OGH 10ObS36/12k

OGH10ObS36/12k5.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei V*****, vertreten durch Mag. Dr. Marc Gollowitsch, Rechtsanwalt in Pöchlarn, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. November 2011, GZ 7 Rs 109/11t-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. April 2011, GZ 5 Cgs 294/10z-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revisionsbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 21. 7. 1943 geborene Klägerin ist rumänische Staatsbürgerin und bezieht von einem rumänischen Pensionsversicherungsträger eine monatliche Rente, welche im Februar 2011 398 RON monatlich betragen hat. Sie beantragte am 1. 10. 2009 bei der beklagten Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung einer Ausgleichszulage.

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die Klägerin jedenfalls seit Antragstellung ihren gewöhnlichen und im Hinblick auf die durch das BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, mit Wirkung ab 1. 1. 2011 erfolgte Novellierung des § 292 Abs 1 ASVG jedenfalls seit diesem Zeitpunkt auch ihren rechtmäßigen Aufenthalt im Inland hat und ihr daher aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 10 ObS 172/10g, 10 ObS 87/11h ua) ein Anspruch auf Ausgleichszulage in gesetzlicher Höhe ab 1. 10. 2009 zusteht.

Strittig ist im Revisionsverfahren allein die Frage, ob sich die Klägerin auf ihren Anspruch auf Ausgleichszulage Sachbezüge als Einkommen iSd § 292 Abs 3 ASVG anrechnen lassen müsse. Die beklagte Partei hat dazu in ihrer Klagebeantwortung neben der Bestreitung des Grundes des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs im Zusammenhang mit der von einer Enkelin der Klägerin unterschriebenen Haftungserklärung vorgebracht, dass die Klägerin über keine eigenen Existenzmittel verfüge, ihre Enkelin und ihre Tochter Mieter des Hauses in P*****, in dem auch die Klägerin wohne, seien und auch die Mittel zum Lebensunterhalt der Klägerin von deren Tochter und Enkelin gedeckt würden.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 10. 2009 gerichtete Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsansicht, dass die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt nicht nach Österreich verlegt und deshalb keinen Anspruch auf Ausgleichszulage habe. Ausgehend von dieser Rechtsansicht prüfte das Erstgericht naturgemäß nicht die allfällige Höhe des von ihm bereits dem Grunde nach verneinten Anspruchs der Klägerin auf Ausgleichszulage. Es stellte in diesem Zusammenhang lediglich fest, dass die Klägerin abgesehen von gelegentlichen Behebungen von ihrem rumänischen Pensionskonto keinen Beitrag zu ihrem Lebensunterhalt in Österreich leiste. Die Lebensmittel werden von der Tochter, fallweise auch von der Enkelin der Klägerin eingekauft und auch die Miete und die Betriebskosten für das Haus, in dem auch die Klägerin wohne, werden von ihnen bezahlt.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung der Klägerin das Ersturteil dahin ab, dass es die beklagte Partei schuldig erkannte, der Klägerin eine Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 10. 2009 zu gewähren. Weiters trug es der beklagten Partei auf, der Klägerin ab 1. 10. 2009 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids eine vorläufige Zahlung von 300 EUR monatlich zu erbringen. Das Berufungsgericht bejahte unter Hinweis auf die bereits zitierte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs den Anspruch der Klägerin auf Ausgleichzulage im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 10. 2009. Da für die genaue Festsetzung der Höhe der Ausgleichszulage die erforderlichen Daten zum Pensionsbezug der Klägerin fehlten, sei der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung iSd § 89 Abs 2 ASGG aufzutragen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die zum Anspruch eines EWR-Pensionisten auf Ausgleichszulage bereits vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, „dass die Sachbezüge im Sinne der vollen freien Station gemäß § 292 Abs 3 ASVG Berücksichtigung finden“. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist, und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

Die beklagte Partei macht geltend, nach ständiger Rechtsprechung seien bei Feststellung des Anspruchs auf Ausgleichszulage gemäß § 292 Abs 3 ASVG Sachbezüge zu berücksichtigen. Deren Bewertung richte sich nach den Sachbezügen für Zwecke der Lohnsteuer mit der Maßgabe, dass als Wert der vollen freien Station die in der Verordnung über veränderliche Werte geregelten Beträge heranzuziehen seien. Im vorliegenden Fall seien beide Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die finanziellen Bedürfnisse der Klägerin weitgehend im Familienverband von ihrer Tochter und Enkelin abgedeckt werden. Es hätten daher die Sachbezüge der Klägerin im Sinne der vollen freien Station gemäß § 292 Abs 3 ASVG Berücksichtigung finden müssen.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

1. Ein Anspruch auf Ausgleichszulage besteht gemäß § 292 Abs 1 ASVG, wenn die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 294 zu berücksichtigenden Beträge die Höhe des für den Pensionsberechtigten gemäß § 293 ASVG geltenden Richtsatzes nicht erreicht. Unter Nettoeinkommen im Sinne dieser Bestimmung ist, sofern nicht einer der in § 292 Abs 4 bis Abs 13 ASVG geregelten Sonderfälle vorliegt, nach § 292 Abs 3 ASVG die Summe sämtlicher Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge zu verstehen. Für die Bewertung der Sachbezüge gilt dabei, von bestimmten Ausnahmen abgesehen, die Bewertung für Zwecke der Lohnsteuer, mit der Maßgabe, dass als Wert der vollen freien Station ein jährlich aufzuwertender Betrag heranzuziehen ist.

