Spruch:
Michael K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Das Landesgericht für Strafsachen Graz verhängte mit Beschluss vom 6. August 2011 (ON 86) über Michael K***** die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO und setzte diese mehrfach - zuletzt mit Beschluss vom 16. März 2012 (ON 148) - nach Wegfall des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr ab 14. September 2011 (ON 108) aus jenen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr fort.
Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Graz der Beschwerde des Beschuldigten (ON 151) gegen den Beschluss vom 16. März 2012 nicht Folge und ordnete die Haftfortsetzung aus den Gründen des § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO an.
Dabei erachtete es Michael K***** dringend verdächtig,
1./ am 3. November 2009 in S***** angeboten zu haben, einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge durch die Inaussichtstellung, ihm 20 bis 30 kg hochwertiges Kokain (mit einem Reinheitsgehalt von 90 %, vgl BS 4) zum Preis von 50.000 Euro pro Kilogramm zu überlassen, und
2./ am 14. Dezember 2010 in W***** als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung des Suchtgifthandels (§ 28a Abs 1 SMG) Verantwortliche des Unternehmens J***** dazu zu bestimmen versucht zu haben, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge von Ecuador auszuführen und nach Slowenien einzuführen, indem er sich zu einem bislang unbekannten Zeitpunkt mit den im Beschluss namentlich aufgezählten siebzehn Mitgliedern der „N'drangettha“ und weiteren Personen italienischer und kolumbianischer Herkunft („Frank“) zur arbeitsteiligen Organisation von Importen von die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Mengen Kokain von Südamerika und Afrika nach Europa zusammenschloss und mit den vorsatzlos handelnden Verantwortlichen des Unternehmens J***** vereinbarte, dass diese für ihn am 17. Dezember 2010 gegen 300.000 Euro mit einem Flugzeug technische Filmausrüstung von Slowenien nach Ecuador und am 19. Dezember 2010 von Ecuador nach Slowenien transportieren, wobei nach dem Tatplan des Beschuldigten die zum Transport benutzten, auf der Hinreise mit Sand befüllten Kisten am Flughafen Quito entleert und anschließend im militärischen Bereich des Flughafens mit insgesamt 1,4 Tonnen Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 90 % befüllt werden sollten. Die Ausführung sei nur daran gescheitert, dass die Kisten im zivilen Bereich des Flughafens abgeladen wurden und sich der vorsatzlos handelnde Pilot letztlich geweigert habe, das Flugzeug in den militärischen Bereich des Flughafens zu manövrieren (BS 3 f).
In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht dieses (als hafttragend erachtete) Verhalten den Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (1./) und des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG, §§ 12 zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB (2./).
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen gerichteten Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten kommt keine Berechtigung zu.
Die Begründung dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden (RIS-Justiz RS0110146).
Das Oberlandesgericht stützte den dringenden Tatverdacht im Wesentlichen auf die Ermittlungsergebnisse des Landeskriminalamts Wien, des Bundeskriminalamts, der Darlegung der Inhalte der zwischen dem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts und dem Beschuldigten geführten Gespräche, auf die Ermittlungsergebnisse der italienischen Strafverfolgungsbehörden (ON 43, 54, 59 S 1 ff, „103“ [gemeint offenbar ON 113]) sowie auf die Ergebnisse der Überwachung der Telefonanschlüsse des Beschuldigten (ON 54 S 19).
Indem die Grundrechtsbeschwerde den alle vorliegenden Beweismittel berücksichtigenden Verdachtsannahmen des Oberlandesgerichts bloß eigene Beweiswerterwägungen gegenüberstellt, zeigt sie weder eine den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widersprechende und solcherart geradezu willkürliche Begründung (Z 5 vierter Fall) oder einen sonstigen Begründungsmangel auf, noch vermag sie mit dem Hinweis, dass kein Kokain beschlagnahmt werden konnte (Z 5a), erhebliche Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der Annahmen der Beschwerdeentscheidung zu wecken.
Soweit in Bezug auf das Anbieten von Suchtgift (1./) ein Rechtsfehler mangels Feststellungen zur subjektiven Tatseite behauptet (Z 9 lit a), dabei aber die Erwägungen des Beschwerdegerichts, wonach sich der endgültige Bindungswille des Beschuldigten aus dem Verlauf des Gesprächs mit dem verdeckten Ermittler und insbesondere aus den Vorbereitungen für den Transport einer Suchtgiftmenge von 1,4 Tonnen Kokain von Ecuador nach Europa ergibt (BS 4 und 6), vernachlässigt werden, entzieht sich das Vorbringen einer meritorischen Erwiderung (vgl RIS-Justiz RS0099810).
Aktenwidrig sind Entscheidungsgründe dann, wenn sie den Inhalt einer Aussage oder eines anderen Beweismittels in seinen wesentlichen Teilen unrichtig wiedergeben (RIS-Justiz RS0099547).
