European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2012:0080OB00050.12D.0530.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Das Erstgericht erteilte mit Beschluss vom 14. 2. 2012 einer Vereinbarung zwischen dem Masseverwalter und einem Leasingunternehmen, die im Wesentlichen die Rückstellung von geleasten Liegenschaften durch die Schuldnerin gegen Zahlung eines bestimmten Betrags an die Masse, weiters die Bereinigung laufender Rechtsstreitigkeiten regelt, nach § 117 IO die konkursgerichtliche Bewilligung.
Eine Ausfertigung dieses Beschlusses wurde am 16. 2. 2012 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an den Masseverwalter zugestellt. Noch am selben Tag händigte dieser in seiner Kanzlei dem Geschäftsführer der Schuldnerin eine ausgedruckte Kopie dieses Beschlusses aus.
Die nach der Zustellverfügung des Erstgerichts für die Schuldnerin selbst bestimmte Ausfertigung des Beschlusses wurde an die Privatadresse ihres Geschäftsführers adressiert. Da jedoch auch über das Privatvermögen des Geschäftsführers ein Insolvenzverfahren anhängig ist, gelangte diese für die Schuldnerin bestimmte Sendung im Wege der Postsperre ebenfalls an den (in beiden Verfahren identen) Masseverwalter, der sie am 21. 2. 2012 in Empfang nahm und am 24. 2. 2012 dem Geschäftsführer aushändigte.
Am 6. 3. 2012 gab die Schuldnerin einen Rekurs gegen den Beschluss vom 14. 2. 2012 zur Post, den das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluss als verspätet zurückwies. Die Zustellung an den Masseverwalter am 16. 2. 2012 sei nach § 78 IO auch für die Schuldnerin wirksam geworden. Jedenfalls mit Aushändigung der Kopie der Entscheidung an den Geschäftsführer habe die Rechtsmittelfrist für die Gesellschaft zu laufen begonnen, ohne dass es auf das spätere Datum der weiteren Zustellung zu Handen des Geschäftsführers ankäme.
Der gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Schuldnerin ist entgegen dem verneinenden Ausspruch des Rekursgerichts nach § 528 Abs 1 und 2 Z 2 ZPO iVm § 252 IO zulässig und inhaltlich auch berechtigt, weil die Entscheidung des Rekursgerichts einer rechtlichen Klarstellung und Korrektur bedarf.
Das Rechtsmittelverfahren in Insolvenzsachen ist, mit Ausnahme des Eröffnungsverfahrens, grundsätzlich einseitig (§ 260 Abs 4 IO; 8 Ob 199/02a; 8 Ob 137/09v).
Voraussetzung für den Beginn des Laufs einer Rechtsmittelfrist ist, dass die Zustellung rechtswirksam war; eine mangelhafte Zustellung setzt die Rechtsmittelfrist nicht in Gang (RIS‑Justiz RS0006997).
Nach § 13 Abs 1 ZustG ist ein Dokument grundsätzlich dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen, es sei denn, dass eine Behörde oder ein Gericht anordnet, dass die Zustellung an eine andere Person als den Empfänger vorzunehmen ist. Eine solche Anordnung stellt nach herrschender Auffassung auch die Postsperre nach § 78 Abs 2 IO dar. Alle Postsendungen, die ansonsten dem Schuldner zuzustellen wären, sind dem Insolvenzverwalter auszufolgen, der als empfangsberechtigter gesetzlicher Vertreter der Masse angesehen wird ( Katzmayr in Fasching/Konecny InsG § 78 IO Rz 51 mwN; VwGH 2002/15/0059). Dem Schuldner steht, soweit die Postsendung die Insolvenzmasse berührt, nur das Recht auf Einsichtnahme zu (§ 78 Abs 3 IO; vgl 8 Ob 26/89). Diese Wirkung der Postsperre erfasst alle Angelegenheiten, in denen die Befugnisse des Gemeinschuldners beschränkt sind (VwGH 2002/14/0053).
Zwar kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein Beschluss des Konkursgerichts in einer Angelegenheit nach § 117 Abs 1 IO materiell die Belange der Insolvenzmasse berührt, allerdings steht dem Gemeinschuldner gegen einen solchen Beschluss ein eigenes Rekursrecht zu (vgl RIS‑Justiz RS0081665; RS0002690; RS0065135 [T39]; RS0065202). Der gesetzliche Anspruch des Schuldners auf Verfahrensteilnahme und Erhebung von Rechtsmitteln ist aber keine Angelegenheit, in der seine Befugnisse beschränkt und auf den Masseverwalter übergegangen sind.
Da eine Bekanntmachung von Beschlüssen über die Genehmigung von Geschäften nach § 117 Abs 1 KO (IO) durch Anschlag an der Gerichtstafel im Gesetz nicht vorgesehen ist, beginnt der Lauf der Rechtsmittelfrist gegen einen derartigen Beschluss erst mit der individuellen Zustellung an den Schuldner (vgl 8 Ob 2269/96a).
Für die Wirksamkeit einer Zustellung ist es erforderlich, dass sowohl in der Zustellverfügung der Behörde, als auch auf dem Zustellstück selbst der nach dem jeweils anzuwendenden Verfahrensrecht richtige Empfänger genannt ist (RIS‑Justiz RS0106442, RS0083644; Stumvoll in Fasching/Konecny ² II/2, § 7 ZustG Rz 17; Gitschthaler in Rechberger 3 § 87 Rz 4). Ein Zustellmangel wird nur dann durch ein tatsächliches Zukommen der Sendung an den Empfangsberechtigten geheilt, wenn ihm die an ihn adressierte Sendung im Original ausgefolgt wird. Der Erhalt einer Kopie ist dem Zugang einer Originalausfertigung nicht gleichzuhalten (RIS‑Justiz RS0083731 [T4]). Die bloße Kenntnis des Inhalts eines Beschlusses ersetzt die gebotene Zustellung der Beschlussausfertigung nicht (RIS‑Justiz RS0083733).
Die Aushändigung einer ausgedruckten Kopie der an den Masseverwalter im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs adressierten Beschlussausfertigung an den Geschäftsführer der Schuldnerin am 16. 2. 2012 war daher nicht geeignet, die Wirkungen der gebotenen gesonderten Zustellung an die Schuldnerin selbst herbeizuführen.
Die Zustellung an die Schuldnerin wurde auch nicht durch den Zugang der für sie bestimmten Beschlussausfertigung an den Masseverwalter aufgrund der über den Geschäftsführer verhängten Postsperre bewirkt.
Im Insolvenzverfahren des Geschäftsführers wird die Masse von einem für die Gesellschaft bestimmten Zustellstück nicht berührt, sodass ein solches nach § 78 Abs 3 IO vom Insolvenzverwalter mit einem auf die Anhängigkeit des Insolvenzverfahrens hinweisenden Vermerk grundsätzlich an die Behörde zurückzustellen wäre.
Eine rechtswirksame Zustellung des angefochtenen erstinstanzlichen Beschlusses an die Schuldnerin erfolgte erst durch den tatsächlichen Zugang der für sie bestimmten Ausfertigung an ihren Geschäftsführer am 24. 2. 2012. Der am 6. 3. 2012 erhobene Rekurs war somit rechtzeitig.
Das Rekursgericht wird daher unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund inhaltlich über den Rekurs zu entscheiden haben.
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