert, weitgehend widerspruchsfrei und übereinstimmend erachteten Angaben der Zeugen B*****, S***** und A***** (US 12) „undeutlich, unvollständig“ und im „Widerspruch mit den Ergebnissen der Hauptverhandlung“ sein soll, gibt der Beschwerdeführer nicht bekannt. Ebenso lässt er offen, welchen Begründungsmangel des Urteils er mit den ‑ im Übrigen gar nicht widersprüchlichen ‑ Sachverhaltsschilderungen der Polizei im Abschlussbericht (ON 9 S 3) und in einem Amtsvermerk (ON 9 S 23) ansprechen will.

Indem der Angeklagte unter Hervorkehrung einzelner Details der Aussagen der Zeugen B*****, S***** und A***** seiner leugnenden Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen sucht, bekämpft er bloß unzulässig die ‑ auf vernetzter Betrachtung der Schilderungen der Tatopfer und der einschreitenden Polizeibeamten beruhende (US 12 f) sowie Widersprüche in den Aussagen nicht vernachlässigende (vgl US 12: „weitgehend widerspruchsfrei“) ‑ Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Der Nichtigkeitsgrund der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Die

Tatsachenrüge will nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung verhindern (RIS‑Justiz RS0119583). Mit bloßer Wiederholung der Argumentation in der Mängelrüge, Beteuerungen zur Glaubwürdigkeit seiner Angaben sowie Zweifeln an der richtigen Gewichtung der be- und entlastenden Umstände gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, beim Obersten Gerichtshof solche erheblichen Bedenken zu wecken.

Insoweit war daher die Nichtigkeitsbeschwerde bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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