1.1 Schon aus der ausdrücklichen Anführung der Sachbezüge in § 292 Abs 3 ASVG und der für Sachbezüge normierten Pauschalanrechnung unabhängig vom tatsächlichen Wert ergibt sich klar, dass solche wiederkehrenden Sachbezüge als Einkünfte in Geldeswert jedenfalls als Einkommen iSd § 292 Abs 3 ASVG bei der Berechnung der Ausgleichszulage zu berücksichtigen sind. Es ist dabei auch ohne Bedeutung, ob diesen Sachbezügen eine zuvor erbrachte Gegenleistung zugrundeliegt oder ob sie unentgeltlich erbracht werde. Eine der Klägerin gewährte freie Station (freies Quartier und freie Verpflegung) wäre daher bei der Berechnung der Ausgleichszulage als Sachbezug mit Versorgungscharakter mit dem in § 292 Abs 3 ASVG hiefür für maßgeblich erklärten Bewertungssatz zu berücksichtigen (vgl 10 ObS 196/03a, SSV-NF 17/102; 10 ObS 129/92, SSV-NF 6/141; 10 ObS 83/89, SSV-NF 3/36 ua; RIS-Justiz RS0085320 ua). Dies ist auch sachgerecht, weil sich derjenige, der über eine solche freie Station verfügt, den dafür notwendigen Geldaufwand erspart, und eine solche Person bei Vernachlässigung dieses Sachbezugs im Gesamteinkommen daher wirtschaftlich besser gestellt wäre als eine andere Person, die über einen solchen Sachbezug nicht verfügt (vgl 10 ObS 196/03a, SSV-NF 17/102). Die beklagte Partei hat entgegen der von der Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung vertretenen Rechtsansicht bereits in ihrer Klagebeantwortung unter anderem auch eingewendet, dass der Klägerin eigene Existenzmittel fehlen und die Mittel zu ihrem Lebensunterhalt sowie die Kosten der Mietwohnung, in der die Klägerin wohne, von den Angehörigen der Klägerin getragen werden.

2. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass sich die Entscheidung des Gerichts über den Anspruch auf Ausgleichszulage auf den gesamten Zeitraum bis zum Schluss der Verhandlung zu erstrecken hat und allfällige Sachverhaltsänderungen bis zu diesem Zeitpunkt zu berücksichtigen sind (10 ObS 262/93, SSV-NF 8/107 mwN).

2.1 Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren gemäß § 89 Abs 2 ASGG erledigt. Dies steht jedoch im Widerspruch zur Rechtsprechung des erkennenden Senats. Danach kann eine Rechtsstreitigkeit über eine Ausgleichszulage (nur) dann nach § 89 Abs 2 ASGG erledigt werden, wenn nur strittig ist, ob sich der Pensionsberechtigte im Inland aufhält (RIS-Justiz RS0109264). Im vorliegenden Fall ist jedoch neben der Frage des rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin im Inland auch die Frage der Anrechnung eines Sachbezugs gemäß § 292 Abs 3 ASVG auf einen Anspruch auf Ausgleichszulage strittig. Setzt aber die Entscheidung über den Anspruchsgrund - wie im vorliegenden Fall - konkrete Feststellungen (über das Gesamteinkommen und die für den Richtsatz maßgeblichen Umstände) voraus, die regelmäßig auch für die Entscheidung über die Anspruchshöhe wesentlich sind, kann ohne Feststellung der Anspruchshöhe nicht gesagt werden, ob der Anspruch dem Grunde nach besteht. In diesem Fall kann der Rechtsstreit nicht nach § 89 Abs 2 ASGG erledigt werden, sondern es ist die Höhe der dem Pensionsberechtigten gebührenden Ausgleichszulage im Urteil ziffernmäßig anzuführen (10 ObS 262/93, SSV-NF 8/107; 10 ObS 364/89, SSV-NF 4/1 ua; RIS-Justiz RS0085739).

2.2 Da die Frage der Anrechnung einer freien Station auf den Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage bisher mit den Parteien nicht erörtert wurde, erweist sich die Rechtssache auch aus diesem Grund als noch nicht entscheidungsreif. Der Revision der beklagten Partei war daher im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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