Ein solches Fehlzitat zeigt die Beschwerde mit ihrer Kritik an der inhaltlichen Würdigung des Amtsvermerks ON 10 nicht auf (vgl BS 6).
Zwischen der gleichzeitigen Annahme einer Ernsthaftigkeit des Anbots und einer Inanspruchnahme von Diensten des verdeckten Ermittlers bei der Organisation des Transports, um das Angebot letztlich erfüllen zu können (BS 6), besteht dem Vorbringen zuwider kein denklogischer Widerspruch (Z 5 dritter Fall).
Mit Aufzeigen eines Fehlzitats des Beschwerdegerichts beim Verweis auf eine Fundstelle (ON 103) bei richtiger Bezeichnung und Wiedergabe des Inhalts des Ermittlungsergebnisses der italienischen Strafverfolgungsbehörden (vgl insbesondere ON 113 S 289) wird keine Aktenwidrigkeit dargetan.
Die Rolle des Beschuldigten in der kriminellen Großbande leitete das Oberlandesgericht unter anderem aus dem Verfahrensergebnis ON 135 ab, das eine in die deutsche Sprache übersetzte Aufzeichnung der italienischen Behörden über das Verhör eines den Beschwerdeführer nach Ansicht des Oberlandesgerichts belastenden weiteren Mitglieds der Verbindung umfasst (vgl dazu insbesondere ON 135 S 43, 53, 73, 83, 91). Dass es beim Vernommenen nicht um Antonio G*****, wie vom Oberlandesgericht auf BS 7 angeführt, sondern um Guiseppe C***** (vgl BS 8) handelt, ist für die Beurteilung des dringenden Tatverdachts nicht von Bedeutung.
Der behaupteten Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat sich das Oberlandesgericht mit den Mutmaßungen des Guiseppe C***** und anderer Mitglieder der kriminellen Vereinigung, wonach der Beschuldigte eingeschleust worden sei, auseinandergesetzt, legte aber ohne Verstoß gegen die Denkgesetze und damit formal mängelfrei dar, weshalb weder diese Vermutungen noch die leugnende Verantwortung des Michael K***** den als dringend eingestuften Tatverdacht zu erschüttern vermochten (BS 7, 9).
Indem der Rechtsmittelwerber einwendet, er habe den Transport nicht realisieren wollen, sondern nur vorgegeben, an der Lieferung mitzuwirken, zeigt er keinen Begründungsmangel auf, sondern bekämpft lediglich die Beweiswerterwägungen des Beschwerdegerichts.
Aus diesem Grund scheitert der Beschuldigte auch, wenn er das einer vollständigen Würdigung unterzogene Erhebungsergebnis der ON 54 (BS 5) eigenständig interpretiert und behauptet, sämtliche Tathandlungen seien nicht ihm, sondern höchstens dem verdeckt ermittelnden Beamten zuzuordnen. Weshalb die Bestrafung eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens im Fall eines Tatbeitrags durch einen verdeckten Ermittler ausgeschlossen sei, lässt die solcherart erneut unzulässig nicht an der Entscheidungsgrundlage orientierte Beschwerde offen.
Ergänzend ist festzuhalten, dass selbst ein in unzulässiger, dem Staat zuzurechnender (hier aber gar nicht ernsthaft behaupteten) Tatprovokation gelegener Konventionsverstoß (Art 6 Abs 1 MRK) nicht zur Straffreiheit des Täters führen würde, sondern durch eine ausdrückliche und messbare Strafmilderung auszugleichen wäre (RIS-Justiz RS0119618, RS0116456).
Dem Vorbringen (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat sich das Oberlandesgericht sowohl mit der Verantwortung des Beschuldigten, er habe durch Unterlassung der Übermittlung der notwendigen Frachtpapiere und Dokumente die Tat zu verhindern versucht, als auch mit den in ON 47 und 54 enthaltenen Beweisergebnissen auseinandergesetzt (BS 7).
Mit der Argumentation, beim Papier bzw den genannten Dokumenten handle es sich „offenbar“ um das nötige Geld, wird der ON 54 unzulässig ein von der Beschwerdeentscheidung abweichender Bedeutungsinhalt unterstellt und versucht, der leugnenden Verantwortung des Beschuldigten auf diese Art doch noch zum Durchbruch zu verhelfen.
Ob am Flughafen Quito tatsächlich Kokain zum Verladen bereit gehalten wurde, ist mit Blick auf angenommene dringende Verdachtslage in Richtung versuchter Bestimmung zum Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG ohne Bedeutung.
Gegenstand des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens ist allein die im Instanzenzug vorgesehene Entscheidung des Oberlandesgerichts (§ 1 GRBG; RIS-Justiz RS0061031 [T3], RS0061078).
Soweit die Beschwerde die Begründung des mündlich verkündeten Beschlusses des Landesgerichts kritisiert und darin eine Grundrechtsverletzung erblickt, verfehlt sie den gesetzlichen Bezugspunkt.
Die rechtliche Annahme einer der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof dahin geprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als unvertretbar (willkürlich) angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806).
Den einen formell einwandfreien Schluss auf das Vorliegen des Haftgrundes der Flucht- und Tatbegehungsgefahr zulassenden Ausführungen des Oberlandesgerichts (BS 9 f) setzt der eine fehlende bzw nicht auf den Einzelfall bezogene Begründung behauptende Rechtsmittelwerber mit dem Vorbringen, dass der erst sechs Monate nach dem Treffen mit den „Mitbeschuldigten“ verhaftete Beschuldigte unbescholten sei, bereits acht Monate das Haftübel verspürt hätte und nicht 1 Gramm Suchtgift den Besitzer gewechselt habe, keine substantiellen Argumente entgegen.
Die Kritik an der Entscheidung des Erstgerichts geht aus den bereits dargelegten Gründen ins Leere.
Verfahrensverzögerungen sind nur dann grundrechtsrelevant, wenn hiedurch die Dauer der Untersuchungshaft insgesamt unangemessen verlängert wird (RIS-Justiz RS0117747). Nach § 178 Abs 2 StPO darf die Untersuchungshaft bis zum Beginn der Hauptverhandlung über sechs Monate hinaus nur dann aufrecht erhalten werden, wenn dies wegen besonderer Schwierigkeit oder besonderem Umfang der Ermittlungen im Hinblick auf das Gewicht des Haftgrundes unvermeidbar ist. Das gilt auch für Verbrechen jeder Art, wobei es nicht auf den Zeitpunkt der formellen Feststellung der in § 178 Abs 2 StPO genannten Tatsachen, sondern auf deren tatsächliches Vorliegen ankommt (Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 178 Rz 11 f).
Dem Beschwerdevorbringen zuwider genügen die im angefochtenen Beschluss dargestellten Gründe (grenzüberschreitendes Organisationsgeflecht, Vielzahl der involvierten Personen, besondere Schwierigkeit bei der Abgleichung der Ermittlungsergebnisse der eingebundenen Strafverfolgungsbehörden sowie der besonderen Ermittlungsmaßnahmen) den Kriterien des § 178 Abs 2 StPO.
Eine ins Gewicht fallende Säumigkeit in der Haftsache wird auch mit dem Hinweis auf die Unterlassung einer vom Beschuldigten bei der Staatsanwaltschaft im November 2011 beantragten Aufnahme von Beweisen (ON 121) nicht aufgezeigt. Aus welchem Grund das jeweils angestrebte Beweisziel entgegen den Annahmen des Oberlandesgerichts (BS 11) eine die innere Tatseite ausschließende Indizwirkung gehabt hätte, legt die Grundrechtsbeschwerde nicht nachvollziehbar dar. Ebenso wenig wird klar, weshalb die sofortige Durchführung der Beweisaufnahme (auch unter Zugrundelegung des erforderlichen Zeitaufwands für die Auswertung der umfangreichen, vier Bände umfassenden, teilweise nicht in deutscher Sprache verfassten Ermittlungsergebnisse) entgegen der Beschwerdeentscheidung (BS 11) zu einer Verkürzung der Haft geführt hätte.
Soweit der am 3. August 2011 verhaftete Beschwerdeführer rügt, er sei nicht unmittelbar nach Abschluss seiner letzten Tathandlung vom Tatverdacht informiert worden (vgl zur Zulässigkeit des Aufschubs der Belehrung bei „heimlichen“ Überwachungsmaßnahmen Fabrizy, StPO11 § 50 Rz 4), macht er keinen grundrechtsrelevanten Verstoß im Zusammenhang mit seiner Haft geltend.
Im Übrigen übersieht die Forderung nach sofortiger Enthaftung, dass ein derartiger Anspruch nach § 9 Abs 2 StPO, aber auch nach Art 5 Abs 3 zweiter Satz MRK und Art 5 Abs 1 PersFrG, nur bei einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer gegeben ist (Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 176 Rz 15, § 177 Rz 2 ff).
Auf Basis der Sachverhaltsannahmen des Oberlandesgerichts zur dringenden Verdachtslage steht die im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung rund acht Monate andauernde Haft dem Vorbringen zuwider weder zur Bedeutung der Sache noch der zu erwarteten Strafe außer Verhältnis (§ 173 Abs 1 StPO).
Die Möglichkeit der raschen Durchführung der länderübergreifenden Ermittlungen wird substratlos behauptet.
Die Grundrechtsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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